Der Roman Young Blood erzählt die Geschichte von Sipho, der in der südafrikanischen Township Umlazi aufwächst und kurz vor seinem 17. Geburtstag die Schule hinschmeißt, weil er da nichts lernt. Jedenfalls nichts, was ihn interessiert. Er lebt mit seinen Eltern und der kleinen Schwester zusammen in einem einfachen Haus, die Eltern arbeiten hart, um den Lebensstandard, den sie erreicht haben, zu erhalten. Der Vater hat sich irgendwann gegen die kriminelle Karriere entschieden und eine Autowerkstatt eröffnet.
Sipho will mehr als in der väterlichen Werkstatt vor sich hin schrauben, er träumt von Geld, einem eigenen Auto – ein eindeutiges, wertvolles Statussymbol und eine stabile Währung in Umlazi. Sipho will was anderes machen, etwas, das ihn interessiert und ihm was bringt.
Fast mein gesamter Freundeskreis bestand aus Township-Bewohnern in zweiter Generation. (…) Meine Großeltern väterlicher- wie auch mütterlicherseits gehörten zur letzten Generation derjenigen, die ihr gesamtes Leben am selben Ort verbracht hatten. Die Zeiten änderten sich, und zwar rasant. Selbst ich als Buschmechaniker schwor mir, nicht im Township zu enden, geschweige denn im Haus meines Vaters.
Und dann taucht Musa auf, Siphos alter Kumpel aus der Wellblechsiedlung, dem „Getto im Getto“. Musa war länger weg, wohl irgendein Business in Johannesburg, jedenfalls hat er es zu was gebracht. Musa hat ein teures Auto. Immer genug Geld. Er macht Geschäfte mit den richtigen, den entscheidenden Leuten. Partys, Drogen, Mädchen. Gangsterleben. Und Sipho kriegt seine Chance, und Sipho steigt ein. Er kann ja mit Autos umgehen, und das ist eine geschätzte Fähigkeit in Umlazi. Es gibt da eine Liste mit Autos, die von irgendwem bestellt wurden. Sipho sucht die Wagen, überlistet die komplexen Sicherungssysteme und liefert die Autos ab. Er bekommt Geld, viel Geld, mehr als er je vorher hatte, und sein erstes eigenes Auto. Alles cool so weit. Aber nicht nur. Oder nicht lange. Denn dann stirbt ein Freund – nach Revierstreitigkeiten mit einer verfeindeten Gang.
Auf der Welt des Verbrechens lag ein Schock, und wir trauerten wirklich, denn mit Vusi hatten wir einen von uns verloren. Er war auf eine Weise gestorben, vor der wir uns alle fürchteten – gewaltsam und allein, durch Kopfschüsse.
Sipho hält inne. Denkt nach. Und geht seinen Weg weiter. Er entscheidet sich, noch mal, bewusst für diese Art zu leben. Das ist kein Hineinschlittern – er ist sich des Risikos bewusst. Allerdings gibt auch noch Nana, „sein Mädchen“. Nana macht gerade Abitur und lebt ein ganz anderes Leben. Sie nimmt die Veränderungen an Sipho wahr, mag seine neuen Freunde nicht, ahnt, trotz seiner raffinierten, haarsträubenden Lügen, welchen Weg er da beschreitet. Sipho liebt Nana, irgendwie, also vielleicht, wenn das, was er fühlt, Liebe ist – und in allen seine Zukunftsvisionen kommt Nana vor.
Es kommt, was eigentlich kommen muss: Sipho wird unvorsichtig. Er fährt mit einem frisch gestohlenen Wagen herum, der noch dazu in ein Verbrechen verwickelt war, unter dem Sitz tausend Mantraxpillen, im Reservereifen einen Haufen Ecstasy – das Startkapital für sein zweites Standbein. Drogengeschäfte. Und dann hält ihn die Polizei an. Den Rest lasse ich hier mal offen.
Sifiso Mzobes Debütroman ist schnell, schillernd, hart, geradlinig. Die Sprache passt sich dem an, die Dialoge sind präzise und knapp erzählt, da ist kein Wort zu viel. Es ist, als würde Sipho dieses Jahr Revue passieren lassen, im Nachhinein das Tempo runterfahren und noch einmal hinschauen, was eigentlich alles passiert ist. Als Leser ist man dicht dabei, erlebt chronologisch die verschiedenen Momente mit – die adrenalingeschwängerten Diebeszüge, die quälende Langeweile beim Warten auf den nächsten Auftrag vor dem Fernseher, die Partys, vernebelt durch Whiskydunst und Gras-Rauchschwaden. Mit wenigen Sätzen kann Mzobe Stimmung und Atmosphäre erzeugen, erlebbar machen.
Und auch die Auslassungen erzählen etwas: Trotz der Erzählperspektive – Sipho als zurückblickender Ich-Erzähler – erfährt man erstaunlich wenig über die Innenwelt des Protagonisten. Beeindruckend, wie man als Leser in die gleiche Rolle gedrängt wird wie die Figuren, die ihn umgeben: dicht dran und doch weit weg, weil Sipho alle auf Distanz hält, niemanden wirklich teilhaben lässt. Der kluge und empfindsame Junge wird in Sipho ebenso sichtbar wie der sich maßlos überschätzende Möchtegern-Gangster, beide existieren in ihm und geraten auch immer wieder in Konflikt. Dieser Widerstreit wird nicht groß thematisiert, sondern erzählt sich zum Beispiel über die Schlaflosigkeit und die Alpträume (faszinierend geschildert), die Sipho begleiten. In kurzen (Ein)Schüben brechen die Emotionen hin und wieder umso heftiger über den sonst eher nüchtern berichtenden Erzähler herein – große Liebe, große Angst, große Trauer. Klar und kompromisslos wie der Roman und sein Protagonist.
Das Porträt dieses jungen schwarzen Mannes in einem von Kriminalität und Brutalität geprägten Umfeld wird sehr genau entworfen, wie am Reißbrett – und das tut dem Roman dann leider nicht gut. Jedes Klischee, das man über Townships in Südafrika haben kann und über junge schwarze Männer, wird bedient, ja übererfüllt. Von Drogen und sehr viel Alkohol über glamouröse Gangstervillen, Autodiebstahl und Bandenkriege bis zur korrupten Polizei wird nichts ausgelassen – und das ist mir irgendwann zu viel, erscheint fast pädagogisch, wie eine Warnung. Es wirkt, als sollte in diesem Roman all das untergebracht werden, was einem auf dem Weg zum Erwachsenwerden in einer Township passieren kann. Und: Wäre diese Überfrachtung nicht, hätte ich dem Roman wohl eher verziehen, dass er eine Geschichte erzählt, die nicht gerade neu, sondern schon oft erzählt worden ist.
Der Roman lässt mich, aus den beschriebenen Gründen, mit zwiespältigen Gefühlen zurück. Da war Reibung, ich habe mich geärgert, weil ich die Geschichte so gern in Gänze mögen wollte, ich habe einige Sequenzen atemlos gelesen, ich habe gelacht und die Augen ob der teenagerhaften Großkotzigkeit peinlichkeitserfüllt zusammengekniffen, ich habe nachgedacht. Das ist doch was.
Sifiso Mzobe: Young Blood. Aus dem Englischen von Stephanie von Harrach. Peter Hammer Verlag 2015, 272 Seiten, 22,00 €.
Herzlichen Dank an Malu, die den Literaturblog Buchbüchse betreibt, für diesen Gastbeitrag! Morgen stellen wir euch den Peter Hammer Verlag vor, in dem Sifiso Mzobes Roman erschienen ist.