Autor: stefanmesch

Writer. Book Critic. Journalist.

„Disenchantment“ (Netflix, Matt Groening): Kritik für Deutschlandfunk Kultur

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Am 17. August startet – nach „Den Simpsons“ (1989) und „Futurama“ (1999) – Matt Groenings dritte Animationsserie: „Disenchantment“.

Heute – 15. August, ab 14.30 Uhr – stelle ich die Serie bei Deutschlandfunk Kultur vor.

Im Blog: eine kurze Rezension und meine Notizen beim Schauen der ersten sieben Episoden.

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Ein Königreich für mehr Drama!

„Die Simpsons“ im Mittelalter?

In der zehnteiligen Märchen-Parodie „Disenchantment“ sucht Matt Groening neue künstlerische Freiheiten

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„Futurama“ ist eine Workplace Comedy: Kurierdienst-Alltag im New York des Jahres 3000. „Die Simpsons“ persifliert Familien-Sitcoms. Am 17. August startet Matt Groenings drittes Projekt: Die Netflix-Trickserie „Disenchantment“ ist blutiger, derber… und will komplexere Handlungsbögen schlagen. Mit nur einer Hauptfigur, gerahmt von Sidekicks: Noch keine Groening-Serie war so eingleisig, linear. Und schlicht gestrickt?

Tiabeanie ist 19 und einzige Prinzessin des trostlosen Märchen-Stadtstaats „Dreamland“. Ihre Mutter starb. Ihr Vater, bräsiger Mix aus Homer Simpson und Donald Trump, will sie verheiraten, für neue Adels-Allianzen. Der Thron aus Schwerten, an dem sich Beans Verlobter versehentlich ersticht, ist die bisher einzige große Hommage an „Game of Thrones“. Die Vorschauen und Trailer, die Beans Flucht in die Wildnis zeigen, trügen: Netflix bot sieben der ersten zehn Folgen für Rezensionen. Bisher ist „Disenchantment“ keine Heldenreise, Quest, Odyssee durch Zauberwelten. Und leider auch keine Coming-of-Age- oder Freundschafts-Serie:

Bean ist Alkoholikerin. Ihr fehlen Ziele, besonderes Talent. Und jedes Interesse am Elend der Dörfler und Diener um sie herum. Eine Slacker- und Fremdschäm-Figur wie aus Lena Dunhams „Girls“ oder „Broad City“. Beans geheimnisvollstes Hochzeitsgeschenk heißt Luci – ein katzenhafter Dämon im Stil von Stewie („Family Guy“), der Bean einredet, sie hätte Spaß, je mehr sie eskalieren lässt. Elfo – ein naiver 18jähriger, der das Pralinen-Förderband im Elfenreich verließ, weil er das wahre, bittere, blutige Leben kennen lernen will – beginnt als moralisches Gegengewicht zu Luci. Doch weil sich Elfo in Bean verliebt, kippt die Figurendynamik: ein nihilistischer Dämon. Eine desinteressierte Antiheldin. Und ein weinerlicher, notgeiler Elf – ebenfalls mehr Teufelchen als Engel.

Warum will diese kantige, feministisch angelegte Figur zwei kindliche Störer bemuttern? Warum spielt jede Episode im trostlosen Schloss? Und warum häuft Bean bei allem, was sie halbherzig versucht, versehentlich Leichenberge an? „Disenchantment“ nimmt Klischees aus „Shrek“, „Die Brautprinzessin“, Monty Python. Baut daraus zahnlose, beliebige Plots. Dass Episoden fünf Minuten länger dauern als in bisherigen Groening-Serien heißt leider: vielen Scherzen fehlen Tempo, Dichte, Schwung.

Comedies brauchen oft Routine: Autor*innen und Schauspieler*innen lernen sich kennen, spornen sich an. Matt Groening sagt, er zeichnete Elfo schon als Fünftklässler. Erste Pläne für „Disenchantment“ begannen 2007: Nach dem Erfolg des „Simpsons“-Kinofilms plante man eine „Herr der Ringe“-Parodie mit Homer als Märchenkönig. Bean und ihr Dreamland hätten genug Potenzial, um jahrelang zu fesseln. Bisher aber bleibt alles fade, verwaschen: Elfjährigen wird das Comedy-Gemetzel überraschend erwachsen scheinen. Bean spaltet Hänsel und Gretel (Kannibalen im Hexenhäuschen!) den Schädel. Jeder über 15 rollt die Augen. Gähnt.

Moralfragen mit Luci! Toxische Männlichkeit, Stalking, sexuelle Besitzansprüche mit Elfo! Und, ganz im Ernst: keine saloppe, etwas trinkfeste Girl-Power-Heldin. Sondern tatsächlich eine Süchtige, die sich ihr Leben zur Hölle macht. „Disenchantment“ heißt „Entzauberung“. Oder „Ernüchterung“. Sobald Humor, Figuren etwas tiefer dringen, kann das toll werden. Bisher bleibt es gestrig.

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Notizen:

„Disenchantment“ [„Entzauberung“/“Ernüchterung“] ist die dritte Trickserie von Matt Groening (geb. 1954), nach…

_den „Simpsons“, 1989 bis heute; 29 Staffeln
_“Futurama“, 1999 bis 2003, dann nochmal 2008 bis 2013; 7 Staffeln und mehrere TV-Filme

Staffel 1 von „Disenchantment“ hat 10 Episoden; Staffel 2 wird gerade schon produziert. Weltweit erscheinen die Episoden am 17. August auf Netflix, auf einen Schlag.

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Netflix stellt Journalist*innen die ersten 7 der 10 Episoden als Screener zur Verfügung; Reviews erscheinen seit dem 7. August, der Tenor ist gemischt:

Metacritic: 57 %

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meine Lieblings-Review: A.V. Club

persönlicherer Artikel über Groenings Familie, Groenings Arbeitsweise etc.: New York Times

ein lesenswerter Verriss: Vice.com

und: längerer Text über Potenzial und Schwierigkeiten von Hauptfigur Bean: Vanity Fair

Figurenbeschreibungen (mit ein paar Spoilern und interessanten Andeutungen), auch für Nebenfiguren: Indiewire

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ich tweetete, während ich die sieben Episoden sah, ein paar schnelle Gedanken auf Englisch:

Thread 1: Link
Thread 2: Link

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Sir Tuxford (Gummibärenbande); König Zog (Disenchantment)

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kulturell ist „Disenchantment“ wichtig, weil:

_Groening für die ersten ca. 11 „Simpsons“-Staffeln geliebt wird.
_“Futurama“ zwar, alles in allem, ne runde und sehenswerte Sache ist, doch weit entfernt vom Erfolg der „Simpsons“ blieb.
_Sender Fox wenig für „Futurama“ tat bis 2003 und Groenig jetzt, 2018, mit Netflix zum ersten Mal Leute im Rücken hat, die ihm große Freiheiten lassen.

_ damit könnte „Disenchantment“ also AUCH die Frage beantworten: Wie viel Schuld trägt TV-Sender Fox an der Mittelmäßigkeit der aktuellen „Simpsons“-Folgen? Mit mehr Freiheiten, längeren Episoden, kürzeren Staffeln und Raum für staffelübergreifende Handlungsbögen: Kann Groening viel besser, flotter erzählen/parodieren?

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zur Serie selbst:

_sehenswert? Bedingt. 3 von 5 Sternen.

_Comedy-Serien brauchen oft ein paar Folgen, um in Fahrt zu kommen: Erst, wenn die Schauspieler*innen ihre Figuren einsprechen, hören die Autor*innen die genauen Stärken/Charakterisierungen der Schauspieler*innen und können dann, in weiteren Episoden, auf diese Stärken, Färbungen hin schreiben. Bei nur 10 Folgen hat „Disenchantment“ dafür zu wenig Zeit: Es kann gut sein, dass Staffel 2 wesentlich besser wird.

_Der Pilotfilm dauert fast 40 Minuten; die weiteren Folgen ca. 27; also gut fünf Minuten mehr als eine aktuelle „Simpsons“-Folge. Das wirkt oft träge. Auch einzelnen Szenen und Gags geht die Luft aus.

_Grundidee war ca. 2007, einen zweiten „Simpsons“-Kinofilm zu machen, der „Herr der Ringe“ parodiert. Homer sollte inkompetenter König einer Fantasy-Welt sein. außerdem hat Matt Groening schon als Fünftklässler einen unbeholfenen Elfen (der aussieht wie Bart Simpson) gezeichnet. „Disenchantment“ hat einen Homer-artigen König und den Elfen in Bart-Optik…

_ …Hauptfigur aber ist Bean, eine gelangweilte, derbe, wütende und faule Alkoholikerin, einzige Prinzessin im Königreich (eine Stadt, dahinter finstere Märchenwälder) „Dreamland“. Ihr Vater will sie zwangsverheiraten, um einen politische Allianz zu schmieden, doch der Bräutigam stolpert auf der Hochzeit in einen Thron aus Schwerten (wie der „Iron Throne“ aus „Game of Thrones“). Der Bräutigam hat einen Bruder; also flüchtet Bean, um weiteren Hochzeiten zu entgehen.

_Elfo der Elf arbeitet in der süßlichen, geheimen Elfen-Dimension am Pralinen-Förderband, hat viel Sex mit der promisken Elfen-Kollegin Kissy, doch wünscht sich Realismus, Bitterkeit, Nuancen und verlässt Kissy und die Welt, bewusst und für immer. In Dreamland lernt er Krieg, Seuchen, Armut und Gewalt kennen und nimmt alles naiv, passiv-interessiert zur Kenntnis.

_Ein verfeindetes Königreich hetzt einen Dämon, Luci, auf Bean: eine zynische Figur, die von allen außer Bean und Elfo für eine sprechende schwarze Katze gehalten wird und sich verhält wie der nihilistische Roboter Bender aus „Futurama“ oder das soziopathische Kleinkind Stewie aus „Family Guy“: Bean ist Hauptfigur und wird von zwei recht eindimensionalen Sidekicks gerahmt: Elfo ist passiv und too dumb to live. Luci ist das Teufelchen auf Beans Schulter und stiftet sie an, alles immer schlimmer zu machen.

_Pilotfilm und Trailer wirken, als würde Bean ihrem Königreich entfliehen und mit zwei Gefährten auf eine Quest oder Sinnsuche gehen. Tatsächlich aber bleibt Bean am Hof ihres Vaters; Episoden haben zwar manchmal kleine Cliffhanger, doch bisher kann man problemlos Folgen vertauschen oder überspringen: Es bleibt bei in sich geschlossenen Sitcom-Plots wie „Der König verreist und Bean wirft eine Party“ oder „Bean will einen echten Job… und wird versehentlich Henkerin/Foltermeisterin“.

