Heute ist ein ganz besonderer Dienstag. Zumindest für mich und für alle Leser und Leserinnen, die beim Namen Dorothy Parker ein Lächeln auf den Lippen tragen. Heute würde die amerikanische Autorin ihren Geburtstag feiern. Ich habe Dorothy Parker erst in diesem Jahr so richtig kennen- und schätzen gelernt. Zu verdanken habe ich das zahlreichen wunderbaren Publikationen, die ich euch heute in meinem Beitrag vorstellen möchte.
»Die ist eine Liebesgeschichte. Die Liebesgeschichte zwischen einer Stadt und einer außergewöhnlichen Frau. Die Liebesgeschichte zwischen New York City und Dorothy Parker.« So beginnt die Autorin ihr Buch und ich lese mich begeistert durch die Seiten, atme das besondere Flair der Stadt ein. Speziell von den Zwanzigern fühle ich mich so sehr angezogen, dass ich seufze und denke: Ich lebe in der falschen Zeit. Dorothy Parker gilt als Königin der Roaring Twenties, und war Mitglied des Round Table im Algonquin Hotel. In dem legendären Hotel trafen sich Journalisten, Schauspieler und Schriftsteller zum Lunch. Es war derart bunt, wie man es sich vorstellt: Sie lachten, witzelten und tranken über den Mittag hinaus. Kann man sich solche Runden heute noch vorstellen? Wohl kaum. So legt sich ein Zauber über die Goldenen Zwanziger, den ich mit dem Finger betupfe.
Bis Dorothy Parker allerdings an dem legendären Tisch saß, sei noch kurz etwas über ihre ersten Jahre gesagt. Sie stammt aus einer Familie der gehobenen Mittelschicht, geboren wurde sie am 22. August 1893, als Dorothy Rothschild. Michaela Karl beschreibt sie als »charakteristischen Mix aus den Emigranten der Neuen Welt – die typische Amerikanerin.« Ihre Großeltern väterlicherseits waren deutsche Juden, die nach Amerika emigrierten. Die protestantischen Eltern der Mutter kamen aus Schottland. Ihr Vater besaß in Amerika dann eine Fabrik für Herrenbekleidung. So wächst Dorothy in einem Zuhause auf, in dem es materiell an nichts fehlt. Sie hat noch eine Schwestern und zwei Brüder an ihrer Seite. Doch bereits in jungen Jahren ereilt sie ein Schicksalsschlag: Als ihre Mutter stirbt, ist Dorothy beinah fünf Jahre alt. Die Stiefmutter kann das Loch im Herz nicht füllen. Ganz im Gegenteil, sie verhärtet es nur noch. Dorothy kommt später auf ein Internat, und versucht sich dort mit geistreichen Sprüchen durchzukämpfen. Mit Vierzehn bricht sie dann recht schnell die Schule ab, weil… nun ja, man ahnt es, sie nicht ganz die brave Schülerin war.
Fortan hilft sie ihrem Vater. Als der wiederum unerwartet mit Anfang Sechzig stirbt, geht Dorothy arbeiten, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Zunächst als Klavierspielerin und Ersatztänzerin. Eines Tages entdeckt Dottie, wie sie von ihren Freunden genannt wird, in der Zeitung kurze Gedichte und beginnt selbst zu schreiben. Zunächst verarbeitet sie in ihren Gedichten, die sie im Kreuzreim schreibt, Beobachtungen über die Damen der Upper Class. Mutig schickt Dorothy ihr erstes Poem »Any Porch« an die Vanity Fair. Als Antwort erhält sie eine Zusage und zwölf Dollar. Statt sich im stillen Kämmerlein darüber zu freuen, schnappt sie es als Einladung auf. So schlüpft Dorothy in ihr schönstes Kleid und macht sich auf den Weg zum Verlagsgebäude. Ihr Mut wird belohnt. Sie darf als Texterin anfangen und schreibt zukünftig Bildunterschriften, die vor ihrer zynischen Feder nicht gefeit sind. Allerdings nicht bei Vanity Fair, sondern bei der Vogue.
Das Modemagazin und Dorothy werden allerdings keine beste Freundinnen, aber bei der Vogue verfeinert sie ihr Schreibtalent: »Ihre Bildunterschriften sind Übung und Vorgeplänkel für die Bonmots, mit denen sie unsterblich werden wird«, berichtet Michaela Karl. Später schafft sie den Wechsel zu Vanity Fair und avanciert zur gefürchteten Kritikerin. Bei der Vanity Fair lernt sie 1919 ihren langjährigen und engen Freund Robert Benchley kennen sowie kurze Zeit später Robert Sheerwood. Das Trio wird bald zum Schrecken der Vorgesetzten, weil die Arbeit mit den eigenwilligen Charakteren nicht eben einfach ist. Gerade ihre Texte sind nicht immer ganz so harmonisch, wie es sich die Redaktion wünscht. Eines Tages erhält Dorothy eine Einladung zum Lunch ins Algonquin Hotel. Klar, dass sie da nicht allein hingeht und ihre beiden Kollegen mitbringt.
