Leonardo Padura: Die Palme und der Stern

Wann, o Gott, würde der Roman meines Lebens enden, damit seine Realität beginnen könnte.

Leonardo Padura

Leonardo Padura feierte letzten Oktober seinen 60. Geburtstag. Sein deutschsprachiger Verlag feierte gleich mit:  Der Unionsverlag in Zürich besteht nun schon seit mehr als vier Jahrzehnten. Im Jubiläumsjahr erschien auf Deutsch sein Roman „Die Palme und der Stern“.

Paduras Roman ist aktueller denn je und wird wohl die nächsten Jahrzehnte nicht an AktualitätLeonardo Padura_Die Palme und der Stern verlieren. Befasst er sich doch mit dem Thema des Exils, den damit verbundenen Enttäuschungen, der Entwurzelung und dem aufgezwungenen Leben fern von der Heimat. An zwei Biografien, die er parallel im Roman entwickelt, zeigt er auf, wie das Leben außerhalb der Heimat zu einer Farce werden kann. Wie Hoffnung und Glaube verschwinden und sich Resignation und Wut breit machen können.

Der kubanische Schriftsteller Fernando Terry kehrt aus dem spanischen Exil für eine kurze Zeit in seine Heimat Kuba zurück. Vor über 18 Jahren verließ er diese, weil er durch Denunzierung seine Arbeit an der Universität verloren hatte und gesellschaftlich vor dem Aus stand. Als Dozent für Literatur war seine große Leidenschaft der kubanische Dichter José María Heredia y Heredia. Verloren geglaubte Dokumente aus der Hand Heredias, die scheinbar in greifbare Nähe gekommen sind, lassen ihn alle Zweifel vergessen und er macht sich auf den Weg, um Heimat und ehemalige Freunde aus dem literarischen Club der Spöttischen wiederzusehen. Aber Fernando interessiert sich nicht nur für die verschwundenen Manuskripte Heredias, sondern vor allem will er endlich wissen, wer ihn damals beim Staatsschutz verraten hat. Während seines Aufenthaltes nimmt er sich jeden seiner damaligen Freunde vor und muss nach vielen quälenden und verletzenden Gesprächen feststellen:

Sein Selbstmitleid war zu einer Art Panzer geworden und seine Manie, jemanden für sein Unglück verantwortlich zu machen, zu einem Trost für seine Enttäuschungen.

Fernandos Lebensweg wird die Biografie Heredias gegenüber gestellt. Fernando ist ein fiktionaler Charakter, der beispielhaft für viele Biografien in Kuba steht. Herredia hingegen ist eine reale Person der kubanischen Geschichtsschreibung. Der Nationaldichter, der literarisch der Romantik zugeordnet wird, war Anfang des 19. Jahrhunderts glühender Anhänger der Unabhängigkeitsbewegung und musste durch seine Aktivitäten die Insel, die unter spanischer Kolonialherrschaft stand, verlassen. Er fand Exil in den USA und später in Mexiko. Dort schloss er sich wiederum den mexikanischen Unabhängkeitsströmungen an und arbeitete unter der damaligen Regierung Guadalupa Victorias unter anderem als Richter und als Minister. Zeitlebens widmete er sich der Poesie und beteiligte sich an literarischen Publikationen in Kuba und Mexiko.

Mittels Heredia zeigt Leonardo Padura die Entwicklung der Freimaurer während des beginnenden 19. Jahrhunderts auf. Ein Umstand, der mir bis dahin neu war. Mir war nicht bewusst, wie stark diese Kräfte in Kuba zugange waren.

In jenen alten Gemäuern des ursprünglichen Tempels, dessen rechtmäßige Erben wir sind, fassten sich an einem historischen Abend furchtlose Männer bei den Händen. (.,.) Der glückliche Zufall wollte es – zum Ruhme unserer Institution -, dass sich unter den neuen Mitgliedern auch José María Heredia y Heredia befand, ein Jüngling noch von siebzehn Jahren, der sich mit seinen flammenden Liebesgedichten und patriotischen Versen gerade einen Namen zumachen begann und seither für sein großes Ziel brannte: Die Freiheit Kubas. Jenes Gelöbnis vom Abend des 21. Septembers 1822 sollte das glückliche, sorglose Leben unseres jungen Dichters für immer verändern, um

1836 schwor Heredia in einem Brief seinen freiheitlichen Gedanken in Bezug auf Kuba ab, um wieder einreisen zu können. Als er aber den Kontakt zu alten Weggefährten suchte, musste er abermals seine Heimat verlassen. Er starb drei Jahre später verarmt und verkannt in Mexiko. Auf der Suche nach den autobiografischen Schriften Heredias entdecken Fernando und seine Freunde immer brisantere Fakten und ein vertuschter Skandal in der kubanischen Geschichtsschreibung lässt nicht lange auf sich warten.

Ein lesenswerter Roman, der jedoch auch seine Tücken hat: Durch die schnellen Perspetiv- und Zeitebenenwechsel verliert man zuweilen den Überblick und man muss sich immer wieder neu sortieren, vor und zurück blättern, um den roten Faden wieder aufzunehmen. An einigen Stellen im Buch hatte ich auch an Heredias poetischem Talent so meine Zweifel und hätte manche Metapher eher in einem anderen Genre erwartet aber nicht bei Padura. Spätestens dann, wenn ich lesen muss, wie es Heredia als junger Mann schafft

mit nicht mehr aufzuhaltender Liebesglut, das göttliche Schloss von Lola Junco zu knacken und wie ein übergroßer Stahlnagel, der ein Seidentuch durchsticht, in sie einzudringen …

Sicher Geschmackssache. Jedoch Details, die keinesfalls von einer Lektüre abhalten sollen. Ein Blick lohnt sich auf jeden Fall in das 475 Seiten umfassende Werk, das im Spanischen unter dem Titel: „Roman meines Lebens“ erschien. Interessant, dass Padura selbst nie ins Exil gegangen und in seiner Heimat Kuba geblieben ist. In der sicher nicht jeder Schriftsteller einen Roman mit solch einer explosiven Thematik hätte veröffentlichen können. Seine Erkenntnis kann zumindest auch als eine Art Vorwurf verstanden werden:

dass sie alle konstruierte Figuren gewesen sind, manipuliert von einem durch fremde Ziele beeinflussten Willen, eingeschlossen in den Grenzen einer präzisen Zeit und eines umgrenzten Raum, ähnlich einem Blatt Papier, enthüllt ihm die unausweichliche Tragödie, in der sie gefangen sind. Sie waren nichts als Marionetten, gelenkt von höheren Absichten, mit einem Schicksal, das von den Launen der Herren des Olymp abhing, die ihnen in ihrer Macht und Herrlichkeit gerade mal den Trost gewisser Freuden wechselseitig vorgetragener Gedichte und noch zu rettender Erinnerung zustanden.

Leonardo Padura: Die Palme und der Stern. Aus dem Spanischen von Hans-Joachim Hartstein. Unionsverlag, Zürich 2015, 475 Seiten, 24,95 €.

 

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