_“Disenchantment“ ist keine komplexe, bissige Tolkien- oder „Game of Thrones“-Parodie, sondern so erwachsen, komplex, deep wie z.B. „Shrek“, „Ritter der Kokosnuss“, „Die Braut des Prinzen“. Viele Nebenfiguren sterben oder werden dahin gemetzelt (vgl. mit „South Park“ oder den Simpsons-Halloween-Episoden), doch jeder ab ca. 12 dürfte alles an dieser Serie begreifen/durchschauen; und jeder ab ca. 16 wird sie etwas kindisch, bemüht, gestrig finden.

_Bean ist Alkoholikerin und ich hoffe, das kriegt noch etwas psychologische Tiefe. Und: es gibt ein, zwei Ansätze zu einem Spannungsbogen (Welche Agenda hat Luci? Ist Beans Mutter wirklich tot? Mit Elfos Blut können Menschen Körper tauschen: Wann trifft das Hauptfiguren?)

_Die Serie macht viele Seitenhiebe gegen Religion, Unterdrückung/Elend der einfachen Massen und Alltagssexismus. Dass Bean als Nonne, Prinzessin etc. nicht taugt, sorgt dauernd für Konflikte. Besonders kluge Dinge über strukturellen Sexismus wurden aber noch nicht gezeigt/erzählt.

_Zuletzt: obwohl Elfo als lebenshungriger Idealist eingeführt wird, der Sehnsucht nach authentischen Erfahrungen hat, ist er nach wenigen Folgen NUR NOCH scharf auf Bean. An vielen Stellen wirkt er wie ein Kind (oder wird sogar wie ein Baby behandelt, von einer Amme aus dem Dorf) – zugleich aber glaubt er, auf Augenhöhe mit Bean zu sein und sie als Partnerin zu verdienen. Die Serie scheint dabei auf Elfos Seite: Wir sollen hoffen, dass Bean ihre Ansprüche senkt und Elfo mit Sex belohnt. Für mich: eins der… trostlosesten und toxischsten Paare, die ich kenne. #maleentitlement

_Ich mag „Futurama“, und finde „Disenchantment“ als Zerstreuung… passabel. Das phlegmatische Erzähltempo, die vielen angestaubten Bild- und Wiederholungs-Witze, die oft unerträgliche Mittelalter-Musik, eine süchtige Hauptfigur, die kein Ziel und keine ebenbürtigen Gegner*innen hat, zu viele langweilige Verfolgungsjagden, abgegriffene Sitcom-Archetypen…

…Groening muss sich nicht schämen: Das ist solide, für 13jährige. Doch es ist kein Stück Avantgarde, Kunst, Zumutung. Naheliegende Scherze und Figuren. Alles wirkt gestrig, müde. Mir fehlt Schwung! (…den viele moderne Cartoons, z.B. „DuckTales“, im Überfluss haben.)

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das Alien Roger (American Dad); Königin Oona (Disenchantment)

Töchter schreiben über Väter: Mareike Nieberding, Linn Ullmann, Elizabeth Garber bei Deutschlandfunk Kultur.

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Für Deutschlandfunk Kultur las ich drei aktuelle Bücher, in denen Töchter über ihre Väter schreiben…

…und über ihre Schwierigkeiten, mit den alternden Männern zu sprechen.

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Morgen – Donnerstag, 21. Juni 2018 – bin ich gegen 10.15 Uhr Studiogast in der „Lesart“, für ein ca. 6-Minuten-Gespräch mit Frank Meyer.

Der Audio-Link bleibt nur sechs Monate verfügbar.

Schon heute, hier im Blog: Thesen, Kurztexte und ein paar Links zum Themenfeld.

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Ich las:

MAREIKE NIEBERDING: „Ach, Papa. Wie mein Vater und ich wieder zueinanderfanden“ (Suhrkamp Nova, Februar 2018)

LINN ULLMANN, „Die Unruhigen. Roman (!)“ (Luchterhand, Juni 2018. Original: Norwegen 2015)

ELIZABETH GARBER, „Implosion. A Memoir of an Architect’s Daughter“ (She Writes Press, 12. Juni 2018. nicht auf Deutsch)

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Wie sprechen Töchter mit Vätern – und wie sprechen die Bücher darüber, wie schwer es ist, als Erwachsener mit wortkargen oder emotional kalten Männern neu ins Gespräch zu kommen? Den Generationskonflikt kannten Autor*innen der 68er-Generation: linke Töchter und Söhne, die ihre vom Krieg deformierten Väter (oft: Nazis) konfrontieren. Mir geht es um sanftere, jüngere Bücher.

Ich habe viele bleischwere Tochter-Vater-Lieblingsbücher: Liane Dirks schreibt in „Vier Arten, meinen Vater zu beerdigen“ über Missbrauch und Kolonialismus; Alison Bechdel erzählt im Comic „Fun Home“ vom Selbstmord ihres schwulen oder bisexuellen Vaters; auch Miriam Toews‘ „Mr. T, der Spatz und die Sorgen der Welt“ handelt vom Selbstmord des Vaters.

Stattdessen aber suchte ich nach aktuellen Büchern/Memoirs, die kleiner, intimer, alltäglicher sind: der Vater nicht als Monster oder lebenslanger Widersacher. Sondern als jemand, den die Welt überholt. und den man später, als Tochter, neu mitnehmen und einbinden will. Alle drei Bücher werden durch ihre Alltäglichkeit relevant: Die Autorinnen sprechen viel über Subjektivität, menschliche und literarische Versuche, Poetik: statt selbstbestimmt und autoritär aufzutreten (wie ihre Väter, in der Kindheit) wissen sie, dass ihr Erzählvorhaben auch scheitern kann.

Tastende Bücher, ohne Arroganz.

Ich suchte gezielt nach Töchtern, weil hier viel erzählt wird über neue Frauenbilder, Emanzipation… und eine ratlose ältere Männer-Generation, die sich neu erfinden sollte – doch meist einfach geschockt oder frustriert schweigt, verharrt. bei Vätern und Töchtern ist außerdem klar: der Vater kann kein 1-zu-1-Role-Model sein (wie in Vater-Sohn-Büchern):

Vor 30+ Jahren bestimmten diese Väter, wie Mädchen zu sein haben. Heute liegt die Macht, Verantwortung, Agency bei den Autorinnen, die als erwachsene Frauen abwägen müssen, wie sie über den Vater schreiben: Die Macht wandert von dem, der alles finanziert, normiert, wertet… zu der, die heute erzählt, normiert, wertet. Ich mag, wie macht- und schutzlos die Töchter sind, als Figuren, in der Kindheit… doch dass sie als Autor*innen ja ALLE Macht und Deutungshoheit über ihre Väter haben. Ich mag, dass alle Töchter versuchen, ihren Vätern etwas anzubieten, zurückzugeben etc.: „Du hast mir meine Kinderwelt gebaut. Jetzt bin ich erwachsen und nehme dich in meine… erwachsene, ganz eigene Welt mit.“ Spannend / dramatisch, wie schwer das ist – und wie vergeblich oft.

Die Bücher sind reizvoll, weil sie alltäglich, intim sind – und ich vieles gut mit der eigenen Familie/Kindheit abgleichen kann. Thema ist: Mein Vater baut mir eine Welt. an der ich mich reibe – und aus der ich raus wachse. Keiner der Väter in den Büchern meint es böse. Interessant, wie gesagt: wie Väter transportieren, wie Mädchen (später: Frauen) zu sein haben, was sich ziemt, wo sie sich in der Tochter sehen und, wo sie sich nicht sehen, weil sie verschiedene Geschlechter haben. Der Vater als Versorger, Richter, Autorität.

In Jugendbüchern kommt das kaum vor: Dort sind die Held*innen oft Waisen oder auf sich allein gestellt. Harper Lees „To kill a Mockingbird“ zeigt ein wunderbares, doch sehr idealisiertes Tochter-Vater-Gespann. Und, Überraschung: „Go set a Watchman“, Lees zuvor entstandenes, dunkleres, bittereres Buch, passt wunderbar in diese Memoir- und Nonfiction-Reihe über ambivalente, normierende Väter… und die Tochter, die da raus wächst.

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Mareike Nieberdings „Ach, Papa“ war ursprünglich für den Herbst 2017 angekündigt – unter dem Titel „Als wir das Reden vergaßen“.

Mein Vater wurde im Sommer 2016 60 – und wünschte sich von allen Gästen der Feier persönliche Texte. Doch weil er selbst so wenig Persönliches erzählt, schrieb ich eine Liste mit 200 Fragen (Link). Von Nieberding, einer ZEIT-Journalistin, vier Jahre jünger als ich (*1987) erhoffte ich mir einen recht persönlichen, vielleicht symptomatisierenden Blick auf diese Generation deutscher Väter/Männer:.

Doch „Ach, Papa“ kriegte, zusammen mit dem neuen Titel, ein zartrosa Cover – und vermittelt eher Landkindheits-, Wohlfühl-, Sehnsucht-nach-Zuhause-Atmosphäre.

Nieberdings Vater (stolz, stoisch, freundlich, warm, brummig) studierte in Freiburg und lebt mit der Familie bei Oldenburg. Nieberding zieht nach Berlin, doch kehrt für einen Tochter-Vater-Roadtrip bis nach Freiburg zurück. Unterwegs spricht sie über Lebensentwürfe, Träume, Heimat, Geborgenheit, Familienkonzepte. Ihr Vater sagt recht wenig – klingt vernünftig, aber bleibt, als Figur, stoisch und blass. Die beiden mögen sich: auf der Buchpremiere im Januar stand der Vater stolz, mit feuchtem Blick im Publikum.

Doch mich enttäuschte das Buch. Ich verstehe, dass man bei einem noch lebendem Vater nicht jeden Widerspruch, Konflikt ausbreiten will – und ich verstehe, dass ein gelungenes Tochter-Vater-Buch kein großes Trauma braucht: Ein undramatischer 190-Seiten-Text über einen etwas knorrigen Papa? Passt. Nur war hier, bei beiden Generationen, viel zu viel Scheu: Ein Vater, der seine Tochter fast nichts fragt, nicht wertet, wenig will, tut, ausspricht. Und eine Tochter, die auf 190 Seiten jeden Abgrund, jede harte Frage umgeht:

Ein übervorsichtiges, lauwarmes, defensives Buch – in dem niemand unsympathisch oder schwierig ist, doch bei dem ich mich trotzdem unangenehm berührt fühlte: Weil zwei Menschen, denen es offenbar nicht viel gibt, sich öffentlich zueinander zu positionieren… in der Öffentlichkeit stehen, nervös, befangen und norddeutsch-schmallippig.

