Abseits des schönen Scheins
Bjarte Breiteig habe ich das erste Mal über seinen Debütroman „Meine fünf Jahre als Vater“ kennen lernen dürfen. Dort beschreibt er aus Tätersicht, wie es zu einer Kindesmisshandlung kommen kann, was diese Tat mit dem Umfeld und vor allem mit dem Täter anstellt. Ein ganz gar nicht einfaches Buch, weil mich allein schon die Thematik abgestoßen hat. Doch wenn man sich ein wenig überwindet bekommt man einen Roman, der ein schwieriges Thema einfach aufbereitet und mit simplen Mitteln aufzeigt, dass solche Taten überall lauern können und es keine Vorhersagemethoden gibt, um so etwas gänzlich zu verhindern. Der Hauptprotagonist ist ein ganz normaler Vater und Ehemann, der zwar seine psychischen Macken mitbringt und dessen Vergangenheit auch nicht immer einfach war. Aber all das ist selbst in der Summe noch nicht dafür zuständig, dass es zwingend zur Tat kommt. Von diesem Moment an hatte mich Breiteig an der sprachlichen Angel und ich war voller Vorfreude, als ich beim Durchforsten der Frühjahrsvorschau des Luftschachtverlags sah, dass ein Kurzgeschichtenband von ihm heraus kommen wird. Diesen habe ich nun ausgelesen und bin immer noch hin und weg. Diesen Autor muss man gelesen haben und gerade in diesen sieben Kurzgeschichten zeigt er uns eine andere Seite Skandinaviens, eine düstere, abseitige, die so gar nicht ins Bullerbü (ja ich weiß, dass das eher zu Schweden gehört) passen will, welches wir uns von diesen nordischen Ländern immer vormachen.
Kaputte Figuren, gestörte Verhältnisse
Da wird ein Werkenraum von zwei Außenseitern auseinander genommen oder ein Fabrik- oder Bergwerksarbeiter begeht seinen letzten Arbeitstag. All das klingt erst einmal relativ unspektakulär, aber was Breiteig in den kurzen Momenten daraus macht, ist atemberaubend. Die zwei genannten Beispiele sind die prägendsten Geschichten, die für den gesamten Band stehen sollen. Sie sind hoffnungslos, gewaltvoll und rau. Das alles versieht der Autor aber mit einer wunderschönen, dem schroffen entgegenstehenden Sprache. Der Band ist an sich mit unter 100 Seiten recht kurz und man fliegt regelrecht über die Seiten, dass man eigentlich schon nach einer, maximal zwei Stunden durch diese Geschichten durch ist. Doch sie bilden nur einen Ausschnitt ab, zeigen mit kurzen Schlaglichtern auf Szenarien, denen man mehr Raum gönnen möchte, bei denen man, obwohl man die Figuren gar nicht richtig kennen gelernt hat, weiter mit ihnen leiden möchte. Insbesondere die Geschichte um den Arbeiter, der seinen letzten Arbeitstag hat und der Betrieb einfach weiter macht und er bald vergessen sein wird, zeigt das recht deutlich. Obwohl man schon recht viel erfährt auf diesen wenigen Seiten, so will man doch wissen, wie es mit dieser traurigen Gestalt weiter geht. Oder was mit den Jungs geschieht, die den Werkenraum auseinander genommen haben.
Es sind kurze, dichte Geschichten, in die man trotz allem tief eintauchen kann, die einen nach dem Lesen weiter beschäftigen und bei denen man nach dem Zuschlagen des Buches sofort wieder von vorn beginnen möchte. Zusätzlich zum Inhalt ist die Aufmachung des Buches selbst erste Sahne und man weiß vom ersten Augenblick an, wofür man sein Geld ausgibt. Das Buch ist ein kleines Schmuckstück im Regal mit seinem dezenten Cover, auf dem eine Telefonzelle abgebildet ist (die auch eine Rolle spielt), in die man wie durch einen Nebel hinein schaut. Ebenso der Einband und das Innenleben ist seinen Preis wert. Ich denke, so etwas muss auch einmal erwähnt werden, denn im ersten Moment denkt man sich schon, wozu 16,-€ für einen Erzählband ausgeben, der nur 88 Seiten aufweist. Doch hinter diesem Preis steckt noch so viel mehr, als nur der Inhalt.
Lasst euch also begeistern von Breiteigs Schreiben, von seinen kurzen Skizzen einer Geschichte. Taucht in diese ein und ihr werdet länger brauchen, da wieder heraus zu kommen. Irgendeine von diesen sieben Geschichten wird euch berühren und für einige Zeit nicht mehr loslassen. Bei mir sind es zwei und auch sein Roman halt in mir immer noch nach. Hoffen wir, dass von diesem Autor noch viel kommen wird. Ich werde es definitiv lesen.
Bjarte Breiteig
„Die kennen keine Trauer“
Aus dem Norwegischen: Bernhard Strobel
Luftschacht Verlag
88 Seiten
16 Euro