8 Autoren, 8 Kunstwerke
Frankfurt ist reich an erstklassigen Literaturorten und literarischen Happenings, es gibt Tage, da weiß ich vor lauter Auswahl gar nicht, wohin, und bleib stattdessen daheim auf dem Sofa, auch das quasi ein Ort der Literatur. Meistens gehe ich aber doch raus und gucke mir all die schönen Sachen an, die hier passieren: Eine der schönsten ist die Reihe »Acht Betrachtungen«, eine Kooperation des hiesigen Literaturhauses und des Museums für Moderne Kunst, die 2013 Premiere feierte und dieses Jahr in die zweite Runde gegangen ist. Acht Autoren schreiben über je ein Kunstwerk: Die Texte werden bei vier Doppellesungen im Museum und einer Abschlussveranstaltung im Literaturhaus präsentiert, eine liebevoll gestaltete Anthologie gibt’s obendrauf.
Die diesjährigen Autoren gehören zu den aufregendsten, die die aktuelle deutschsprachige Gegenwartsliteratur zu bieten hat: Lars Brandt, Jan Brandt, Nino Haratischwili, Karen Köhler, Teresa Präauer, Ulrich Peltzer, Annette Pehnt und Tilman Rammstedt. Sieben von ihnen kamen Ende Juni im Literaturhaus zusammen und sprachen mit der Kunstkritikerin Julia Voss und dem Schriftsteller Thomas von Steinaecker über ihre Herangehensweisen: darüber, wie Kunst und Literatur für sie zusammenhängen, wie sie die jeweiligen Werke auswählten und wie sie schließlich zu ihren Geschichten fanden. Diese sind ganz unterschiedlicher Natur, von verspielt bis vertrackt, von unterhaltsam bis nachdenklich, in jedem Fall aber überraschend.
Jan Brandt schreibt, ausgehend von Nicole Wermers’ Installation Verbarrikadiertes Zimmer von 1996, eine Geistergeschichte und kehrt damit an den Schauplatz seines Debütromans Gegen die Welt zurück, das fiktive Jericho in der ostfriesischen Provinz. Aus dem Heranwachsenden ist inzwischen ein Mann geworden, oder vielleicht ist es auch gar nicht derselbe, jedenfalls hat er Berlin und das Philosophiestudium hinter sich gelassen und lebt wieder hier, im Haus der Eltern, seitdem diese tot sind. Und er wird Zeuge, wie nach und nach Leute aus dem Viertel spurlos verschwinden, bis nur noch er übrig bleibt, sich verbarrikadiert in seinem Zimmer und sich immer wieder vergewissert: Ich bin noch da, ich bin noch da. So lautet denn auch der Titel dieser tragischen und zugleich komischen Erzählung.
Die Tragikomik zieht sich auch durch andere Beiträge, es sind die besten dieser Anthologie. Etwa der von Karen Köhler, die vor zwei Jahren mit ihrem Erzählband Wir haben Raketen geangelt Presse und Publikum entzückte. Problem I, II, III heißen sowohl ihr Text als auch das Kunstwerk, das ihm zugrunde liegt, ein Triptychon von Cy Twombly aus dem Jahr 1966. Das Problem, das ist Pavel, der nach vierunddreißig Jahren Ehe von seiner Frau Erika verlassen wurde und nun am Tresen von Rosie’s Eck hockt und versucht, dem pavelförmigen Problem beizukommen. »Und du denkst, dass Pavel mal besser auch auf seine Elektrolyten aufpassen sollte, weil sonst, das weißt du, macht der Abstand zwischen ihm und der Welt, in den er all die Biere gestellt hat, ihm morgen einen dicken Kopf.«
Und während die eine Beziehung in die Brüche gegangen ist, nimmt eine andere ihren Anfang, nämlich in Teresa Präauers Geschichte Der Lauf der Dinge nach dem gleichnamigen halbstündigen Film von Fischli/Weiss (1986-1987). Peter und David heißen die beiden Künstler mit Vornamen, Petra und David die Figuren, die sich bei Präauer in einer Bar namens The Way Things Go kennenlernen und bei diversen Shots über Gott und die Welt sinnieren. Wie bei der Rube-Goldberg-Maschine im Film führt hier eines zum anderen – Präauer erzählt das rasant und Haken schlagend, mit reichlich Wortspielen und Kalauern, wie man es bereits aus ihren Romanen kennt oder zuletzt aus ihrem Beitrag zum Bachmann-Wettlesen 2015, Oh, Schimmi (der übrigens als Roman demnächst im Wallstein Verlag erscheint).
Und schließlich Die Strecke zwischen zehn und null von Tilman Rammstedt, basierend auf Isa Genzkens Installation OIL XV & OIL XVI von 2007. Anfang des Jahres strapazierte Rammstedt mit Morgen mehr so manche Nerven, nun bezaubert er mit seiner Geschichte von zwei gescheiterten, aber immerhin verliebten Astronauten wie einst mit dem Kaiser von China und dem Ehemaligen Bankberater. »Natürlich wollten wir auf den Mond. Was soll man auch sonst wollen? Alle anderen Wünsche sind doch kleinlich, Trostpreise, Nebenschauplätze, alles andere ist doch nur Vorbereitung und, wenn man genau hinsieht, vollkommen falsch.« Wie das namenlose Ich und sein Begleiter, der Commander, bis zum Ende völlig planlos sind und dennoch an ihrem Traum festhalten, das ist voller schöner Melancholie und leisem Witz.
Ich erklärte dem Commander, dass die Schwerkraft des Mondes nur ein Sechstel der Schwerkraft der Erde betrage, dass dort also alles viel leichter wäre, genau sechsmal so leicht, und darauf freuten wir uns schon. Ich erklärte ihm, wie entscheidend es war, sich schon einmal daran zu gewöhnen. […] Wir hörten auf, schwere Sätze zu benutzen. Wir sagten nicht mehr: »Gemeinsam können wir alles schaffen«, sondern nur noch mit einem Sechstel der Schwere: »Manches ist doch gar nicht so schlimm.« Wir sagten nicht mehr: »Bitte verlass mich nicht«, wir sagten nur noch: »Bleib nicht zu lange weg.«
Diese und weitere vier Erzählungen versammelt der von Peter Gorschlüter und Hauke Hückstädt herausgegebene und soeben in den Henrich Editionen erschienene Band Acht Betrachtungen II, der auch visuell und haptisch ansprechend ist: Cover in Kartonoptik und mit Matt-Glanz-Effekt, die Texte wie das Logo in Grün und Orange gehalten, farbige Vorsatzblätter und Abbildungen sowie eine in den hinteren Buchdeckel eingearbeitete Tasche – das ist wahrlich ein Gesamtkunstwerk. So bleibt nur zu hoffen, dass das Literaturhaus, das MMK sowie die Kulturmanagerin Silke Hartmann, die das Projekt koordiniert hat, ihre Kooperation fortführen und ein drittes Mal Literatur und Kunst auf derart erfreuliche Weise zusammenbringen.
Peter Gorschlüter & Hauke Hückstädt (Hg.): Acht Betrachtungen II. Henrich Editionen, Frankfurt 2016, 190 Seiten, 12,00 €.
Die Rezension ist zuerst auf SchöneSeiten erschienen.
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