Zwei Amazon-Statements, denen ich zustimme:

„Ich selbst gehöre einer ganz anderen Generation an und vielleicht ist das der Grund, warum ich mich immer wieder fragte „was will sie denn, sie hat doch ein tolles Verhältnis zu ihrem Vater“. Tatsächlich fand ich Mareikes Problem eher als Luxusproblem und ich hätte nicht von Entfremdung gesprochen. Was mir dieses Buch aver gegeben hat, war der Denkanstoß mich mit meinem eigenen Vater und seiner Vergangenheit zu beschäftigen, so intensiv, wie ich es vielleicht noch nie gemacht habe.“

„Um sich ihrem Vater anzunähern, schickt Nieberding ihm zum einen E-Mail-Fragebögen und unternimmt mit ihm außerdem einen Kurzurlaub in den Schwarzwald. Diese Passagen handelt von zweien, die keine Übung mehr darin haben, miteinander alleine zu sein. Allerdings kam mir Mareike Nieberdings Erkenntnis dann wenig spektakulär vor: „Auch ich hätte fragen können – und ebenso gut hätte ich auch einfach mal erzählen können.“ Stimmt – statt immer nur zu warten, dass ihr tiefschürfende Fragen gestellt werden. Ohnehin blieb bei mir der Eindruck zurück, den Vater trotz aller privaten Details zu wenig kennengelernt zu haben – wie steht er denn eigentlich zu der Entfremdung? Hat die Autorin ihn das eigentlich gefragt?

Als öffentliche Aufarbeitung ihrer eigenen Vater-Tochter-Beziehung hat Mareike Nieberding natürlich sowohl alle Freiheiten als auch die Deutungshoheit. Angekündigt wurde das Buch allerdings auch damit, dass es erzählen würde „[…] wie man sich wieder nahekommt, wenn man sich schon fast verloren hat.“ Das mag auf die Autorin und ihren Vater zutreffen, aber aus „Ach, Papa“ lässt sich nur wenig allgemein ableiten.“

Ich will das Buch nicht als Neon-Journalismus etc. aussortieren. Doch tatsächlich las auch ich nur deshalb mit Gewinn weiter, weil ich bei jeder Aussage an meinen eigenen Vater denken musste. Und wusste: ich wäre beherzter, konfrontativer, lauter als Niebderding.

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Linn Ullmanns „Die Unruhigen“ erzählt auf 410 Seiten von einem gescheiterten journalistischen, psychologischen, künstlerischen Projekt:

Als ihr Vater mit Anfang 80 erste Demenzerscheinungen zeigt, kauft Ullmann ein Diktiergerät, zieht in ein Haus nahe des Vater-Hauses auf der Insel Farö und verabredet sich mit ihm ein Frühjahr lang (2007) zu je zwei Stunden langen Interviews: Sie stellt Fragen – und gemeinsam wollen sie ein Buch über ihr Verhältnis – und sein Vermächtnis als Theater- und Filmregisseur – erarbeiten: diszipliniert, reflektiert, nüchtern.

Tatsächlich schätzte Ullmann ihren Vater falsch ein: Die Demenz ist weit fortgeschritten; die sechs Gespräche sind voller non sequiturs, ihr Vater fühlt sich hörbar unwohl. Sie bricht das Projekt ab – und beschließt Jahre später, einen Roman über ihre Kindheitssommer auf der Insel zu schreiben: Sie verbringt je einen Monat im Jahr bei ihm, lebt sonst bei ihrer Mutter, einer nervösen und einsamen Schauspielerin, in u.a. Amerika. Ullmanns Vater hat insgesamt neun Kinder, fünf Exfrauen, vier Häuser etc.

„Die Unruhigen“, ein Roman, vermischt Gesprächsprotokolle, skandinavischen Kindheits-Erinnerungs-Glanz im Stil von u.a. Tove Janssons „Sommerbuch“ (Empfehlung!), geschwätzige, detailversessene, oft viel zu lange Autofiktion wie bei Knausgard und viele, viele Reflektionen über die Natur des Erinnerns (u.a. mit massig Verweisen auf Proust): Ullmann findet die Tonaufnahmen ca. 2011 wieder – und montiert ein Erinnerungsbuch über die Unfähigkeit, ein kohärentes Erinnerungsbuch zu schreiben.

Mir wurde erst nach ca. 100 Seiten klar, dass Ullmann die Tochter von Ingmar Bergmann und Liv Ullmann ist: Das Buch ist auch ohne diese Promi-Ebene packend, übervoll. Einzelne Szenen dauern zu lang, oft sagt Ullmann die selben Dinge auf fünf verschiedene Arten: Das Buch wirkt zerquälter und schwerfälliger, als es sein müsste (insgesamt ist es weder besonders anklagend, noch deprimierend):

Eine sehr analytische Tochter zeichnet in teils ermüdenden, doch immer psychologischen, reifen, klugen Details, wie klein die Rolle war, die ihr im Leben des Regisseurs, Bestimmers, Pedanten zugeteilt wurde – und, wie schwer es oft war, sich selbst zu disziplinieren, anzupassen. Sehr gern gelesen, trotz der Längen!

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Elizabeth Garbers „Implosion“ ist das Buch, das ich mir am dringendsten wünschte: stilistisch, erzählerisch etc. eine wunderbar runde Sache.

Woodie Garber, deutschstämmiger Architektensohn, studierte während der Rezession Architektur. Mit seiner zweiten Frau und drei Kindern baute er Mitte der 60er Jahre ein Le-Corbusier-haftes Glashaus in einem Vorort von Cincinatti, Ohio. Elizabeth bewundert ihren (bipolaren, despotischen, frauenfeindlichen, snobistischen) Vater, der mit Jahr zu Jahr mehr Druck aufbaut. Die erste Hälfte des Buchs zeigt die feinen, klug beobachteten Ambivalenzen, mit einem Vater aufzuwachsen, dessen Häuser, Werte, Geschmack etc. ALLES prägen.

Als Elizabeth ca. 14 ist, bedrängt er sie sexuell. Er bedroht und tyrannisiert die Brüder und die Mutter; und parallel zur US-Bürgerrechtsbewegung und -Politisierung Ende der 60er und Elizabeths eigenem Coming-of-Age setzt ein schmerzhafter, ambivalenter, komplexer Emanzipationsprozess ein. Elizabeth Garber hat jahrzehntelange Schreib- und Therapieerfahrung, ein tolles Gespür für Szenen, Widersprüche und relevante Fragen… und vermittelt in einfacher Sprache, ohne ein Wort zu viel, alle Schwierigkeiten, die ein autoritärer Vater mit sich bringt.

Nebenbei ist das Buch eine gute Einführung in den Appeal von Mid-Century Modernism und die Ideale, Sehnsüchte etc. der Männer, die sich damit von ihren eigenen Eltern absetzen wollten. Eine Memoir, halb (…Sally Draper in) „Mad Men“, halb „Der Eissturm“. Emotional erwachsen. Oft überraschend. Immens lesenswert.

„Überraschend“ vor allem, weil Elizabeth ihren Vater nicht aufgeben will. Und ich bis zur letzten Seite nicht wusste, ob ich sie für diese Versuche feiern sollte – oder denken „Der Mann ist toxisch: Lauf! Du schuldest ihm nichts!“

Im Verlag, der Garber veröffentlicht, „She Writes Press“, erscheinen seit 2013 Bücher von Autorinnen: oft Memoirs; manchmal spezifisch über den Vater, u.a. „Veronica’s Grave“ von Barbara Donsky und „The Sportscaster’s Daughter“ von Cindi Michael.

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sieben aktuelle Bücher, die ins Themenfeld passen:

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Carsten Hueck zu Nadja Spiegelmans „Was nie geschehen ist“: „Im Buch der Tochter spielt Art Spiegelman nun kaum eine Rolle, im Mittelpunkt steht der Lebensweg ihrer Mutter.“

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mein Vater, ca. 1987.

Reading Women, 2018: Summer Books, Summer Reading

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GENEVIEVE GRAHAM: „Come from Away“

„In 1939, Grace Baker’s three brothers board Canadian ships headed for a faraway war. Grace stays behind, tending to the homefront and the general store that helps keep her small Nova Scotian community running. Three years later, rumours swirl about “wolf packs” of German U-Boats lurking in the waters along the shores of East Jeddore, a stone’s throw from Grace’s window.“

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MIRA T. LEE: „Everything here is beautiful“

„Miranda, the responsible one: always her younger sister’s protector; Lucia, the headstrong, unconventional one. When their mother dies and Lucia starts to hear voices, it’s Miranda who must fight for the help her sister needs — even as Lucia refuses to be defined by any doctor’s diagnosis. Miranda must decide whether or not to step in. Told from alternating perspectives. A family drama about tough choices.“

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[2017] CAITLIN HAMILTON SUMMIE: „To lay to Rest our Ghosts“

„WWII Kansas City. A poor, drug-ridden NYC neighborhood. Woodsy Wisconsin and the quiet of rural Minnesota: Ten elegantly written short stories navigating the geographical boundaries that shape our lives.“

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MICHELE LENT HIRSCH: „Invisible. How young Women with serious Health Issues navigate Work, Relationships and the Pressure to seem just fine“

„Miriam’s doctor didn’t believe she had breast cancer. She did. Sophie navigates being the only black scientist in her lab while studying the very disease, HIV, that she hides from her coworkers. For Victoria, coming out as a transgender woman was less difficult than coming out as bipolar.

Author Michele Lent Hirsch knew she couldn’t be the only woman who’s faced serious health issues at a young age, as well as the resulting effects on her career, her relationships, and her sense of self. Young female patients are in fact the primary demographic for many illnesses. Not only do they feel pressured to seem perfect and youthful, they also find themselves amid labyrinthine obstacles in a culture that has one narrow idea of womanhood.

Lent Hirsch weaves her own harrowing experiences together with stories from other women, perspectives from sociologists on structural inequality, and insights from neuroscientists on misogyny in health research. She shows how health issues and disabilities amplify what women in general already confront: warped beauty standards, workplace sexism, worries about romantic partners, and mistrust of their own bodies.“

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SHANNON HITCHCOCK: „One True Way“

„Two girls who discover their friendship is something more. Daniel Boone Middle School in the 1970s, where teachers and coaches must hide who they are, and girls who like girls are forced to question their own choices. Set against the backdrop of history and politics that surrounded gay rights in the 1970s South, this novel is a thoughtful look at tolerance, acceptance, and change.“

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MICHELLE KIM: „Running through Sprinklers“

„Surrey, British Columbia, Canada, in the early 1990s: Nadine has suddenly skipped a grade and gone to high school without Sara. Sara can feel their friendship slipping away.“

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ILYASAH SHABAZZ: „Betty before X“

„A powerful middle-grade novel about the childhood activism of Betty Shabazz, Malcolm X’s wife, written by their daughter. In Detroit, 1945, eleven-year-old Betty’s house doesn’t quite feel like home. Betty quickly finds confidence and purpose in volunteering for the Housewives League, an organization that supports black-owned businesses. Ilyasah Shabazz illuminates four poignant years in her mother’s childhood.“

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VEERA HIRANANDANI: „The Night Diary“

„It’s 1947, and India, newly independent of British rule, has been separated into two countries: Pakistan and India. The divide has created much tension between Hindus and Muslims, and hundreds of thousands are killed crossing borders. Half-Muslim, half-Hindu twelve-year-old Nisha doesn’t know where she belongs. When Papa decides it’s too dangerous to stay in what is now Pakistan, Nisha and her family become refugees and embark first by train but later on foot to reach her new home.“

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KHERYN CALLENDER: „Hurricane Child“

„Twelve-year-old Caroline is a Hurricane Child, born on Water Island during a storm. She’s hated by everyone in her small school, she can see things that no one else can see, and — worst of all — her mother left home one day and never came back. Kalinda, a solemn girl from Barbados, seems to see the things Caroline sees, too. Joined by their common gift, Kalinda agrees to help Caroline look for her mother. A cadenced work of magical realism.“

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CLARE STRAHAN: „The Learning Curves of Vanessa Partridge“

„Vanessa (Van) Partridge is curious about the idea of having sex. At first, summer feels like delicious freedom as she explores her independence, practising her favourite cello pieces, reconnecting with her long-time summer friend Kelsey and exploring her attraction to environmental activist Bodhi. But when her sense of self is shaken, Van wrestles with issues of desire and consent: Can someone with sensible plaits and an interest in philosophy really be a raving sex-o-maniac? And if they are, is there anything wrong with that?“

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ADRIENNE KISNER: „Dear Rachel Maddow“

„A high school girl deals with school politics and life after her brother’s death by drafting emails to MSNBC host Rachel Maddow: After writing to Rachel for a school project–and actually getting a response–Brynn starts drafting e-mails. She tells Rachel about breaking up with her first serious girlfriend, about her brother Nick’s death, about her passive mother and even worse stepfather, about how she’s stuck in remedial courses at school.

