Ein anziehendes Badezimmer
Hildegard, von ihren Freunden Hildi genannt, erbt ein schwarzes Loch von ihrem Schweizer Onkel und bekommt dieses in ihr Badezimmer installiert. Dieses kleine schwarze Loch mit seiner enormen Kraft hebelt Hildis Leben und das ihrer Freunde komplett durcheinander, bringt sie aus ihrem Trott heraus, bringt Menschen zusammen und sorgt für mächtig Wirbel. Klingt absurd? Ist es auch, aber auf eine wahnsinnig charmante Art und Weise. Wir erleben diese Geschichte durch die Augen Hildis, die mit diesem schwarzen Loch zu Beginn nichts anzufangen weiß und beginnt, dieses nach und nach zu akzeptieren. Dabei läuft nicht alles so, wie sie es sich gedacht hat. Zur Seite stehen ihr dabei die Freunde Gregor und Bodo, die mich durch ihre Beschreibung entfernt an ein Filmpärchen erinnern, welches ich an in dieser Buhvorstellung mal als bekannt voraussetze. Ein Buch, welches Freude macht, es zu lesen, aber auch zum Nachdenken anregt.
Schwarzes Loch als Metapher für das große schwarze Loch namens Großstadt
Schwarze Löcher gibt es, was wir sogar seit einigen Jahren messen und sehen können. Doch die schwarzen Löcher in dieser Geschichte sind Mikroversionen von denen, die es im Weltraum gibt und sie existieren auf unserer Erde schon seit Ewigkeiten. Eine Schweizer Firma hat diese auf der Erde vorhandenen Schwarzen Löcher und deren Besitzer im Blick, versichert diese gegen etwaige Schäden, die durch diese Ungetüme entstehen, regelt den Wechsel, sobald einer der Besitzer der Löcher stirbt und statten die Erben mit dem nötigen Grundwissen aus, wie sie sich ihr Leben mit dem Schwarzen Loch einrichten müssen.
Hildi, aus deren Sicht das Buch geschrieben ist, hat nun so ein Schwarzes Loch von einem Onkel aus der Schweiz geerbt. Dieses ist eines von der größeren Sorte und übt eine starke Anziehungskraft aus. Es wird in ihrem Badezimmer installiert und vermeintlich isoliert. Ein paar kurze Instruktionen werden Hildi noch mitgegeben, in welchen Intervallen sie das Schwarze Loch zu kontrollieren hat und was sie alles beachten muss, damit das Schwarze Loch dort bleibt, wo es installiert wurde. Doch alle Vorsichtsmaßnahmen nützen nichts, denn schon in der ersten Nacht verschwinden ungewöhnlich viele Fahrräder in der Gegend. Ist das Schwarze Loch schuld daran? Oder als Hildi die erste Nacht in ihrer Wohnung verbringt, fühlt sie sich und ihr Inneres so auf links gedreht, dass sie sich nicht mehr in der Wohnung aufhalten will und Hilfe bei ihren Freunden Gregor und Bodo sucht.
Diese zwei, die mich entfernt an Jay&Silent Bob erinnerten, verarbeiten unterschiedlichste Dinge zu Medizin, Klamotten oder anderem Zeug, was sie dann auf dem Wochenmarkt verkaufen. Außerdem ist Bodo noch in einem Klub namens „Das Loch“ aktiv, wo er als eine Art Manager arbeitet und die Gigs plant, die dort stattfinden. Als Hildi mit dem in ihrem Badezimmer installierten Schwarzen Loch nicht mehr zurecht kommt (also nach der ersten Nacht), zieht sie zu Gregor und Bodo und bald entsteht daraus eine Art intime Beziehung zwischen Gregor und ihr, während Bodo schon dem nächsten großen Ding auf der Spur ist. Vor allem möchte er aus den Möglichkeiten, die das Schwarze Loch bietet, Profit schlagen, wie bei so vielen Gelegenheiten, wie zum Beispiel der Verarbeitung von Hagebutten zu einem Dämmstoff, was ebenfalls wie ein roter Faden durch das gesamte Buch immer mal wieder Thema ist.
