Über das Sterben zum Leben finden

Das Buch „Immer noch wach“ ist kein schlechtes Buch, soviel wollte vorweg gesagt werden. Es regt zum Nachdenken an, vor allem über das Sterben und wie wir als Gesellschaft allgemein damit umgehen. Es gibt leider nur ein Problem mit dieser Geschichte und das ist ausgerechnet der Einstieg, der Aufhänger des Ganzen. Sie wirkte bei allem guten Schreiben vom Autor und der Unterschiedlichkeit, wie man mit Krebs umgeht, zu unausgereift, zu sehr sehr konstruiert. So kann man alles, was dann folgt, diesem Anfang unterordnen und es nicht so gut finden, da ja die Ausgangslage auf etwas wackeligen Beinen steht. Anders herum kann es aber auch sehen und lesen, denn die restliche Geschichte kann trotz des schwächeren Beginns Gefallen finden, was vor allem der Verdienst von Fabian Neidhardts zurückhaltender, aber emotionaler Sprache ist. Doch worum geht es genau? Vorsicht: Auch wenn im Klappentext am Buch sehr viel verraten wird, soll an dieser Stelle eine Spoilerwarnung stehen, da der essentielle Kniff der Geschichte in diese Besprechung eingeht.

Diagnose Krebs! Endstation Hospiz!

Die Geschichte dreht sich um Alex, der die Diagnose Magenkrebs bekommt und die ihm vollkommen den Boden unter den Füßen wegzieht. Da er als Kind gesehen hat, was dieser Krebs mit seinem Vater angerichtet und wie es danach seine Mutter zugrunde gerichtet hat, verweigert er jede weitere Untersuchung und Behandlung und entscheidet sich dafür, die letzten Tage seiner prognostizierten Lebenserwartung von ungefähr 6 Monaten mit seiner Freundin Lisa und seinen Freunden zu verbringen, um danach die letzten Wochen in ein Hospiz zu gehen und dort allein und selbstbestimmt zu sterben. Dieses Vorhaben stößt vor allem bei Bene, seinem besten Freund seit Kindheitstagen, und bei seiner Freundin Lisa nicht gerade auf Gegenliebe. Mit seinem besten Freund Bene hat er gerade erst ein Café eröffnet und mit Lisa läuft die Beziehung unaufgeregt, aber trotzdem fantastisch. Da kommt zum einen die Diagnose zum undenkbar falschen Zeitpunkt und auch die Pläne von Alex versuchen die zwei immer wieder zu unterbinden.
Doch das Leben spielt einem bekanntlich immer wieder Streiche und die größten wohl, wenn es auf das vermeintliche Ende zugeht, denn als absehbar ist, dass Alex mit seiner Diagnose schon zu lange im Hospiz überlebt hat, werden weitere Untersuchungen angeordnet. Diese zeigen auf, dass sein Tumor gutartig ist und er deswegen mit dem Gewächs in seinem Körper gut leben wird. Zurück in sein altes Leben kann und will er nicht, da er vermeintlich sieht, wie sein bester Freund und seine Freundin nun zusammen sind. Also beschließt er etwas in die Tat umzusetzen, was er schon viel eher hätte tun sollen. Er springt über seinen Schatten, indem er alle Träume und Wünsche in die Tat umsetzt, die er von den Menschen im Hospiz gesammelt hat, die er da kennen gelernt hat und die mittlerweile nicht mehr unter den Lebenden weilen. Sozusagen seine ganz eigene Bucketlist oder Löffelliste.

Intensiv berührende Lektüre

Dieses Buch berührt und zwar auf eine sehr intime Weise. Gerade, wie Alex von seinen Freunden verabschiedet wird, würde sich wohl jeder Wünschen, bevor er stirbt. Er kann es selbstbestimmt und bei vollem Bewusstsein miterleben. Der Schmerz ist für alle zwar derselbe und doch hat es auch was Schönes und Abschließendes. Jeder kann sich persönlich von Alex verabschieden und ihm das letzte Geleit geben und nicht einem Bild und der Asche des Menschen. Doch da gibt es ein großes Aber, die dieses Buch von einer perfekten Geschichte absetzt! Und das betrifft, wie eingangs schon erwähnt, die Ausgangslage, in der sich Alex befindet. Es ist klar, dass jeder anders mit Krebs umgeht und diese Krankheit auf- und annimmt.  Auch Alex seine Vorgeschichte wird im Buch erläutert. Gerade die Vorgeschichte, wie er als Kind erlebt hat, dass Alex‘ Vater an Magenkrebs starb, ist für nicht klar genug ausgearbeitet, um zu erklären, wie Alex dann handelt. Es wird zwar im späteren Verlauf etwas klarer, aber biegt es nicht zu 100% um. Vielmehr wirkt es sehr engstirnig von Alex, von vornherein alles zu verweigern, was es an Möglichkeiten gibt, ihn weiterhin zu untersuchen, um vielleicht doch noch etwas für sein Wohlergehen zu tun. Dabei geht es noch nicht einmal darum, ob er eine Behandlung verweigert, denn das würde jeder vollauf verstehen. Aber er sagt von vornherein zu allem Nein, was ihm angeboten wird. Noch nicht mal eine zweite Meinung holt er sich ein. Das ist ein bisschen zu weit herbeigedichtet und kann auch durch die ganze Vorgeschichte nicht erklärt werden. Somit wird alles weitere, was folgt, leider etwas verwässert und abgeschwächt.
Doch abseits von diesem Kritikpunkt ist „Immer noch wach“ sehr gelungen. Es ist emotional und sehr gut geschrieben, so dass einen die Geschichte rund um das Hospiz und was danach folgt, sehr mit- und einnimmt. Dabei versteht es der Autor, den Aspekt Tod und Sterben auch etwas von seinem Schrecken zu nehmen. Ja, es ist alles traurig und schmerzhaft und doch muss jeder versuchen damit umzugehen, denn dieser Punkt ist einer, dem alle irgendwann ins Auge blicken müssen und desto früher man sich dem Thema stellt, umso besser kann man vielleicht damit umgehen. Dabei können solche Geschichten wie die von Alex und seinem Aufenthalt im Hospiz helfen.

Keine neuen Aspekte, aber dem Schrecken nehmen

Fazit: Ein Buch, dass dem Thema Tod zwar keine neuen Aspekte abringt, diesem aber etwas von seinem Schrecken nimmt. Dabei ist es trotzdem noch traurig, denn es muss irgendwie trotzdem mehrfach Abschied genommen werden. Von einem Menschen, von Gewissheiten, von der Vergangenheit. Wenn man sich über den Anfang und die Hintergründe der Figur Alex hinwegsetzt ist es eine Geschichte, die einen emotional sehr fordert. Kann man über den Einstieg und die Begründung, warum Alex so handelt, nicht hinwegsehen, dann ist das Buch auf jeder Seite schrecklich und lässt einen wahrscheinlich kalt, denn der emotionale Ankerpunkt fehlt dann.

Kleine Anmerkung am Schluss: Für dieses Buch hat Fabian Neidhardt zur Recherche einige Tage in einem Hospiz gearbeitet, um zu schauen, wie die Abläufe sind, was für Menschen sich da hin begeben und wie generell die Abläufe sind, wo Sterben zum Alltag gehört. Diese Erfahrungen stehen diesem Buch gut zu Gesicht.

Fabian Neidhardt
Immer noch wach
Haymon Verlag
268 Seiten
22,90 Euro

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