Then Brynn is confronted with a moral dilemma. One student representative will be allowed to have a voice among the administration in the selection of a new school superintendent. Brynn’s archnemesis, Adam, and ex-girlfriend, Sarah, believe only Honors students are worthy of the selection committee seat. Brynn feels all students deserve a voice. When she runs for the position, the knives are out. So she begins to ask herself: What Would Rachel Maddow Do?“

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WHITNEY GARDNER: „Chaotic Good“

„When Cameron wins a major cosplay competition, she inadvertently sets off a firestorm of angry comments from male fans. She hopes to complete her costume portfolio in peace and quiet away from the abuse. Unfortunately, the only comic shop in town–her main destination for character reference–is staffed by a dudebro owner who challenges every woman who comes into the shop.

At her twin brother’s suggestion, Cameron borrows a set of his clothes and uses her costuming expertise to waltz into the shop as Boy Cameron, where she’s shocked at how easily she’s accepted into the nerd inner sanctum. Soon, Cameron finds herself drafted into a D&D campaign alongside the jerky shop-owner Brody, friendly (almost flirtatiously so) clerk Wyatt and handsome Lincoln. But as her „secret identity“ gets more and more entrenched, Cameron’s feelings for Lincoln threaten to make a complicated situation even more precarious.“

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AUSTIN CHANNING BROWN: „I’m still here. Black Dignity in a World made for Whiteness“

„An eye-opening account of growing up Black, Christian, and female in middle-class white America. Austin Channing Brown’s first encounter with a racialized America came at age 7, when she discovered her parents named her Austin to deceive future employers into thinking she was a white man. Growing up in majority-white schools, organizations, and churches, Austin writes, „I had to learn what it means to love blackness“.

I’m Still Here is an illuminating look at how white, middle-class, Evangelicalism has participated in an era of rising racial hostility, inviting the reader to confront apathy, recognize God’s ongoing work in the world, and discover how blackness–if we let it–can save us all.“

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AFUA HIRSCH: „Brit(ish). On Race, Identity and Belonging“

„Where are you really from? You’re British. Your parents are British. You were raised in Britain. Your partner, your children and most of your friends are British. So why do people keep asking you where you are from?

Brit(ish) is about the everyday racism that plagues British society. It is about our awkward, troubled relationship with our history. It is about why liberal attempts to be ‘colour-blind’ have caused more problems than they have solved. It is about why we continue to avoid talking about race.

In this personal and provocative investigation, Afua Hirsch explores a very British crisis of identity. We are a nation in denial about our past and our present. We are convinced that fairness is one of our values, but that immigration is one of our problems. Brit(ish) is the story of how and why this came to be, and an urgent call for change.“

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IJEOMA OLUO: „So you want to Talk about Race“

„Issues as privilege, police brutality, intersectionality, micro-aggressions, the Black Lives Matter movement, and the „N“ word. Oluo answers the questions readers don’t dare ask.“

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[male authors:] T. CHRISTIAN MILLER, KEN ARMSTRONG: „A False Report: A True Story of Rape in America“

„On August 11, 2008, eighteen-year-old Marie truthfully reported that a masked man broke into her apartment near Seattle, Washington, and raped her, but within days police and even those closest to Marie became suspicious of her story. The police swiftly began investigating her. Confronted with inconsistencies in her story and the doubts of others, Marie broke down and said her story was a lie. Police charged her with false reporting. One of her best friends created a web page branding her a liar.

More than two years later, Colorado detective Stacy Galbraith was assigned to investigate a case of sexual assault. Describing the crime to her husband that night–the attacker’s calm and practiced demeanor, which led the victim to surmise „he’s done this before“–Galbraith learned that the case bore an eerie resemblance to a rape that had taken place months earlier in a nearby town. She joined forces with the detective on that case, Edna Hendershot, and the two soon realized they were dealing with a serial rapist: a man who photographed his victims, threatening to release the images online, and whose calculated steps to erase all physical evidence suggested he might be a soldier or a cop.

An Unbelievable Story unveils the disturbing reality of how sexual assault is investigated today–and the long history of skepticism toward rape victims.“

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BARBARA J. RISMAN: „Where the Millennials will take us. A new Generation wrestles with the Gender Structure“

„Are today’s young adults gender rebels or returning to tradition? Risman reveals the diverse strategies youth use to negotiate the ongoing gender revolution. Some are true believers that men and women are essentially different and should be so. Others are innovators, defying stereotypes and rejecting sexist ideologies and organizational practices. Perhaps new to this generation are gender rebels who reject sex categories, often refusing to present their bodies within them and sometimes claiming genderqueer identities. Risman reminds us that gender is much more than an identity; it also shapes expectations in everyday life, and structures the organization of workplaces, politics, and, ideology.“

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SAFIYA UMOJA NOBLE: „Algorithms of Oppression. How Search Engines reinforce Racism“

„A revealing look at how negative biases against women of color are embedded in search engine results and algorithms. Run a Google search for „black girls“–what will you find? „Big Booty“ and other sexually explicit terms are likely to come up as top search terms. But, if you type in „white girls,“ the results are radically different. Safiya Umoja Noble challenges the idea that search engines like Google offer an equal playing field for all forms of ideas, identities, and activities. Data discrimination is a real social problem. Through an analysis of textual and media searches as well as extensive research on paid online advertising, Noble exposes a culture of racism and sexism in the way discoverability is created online. Algorithms of Oppression contributes to our understanding of how racism is created, maintained, and disseminated in the 21st century.“

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LUCY JONES: „The Big Ones. How Natural Disastes have shaped us“

„By a veteran seismologist of the U.S. Geological Survey, a lively and revealing history of the world’s most disruptive natural disasters, their impact on our culture, and new ways of thinking about the ones to come. The Big Ones is a look at some of the most devastating disasters in human history. It considers Pompeii, and how a volcanic eruption in the first century AD challenged and reinforced prevailing views of religion for centuries to come. It explores the California floods of 1862, examining the failures of our collective memory. And it shows what Hurricane Katrina and the 2004 Indian Ocean tsunami can tell us about governance and globalization. Natural disasters are inevitable; human catastrophes are not.“

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ELIZABETH CATTE: „What you are getting wrong about Appalachia“

„In 2016, headlines declared Appalachia ground zero for America’s “forgotten tribe” of white working class voters. Journalists flocked to the region to extract sympathetic profiles of families devastated by poverty, abandoned by establishment politics, and eager to consume cheap campaign promises. What You Are Getting Wrong About Appalachia analyzes trends in contemporary writing on Appalachia, presents a brief history of Appalachia with an eye toward unpacking Appalachian stereotypes, and provides examples of writing, art, and policy created by Appalachians as opposed to for Appalachians.“

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KAREN AUVINEN: „Rough Beauty. Forty Seasons of Mountain Living“

„An inspirational memoir from an award-winning poet who ventures into the wilderness to seek answers to life’s big questions and finds her way back after losing everything she thought she needed. During a difficult time, Karen Auvinen flees to a primitive cabin in the Rockies to live in solitude as a writer and to embrace all the beauty and brutality nature has to offer. When a fire incinerates every word she has ever written and all of her possessions—except for her beloved dog Elvis, her truck, and a few singed artifacts—Karen embarks on a heroic journey to reconcile her desire to be alone with her need for community.

In the evocative spirit of works by Annie Dillard, Gretel Ehrlich, and Mary Oliver, Rough Beauty is a lyric exploration of forty seasons in the mountains.“

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FRANCHESCA RAMSEY: „Well, that escalated quickly“

Franchesca Ramsey didn’t set out to be an activist. Or a comedian. Or a commentator on identity, race, and culture. But then her YouTube video „What White Girls Say. . . to Black Girls“ went viral. Faced with an avalanche of media requests, fan letters, and hate mail, she had two choices: Jump in and make her voice heard or step back and let others frame the conversation.

In her first book, Ramsey uses her own experiences as an accidental activist to explore the many ways we communicate with each other–from the highs of bridging gaps and making connections to the many pitfalls that accompany talking about race, power, sexuality, and gender in an unpredictable public space…the internet. WELL, THAT ESCALATED QUICKLY includes Ramsey’s advice on dealing with internet trolls and low-key racists, confessions about being a former online hater herself, and her personal hits and misses in activist debates with everyone from bigoted Facebook friends and misguided relatives to mainstream celebrities and YouTube influencers.“

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ELIZABETH W. GARBER: „Implosion. A Memoir of an Architect’s Daughter“

Visionary architect Woodie Garber had already built his masterwork—the family’s glass-walled house—when he received the commission to create Sanders Hall, a glass tower dormitory at The University of Cincinnati. At the time, Elizabeth was still impressed with her brilliant father and his taste for modernism, jazz, art, and race cars. But as she grew up, her adoration faded. Woodie became more controlling. Belittling. Inappropriate.

As the late 1960’s and early 1970s culture wars and race riots reached Cincinnati, and when Elizabeth started dating an African-American student at her high school, Woodie’s racism emerged. His abuse splintered the family, and unexpected problems with the design of Sanders Hall precipitated a financial crisis that was exacerbated by a sinking economy. Elizabeth Garber describes Woodie’s deepening mental illness, the destruction of her family, and her own slow healing from his abuse.“

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NELL SCOVELL: „Just the funny Parts… and a few hard Truths about Sneaking into the Hollywood Boys‘ Club“

„For more than thirty years, writer, producer and director Nell Scovell worked behind the scenes of iconic TV shows, including The Simpsons, Late Night with David Letterman, Murphy Brown, NCIS, The Muppets, and Sabrina, the Teenage Witch, which she created and executive produced. In 2009, Scovell gave up her behind-the-scenes status when the David Letterman sex scandal broke. Scovell used the moment to publicly call out the lack of gender diversity in late-night TV writers’ rooms. Her criticisms fueled a cultural debate.

