»Es ist eine ziemlich widerliche Welt. Ich bin nur der Erzähler, Zuckerschnute.«
In Hamburg gibt es diesen jungen Indie-Verlag, der sich gut gemachter Spannungsliteratur verschrieben hat. Und diesen Verleger, der höchstpersönlich mit seinen Büchern durch die Republik reist. Die Rede ist von Wolfgang Franßen, der zum einen vor gut zwei Jahren den Polar Verlag gründete und zum anderen die Veranstaltungsreihe Talk Noir ins Leben rief (hier mehr dazu). Nach Hamburg, Berlin und Münster feierte das Format kürzlich Premiere in Frankfurt: eine Bar, drei professionelle Leser und drei Bücher, ein aufgeschlossenes Publikum und ein paar Biere – Literaturvermittlung jenseits der Wasserglaslesung. Am Tresen vom Café Luise saßen neben Initiator Franßen der Kritiker Alf Mayer und ich, gemeinsam sprachen wir über drei Krimis, die vom Kreislauf des Geldes, von der Weltwirtschaft, von schmutzigen Geschäften erzählen: Ross Thomas’ Fette Ernte, Dominique Manottis Schwarzes Gold und Nathan Larsons Zero One Dewey.
Fette Ernte, im Original The Money Harvest, erschien erstmals 1975 auf Deutsch – unter dem Titel Die Millionenernte und in einer stark gekürzten Fassung, denn damals war man hierzulande der Ansicht, Kriminalromane dürften nicht länger als 128 Seiten sein. Der Berliner Alexander Verlag macht es sich seit einigen Jahren zur Aufgabe, das Thomas’sche Werk wiederaufzulegen – neu übersetzt und ungekürzt. Übersetzer Jochen Stremmel zeigt in seinem Nachwort zu Fette Ernte auf, wie viel vom Witz und von der Schärfe des Textes verloren ging. Dabei zeichnet ihn genau das aus, mehr noch als die eigentliche Kriminalhandlung. Ein Haufen exzentrischer Charaktere, blitzschnelle Dialoge und ein Schluss, der jeden herkömmlichen Whodunits spottet: Es ist ein großer Spaß, wie Ross Thomas eine Reihe von Zufallsmorden mit einem ungeheuren Fall von Börsenmanipulation verknüpft und dabei die Machtgefüge im Washington der 70er Jahre entlarvt.
Auch Dominique Manotti seziert in Schwarzes Gold das undurchsichtige Geflecht aus politischen und ökonomischen Interessen, das tut die Wirtschaftshistorikerin im Grunde in jedem ihrer Bücher. Schwarzes Gold, soeben bei Argument/Ariadne erschienen, ist der vierte Band um den Pariser Ermittler Théo Daquin; im Jahr 1973 und damit zeitlich vor den anderen angesiedelt, stellt er eine Art Prequel dar. Wir lernen Daquin hier als jungen Kommissar kennen, der in Marseille seine erste Stelle antritt und als Außenseiter gegen den Widerstand von Mafia und Geheimdiensten, von korrupten Polizisten, Politikern und Unternehmern zwei Morde aufzuklären versucht. Um die ganz großen internationalen Geschäfte geht es da, um Drogen-, Waffen-, vor allem aber um Ölhandel, und weil das eine recht komplexe Sache ist, erdrückt Manotti ihren Leser bisweilen mit Informationen. Dass es dennoch nicht allzu schwer daherkommt, liegt daran, dass sie mit einer gewissen Lässigkeit erzählt, in einem lakonischen, pointierten Stil und immer mit einem Augenzwinkern.
Eine Kunst, die auch der Musiker und Schriftsteller Nathan Larson beherrscht und mit ihm seine Figur Dewey Decimal. Zero One Dewey ist der letzte Teil einer Trilogie, die Vorgänger 2/14 und Boogie Man sind noch bei diaphanes erschienen, dann übernahm der Polar Verlag. Eines sei vorweg gesagt: Man sollte mit dem ersten Band beginnen, sonst hat man wie ich permanent das Gefühl, etwas Entscheidendes verpasst zu haben, und die Lektüre ist ein noch wilderer Ritt als ohnehin schon. Larson zeichnet ein postapokalyptisches New York, am Valentinstag vor zwei Jahren krachte es gewaltig und die Gesellschaft, wie wir sie kennen, kollabierte. Was von ihr übrig ist, erhebt sich allmählich aus dem Schutt, wobei die sich neu formierenden Herrschaftsstrukturen den alten verdächtig ähnlich sehen. In diesem Szenario soll Ex-Soldat Dewey die saudischen Thronfolger beschützen, deren Tod diversen Parteien zugutekäme und die in Manhattan Zuflucht suchen, ist aber vor allem damit beschäftigt, seinen maroden Körper und Geist am Laufen zu halten.
Als die saudische Prinzessin sich beklagt, er sei widerlich, entgegnet Dewey: »Es ist eine ziemlich widerliche Welt. Ich bin nur der Erzähler, Zuckerschnute.« Und er erzählt genau wie Thomas und Manotti: rasant und mit Verve, voller Biss und Ironie. Auf diese Weise gehen alle drei gegen eine Welt vor, in der es kaum einen gibt, der nicht Dreck am Stecken hat, der nicht für ein bisschen Geld und/oder Macht alles tun würde, selbst wenn es Leben kostet. Von den schmutzigen, weltumspannenden Geschäften in Fette Ernte und Schwarzes Gold ist es nicht mehr weit bis zum vollständigen Kollaps in Larsons Zukunftsentwurf. Bei dessen finaler Szene kommt einem unweigerlich das sagenhafte Schlussbild aus David Finchers Fight Club in den Sinn, und der Leser fühlt sich ein bisschen wie die beiden Helden im Film, die Zeuge werden, wie unsere widerliche Welt mit Pauken und Trompeten untergeht. Mindestens verblüfft, wenn nicht gar entsetzt über die Abgründe, in die er blickt, und gleichzeitig fasziniert vom eindrucksvollen Spektakel, das sich ihm da bietet.
Ross Thomas: Fette Ernte. Aus dem Amerikanischen von Jochen Stremmel. Alexander Verlag, Berlin 2014, 344 Seiten, 14,90 €. / Dominique Manotti: Schwarzes Gold. Aus dem Französischen von Iris Konopik. Argument Verlag, Hamburg 2016, 384 Seiten, 19,00 €. / Nathan Larson: Zero One Dewey. Aus dem Amerikanischen von Andrea Stumpf. Polar Verlag, Hamburg 2016, 308 Seiten, 14,90 €.
Der Beitrag ist zuerst auf SchöneSeiten erschienen.
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