Heute ist der 4. Advent und in wenigen Tagen Weihnachten. Wir haben uns deshalb etwas Besonderes ausgedacht und öffnen »auf einen Streich« die letzten Türchen eines Adventskalenders, den es dieses Jahr bei We read Indie aus Zeitgründen nicht gab. Was es dafür sehr wohl gab: zwölf Monate lang wundervolle und sehr lesenswerte Bücher. Wir haben ausgewählt und möchten euch unsere sechs Lieblings-Indie-Romane des Jahres 2015 zeigen. Als Empfehlung für das letzte eilige Weihnachtsgeschenk. Als Anregung für einen spontanen Besuch in eurer Buchhandlung, um euch selbst eine Freude zu bereiten. Ganz besonders aber als Erinnerung an die Bücher, die uns auf ganz eigene Weise sehr verzaubert oder tief berührt haben. Merry Indie Christmas mit einem guten Roman wünschen wir!
***
Bücherliebhaberin empfiehlt
Leonardo Padura: Die Palme und der Stern
(Unionsverlag)
Paduras Roman ist aktueller denn je und wird wohl die nächsten Jahrzehnte nicht an Aktualität verlieren. Befasst er sich doch mit dem Thema des Exils, den damit verbundenen Enttäuschungen, der Entwurzelung und dem aufgezwungenen Leben fern von der Heimat. An zwei Biografien, die er parallel im Roman entwickelt, zeigt er auf, wie das Leben außerhalb der Heimat zu einer Farce werden kann. Wie Hoffnung und Glaube verschwinden und sich Resignation und Wut breit machen können. Ein lesenswerter Roman, der im Spanischen unter dem Titel: Roman meines Lebens erschien. Interessant, dass Padura selbst nie ins Exil gegangen und in seiner Heimat Kuba geblieben ist. In der sicher nicht jeder Schriftsteller einen Roman mit solch einer explosiven Thematik hätte veröffentlichen können.
» hier entlang zur vollständigen Rezension
Leonardo Padura: Die Palme und der Stern. Aus dem Spanischen von Hans-Joachim Hartstein. Unionsverlag 2015, 475 Seiten, 24,95 €.
caterina empfiehlt
Ana Paula Maia: Krieg der Bastarde
(Büchergilde Gutenberg / A1 Verlag)
Ein Pornodarsteller, eine Boxerin, ein Killerduo, ein Mann mit einer singenden Säge, ein Chihuahua: Diese und etliche andere groteske Gestalten – lauter »Verkommene, Maßlose und Abtrünnige«, wie es in der Widmung heißt – bevölkern den Roman Krieg der Bastarde der Brasilianerin Ana Paula Maia. Sie alle sind hinter einer Tasche voller Koks her, nicht ahnend, dass diese ganz nah ist, versteckt unter den von Tauben zugeschissenen Dielen einer maroden Dachwohnung. Was sich daraus entspinnt, ist irrwitzig, temporeich und derb, es stellt unsere Lesegewohnheiten auf den Kopf und unterhält uns dabei bestens. Da ist auch die trashig-schrille Ausstattung der Büchergilde-Ausgabe nur konsequent.
» hier entlang zur vollständigen Rezension
Ana Paula Maia: Krieg der Bastarde. Aus dem brasilianischen Portugiesisch von Wanda Jakob. Büchergilde Gutenberg 2015, 224 Seiten, 15,95 €. / A1 Verlag 2013, 208 Seiten, 18,80 €.
