Schuldig im Sinne der Anklage
Wie bespricht man als Mann ein Buch, in denen wir als Männer angeklagt werden und auch schuldig sind im Sinne dieser Anklage? In dem, wie unter einem Brennglas, unser Machoverhalten aufs Kleinste seziert wird, dass es weh tut. Es ist ein Buch, in dem auch ich mich latent angesprochen fühlte, als Familienvater und als (Ehe)-Mann. Nicht aus den Gründen, die da beschrieben werden, sondern vielmehr als Mahnung nicht so zu werden, wie der alte Wenger beziehungsweise als Erinnerung daran, immer auf seine Kinder aufzupassen und immer auf Augenhöhe mit meiner Frau zu agieren. Wie findet man Worte zu einem Buch, welches die jahrhundertealte Unterdrückung der Frau auf ehrliche, eindrückliche und schmerzhafte Weiße beschreibt? Es ist eigentlich unmöglich, denn Mareike Fallwickl hat in diesem Buch schon alles gesagt, was gesagt werden muss und das in Worten „die scharf sind, wie Messer“, die ins Fleisch schneiden und Narben hinterlassen, wie das, was den Figuren im Buch widerfährt. Ich hatte letztes Jahr schon das Buch „Nichts, was uns passiert“ zum Buch des Jahres erkoren (neben Fallwickls „Dunkelgrün, fast schwarz“), welches eine vermeintliche Vergewaltigung thematisiert und alle Seiten dieser Tat ausleuchtet, ohne diese jedoch konkret zu beschreiben.
Während in Bettina Wilperts Roman alle Seiten nüchterner beleuchtet werden, wählt Fallwickl einen aggressiven, schärferen Ton. Sie nimmt kein Blatt vor den Mund und spricht auch schmerzhafte Dinge klar und deutlich an. In meinen Augen ist es das Buch des aktuellen Jahres und an dieser Stelle wieder einmal bemerkenswert, wie es von den großen Medien ignoriert wird, weggeschwiegen und abgeschoben in die dunkelsten Schubladen. Jedenfalls hab ich bei den großen Zeitungen noch keine Besprechung oder Randnotiz zu diesem Roman gesehen, während es in der Filterblase der Literaturblogs hoch und runter besprochen wird (mich nun eingeschlossen) und das meist euphorisch. Ich finde es vor allem schade, dass gerade das Feuilleton nicht auf diesen Stoff anspringt. Fühlt ihr euch ertappt? Habt ihr keine Lust, euch mit dem Stoff zu beschäftigen? Ist es schon wieder ein alter Hut für euch, weil eine andere Sau durchs Dorf getrieben werden muss, wie es Mareike in ihrem Buch so treffend umschreibt (z.B. Klimawandelbücher oder der gute alte Familienroman)? Gerade so eine Geschichte, die zwar fiktiv ist, aber doch aus dem echten Leben stammen könnte, bietet so viel Raum, weitere Debatten anzustoßen beziehungsweise am Laufen zu erhalten. Aber metoo ist anscheinend für viele schon wieder kalter Kaffee.
Einmal Arschloch immer Arschloch, da hilft auch keine Schreibblockade
Dieses Buch dreht sich um den Schriftsteller Wenger und seine Familie. Einer, der aus den tiefsten Niederungen der Gesellschaft emporkam, als Schriftsteller erfolgreich wurde, bei den Frauen mit seinem bewusst machohaften Verhalten Eindruck schindetet und erst in den letzten Jahren, als der Zeitgeist seine Auffassung vom Mannsein überholte, nicht mehr der gefeierte Star am Literaturhimmel war und auch vom weiblichen Geschlecht mehr und mehr verschmäht wurde. Seine letzten Bücher floppten, er rutschte in eine Schaffenskrise und zu allem Überfluss hat seine Frau endgültig für seine Eskapaden die Scheidung eingereicht, um mit einen jüngeren Mann anzubandeln und seine Kinder wollen und können mit ihm auch nichts mehr anfangen. In diese Situation flattern bei Wengers neu bezogener Wohnung Briefe von einer Frau ein, die an den Vormieter adressiert sind. Das Briefgeheimnis ignorierend liest er diese Briefe, die eine einzige scharfe Anklageschrift an seinen Vormieter sind. Erst helfen sie ihm, wieder zu sich selbst zu finden und inspirieren ihn zu einem neuen Buchprojekt, bei dem er sich sicher ist, dass es einschlagen wird wie eine Bombe.
