We talk Indie: Im Gespräch mit dem Polar Verlag

In unserem Oster-Spezial haben wir unabhängige Verlage vorgestellt, die auf unserem Blog bislang keine oder wenig Aufmerksamkeit erhalten haben. Einer davon ist der engagierte Polar Verlag aus Hamburg, der sich auf Noir-Literatur spezialisiert hat. Von den Anfängen des Verlages und den Herausforderungen, denen Büchermacher sich heute stellen müssen, erzählt Wolfgang Franßen. Franßen wurde in Aachen geboren, war lange Zeit als Theaterregisseur und kurze Zeit als Kritiker tätig und gründete vor drei Jahren den Polar Verlag.

Wolfgang_franßen

Wie ist es zur Gründung des Polar Verlages gekommen?

2013 saß ich mit der Schriftstellerin Romy Fölck in Hamburg in einem Café zusammen und wir waren beide an dem Punkt angelangt, dass wir etwas Neues wagen wollten. So war plötzlich der Gedanke geboren, einen Verlag in der Tradition des französischen Néo-Polars zu gründen, der deutsche Autoren/Innen mit sowohl literarischem Anspruch als auch dem Blick auf die Gesellschaft vereinen sollte.

Ich bin fast ein Jahr herumgereist und habe mich mit Verlegern, Lektoren, Agenten, Bloggern, Social-Media-Experten, Kritikern und vielen anderen unterhalten, um herauszufinden, ob es sich bei der Vielzahl der Verlage lohnt, noch einen weiteren zu gründen. Ihr Rat war: Je klarer das Profil ist, desto eher besteht die Chance, einen neuen Verlag in der Flut der Neuerscheinungen zu positionieren.

Völlig unterschätzt hatte ich in meiner Blauäugigkeit als Seiteneinsteiger, dass ich zu wenige deutsche Autoren/Innen finden würde, die meinem Wunsch an ein Néo-Polar-Programm entsprachen. Nach einem halben Jahr ist Romy Fölck leider ausgestiegen, weil sie für sich erkannt hatte, dass ihr zu wenig Zeit zum Schreiben blieb. Dass der Polar Verlag 2014 dann mit seinem ersten Programm an den Start ging, habe ich vielen Menschen zu verdanken, die mir mit Rat und Tat zur Seite standen und es bis heute tun.

Welche Schwerpunkte setzt der Verlag? Was zeichnet ihn aus?

Wir haben uns abseits des Mainstreams aufgestellt. Wir veröffentlichen Autoren wie den Golden-Dagger-Gewinner Gene Kerrigan oder den mit dem französischen Polar Preis ausgezeichneten Jérémie Guez, die bislang auf dem deutschen Markt keine Chance besaßen. Auch Entdeckungen wie Ben Atkins aus Neuseeland, der gerade mal 20 Jahre alt ist, und Wiederentdeckungen wie Newton Thornburg, der all das verkörpert, was ich gerne im Polar Verlag sehen würde: den kritischen Blick gepaart mit seinem literarischen Anspruch.

Ich verstehe den Polar Verlag als Autorenverlag und nicht als Marketingverlag, der seine Veröffentlichungen nach Zielgruppen ausrichtet. Von Anfang an habe ich versucht, das Programm als Reihe zu veröffentlichen. Weiße Cover mit Illustrationen abseits der gängigen Krimimotive in Schwarz und mit viel Blut, die wir auf den Büchertischen gewohnt sind.

Das Programm beinhaltet vorwiegend Übersetzungen, kaum Titel deutschsprachiger Autoren. Zufall oder bewusste Entscheidung?

Der Aufbau eines Verlags ist nicht einfach. Auf internationale Autoren zu setzen, lag vor allem daran, dass ich nicht genug deutsche Autoren/Innen fand, die meinem Anspruch an Themen und Sprache gerecht wurden. Wenn man sich im Noir- und Néo-Polar-Bereich bewegt, ist die Auswahl nicht groß. Wir sind zurzeit zu männerlastig.

So schätzen wir uns glücklich, nächstes Jahr auch die erste Autorin bei uns veröffentlichen zu können. Mir fehlte bislang leider wegen der Vielzahl der Aufgaben die Zeit, intensiv mit talentierten deutschen Autoren/Innen zu arbeiten. Sie zu lektorieren. Manchmal ist der Schritt vom reinen Ermittlerkrimi zum Noir nicht weit, doch dafür muss der Blick geschult werden. Ich will unbedingt zu den Anfängen zurückkehren und hoffe, dass ich eine Art Talentschmiede schaffen kann, die zum Anspruch des restlichen Verlags passt. Ich muss aber auch ausdrücklich betonen, dass wir in Deutschland viele gute deutsche Autoren/Innen haben, die aber leider schon bei einem Verlag unter Vertrag sind.

Polar Gazette, Polar Noir, 439.Noir: Was ist der Gedanke hinter diesen Formaten? Muss ein Verlag heute mehr bieten als ›nur‹ Bücher? Oder ist es reine Leidenschaft, die Sie dazu antreibt?