Absurd lustiges Großstadttheater
Klingt das jetzt alles eine Spur zu verrückt? Es mag auf den ersten Blick so erscheinen, dass es alles ein wenig wirr und überdreht klingt. Im Grunde ist es aber genau das nicht, sondern der ganz normale urbane Wahnsinn, mit einer Portion magischem Realismus. Chrizzi Heinen versteht es, diesen Plot, den ich an dieser Stelle extrem abgekürzt habe, in einen Roman über drei Menschen und ihr Leben in der Großstadt Berlin zu gießen. Alle drei haben ihre ganz eigenen Sehnsüchte, Wünsche und auch Spleens, die sie in sich verkapselt mit sich herum tragen. Erst das Erbe, welches Hildi antritt, gibt allen den Schubs in die Richtung, diese Dinge ans Tageslicht zu lassen, sich von irgendwelchen Zwängen zu befreien und nach vorn zu schauen. Und doch werden dadurch Ereignisse losgetreten, die kaum mehr beherrschbar erscheinen. Das Schwarze Loch trägt dazu sein Übriges bei. Es wirkt wie ein Katalysator und Verstärker für all die Beweggründe, die Hildi, Gregor und Bodo antreiben. Und am Ende wirkt es sogar wie eine Art Götze, dem man ein „Opfer“ bringen muss, um es zu beruhigen. Denn dieses Schwarze Loch macht immer mehr auf sich aufmerksam bis hin zu einer kleinen Katastrophe, die fast die halbe Stadt betreffen.
Shortlist beim ersten Blogbuster
Schon 2017 bin ich auf diese Geschichte aufmerksam geworden. Als die erste Blogbusterstaffel seine Runden drehte und die Geschichte vom Schwarzen Loch über den Blog „Zeilensprünge“ für die Longlist eingereicht wurde. Es reichte sogar bis zur Shortlist, wo sich Chrizzi Heinens Buch dann aber dem Gewinner Torsten Seifert geschlagen geben musste. Doch was macht dieses Buch so besonders, dass es trotz des Silber-/Bronzerangs dann doch noch einen Verlag gefunden hat, damit das Licht der Öffentlichkeit es in seiner Komplettheit sehen kann? Zum einen ist es der leichte, freche Ton, der so einige Punkte in dieses Buch einbringt, die aktuelle Probleme städtischen Wohnens und kulturellen Beisammenseins beschreibt und den Finger in die Wunde legt. Gerade an dem Club „Das Loch“ wird das wunderbar abgearbeitet. Dieser Club, eine Mischung aus Elektroschuppen und Konzertbühne, wurde durch einen Zeitungsartikel im örtlichen Feuilleton eines bekannten Magazins sogar international bekannt. Riesige Besucheranstürme schwappten über den ehrenamtlichen geführten Laden, so dass Ideen sprudelten, um diesen Betrieb dem Ansturm anzupassen. Doch irgendwann ebbte der große Ansturm wieder ab und Bodo, der an vorderster Front mitgeholfen hat, als „Das Loch“ brummte, stürzt in eine Sinnkrise. Ebenso wie an diesem Beispiel beschreibt die Autorin andere Beispiele urbaner Auswüchse, die in diesem Buch etwas überdrehter und überspitzter dargestellt werden. So wird die Start-Up- Ökonomie anhand von Gregors und Bodos komischen Tinkturen und Ideen aufs Korn genommen oder die anhand von Gregors Kunstinstallationen der Hype um eben solche Kunstideen, die bis aufs äußerste überhöht dargestellt werden, obwohl es eigentlich nur Nonsens ist, der präsentiert wird.
Das alles wird erfrischend und teilweise sogar heiter an die Lesenden herantgetragen. An einigen Stellen muss man sogar lachen ob der absurden Situationen, die sich da auf dem Papier ergeben. Ich hatte mit dem Buch jedenfalls meinen Spaß und kann es für die Lektüre weiter empfehlen. Es ist ein mehr als gelungenes Debüt und stand wohl auch völlig zurecht auf der Shortlist zum Blogbusterpreis. Vielen Dank an den Satyrverlag, dass ihr dem Manuskript eine Chance eingeräumt habt. Es wäre schade um diesen komischen, manchmal tragischen Stoff gewesen, wenn er wieder in der Schublade verschwunden wäre. Ich hoffe, dass wir von der Autorin in Zukunft noch mehr literarisches lesen werde.
Chizzi Heinen
Am schwarzen Loch
Satyr Verlag
18,90 Euro
Klingt doch inspirierend! Finde es generell spannend, irreale, seltsame Elemente so reibungslos in heutige Alltagsszenarien zu integrieren – „Die Nase“-Style. Jetzt stellt sich aber immer noch die große Frage, warum man denn Schwarze Löcher in seinen Häusern haben sollte. Ist das nicht bloß nur Negativität?
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