Through her eyes, you’ll sit in the Simpson writers’ room… stand on the Oscar red carpet… pin a tail on Miss Piggy…bond with Star Trek’s Leonard Nimoy… and experience a Stephen King-like encounter with Stephen King. A fast-paced account of a nerdy girl from New England who fought her way to the top of the highly-competitive, male-dominated entertainment field.“

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FERN RIDDELL: „Death in Ten Minutes. Kitty Marion. Activist. Arsonist. Suffragette“

„The story of radical suffragette Kitty Marion, told through Kitty’s never before seen personal diaries. Kitty Marion was sent across the country by the Pankhurst family to carry out a nationwide campaign of bombings and arson attacks, as women fought for the vote using any means necessary. But in the aftermath of World War One, the dangerous and revolutionary actions of Kitty and other militant suffragettes were quickly hushed up and disowned by the previously proud movement.“

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JANE ROBINSON: „Hearts and Minds. The untold Story of the Great Pilgrimage and how Women won the Vote“

„The suffragists‘ march on London. 1913: the last long summer before the war. The country is gripped by suffragette fever. Hundreds of women are stepping out on to the streets of Britain. They are the suffragists: non-militant campaigners for the vote, on an astonishing six-week protest march they call the Great Pilgrimage. Rich and poor, young and old, they defy convention, risking jobs, family relationships and even their lives to persuade the country to listen to them. This is a story of ordinary people effecting extraordinary change. Jane Robinson has drawn from diaries, letters and unpublished accounts to tell the inside story of the march.“

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LYUDMILA PAVLICHENKO: „Lady Death. The Memoirs of Stalin’s Sniper“

„The wartime memoir of Lyudmila Pavlichenko, World War II’s best scoring sniper. In June 1941, when Hitler launched Operation Barbarossa, she left her university studies to become one of Soviet Russia’s 2000 female snipers. Less than a year later she had 309 recorded kills. She spoke at rallies in Canada and the US and the folk singer Woody Guthrie wrote a song, ‚Killed By A Gun‘ about her exploits. Her US trip included a tour of the White House. In November 1942 she visited Coventry. She never returned to combat but trained other snipers. After the war, she finished her education at Kiev University and began a career as a historian. She died on October 10, 1974 at age 58.“

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PENG SHEPHERD: „The Book of M“

„One afternoon at an outdoor market in India, a man’s shadow disappears—an occurrence science cannot explain. The phenomenon spreads like a plague, and while those afflicted gain a strange new power, it comes at a horrible price: the loss of all their memories. Ory and his wife Max have escaped the Forgetting so far by hiding in an abandoned hotel deep in the woods. Until one day Max’s shadow disappears too.

Knowing that the more she forgets, the more dangerous she will become to Ory, Max runs away. But Ory refuses to give up the time they have left together. Desperate to find Max before her memory disappears completely, he follows her trail across a perilous, unrecognizable world.“

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BETHANY C. MORROW: „MEM“

„Set in the glittering art deco world of Montreal a century ago, MEM makes one slight alteration to history: a scientist discovers a method allowing people to have their memories extracted from their minds, whole and complete. The Mems exist as mirror-images of their source ― zombie-like creatures destined to experience that singular memory over and over, until they expire in the cavernous Vault where they are kept. And then there is Dolores Extract #1, the first Mem capable of creating her own memories. She is allowed to live on her own, and create her own existence, until one day she is summoned back to the Vault.“

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KATARINA BOUDREAUX: „Platform Dwellers“

„On the remnants of oil platforms in the Gulf of Mexico, Joe is a typical Nob Platform teenager, except that her Mom left a year ago for a more social Platform, and her Dad sometimes forgets she exists. Her high school senior project “See-Saw” focuses on long-distance underwater connections. Then, Joe’s best friend discovers lights moving on Land at the same time Joe picks up SOS signals with her See-Saw – though Land has been silent since technology was destroyed during the Moralist Revolution. Joe enlists the help of Flox, a debunked scientist, to take them to Land to investigate the remnants of human Land society.“

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KATIE O’NEILL: „The Tea Dragon Society“ [2017]

„A charming [and queer] all-ages graphic novel. Greta is a blacksmith apprentice. After discovering a lost tea dragon in the marketplace, she learns about the dying art form of tea dragon care-taking from the kind tea shop owners, Hesekiel and Erik and befriends their shy ward, Minette.“

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MICHELLE PEREZ, REMY BOYDELL: „The Pervert“

[Graphic Novel] „A surprisingly honest and touching account of a trans girl surviving through sex work in Seattle: a collection of vignettes about a girl in transition, training to be a nurse, who supports herself through sex work.“

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PAMELA RIBON, CAT FARRIS: „My Boyfriend is a Bear“

[Graphic Novel] „Nora has bad luck with men. When she meets an (actual) bear on a hike in the Los Angeles hills, he turns out to be the best romantic partner she’s ever had! But he’s a bear, and winning over her friends and family is difficult. Not to mention he has to hibernate all winter. Can true love conquer all?“

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male writers:

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DONAL RYAN: „From a low and quiet Sea“

„Farouk’s country has been torn apart by war. Lampy’s heart has been laid waste by Chloe. John’s past torments him as he nears his end. From war-torn Syria to small-town Ireland, three men are drawn towards a powerful reckoning.“

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TOMMY ORANGE: „There There“

„A multigenerational story of twelve characters, each of whom have private reasons for traveling to the Big Oakland Powwow. Jacquie Red Feather is newly sober and trying to make it back to the family she left behind in shame. Dene Oxendene is pulling his life back together after his uncle’s death. Opal Viola Victoria Bear Shield has come to watch her nephew Orvil, who has taught himself traditional Indian dance through YouTube.

A voice full of poetry and rage. Orange writes of the plight of the urban Native American. An unforgettable debut, destined to become required reading in schools and universities across the country.“

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DAVID DUCHOVNY: „Miss Subways“

„Emer is just a woman living in New York City who takes the subway, has writerly aspirations, and lives with her boyfriend, Con. But is this life she lives the only path she’s on? Taking inspiration from the myth of Emer and Cuchulain and featuring an all-star cast of mythical figures from all around the world, David Duchovny’s darkly funny fantasy novel Miss Subways is one woman’s trippy, mystical journey down parallel tracks of time and love.“

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JOSIAH BANCROFT: „Senlin Ascends“

„The Tower of Babel is the greatest marvel in the world. The ancient Tower holds unnumbered ringdoms, warring and peaceful, stacked one on the other like the layers of a cake. It is a world of geniuses and tyrants, of airships and steam engines, of unusual animals and mysterious machines. Soon after arriving for his honeymoon at the Tower, the mild-mannered headmaster of a small village school, Thomas Senlin, gets separated from his wife, Marya.

Senlin is determined to find Marya, but to do so he’ll have to navigate madhouses, ballrooms, and burlesque theaters. This quiet man of letters must become a man of action.“

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DAVID CAY JOHNSTON: „It’s even worse than you think. What the Trump Administration is doing to America“

„David Cay Johnston has been following Trump since 1988.“

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HANS ROSLING: „Factfulness“ (…auf Deutsch bei Ullstein)

„The stress-reducing habit of only carrying opinions for which you have strong supporting facts. When asked simple questions about global trends—what percentage of the world’s population live in poverty; why the world’s population is increasing; how many girls finish school—we systematically get the answers wrong. So wrong that a chimpanzee choosing answers at random will consistently outguess teachers, journalists, Nobel laureates, and investment bankers. Factfulness reveals the ten instincts that distort our perspective—from our tendency to divide the world into two camps (usually some version of us and them) to the way we consume media (where fear rules) to how we perceive progress (believing that most things are getting worse). Our problem is that we don’t know what we don’t know, and even our guesses are informed by unconscious and predictable biases. It turns out that the world, for all its imperfections, is in a much better state than we might think. An urgent and essential book that will change the way you see the world and empower you to respond to the crises and opportunities of the future.“

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For the sake of search engines, I didn’t start this blog post with my usual German disclaimers: I sampled about 500 books, published in 2018, to make my selection. I haven’t read these titles yet. But this is the list of titles with the most appealing sample chapters (…and reviews).

Ich habe die Titel angelesen: eine Vorauswahl von Büchern, deren Leseproben mich überzeugte. Lieblingsbücher des Jahres blogge ich u.a. hier (Link)

neue Science Fiction: 11 Trends

 

lazarus apple

Die Apple-Zentrale… und ein Firmensitz in Greg Ruckas dystopischen Comic „Lazarus“, Jahre vorher entworfen / gezeichnet.

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Im Juni bin ich Gast bei einem SciFi-Podcast von VICE Motherboard, zusammen mit Andrea Wöger von Moviepilot.

Moderator Dennis Kogel bat mich, aktuelle Trends, Tendenzen, Ideen zu sammeln:

Welche SciFi mag, verfolge, empfehle ich? Welche Trends zeichnen sich ab?

Heute: elf schnelle Thesen zu aktuellen Trends.

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01_Indie-Comics als Testlabor:

Die beste SciFi finde ich gerade meist als monatliches US-Comic: TV-Serien brauchen tausend Köche. Filme brauchen Budget und Zeit. In Comics aber können EIN Autor und EIN Zeichner (-*in) Ideen ausprobieren und im Alleingang bildgewaltig umsetzen. Die Stoffe, die heute im TV und Kino überraschen, waren oft schon vor zehn Jahren kleine, schrullige Comic-Geheimtipps; und immer öfter scheinen Comics die Verfilm-, Adaptierbarkeit von Anfang an mitzudenken: Sie erzählen Geschichten, von denen ich nach Seite 20 denke „Das wäre eine großartige TV-Serie!“

Empfehlungen: „Saga“ (Brian K. Vaughan, Fiona Staples), „Invisible Republic“ (Gabriel Hardman), „Lazarus“ (Greg Rucka, Michael Lark), „Shade, the Chaning Girl“ ( Cecil Castellucci, Marley Zarcone), Dept. H (Matt Kindt), „Injection“ (Warren Ellis, Declan Shalvey) und der wunderbare Mainstream-Manga „Twin Spica“ (Kou Yagunima)

mehr? Sci-Fi-Comics mit Frauen. Buchtipps von mir (Link)

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02_größer Denken – Hard Sci-Fi, Space Operas, Mainstream-Epen!

