Maeve Brennan: New York, New York

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Foto: Karl Bissinger

Heute ist ein besonderer Tag, der mich einerseits beglückt und andererseits ein bisschen traurig macht. Glücklich bin ich darüber, dass ich auf meinem Blog den 100. Geburtstag einer bemerkenswerten Autorin zelebrieren kann. Traurig hingegen macht mich die Tatsache, dass ich in sämtlichen Literaturkalendern keinen Eintrag über Maeve Brennan finde. War die Autorin am Ende zu unbekannt? Oder hat man sie übersehen? Nun, es ist wie es ist, und ich kann die frohe Kunde übermitteln, dass Maeve Brennan eine außergewöhnliche Journalistin und Schriftstellerin war, von der ich euch heute berichten und auf die ich anstoßen möchte. Cheers!

maeve_brennan_new_yorkGetroffen haben wir uns vor zwei Jahren, eher zufällig. Persönlich natürlich nicht, da Maeve Brennan seit 1993 nicht mehr lebt. Seinerzeit schlenderte ich durch den Buchladen ocelot, not just another bookstore und blieb an einer Bücherwand voller Steidl-Bücher stehen. Das Cover von »New York, New York« hielt mich sofort fest und zupfte an meiner Neugier. Das Foto zeigte die Autorin mit einer ungewöhnlichen Brille, die kritisch in den Spiegel schaute. Was mochte sie wohl denken? Wie würde sie schreiben? So griff ich nach dem vielversprechenden Buch, das mich zudem in eine meiner Sehnsuchtsstädte entführen sollte.

New York hat schon viele Autoren und Künstler zu jeder Zeit inspiriert. Und ich kann nie genug von Literatur aus der pulsierenden Metropole bekommen. Die Autorin spürte Geschichten des Alltags auf und schrieb von 1954 bis 1981 Kolumnen für den »New Yorker«. Dort veröffentlichte sie ebenfalls Erzählungen und Buchbesprechungen. In dem vorliegenden Buch »New York, New York« finden sich viele ihrer Kolumnen wieder. Selten habe ich derart erstklassige, feinfühlige und bildreiche Kolumnen gelesen. Siebenundvierzig sind es an der Zahl, die im Zeitraum von 1953 bis 1968 in »The Talk of the Town« publiziert wurden.

Das sind wunderbar von Hans-Christian Oeser übersetzte Texte, die mich beglücken und gleichsam inspirieren, die Menschen um mich herum zu beobachten und solche tadellos geschliffene Geschichten zu schreiben. Es passiert nichts Lautes oder Großes, einfach Alltägliches, wie ein Pärchen, das der Autorin nur auffällt, »weil sie so bedächtig und so dicht nebeneinander gingen und weil ihr Kleid etwa acht Zentimeter über ihre Knie reichte«. Das entdeckt Maeve Brennan in der Sixth Avenue. »Er war anders.« Da horcht man als Leserin sofort auf, wie in einer Märchenstunde, wenn etwas passiert, mit dem man nicht rechnet. Sie ist offenbar Amerikanerin, er aus einem spanischsprachigen Land, für den »der Zustand der Seligkeit etwas Natürliches« ist. Mit dem Blick einer Miss Marple beschreibt Brennan den Mann und ich habe das Gefühl, als würde er vor mir stehen. Um das Pärchen herum das sich wandelnde New York, Lücken, in denen bald Wolkenkratzer entstehen werden. Und vereinzelt alte Gebäude mit einfachen, möblierten Zimmern und billigen Hotels. All das beschreibt Brennan so haargenau und elegant, ohne die Verbindung zu ihren Objekten zu verlieren. Er versucht sich im Englisch, seine Begleiterin korrigiert ihn und die Beobachterin zieht ihre eigenen Schlüsse, die ein Echo hinterlassen.

Ja, Echos gibt es etliche und schöne in den Kolumnen. Solche, die ich immer wieder hören möchte, weil sie tief gehen und etwas Bedeutendes sagen. Eine Botschaft? Wohl kaum. Eher persönliche Feststellungen wie: »Ziemlich viele ganz gewöhnliche Lebensweisen verschwinden, wenn die Menschen beginnen, in der Luft zu wohnen.« Das verschlägt mir den Atem wie die liebevolle Beschreibungen der Umgebung, in der Brennan flaniert. Hierbei denke ich an eine meiner liebsten Kolumnen »Liebende im Washington Square Park«. Dort schreibt sie wunderschön: »Die Bäume, erfrischt von der Nacht und der feuchten Luft, regten sich mit einer Fröhlichkeit, die voller Echos schien – Echos von Heiterkeit, Echos von Scherzen, Echos von raschen Schritten, Echos von Freundlichkeit.« Ist das nicht bezaubernd schön?

Es sind kleine, bisweilen melancholische und auch komische Geschichten, die Maeve Brennan in den Parks, auf den Straßen, in Restaurants und Café aufspürt und mit sorgsam, feinfühliger, akribischer Feder wiedergibt. Weich und bilderreich sind ihre Sätze, aus denen ich sogar Feuerwehrsirenen vernehme. Plötzlich bin ich nicht mehr in Berlin, sondern in New York vergangener Jahre.

Nach der Lektüre schloss ich die Autorin in mein Herz. Ich war erstaunt, dass ich von Maeve Brennan bis dahin nichts vernommen hatte. Eine Lücke, die ich mittlerweile schließen konnte. Die Autorin war äußerst produktiv und versorgte ihre Leser mit zahlreichen Werken, die heute in gebundener Form beim großartigen Steidl Verlag erschienen sind. Anlässlich ihres Geburtstages publiziert der Göttinger Verlag demnächst eine Gesamtausgabe in zwei Bänden mit Erzählungen und Geschichten der Autorin, Erscheinungstermin im Januar. Ein gefühlter Honigtopf für so hungrige Literaturfeinschmecker wie mich. Einige Taschenbücher findet ihr beim Unionsverlag. Wieder einmal bin ich dankbar für die unabhängige Verlagswelt, die mich mit solchen Schätzen im höchsten Maße beglückt.

Mehr über Maeve Brennan erfahrt ihr kommende Woche. Da habe ich in meiner Interviewreihe »Talking about« den Übersetzer Hans-Christian Oeser zu Gast, der mir einiges über die Autorin verraten wird.

Maeve Brennan: New York, New York. Kolumnen. Aus dem amerikanischen Englisch übersetzt von Hans-Christian Oeser. Steidl 2013, 240 Seiten, 18,- €. Jetzt direkt und portofrei bei Hugendubel.de bestellen.

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