Somit wären wir beim Round Table. Über den ja schon viel erzählt wurde und der unter dem Titel »Mrs. Parker und ihr lasterhafter Kreis« 1994 von Alan Rudolph und Randy Sue Coburn verfilmt wurde. Obwohl zu dieser Zeit besonders viel getrunken wurde, war es Dorothy Parker sehr wichtig in einem Interview der Paris Review Folgendes klarzustellen: »Aber Sie dürfen nicht vergessen, dass Leute in den Zwanzigern, obwohl sie vielleicht Nieten schienen, nie welche waren. Fitzgerald und der Rest, so leichtsinnig sie auch waren, Trinker, die sie waren, arbeiteten verdammt hart und das die ganze Zeit.«
Das Leben selbst hat Dorothy Parker zu ihren Gedichten und Erzählungen geführt. Die Beobachtungen um sie herum dienten ihr als große Inspirationsquelle: Freunde, Künstler, die verachteten Damen des Upper Class, New York sowie die Ungerechtigkeiten der Welt berührten die für ihren Zynismus und Witz bekannte Autorin bis ins Innerste. So setzte sich Dorothy Parker für Sacco & Vanzetti ein, demonstrierte für ihre Freilassung. Und stand später sogar wegen ihres politischen Engagements während der McCarthy Ära auf der Liste des FBI. Auch das eigene Unglück versuchte sie in ihren Texten literarisch zu verarbeiten. Davon gab es nicht wenig: Selbstmordversuche, eine Abtreibung, Fehlgeburten, Depressionen und schrecklich viel Liebeskummer. Dorothy hatte nämlich einen Hang zu schönen Männern, die ihr nicht treu blieben. Wie sich Liebesschmerz und eine unerfüllte Liebe anfühlt, davon zeugen zahlreiche ihrer Erzählungen, die sich in dem Band »New Yorker Geschichten« finden. Pro Geschichte investierte sie mitunter enorm viel Zeit: »Ich brauche sechs Monate, um eine Geschichte zu vollenden. Ich durchdenke das und schreibe dann Satz für Satz – kein erster Entwurf. Ich kann keine fünf Worte schreiben, ohne dass ich sieben ändere.« (Paris Review, Interviews 01, Edition Weltkiosk). Und das spürt man.
Ich erinnere mich hier an »Ein Telefonanruf«, in dem die Protagonistin auf den Anruf des Geliebten wartet und schier durchdreht, weil es nicht klingelt. Wenngleich sie immer versucht, sich zur Vernunft zu rufen, schafft es unsere Heldin nicht, ruhig und gelassen zu bleiben. Ha, wer kann das schon in so einer Situation? Zutiefst herzzerreißend liest sich »Sentiment«. Darin fährt die Verlassene im Taxi vorbei an den Orten, die sie mit ihrem Geliebten einst besucht hat. In dem Fall ist es ein innerer Monolog, den sie mit sich führt. Ein gern gewähltes Stilelement der Autorin, dem ich noch öfter begegne. Besonders aber schätze ich Dorothy Parkers Dialoge, die aufblitzen und eine Leichtigkeit versprühen. Es sind geschliffene Diamanten: Frech, charmant und einfach fabelhaft. Im Mittelpunkt ihrer Geschichten stehen mitunter verunsicherte, traurige, verzweifelte, aber auch verträumte und verwöhnte Frauen. Ihre Erzählungen lesen sich vielfältig, variieren in Länge und Ton. Springt aus einer die Überheblichkeit eines Martinis, wird es in der anderen berührend still. Hierbei denke ich an die Erzählung »Soldaten der Republik«.
Eine weitere wunderbare Entdeckung sind die Gedichte der Autorin, die kürzlich beim Dörlemann Verlag in einer zweisprachigen Ausgabe erschienen sind. Der Band vereint sowohl Parkers frühe Werke wie auch die späteren: »Enough Rope« (1926), »Sunset Gun« (1928), »Death and Taxes« (1931) sowie »Not So Deep As A Well« 1936. Maria Hummitzsch hat für die Ausgabe noch ein lesenswertes Nachwort geschrieben. Eine Zeittafel am Ende schafft zusätzlich einen tollen Überblick über Dorothy Parkers Leben.
Die Gedichte sind ein Must-have, wenn man die Biographie gelesen hat. Michaela Karl bindet nicht nur allerhand Zitate in ihren Text mit ein, sondern auch die Entstehungsgeschichte zahlreicher Gedichte. Es ist, als würde neben dir eine geschlossene Schachtel Schokolade liegen, die darauf wartet geöffnet zu werden.