2011 nannte ich die „Green Lantern“-Comics von u.a. Geoff Johns und Peter Tomasi „Das vielleicht letzte große triviale Epos“. Ich lag falsch: Auch Jason Aarons „Thor“-Comics sind eine barocke, blutig-packend-operettenhafte Saga, die sich in tausend Richtungen ausprobiert. Pulp-Epen wie „Perry Rhodan“. Space Operas wie „Star Wars“. Und epische Hard Sci-Fi – auch von deutschen Autoren wie Dietmar Dath, Andreas Brandhorst: SciFi bleibt aktuell oft nah an einer Figur. Wird intim, persönlich. Doch ich bin dankbar, wie weit trotz solcher Intimität oft gedacht wird: in fernste Zukunft – auch sprachlich, sozial, formal.

Empfehlungen: „Green Lantern Corps“ (Peter Tomasi), „Thor“ (Jason Aaron), „Venus siegt“ (Dietmar Dath); angelesen und gemocht: Neal Stephensons „Seveneves“. Gespannt auf: Marvels „Captain Marvel“-Kinofilm und DCs „New Gods“.

mehr? Rezension von mir zu Dietmar Daths „Venus siegt“

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03_“Game of Thrones“… in Space?

Mit vielen Figuren erzählen? Komplexe politische, soziale Domino-Ketten bauen… und sie dann kippen lassen? George R.R. Martins ehemaliger Sekretär/Assistent ist heute mit der SciFi-Buchreihe „The Expanse“ erfolgreich: Amazon gab gerade eine vierte Staffel der TV-Version in Auftrag. Dazu:  Mangas wie „Legend of Galactic Heroes“ und „Attack on Titan“. Tad Williams‘ Fantasy-Buchreihen. Das „Warhammer“-Universum. Oder auch das kleinteilige Marvel Cinematic Universe, mit vielen Nischen und Verknüpfungen: Ich liebe SciFi mit 20, 30 Figuren, Stoßrichtungen, Perspektiven, Zahnrädern. Geschichten, die von Zusammenhängen, Wechselwirkungen erzählen – statt naiv einen einzelnen Helden zum Dreh- und Angelpunkt zu machen.

Empfehlungen: „Babylon 5“, noch immer. Das teils exzellente „Star Wars Expanded Universe“. Angelesen und gemocht: Die „Transformers“-Comics. Gespannt auf: „Gundam“, „Macross“, neue „Ghost in the Shell“-Serien.

mehr? Ich las George R.R. Martins kompletten Blog – und lernte viel!

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04_Helden-TV differenziert sich aus:

„Black Lightning“ fragt nach Schwarzer Politik, sozialer Gerechtigkeit, Polizeigewalt, Aktivismus. „The Flash“ setzt auf „Heart, Humor and Spectacle“. Die X-Men-Serie „Legion“ findet eigene, surreale Töne. „Krypton“ will episches Fantasy-Königsdrama sein: Superhelden-TV sucht Alleinstellung, neue Nischen.

Ich bin gespannt auf neue Serien wie „Cloak & Dagger“ (Urban Romantasy), „The Wicked & the Divine“ (Mythologie & Queerness), „The Umbrella Academy“ (Gothic Horror)

Komplette Liste neuer Comic- und Heldenserien hier: https://www.newsarama.com/30432-the-full-comic-book-television-release-schedule.html

mehr: meine Lieblings-Graphic-Novels 2017 und 2016

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05_kluger Transhumanismus:

Ich bin kein Fan von Pinocchio-Plots – harmlos naive Roboter, die endlich echte Menschen werden wollen. Zum Glück werden Geschichten über die fließenden Grenzen zwischen Mensch und Maschine aktuell feiner, differenzierter: Wann lassen sich Körper und Bewusstsein trennen? Und – besonders bei weiblichen Robotern: Welche Rolle spielen Objektifizierung, Sex, Machtgefälle?

Empfehlungen: „Westworld“; der schlichte, aber packende Comic „Alex + Ada“. Überschätzt: Ann Leckies Romane über eine KI, die mehrere Körper lenkt und befehligt.

Vorgemerkt: Die TV-Serien „Kiss me First“, „Real Humans“, „Stitchers“ und „Counterpart“ und, ab Ende 2018, „Reverie“. Auch auf die Kinofilme „Alita: Battle Angel“, „Andover“, „Love Thy Keepers“, „Diminuendo“ bin ich gespannt.

mehr: lange Kritik zu Staffel 1 von „Westworld“

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invisible republic, dietmar dath, hard sci-fi

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06_Gemeinschaftskunde:

„Black Mirror“ ödet mich oft an: zynische, didaktische, plakative Cautionary Tales über Welten und Gesellschaften, in denen fast alle Menschen sehr, sehr dumm oder sehr, sehr böse sind: Eine Serie, die man 15jährigen im Gemeinschaftskunde-Unterricht zeigen kann. Doch bei der mir oft Grautöne fehlen. Optimistischer, aber vergleichbar: „Philip K. Dicks Electric Dreams“. Mir zu platt, aber sympathisch: „The Orville“. Gefeiert, aber trostlos: „The Handmaid’s Tale“. Und ein Roman-Erfolg, der mich kalt ließ: Naomi Aldermans „Die Gabe“.

Ich bin gespannt auf „Captive State“ (…und enttäuscht über die vielen schlechten Kritiken zur Neuverfilmung von „Fahrenheit 451“). Didaktische Dystopien, die uns aufrütteln sollen, Lehrstücke, Schauermärchen… sind nicht mein Ding. Aber: Cool, wie viele Menschen sich gerade begeistert aufrütteln lassen – und Lust haben auf solche Lektionen.

mehr: Radio-Gespräch mit mir, zu Naomi Aldermans „Die Gabe“, SWR2

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07_Japanische Weirdness: Wir kapieren’s endlich!

Als Fan von Animes wie „Neon Genesis Evangelion“ und „Nausicaä aus dem Tal der Winde“ freut mich, dass japanische Motive, Tropen, Themen, Eigenheiten in westlichen Mainstream-Blockbustern immer selbstverständlicher werden: Die Miayazaki-Elemente in „Steven Universe“ . „Inception“ – das sich bei u.a. Satoshi Kons (besserem!) „Paprika“ bedient. Mechas und Kaijus in „Pacific Rim“. Auch Videospiel-Welten und -Narrative werden immer öfter in anderen Medien erzählt, z.B. in „Sword Art Online“, Cory Doctorows „For the Win“ oder „Ready Player One“.

Empfehlungen: Ich bin gespannt, ob der Manga „Berserk“ adaptiert wird oder, mit besseren CGI-Effekten, solche Wesen und Bildwelten irgendwo sonst bald eine große Bühne kriegen. Ich mag, dass sich „Rick & Morty“ und „Dr. Who“ immer mehr Weirdness trauen. Und bin gespannt auf Charlie Kaufmans „Chaos Walking“.

mehr: Die besten Mangas – 50 Empfehlungen

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08_Qualität für alle Altersgruppen: das „Star Wars Expanded Universe“

Seit 2015 gibt sich Disney große Mühe mit „Star Wars“-Romanen, -Serien, -Comics: ein neues „Expanded Universe“, für das viele meiner Lieblings-(Jugendbuch-)Autor*innen und Comic-Künstler*innen arbeiten. Statt schnellen Nebenbei- und ferner-liefen-Geschichten bedeutet das „Star Wars“-Logo für mich im Buchhandel mittlerweile: kluge, zugängliche Geschichten über Widerstand, totalitäre Systeme und Politik.

Empfehlungen: Ich mag Claudia Grays „Lost Stars“, die „Darth Vader“-Comics von Kieron Gillen, die TV-Serie „Rebels“ und Jason Frys Jugendbuchreihe „Rebels: Servants of the Empire“; und bin gespannt auf Timothy Zahns „Thrawn“, Claudia Grays weitere Romane, die neue Animationsserie „Star Wars Resistance“, die neue TV-Real-Serie und (immer noch nicht gesehen) „Rogue One“. Auch der „Poe Dameron“-Comic macht Spaß.

mehr: „Star Wars: Das Expanded Universe“ (Deutschlandfunk Kultur)

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09_Afrofuturismus & Diversity

„Star Trek: Discovery“ habe ich sehr genossen. Auch „Black Panther“ macht Spaß. In Deutschland wird die Schwarze Autorin James Tiptree neu entdeckt; Nigerianerin Nnedi Okorafor hat Mainstream-Erfolg, Octavia Butler findet weiterhin neue Fans… Ich wünsche mir noch mehr SciFi von und über Menschen of Color, und freue mich über Autor*innen wie G. Willow Wilson und Saladhin Ahmed. Bitte auch mehr chinesische Stoffe: „The Three-Body Problem“ kann noch nicht alles gewesen sein!

vorgemerkt: „Sense8“ will ich endlich sehen; viele Romane aus dieser Goodreads-Liste (Link)

mehr: SciFi von Frauen; feministische SciFi

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10_Young Adult entschuldigt sich nicht für sich selbst.

Die TV-Serie „Reign“ zeigte Maria Stewart – im Look von „Eiskalte Engel“, Anfang 20, mit Folk-Balladen. Auch „The 100“ denkt, trotz aller Nähe zu „Kampfstern Galactica“ etc., die Teenager-Zielgruppe immer mit: Statt allen gefallen zu wollen, sich möglichst erwachsen zu geben, stecken viele Young-Adult-Romane und -Serien selbstbewusst einen viel engeren Claim ab: Love Triangles, Stil und Mode, junge starke Heldinnen, Romance und Rebellion.

Die Kehrseite: Auch nationalistischer und chauvinistischer Kram, Military SF, libertäre Welten usw. sind so prononciert, laut und plakativ wie selten zuvor: Sad Puppies, Rabid Puppies.

angelesen, gemocht: Anne Tibbets‘ „Carrier“Monica Teslers „Bounders“, Polly Ho-Yens „Boy in the Tower“

mehr: Diversity & Minderheiten im Jugendbuch

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11_E-Literatur statt Nische.

Dystopien? Werden immer geschrieben, verlegt, gefunden. Fantasy? Auch. Doch eine gewisse Sorte anspruchsvoller Phantastik erscheint erst, wenn es a) dem Land gut geht und / oder b) literarische Autor*innen einfach selbstbewusst erzählen – ohne Angst, in eine Nische sortiert zu werden. Mich freut, dass SciFi-Fans Margaret Atwood ernst nehmen, oder Haruki Murakami – und niemand sagt, das sei ja „nur“ Genre-Kost; und ich freue mich über Menschen wie P.D. James („Children of Men“), die zwischendurch mal Phantastik schreiben – ohne, dass ihnen jemand daraus Vorwürfe macht.

gelesen und gemocht: „Tentakel“ (Rita Indiana). „Lovecraft Country“ (Matt Ruff); angelesen und gemocht: Nick Harkaways Romane, zuletzt „Gnomon“. Und: „The Leftovers“ war als Serie viel anspruchsvoller, ambitionierter, „literarischer“ als die platte Buchvorlage von Tom Perrotta.

mehr: Empfehlung / Rezension zu „Tentakel“, Rita Indiana

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feministische-science-fiction-scifi-von-frauen

Pressereise nach Georgien: Ehrengast der Frankfurter Buchmesse 2018

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2018 ist Georgien Ehrengast / Gastland der Frankfurter Buchmesse #fbm18.