In dieser Findungsphase ist er blind für alle Probleme, die um ihn herum passieren. Vor allem seine Tochter Zoey hätte seine Hilfe gebraucht. Doch er hat sich in seinem neuen Projekt versteckt und konnte seine Tochter nicht aus der misslichen Lage befreien, als sie von einem Fotografen, für den sie aushilfsweise arbeitete, fast vergewaltigt wurde. In letzter Sekunde konnte sie sich losreißen und wegrennen. Doch die seelischen Spuren werden nicht gelöscht, vor allem weil dieser Fotograf weitermacht, Zoey Komplimente macht und diese Tat so in ihrer Seele verankert, so dass Zoey nicht mehr weiß, was sie tun soll. Hilfe darf sie auch von ihrer narzistischen Mutter nicht erwarten und auch von ihren Freunden nicht. Einzig ihr Bruder ist ihr eine Stütze. Dieses Bewusstwerden, dass ihr niemand helfen wird, lässt sie schwach und stark werden zugleich. Sie hat endlich den Mut, Dinge auszusprechen, die sich vorher wie in einer Nussschale aufbewahrt hat (im Buch wird das Bild einer Muschel verwendet), um sie niemanden zu zeigen, um unnahbar zu sein, sich nicht angreifbar zu machen. Doch damit ist Schluss und nachdem sie den Mut gefasst hat, kappt sie fast alle Verbindungen und beginnt ihr eigenes Leben. Losgelöst von einer Mutter, die über sie bestimmt, und von einem Vater, der sich nur für sich selbst und seinen Status interessiert.
Eine Wut, die kanalisiert werden musste
Man merkt diesem Buch an, dass in der Autorin etwas grummelte, raus musste, damit es aufgeschrieben alle lesen können. Es geht um das Dasein als Frau, um die Art und Weise, wie Männer mit Frauen umgehen und das oftmals so tun, dass sie einen eigenen Vorteil daraus ziehen können. Es geht um das Thema Gleichberechtigung und Selbstbestimmung bei Frauen, um Machtansprüche der Männer, die sich selbst stellen und nehmen. Um dieses Vorhaben umsetzen zu können, nimmt sie zu Großteilen des Buches die männliche Perspektive des Maximilian Wenger zu Hilfe, um an ihm sehr genau aufzuzeigen, was heutzutage immer noch falsch läuft zwischen Männern und Frauen. Dabei wählt sie eine Sprache, die tief ins Herz und die Seele vordringt, wählt Sätze, bei denen man ständig Nicken muss und davon einen ganz verspannten Rücken bekommt, wählt Situationen, die an die Schmerzgrenze gehen und darüber hinaus. Und das sage ich als Mann, der sich in den Situationen, die da vorkommen, nicht unbedingt wiederfindet. Ich habe jedoch Augen im Kopf und da sieht man einiges, was in Abstrichen genauso läuft.
Mit Wenger hat Mareike den prototypischen Macho zur Hauptfigur gemacht, den man gar nicht gern haben kann. Einer der es gewohnt ist, zu bekommen, was er will, vor allem Frauen und Erfolg. Als beides ausbleibt, ist er eigentlich nur noch ein armes Würstchen, von Frau und Kindern fallen gelassen und der es nur wieder nach oben schafft, indem er sich das Leid einer ihm fremden Frau zunutze macht. In diesem Moment, zum Ende hin, als klar wird, dass es für den guten alten Wenger wieder so wird wie früher, hätte ich am liebsten in die Seiten geschlagen, ihm sein feistes Grinsen ausgetrieben, ob dem Heraushüpfen aus der Schlinge, die schon für ihn parat lag. Das macht die Autorin ganz geschickt, wickelt einen um den Finger, lässt einen sogar ein kleines bisschen mit Wenger mitleiden, nur um dann den Kontrapunkt zu setzen.