Der schön gestaltete und in Leinen gebundene Band, im Original »Complete Poems«, wurde von Ulrich Blumenbach ins Deutsche übersetzt. Ich bewundere die Kunstfertigkeit, den Kreuzreim aus dem Englischen im Deutschen beizubehalten und dabei dem Sinn des Originals sehr treu zu bleiben. Auch hier blitzt der Schalk heraus, es geht um Liebe, Männer, und um den Tod. Und das mit einem Augenzwinkern. Lest nur: »Grabinschrift / Beim ersten Tod ging ich meiner Wege; / Die hinkenden Tage verfolge ich rege. / Ich hielt mich gerade, den Kopf hoch erhoben, / Nur wagt ich den Blick nicht zum Neumond hoch droben. / Ich wagte den Blick nicht in lieblichen Regen / Und spüre im Brustkorb ein stechendes Sägen. / Beim nächsten Tod begrub man mich tief, / Salbaderte ölig, dass selig ich schlief. / Man wand mir Girlanden, ins Grab warf man Blüten, / Die Urne aus Marmor sollt schwer mich behüten. / Und ich liege hier warm und trocken und frei. / Und Wurmvolk kriecht vorbei, vorbei.«
Die Gedichte sind – anders als die Erzählungen – unmittelbarer, leichter und bekömmlicher. Aber manchmal auch ein wenig naiver. Doch das nimmt nichts von dem Lesespaß, die sie einem bereiten. Weicher empfinde ich sie im englischen Original, das auf der linken Seite steht. Bereichernd an der Sammlung ist ebenfalls ihre Vielfältigkeit – mal tanzen die Reime in nur zwei Zeilen auf und ab, mal füllt ein Gedicht sogar zwei Seiten. Und erzählt dabei eine erstaunliche Geschichte. Doch eines eint sie alle: die herrliche Parker-Frische, über die man automatisch schmunzelt. Die besondere Note kommt ziemlich aufgedreht, prickelnd, ziemlich selbstbewusst angeschlendert und hakt sich bei mir unter.
Ach, es war eine wunderbare Reise und ich bin jetzt doch ein bisschen wehmütig, da sie sich dem Ende neigt. Ist man einmal im Dorothy Parker Kosmos angekommen, gibt es kein Entrinnen mehr. Es ist wie ein köstliches Glas Martini, man mag nicht aufhören, daran zu nippen. So bin ich beschwipst und genauso dankbar, die Autorin kennengelernt zu haben. Es kursieren ja allerhand Geschichten über die New Yorker Autorin. Sie trug ihr Herz nicht immer auf der Zunge, aber auf jeden Fall in den wichtigen Momenten an der richtigen Stelle, das weiß ich nun – auch durch das lesenswerte Interview im Buch »Paris Review – Interviews 1« (erschienen bei der Edition Weltkiosk). Hierin sagt sie auf die Frage, ob Künstler vom Staat unterstützt werden sollten: »Ich denke, dass die Kunst eines Landes auf unermessliche Weise zu dessen Prestige beiträgt; will man also, dass das Land Schriftsteller und Künstler hervorbringt – Personen, die in unserem Land unsicher leben -, muss der Staat helfen. Ich glaube nicht, dass irgendein Künstler durch Wohltätigkeit aufblüht, damit meine ich, wenn eine Person oder Organisation ihm Geld gibt. Hier und da, dies und das, das bringt nichts.« Kluge Worte, die heute immer noch Gültigkeit haben.
Egal, durch welche Tür man schlüpft, die Entdeckung von Dorothy Parkers Werk ist in jedem Fall eine großartige, unvergessliche Bereicherung für Geist und Herz. So ist aus einer unentdeckten Schriftstellerin für mich gleich eine Lieblingsautorin geworden. Eine Herzensautorin.
Hier nochmal alle Bücher um und über Dorothy Parker zusammengefasst:
Michaela Karl: »Noch ein Martini und ich lieg unterm Gastgeber« btb, 2012, 281 Seiten, 10,99 €.
Die PARIS REVIEW, Interviews 01, Edition Weltkiosk, 352 Seiten, 19,90 €.
Dorothy Parker: New Yorker Geschichten – Kurzgeschichten. Aus dem Englischen von Pieke Biermann und Ursula-Maria Mössner. Kein & Aber, 432 Seiten, 13,- €.
Dorothy Parker: Denn mein Herz ist frisch gebrochen. Aus dem Englischen übersetzt von Ulrich Blumenbach und mit einem Nachwort von Maria Hummitzsch. Dörlemann Verlag, Mai 2017, 400 Seiten, 34,- €, mit Leseband und in Leinen gebunden. Das eBook kostet 18,99 €.
Danke für diesen schönen ausführlichen Bericht. Weckt bei mir die Lust, noch mehr Bücher von der Autorin kennenzulernen :) hab schon die „New Yorker Geschichten“ als Hörbuch gehört, gelesen von Elke Heidenreich. Empfehlenswert!
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