Ende Mai 2018 war ich auf einer viertägigen Pressereise nach Tiflis / Tibilisi.

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Heute, hier im Blog: Fotos, die sich nicht selbst erklären.

Die Pressereise – erzählt in Bildern und kurzen Bildtexten […wird ergänzt, in den nächsten Tagen].

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Sieben Blogger*innen / „Influencer“ sind eingeladen: Alexandra Stiller (Bücherkaffee), Matthias Warkus (54Books), Angie Martiens (Litaffin), Annabelle Stehl (Stehlblüten), Florian Valerius (Literarischer Nerd), Karla Paul (Buchkolumne) und ich.

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Wir fliegen via Istanbul, mit Turkish Airlines. Flüge nach Tiflis sind nachts oft billiger. Georgier*innen sagen, wir haben Glück, schon kurz vor Mitternacht am Hotel zu sein: Oft kommen Gäste viel tiefer in der Nacht ins Land. Flugzeit der beiden Flüge: 6 Stunden, ab Frankfurt.

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Das Programm – Donnerstag, Freitag, Samstag; Rückflug Sonntag Nacht – ist straff: Stadtführung, Museen, Kirchen/Kloster, Bibliotheken, eine Ballettprobe. Alle Mittag- und Abendessen mit wechselnden georgischen Autor*innen.

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Ein Land, nicht viel größer als Bayern, am Schwarzen Meer. Nachbarländer: Armenien, Aserbaidschan, Russland und die Türkei. Religion: 84 Prozent orthodox, 9 Prozent Muslime. Am Flughafen und bei der Fahrt durch Tiflis sehen wir dauernd Casinos und Casino-Werbung. Erster Eindruck, auch landschaftlich: Canto Bight, der etwas vulgäre Glückspiel-Planet aus „Star Wars: The Last Jedi“.

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Betsy’s Hotel ist eine ordentliche, westlich-normierte viergeschossige Anlage mit Frühstücksterrasse, kleinem Pool, absurd gründlicher Zimmerreinigung – mit toller Aussicht über Tiflis. Ich fühlte mich wohl; doch glaube, dass viele Georgien-Reisende charmantere, geschichtsträchtigere Räume suchen: Für mich war das Hotel der… aseptischste, globalisierteste Ort der Reise.

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Davit Gabunia ist Dramaturg und Schriftsteller (Romane und Dramatik) und stellt uns in einer einstündigen Präsentation am Goethe-Institut ca. 15 große georgische Autor*innen vor, die auch in deutscher Übersetzung vorliegen. Der oft amüsant-spöttische Vortrag ordnet die Bücher chronologisch, und beginnt arg männerlastig, patriarchal. Erst ab den späten 90ern nennt Gabunia immer mehr Autor*innen, Experimente, Short Stories, LGBT- und feministische Stimmen etc.

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Davit Gabunia empfiehlt uns u.a. Dawit Kldiaschwili, Otar Tschiladse, Micheil Dschawachischwili, Naira Gelaschwili, Guram Dotschanaschwili. Ich arbeite an einem längeren Blogpost über georgische Bücher, die ich anlas und mochte. Bis dahin empfiehlt sich *dieser* Index ins Deutsche übersetzter Bücher auf Georgia-Characters.com

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Mehr Fotos unserer Reisegruppe: hier im Link.

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Matthias Warkus schreibt: „Im alten Hauptgebäude der Nationalbibliothek (früheres Bankgebäude im österreichischen Ringstraßenstil) konnten wir verschiedene internationale Lesesäle [überraschend große deutsche Bibliothek, englische Bibliothek] besichtigen. Das Magazin mit den vier Millionen Bänden georgischer Literatur ist wohl anderswo untergebracht.“

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Mit uns sieben Blogger*innen unterwegs, die meiste Zeit: Journalist*innen von u.a. Arte, FAZ, Deutsche Welle, Spiegel, Focus, ZEIT, ORF und dem Magazin „Bücher“.

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Giorgi Kekelidzes Redebeiträge waren auf Georgisch, und wurden recht schleppend übersetzt. Die Stimmlage deutscher Frauen wird seit Jahren immer tiefer. Viele ältere Georgierinnen, die mit uns sprachen, hatten eine hohe Stimme. Statt mehr zum georgischen Buchmarkt, zur georgische Kulturpolitik oder zum… kulturellen Selbstbild zu hören, erfuhren wir leider fast nur, wie DIESE EINE Bibliothek funktioniert: So, wie fast alle anderen, die ich kenne, auch. Schade.

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Matthias Warkus schreibt am Folgetag: „Leider ist die Weinprobe ausgefallen, weil von den 17 Personen der beiden hier anwesenden Delegationen (BuchbloggerInnen und RichtigjournalistInnen) insgesamt wohl nur zwei Personen Lust drauf hatten. Aber warum wollte denn nun niemand zur Weinprobe mit original georgischem in der Erde vergessenem Amphorenwein? Weil für eine Reise, bei der BuchbloggerInnen etwas über georgische Literatur lernen sollen, bisher erstaunlich wenig Kontakt mit georgischen Büchern passiert war. In der Bibliothek sahen wir nur repräsentative Räume und Lesesäle für ausländische Bücher; eine Buchhandlung [Prospero’s Books & Caliban’s Coffee], auf die sich einige bereits erwartungsvoll gestürzt hatten, bot vor allem englischsprachige Bücher an. Nachfragen dazu, ob es etwa eine Buchpreisbindung gibt oder ob es georgische Kinderbücher vergleichbar zu Pippi Langstrumpf o.Ä. gibt, scheiterten teilweise an der Sprachbarriere. Insofern wurde umdisponiert, um statt der Weinprobe doch lieber einen Buchladen zu besuchen.“

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Obwohl zur Nationalbibliothek auch ein „Book Museum“ und Ausstellungen gehören, sehen wir, insgesamt, kaum Bücher: Der Raum selbst ist VIEL interessanter als die Literaturvermittlung dort. .

Toll und fotogen: die Zettelkästen in der Nationalbibliothek. Deprimierend: dass sie tatsächlich immer noch benutzt werden. Beruhigend: Die vielen Online-Arbeitsplätze im Keller, und das Selbstverständnis, dass Bibliotheken nicht nur Bücher, sondern auch Netz und digitale Informationen zur Verfügung stellen [also: einen Third Place bieten].

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Bibliotheksleiter Giorgi Kekelidze, geboren 1984, lehrt, schreibt u.a. Lyrik für Kinder, moderiert eine TV-Sendung über Literatur. Über seine Karriere zu reden hätte mich mehr interessiert, als die Bibliothek zu sehen. Wikipedia: „His poetry does not include social or patriotic topics. Folklore is more interesting sphere for him. In 2016, his “Gurian Diaries” book 2 is the bestseller of the year in Georgia.“

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*Nichts* auf der ganzen Reise fand ich gestriger, öder als dieses… Kunschtwerk in der Nationalbibliothek. Mich erleichtert, freut, dass es nicht aus Georgien stammt: der Künschtler heißt Karl Eimermacher und ist Professor / Slawist.

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Im Kino: Die exakt selben Filme, die auch in Deutschland gerade starten. Ich lasse mir am Geldautomaten 50 Lari auszahlen (ca. 17 Euro): Das reicht für zwei Taxifahrten inkl. Trinkgeld (je 10 Lari), ca. fünfmal Wasser, Energy Drinks, Aloe-Vera-Limo etc. (meist 1 bis 2 Lari), ein paar Schokoriegel für meinen Partner daheim; und zwei, drei süße Snacks unterwegs. Das Durchschnittseinkommen liegt bei ca. 280 Euro im Monat. Alles, was ich kaufe, kostet ca. ein Sechstel von dem, was ich in Deutschland zahlen würde.

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Überall auf den Straßen: alte Bücher auf Russisch und Georgisch, für 1 bis 3 Lari (30 Cent bis 1 Euro). Keine antiquarischen Schätze – sondern Paperbacks und Klassiker, oft sehr abgegriffen. Dass solche Bücher in Georgien noch verkäuflich sind (…während sie in Deutschland meist weg geworfen oder in öffentlichen Bücherschränken verschenkt werden) lässt mich fragen, ob in Georgien die „Lies Klassiker, das gute Buch. Das bringt dich weiter!“-Idee, die ich aus meiner Kindheit in den 80ern noch kenne, doch die heute eher verlacht wird, länger überlebt als in Europa. #aufstiegschancen #bildung

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Matthias Warkus schreibt: „Es gibt übrigens viele politische Parallelen zu Estland (ich war 2012 mal zehn Tage in Tallinn), z.B. auch, dass man das Land als seit dem Ersten Weltkrieg unabhängig betrachtet und die Sowjetzeit als Besatzung ansieht. Wir werden am Sonnabend die Feierlichkeiten zum 100. Unabhängigkeitstag erleben. Eine recht rigide Sprachpolitik erinnert an Québec: Ähnlich, wie dort keine englischsprachige Inschrift ohne eine deutlich größere französischsprachige stehen darf, müssen hier öffentliche Schilder und Logos immer auch in georgischen Buchstaben gehalten sein, weswegen H&M hier ein riesiges georgisches Logo hat; das uns bekannte findet sich deutlich kleiner darunter.“

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Zum Essen treffen wir die Autoren Beka Adamaschwili („Bestseller“) und Abo Iaschagaschwilli. Beka war Blogger, bevor ihm Facebook den Wind aus den Segeln nahm, arbeitet in einer Werbeagentur („Unsere erfolgreichsten Kampagnen waren eine Hängematte, von Drohnen getragen, und kleine Hamster, die Miniatur-Junk-Food verspeisten“) und schreibt an einem Roman, in dem ein Mann durch Bücher reist und versucht, Romanfiguren wie Sherlock Holmes vor dem Tod zu retten.

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Abo führt uns nach dem Essen fast sieben Stunden lang durch Tiflis. Er schreibt historische Krimis. In Deutschland erschien Band 2, „Royal Mary“. Klappentext: „Eine Stadt, die ein Schmelztiegel der Kulturen war: Tiflis gegen Ende des 19. Jahrhunderts. Die Atmosphäre dieser Stadt, Bilder von Märkten, Spelunken und Palästen, exzentrische Typen, fremde Mächte, ja fast die Gerüche einer vergangenen Zeit – mit Witz und Virtuosität fängt Iaschaghaschwili all das ein, und erzählt doch von Mord und Totschlag. „

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Großer Innenhof, Gratis-WLAN (wie in vielen Restaurants), solides Essen: das zwanglose (HIpster?-)Café / Restaurant „Ezo“

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Fassaden, Stadtgeschichte, eine lange Tour durch die Stadt: Unsere Reisegruppe ist für einige Stunden zweigeteilt. Die andere Gruppe besucht das Georgische „Haus der Schriftsteller“ [keine Fotos von mir]. Über die dort ausgestellten Tiere und die stalinistischen Morde / Erschießungen schrieb Davit Gabunia das Theaterstück „Tiger und Löwe“, aufgeführt u.a. am Staatstheater Karlsruhe.