Genau darum geht’s. Die Buchbranche ist im Umbruch. Heutzutage gibt es eine Vielzahl von Möglichkeiten, wie Geschichten von Lesern angenommen werden. Natürlich gehöre ich auch zu jenen, die gern ein gedrucktes Buch in einer Buchhandlung kaufen. Doch hat die Flut der Neuerscheinungen dazu geführt, dass eine gewisse Unübersichtlichkeit über uns hereingebrochen ist. Independent-Verlage finden in vielen Buchhandlungen überhaupt nicht mehr statt. Doch wie sollen wir auf unsere Autoren aufmerksam machen, wenn wir nicht in den Buchhandlungen liegen?

Ich teile die Meinung vieler in unserer Branche, dass es in Zukunft ein Hand in Hand geben wird: Print zusammen mit E-Book oder Hörbuch, je nach Lebenslage. Das führt dazu, dass wir uns neu aufstellen müssen. Hat es früher gereicht, ein Buch zu drucken und in den Buchhandel zu geben, erwarten die Leser von uns heute mehr. Zusätzliche Formate. In Gestalt von Blogs, Videos oder Online-Magazinen. Das Phänomen der Community hat das Erscheinungsbild und das Auftreten der Verlage bereits grundlegend verändert.

Bevor unser erstes Programm an den Start ging, habe ich bereits an einem Online-Magazin gearbeitet, das Lesern und dem Buchmarkt anhand von Essays, Interviews und Kolumnen zusätzliche Informationen zu einem ausgewählten Thema näherbringen sollte. Und das als freier Content. Abseits der üblichen Verlagsbroschüren, die sich in erster Linie als Werbung für das eigene Programm verstehen. Und um ehrlich zu sein, auch um mich selbst zu erden und darüber nachzudenken, in welchem Genre ich mich bewege, in welcher Tradition wir Wurzeln schlagen, was wir vielleicht übersehen, falsch einschätzen.

Polar Noir war der Versuch, mit anderen Verlagen zusammen ein Kompendium zu schaffen, bei dem Lesern ein Überblick über das geboten wird, was im Noir erscheint oder bereits erschienen ist, sodass ein Leser in ein paar Jahren auf die Website geht, unter Belgien oder Asien oder Lateinamerika nachsieht und gleich eine Handvoll Autoren/Innen und ihre Bücher angezeigt bekommt, die es zu lesen lohnt.

439.Noir wiederum ist der Versuch, mit den Lesern ins Gespräch zu kommen. Seitdem wir unsere erste Reihe hier in Hamburg gegründet haben, stellen wir fest, dass es immer mehr einen Clubcharakter bekommt. Es wird lebendig mitdiskutiert, weil es keine Veranstaltung ist, die von einem Podium herab agiert, sondern sich in Augenhöhe mit den Lesern bewegt. Je unterschiedlicher die Meinungen sind, desto spannender finde ich solche Veranstaltungen.

Ob der Antrieb reine Leidenschaft ist? Da kann es nur eine Antwort drauf geben: Ja!

Was bedeutet für Sie unabhängiges Verlegen? Darf es weitergehen wie bisher?

Unabhängiges Verlegen beutet Selbstausbeutung. Obwohl ich, wenn ich mit den Kollegen in den großen Verlagen spreche und deren Stunden zusammenrechne, das Gefühl nicht loswerde, dass es ihnen nicht besser geht. Unabhängiges Verlegen bedeutet, etwas wagen zu können. Auch wenn es im Endeffekt bedeutet, mit ein paar falschen Entscheidungen Bankrott zu gehen. Unabhängiges Verlegen bedeutet aber vor allem Freiheit. Wir können, wenn wir wollen, so wahnsinnig, so ruinös sein, uns für Geschichten abseits von Verkaufszahlen, von Leseranalysen einzusetzen, Autoren/Innen pflegen, ohne an Vormerker zu denken. Nicht allzu oft, aber immer wieder.

Ob es so weitergehen darf wie bisher? Auf keinen Fall! Ein Bestseller muss her! (Und dahinter muss ich jetzt ein Lächeln setzen.) Davon träumen doch alle.

Zum Abschluss würden wir uns über eine Buchempfehlung freuen – aus Ihrem eigenen Programm oder dem eines anderen Indie-Verlages.

Nachdem ich Newton Thornburg erwähnt habe, kann ich Cutter und Bone nur empfehlen. Wer erfahren möchte, welche Bücher der Polar Verlag veröffentlicht, der muss diese Geschichte aus Kalifornien lesen. Eine Geschichte von Widerstand, Illusion, Liebe, Verzweiflung und einem nicht totzukriegenden Optimismus. Auch wenn der Noir zumeist schlecht ausgeht, die Mauern zu hoch sind, die Korruption zu engmaschig, die Liebe … na ja, die Liebe ist, spüre ich aus jedem guten Noir eine Spur Optimismus heraus, sich nicht abfinden zu wollen, es zu versuchen, aufzubegehren, sich zu wehren, egal ob die Erkenntnis am Ende droht, dass wir scheitern müssen.

logo polar verlag

Besten Dank an Wolfgang Franßen für das Gespräch und weiterhin alles Gute und viel Erfolg!

2 Kommentare zu „We talk Indie: Im Gespräch mit dem Polar Verlag

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