Andor Endre Gelléri: Die Großwäscherei.

»Zisch, dampf, sprüh – der Sound einer Großwäscherei.«andor_endre_gelleri_die_grosswäscherei

Kann ein Buch Funken versprühen? Aber natürlich – hier kommt der Beweis! »Die Großwäscherei« von Andor Endre Gelléri hat mich aus dem Lesesessel gehoben und wie eine Uhr aufgezogen. Ganz aufgedreht war ich während der Lektüre, weil der ungarische – leider viel zu früh verstorbene – Autor ein begnadeter Wortakrobat ist. Und mich mit beinah jeder seiner poetischen und bildreichen Zeilen entzückt hat. Ich vernasche ja zu gern schön geschriebene Bücher und fühlte mich hier einer nektarliebenden Biene sehr ähnlich.

Ich beginne ausnahmsweise mal mit dem Nachwort: Die Übersetzerin Timea Tankó lässt uns in das Leben dieses bedeutenden Autors blicken. Und wir erfahren, dass Gelléri schon als sechsjähriger Junge das große Verlangen verspürte, seine Umgebung abzubilden. Er war ein aufmerksamer, neugieriger Beobachter, der das Schöne wie auch das Hässliche festhielt. Zunächst zeichnete er und formte Lehmfiguren, bis er dann die Macht der Sprache entdeckte. Während der Ausbildung in der Eisen- und Metallindustrie, die er auf Drängen seines Vaters aufnimmt, schreibt er Erzählungen. Und lässt schon bald in Budapester Literaturkreisen von sich reden. Andor Endre Gelléri wächst im Stadtteil Óbuda auf – einerseits eine verträumte Gegend mit zwei Amphitheatern, einer Synagoge, Kirchen, einem barocken Schloss und großen, luftigen Plätzen. Andererseits prägten die Arbeiter der Werft, des Gaswerks und der Ziegelei das Bild dieses Viertels. »Mein Schicksal hat mich in das Land der Armen geworfen, und hier hat sich mein sozialer Blick ausgebildet«, berichtete Gelléri seinerzeit der Zeitschrift »Literatura«. Seine Großeltern selbst waren in der Ziegelei angestellt, sein Vater baute Geldschränke. Mit diesem Hintergrund lässt sich nachvollziehen, weshalb Gelléri, der trotz Stipendien nie vom Schreiben allein leben konnte und nebenbei mit allerhand Jobs seinen Lebensunterhalt bestritt, den Arbeitern eine Stimme in seinen Erzählungen gegeben hat. Wie auch in »Die Großwäscherei«.

Bereits die ersten Sätze pulsieren voller Leben und lassen das Treiben in der engen Császárok utca vor mir aufleuchten, ein buntes Durcheinander von Menschen und klingelnden Fahrrädern. »Jeder wird flink, die Nerven spannen sich an, in den Gesichtern tanzen Qual und Lächeln, auch in denen der Verkäufer, die mit ganzem Körper gestikulieren, dabei schmeicheln, sich ehrerbietig ergeben, oder aber denjenigen, der geht, ohne etwas gekauft zu haben, laut verfluchen.« Mitten in diesem kochenden Kessel liegt die Dampfwäscherei Phönix. Sie ist Dreh- und Angelpunkt vieler Schicksale und Geschichten. Ganz oben thront, einem stolzen Gockel gleich, der Inhaber Jeno Taube, der sein königliches Leben in vollen Zügen auskostet. So ist es nicht verwunderlich, dass hinter vorgehaltener Hand viele Spitznamen für ihn kursieren. »Schwerenöter« ist einer davon, denn Taube nimmt sich die Frauen, wie es ihm gefällt. Obwohl er eine treue Ehefrau hat, die am Abend mit einem warmen Essen auf ihn wartet. Voller Verachtung denkt er über seine Mitarbeiter und hat das Herz an einer Stelle, wo es definitiv nicht hingehört.

Die Geschichte beginnt mit einem Drama: Waschmeister Rusz ist an dem folgenschweren Tag übernächtigt, weil er keinen Schlaf fand. Der Grund sind dreißig Seidenhemden, die einen gelben Stich haben, also alles andere als Weiß sind. Aus tiefster Verzweiflung sucht er Hilfe bei den beiden Färbern, doch Nóvak lässt ihn schmoren. Sieht der doch seine Stunde gekommen, lange schon ist der Färber scharf auf Rusz’ Posten. Und dann kommt es so, wie man es dem armen Rusz nicht wünscht: Taube erfährt von dem Desaster und wirft seinen Betriebsleiter raus. Schon reibt sich der hinterhältige Nóvak die Hände, als Taube ihn am nächsten Tag zu sich ins Büro einlädt.

Andor Endre Gelléri erzählt vielschichtige Geschichten. Zum Beispiel die von dem Hilfsarbeiter und Heizer Tir, der in einem Keller lebt und sich sein Leben schön träumt. Glaubt er doch tatsächlich, der wieder auferstandene chinesische Heeresführer zu sein. Oder von Nóvaks ehemalig gleichgestelltem Kollegen Angelov in der Färberei, dem verfärbte Seidentücher zum Verhängnis werden und ihn in den versuchten Selbstmord führen. Und der große Boss verfällt zusehends in eine tiefe Traurigkeit, kämpft gegen eine innere Leere und ist zum Äußersten bereit.

Trotz der vielen bewegten Momente und Schicksalsschläge flirrt dieses Buch, es glänzt und strahlt durch die sinnliche Sprache Gelléris, ist eingetaucht in märchenhafte Elemente, die sich zwischen den grauen Alltag schieben. Mit großem Entzücken sammle ich wundervolle Bilder auf, die der Autor schafft. Bei Beschreibungen wie folgender seufze ich glücklich: »Die Sonne hatte die Herbstwolken abgeschüttelt und betrachtete die Erde mit ihrem heißen Blick.« Oder: »Das kalte Wasser röchelt, als käme es aus der Hölle, und sobald es warm wird, pfeift und blubbert es. Angelov zerkleinert die Seife mit einem Beil, und als Nóvak mit dem Reinigen der Spülfässer fertig ist, perlt und tutet das Wasser bereits traurig im Speicher, als säße ein musizierender Slowake darin.«

Die Arbeit in einer Dampfwäscherei ist natürlich hart, knüppelhart sogar. Und doch sprüht Gelléri mit seiner leuchtenden Feder enorm viel Licht und Glanz in das trübe, schweißtreibende Leben, dass ich es immer wieder durch den Dampf staunend betrachte. Ich fange den Funkenregen auf und bin zugleich unendlich traurig, dass diesem vielsprechenden Autor eine schriftstellerische Zukunft versagt blieb. Gelléri wurde 1944 ins KZ Mauthausen deportiert und kam dann ins KZ Gunskirchen, wo er zwar noch die Befreiung erlebte, aber kurz darauf mit nur 39 Jahren in einem Krankenhaus bei Wels verstarb. Umso größer mein Dank dem Verleger Sebastian Guggolz, das er diesen Schatz ausfündig und Timea Tankó ihn so brillant übersetzt hat. Es dampft und zischt, dass es eine Freude ist!

Andor Endre Gelléri: Die Großwäscherei. Aus dem Ungarischen von Timea Tankó. Mit einem Nachwort der Übersetzrin. Guggolz, August 2015, 221 Seiten, 22,- €.

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