Klappentexterin empfiehlt
Andor Endre Gelléri: Die Großwäscherei
(Guggolz Verlag)
Kann ein Buch Funken versprühen? Aber natürlich – hier kommt der Beweis! Die Großwäscherei von Andor Endre Gelléri hat mich aus dem Lesesessel gehoben und wie eine Uhr aufgezogen. Das Buch ist ein sinnliches Lesevergnügen und der Autor ein Wortakrobat, der mit seiner Sprache verzaubert. Obwohl die Welt, in der dieser Roman spielt, alles andere als bezaubernd ist. Der Autor entführt uns nämlich in den schweißtreibenden Bauch einer Großwäscherei und erzählt vielschichtige Geschichten über Menschen, die dort arbeiten. Sehr, sehr bewegend. Während man noch ergriffen über die Wörter liest, streicht Andor Endre Gelléri im nächsten Atemzug mit seiner märchenhaften Feder wie ein Zauberer über das graue Arbeitsleben. Ein wahrlich ganz besonderes Buch, das durch seine liebevolle Gestaltung noch einmal extra beglückt.
» hier entlang zur vollständigen Rezension
Andor Endre Gelléri: Die Großwäscherei. Aus dem Ungarischen von Timea Tankó. Mit einem Nachwort der Übersetzrin. Guggolz Verlag 2015, 221 Seiten, 22,00 €.
Mariki empfiehlt
Ruth Cerha: Bora. Eine Geschichte vom Wind
(Frankfurter Verlagsanstalt)
Obwohl ich traurig-düstere sowie fies-sarkastische Bücher liebe, schlägt mein Herz auch für Lovestorys. Wenn sie niveauvoll sind. Ich finde es schön, wenn zwei sich treffen, sich sehen bis innendrin, sich erkennen, sich lieben, wenn alles zusammenpasst und ineinander fällt. Genauso ist es in Bora. Eine Geschichte vom Wind. Mara und Andrej haben sich – um die ausgelutschte Floskel zu bemühen – gesucht und gefunden. Es hat mir ein fettes Grinsen ins Gesicht gesetzt, wie Mara anfangs versucht, Andrejs Anziehungskraft zu widerstehen, und wie lächerlich süß sie sich dabei benimmt. Denn es ist egal, ob man ein Teenie ist oder Ende vierzig: Wenn die Schmetterlinge durch den Bauch tanzen, kann man nicht mehr klar denken.
» hier entlang zur vollständigen Rezension
Ruth Cerha: Bora. Eine Geschichte vom Wind. Frankfurter Verlagsanstalt 2015, 254 Seiten, 19,90 €.
masuko empfiehlt
Emrah Serbes: Deliduman
(binooki)
Den »Moonwalk« tanzen und damit berühmt werden, davon träumt die kleine Cigdem. Ihr Bruder Caglar gibt alles, um diesen (auch seinen) Traum zu verwirklichen. Als die ersten Klicks auf Youtube den ersehnten Erfolg versprechen, zerstören die Ereignisse um den Gezi-Park im Sommer 2013 diesen Traum. Wie eine einsame Möwe am Himmel von Istanbul, so taumelt Caglar durch diese Tage. Emrah Serbes hat mit dem ganz besonderen »Blues« seiner Sprache diese Geschehnisse zu einem unvergesslichen Roman-Abenteuer werden lassen. Und zu einem meiner Herzensbücher des Jahres 2015.
» hier entlang zur vollständigen Rezension
Emrah Serbes: Deliduman. Aus dem Türkischen von Selma Wels. binooki 2015, 406 Seiten, 24,90 €.
Sophie empfiehlt
Michael Frayn: Streichholzschachteltheater
(Dörlemann Verlag)
Michael Frayns Dialoge sind so ein unerhörtes Feuerwerk (!) kluger und skuriller Ideen, inspirierend verschobener Perspektiven und meisterhafter Kunstgriffe, dass man es lesen muss. Hätten sich Monty Python und Loriot gemeinsam zu einem bunten Abend auf der Theaterbühne verpflichtet; Gespräche wie diese wären die unvermeidliche Konsequenz gewesen. Absurd, unheimlich komisch und hochintelligent – das Streichholzschachteltheater ist eines meiner absoluten Highlights 2015.
» hier entlang zur vollständigen Rezension
Michael Frayn: Streichholzschachteltheater. Aus dem Englischenvon Michael Raab. Dörlemann Verlag 2015, 240 Seiten, 17,90 €.
***