Seit dem Skandal um Weinstein, der auch in diesem Buch seinen Niederschlag findet, ist der Hashtag metoo und das Thema Gleichberechtigung ein ganz heißes Eisen. Das wir Männer als Gesamtheit in der Vergangenheit wie der Elefant im Prozellanladen agierten und die Wut in den Frauen geschürt haben, ist nur ein Aspekt in der Gemengelage. Diese Wut kanalisiert Fallwickl nun auf vielfältige Weise und schreckt dabei auch nicht vor verstörenden Bildern zurück. Und es geht nicht nur um den Mann als solches, sondern auch, was er mit seinem Tun alles kaputt macht. Zum Beispiel Familien, was auch in diesem Buch ein Thema ist. Durch die Fixierung auf sich selbst, hat Wenger keinen Blick für seine Kinder, was besonders deutlich wird in der kurzen Bemerkung, dass er mit ihnen nur klar gekommen ist, als die beiden zwischen 7 und 9 waren. Auch wenn dieses Buch und diese Aussage fiktiv ist, so hat diese Passage ihren Ursprung in der Realität, wo es viel zu viele solcher Väter (aber auch Mütter) gibt, die so denken und das sollte einen nachdenklich stimmen. Ich sehe in meinem Umfeld ebenfalls einige, bei denen die Frau zu Hause ist oder kürzer arbeitet, damit der Haushalt läuft, bei denen die Väter extra länger auf Arbeit bleiben, damit sie diese Aufgaben nicht übernehmen müssen. Ich sehe Väter die sich ihre eigenen Hobbys beibehalten, während die Frau daheim vor dem Herd steht und für die Kinder das Abendessen macht und vieles mehr. Auch ich selber muss mir da öfter an die eigene Nase fassen und versuchen meine eigenen Interessen hinten anzustellen, um eine gleichberechtigte Erziehung und Partnerschaft zu ermöglichen. Man muss auch anmerken, dass nicht alles schwarz und weiß ist und das es viele Grauzonen dazwischen gibt. Jedoch empfinde ich eine gleichberechtigte Partnerschaft so, dass jeder für den Partner zurücksteckt, auch mal nein sagt und nicht ständig nur seine Interessen verfolgt. Es kann nur funktionieren, wenn jeder zum Zug kommt.
Das alles mögen jetzt nur kleine Aspekte dieser riesigen Blase an Problemen sind, die zwischen Männern und Frauen herrschen. Doch sind sie der Ursprung für die größeren Geschichten, bei denen es um Übergriffigkeit, sexuelle Nötigung und Vergewaltigung geht. Wo es darum geht, dass genau solche Delikte unter den Teppich gekehrt werden, weil laut den Männern die Frauen das doch wohl zu wollen haben und vieles mehr. Auch das bringt die Autorin in dem Buch schonungslos unter und man spürt auf jeder Seite die Hilfllosigkeit der Frauen gegenüber dem Machtanspruch der Männer, den diese sich einfach nehmen. Auch einer wie Wenger, der sich die Frauen zurechtlegt, wie auf einem Silbertablett, ist genau dann blind, als seine Tochter ihm mitteilen will, dass sie Hilfe benötigt hätte, als ihr ein Mann ungewollt zu nahe kam. Als er es erkennt, ist es jedoch zu spät. Die seelischen Wunden, die diese eine Tat im Buch schlägt, bringt Mareike Fallwickl anhand von Zoey wunderbar an uns Lesende heran.
Danke für diesen Roman. Bitte mehr davon!
Das Buch wird seine LeserInnen finden, auch ohne große Besprechung im Feuilleton oder Auszeichnung bei irgendwelchen Buchpreisen (um den Kreis zum eingangs erwähnten Rezensionsmangel zu schließen). Es ist wütend im Ton, aber so wahrhaftig und ehrlich geschrieben, dass man sich gar keinen anderen Ton vorstellen kann. Danke Mareike für ein erneut grandioses Buch voller Dinge, mitten aus dem Leben gegriffen, auch oder gerade in den Nebensätzen, wo es um allgemeine zwischenmenschliche Beziehungen geht. Lest es, lasst euch mitreißen von einem Strudel, aus dem es kein Entrinnen gibt.
Mareike Fallwickl
Das Licht ist hier viel heller
Frankfurter Verlagsanstalt
380 Seiten, 24 Euro