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Ein unrestauriertes Treppenhaus, keine 50 Meter unterhalb des Restaurants (Ezo: 16 Geronti Kikodze St.): Viele Türen in Innenhöfe und Mietshäuser stehen offen; als wir ankamen, probten ca. Zwölfjährige dort gerade eine Choreographie.

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Viele Mitreisende sind von Georgien fasziniert, seit sie Nino Haratischwilis 1200-Seiten-Roman „Das achte Leben“ (2014) lasen.

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Knut Krohn schreibt: „Hoch über der Stadt, auf der Burg, thront Nino, die Schutzheilige Georgiens. Der Legende nach soll die Syrerin im 4. Jahrhundert nach Christus zur Christianisierung Georgiens beigetragen haben. Das Momument stammt noch aus der Zeit der Sowjetunion.“

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Wir sieben Blogger*innen machen irrsinnig viele Fotos, holen in Restaurants oft das Handy raus und probieren, so aktuell / live wie möglich alles hier zu zeigen, aufzugreifen, überall zu teilen. Falls unser Stadtführer genervt war oder uns belächelte, ließ er sich das nicht anmerken. Schön, mal in einer Gruppe zu sein, in der das viele Dokumentieren die Norm ist – und nichts, für das wir uns rechtfertigen mussten: HIERFÜR waren wir in Georgien. So albern das auch, von außen, oft gewirkt haben muss.

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Reisen UND Bloggen kriege ich beim engen Zeitplan und ohne WLAN außerhalb des Hotels kaum hin: Ich sammle vier Tage lang Eindrücke, mache mir viele Notizen und probiere, so präsent und wach wie möglich zu sein. Die Nachbearbeitung der Reise (Fotos sortieren, bearbeiten, teilen; Links sammeln; Recherchieren; Twitter, den Blog, Facebook, Youtube etc. bespielen) kostet mich am Ende vier weitere Tage. Trotzdem: jederzeit wieder!

My-Travelworld schreibt: „Tiflis selbst ist sehr charakteristisch durch sein kleines und gut erlaufbares Zentrum, den umliegenden Anhöhen sowie seiner Kompaktheit im Allgemeinen. Obwohl die Stadt rund 1.000.000 Einwohner hat, ist sie flächenmäßig deutlich kleiner als zum Beispiel meine Heimatstadt Dresden. Vor allem von oben wundert man sich schon, wie in diese kleine Stadt eine ganze Million Menschen passen sollen. „Von oben“ ist auch direkt das Stichwort, denn um Tiflis herum befinden sich relativ viele Gebirgszüge, die nicht nur tolle Ausblicke ermöglichen, sondern auch ein kleines und vor allem grünes Naherholungszentrum darstellen.“

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Betreut wurden wir von der Bonner Agentur „projekt2508“. Wir konnten jederzeit *alles* fragen.

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Überall im Stadtbild – auch meist als Muster / Ikonografie im Schmuck und als Symbol in Metallgittern, Zierleisten, Kacheln etc.: Weinreben.

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„Deutsche Bau- und Brandschutzbehörden würden durchdrehen hier – besonders bei all den Außenbalkonen.“ Ich mag die Stadt sehr – doch treffe immer wieder Menschen, die bei überirdisch geführten Stromkabeln „Alles hier ist hässlich und primitiv!“ rufen. (Auch z.B. in Kanada und Japan. Ich selbst mag das.)

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Überall: fotogene Straßenkatzen und -Hunde. (Das Buch auf dem Müllcontainer wurde nicht von uns drapiert.)

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Das Bäderviertel: historische Schwefelbäder mit Kuppeldächern, ca. sieben verschiedene Betreiber, direkt bei einander. Einzelkabinen / kleine Wannen; aber auch größere Pools. Eintrittspreis laut Reiseführer: ca. 5 Lari, dazu ca. 10 für eine Massage. Im ersten Bad, das ich – mit 15 Rest-Lari – betrete, soll ich 40 Lari zahlen. Ich habe keine Geldkarte dabei und muss passen.

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Der Drescher-Reiseführer schreibt: „Das Zentrum Tbilisis liegt terrassenförmig zu beiden Seiten der Mtkvari. Im 18. Jh. bis auf die Grundmauern niedergebrannt, wird es durch die Residenzen und Wohnhäuser aus zaristischer Zeit geprägt.“ Der Fluss führt viel Lehm mit sich und ist ganzjährig so braun.

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Matthias Warkus schreibt: „Tiflis ist eine ungeheuer sympathische Stadt, relativ ruhig und dezent beleuchtet, in einem Talkessel mit wahnsinnigen Aussichten, mit einem gewaltigen kulturellen Erbe, aber auch einer Ader für radikal moderne Architektur, die befremdlich anmutet, wenn man aus Deutschland anreist, und zu der ich sowohl online als auch unter den Mitreisenden sehr unterschiedliche Meinungen gehört habe. Es gibt eine Oberstadt mit Gassengewirr, vielen Treppenstraßen, historischen Kirchen und einer Festung drüber.“ Das schlauchförmige Gebäude im Bild? Die Konzert- und Ausstellungshalle.

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Die Festung Nariqala. Gute Aussicht über Tiflis – aber, finde ich: kein Muss. Der Kirchgarten etwas unterhalb war stiller, einladender, sehenswerter.

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Schon seit dem 4. Jahrhundert ist Georgien christlich. Der Trescher-Reiseführer: „Georgien und Armenien sind die beiden östlichsten Länder, in denen sich das Christentum als Staatsreligion durchsetzen und halten konnte.“

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Mein Job in den nächsten Monaten: Georgische Bücher in deutscher Übersetzung anlesen, u.a. alle Titel, die im „Perlentaucher“ vorgestellt wurden (Link). Die Titel, die Georgia-Insight vorstellt (Link) durchgehen. Und die Liste von Georgian Characters (Link).

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Nur auf Goodreads kann man schlecht nach georgischer Literatur suchen: das Tag „Georgian“ meint dort meist: Südstaaten-Romane. „Georgia“ (das Land) bei Goodreads: Link. Bücher, die in Tiflis spielen: Link.

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Oliver Zwahlen schreibt: „Im 17. Jahrhundert gab es über 70 unterschiedliche Badehäuser. Heute kannst du nur noch unter einer handvoll Bädern deinen Favoriten aussuchen. Die meisten sind unterirdisch unter einer Kuppel im persischen Stil. Nur ein Bad (das blaue Gebäude im Bild oben, das wie eine Moschee aussieht) ist überirdisch. Wir testeten das „Royal Bath“: Da angeblich alle kleinen Privaträume besetzt waren, gönnten wir uns für 40 Euro pro Stunde den grössten Pool, in dem problemlos eine ganze Schulklasse Platz gefunden hätte. Das mit hübschen Kacheln verzierte Bad war nicht ohne Charme. Luxuriös wirkte es aber trotz des vielen Platzes nicht, da die Einrichtung doch etwas verlottert aussah.“

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Bettler gehören offenbar erst seit ca. 15 Jahren zum Stadtbild. Oft sehen wir auch Menschen in Rollstühlen, Amputees in Armee-Uniformen oder Frauen, die mit ihren Babys oder Kindern betteln, auch nachts. Oft werden rechte Parteien gewählt, weil sie eine bessere Krankenversicherung / -versorgung versprechen.

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Oliver Zwahlen schreibt: „Auch wenn es bereits eine Reihe von grossangelegten Renovationen gab, ist der Verfall der alten Bausubstanz in vielen Stadtteilen noch immer deutlich sichtbar. Besonders stark betroffen sind die Häuser in der Altstadt und in der direkten Umgebung des Präsidentenpalasts. Aber eigentlich muss man nirgendwo weit gehen, um windschiefe Häuser und eingestürzte Dächer zu sehen. Oft schockiert es, dass in solchen Gebäuden noch Menschen wohnen müssen. Wieso das so ist, habe ich in dieser Reisedepesche beschrieben. Was mir zunächst nicht klar war: Die Häuser sind nicht einfach verwahrlost, sondern teilweise erklärt sich ihr Zustand mit einem schweren Erdbeben im April 2002, das über 10.000 Gebäude beschädigte und sechs Menschenleben forderte.“

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Schöne Ort: der Innenhof von „Prospero’s Books“, nicht weit vom Rustaveli-Platz. Der Kaffee, Iced Latte etc. schmeckte wie ein misslungenes Filterkaffee-Experiment; und als Buchhandlung taugen die Prospero’s-Filialen nicht: eine Handvoll Mainstream-Bestseller im Taschenbuch, deprimierender als jede Flughafen-Buchhandlung.

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Matthias Warkus schreibt: „Es gibt in Georgien laut Factsheet des Veranstalters 50 Buchläden und das durchschnittliche Buch kostet umgerechnet 3,99 €. Eine Preisbindung gibt es nicht und Amazon ist kein Thema. Die größte Buchhandelskette gehört dem größten Verlag, die Probleme, die sich daraus ergeben, liegen auf der Hand. Die gesamte Verlagsbranche setzt knapp 4,5 Mio. € jährlich um, pro Jahr erscheinen 3000–4000 Titel, davon 45 % Übersetzungen.“

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Der größte Supermarkt, den wir im Zentrum fanden. Importierte europäische Produkte, z.B. von Ferrero, sind absurd teuer. Auch Kaffee und Tee sind ein Statussymbol; ihre Preise erinnern mich an Deutschland in den ca. 60er Jahren. Ich war in ca. 7 georgischen Supermärkten, vom teuren ‚Spar‘ über Kiosks und Bodega-ähnliche Eckläden bis zu ‚Smart‘, und hätte gern noch mehr getestet, gekauft, ausprobiert.

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Karla Paul schreibt: „Ich sah selten einen Ort, an dem so viele Völker & Baustile wortwörtlich zusammenkrachten und es sich dennoch richtig und gut anfühlt. Die Stadt ist im Aufbau und Anbau, auch gesellschaftlich und belohnt jedes Suchen durch Finden, jede Neugier durch wunderschöne Hinterhöfe, Treppenhäuser, tausend versteckte Schätze und hinter jedem steckt eine Geschichte – ich will sie alle lesen!“

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Matthias Warkus schreibt: „Unser Stadtführer, Abo Iaschagaschwili, ist Bergführer und erfolgreicher Schriftsteller – selbst erfolgreiche Schriftsteller brauchen bei einem so kleinen Büchermarkt (das Land hat eine Bevölkerung von ca. 4,5 Mio.) immer einen Hauptberuf, haben wir mehrfach gehört. In den letzten vier Jahren hat die georgische Literaturszene und der Büchermarkt einen kleinen Boom oder zumindest einen großen Anschub dadurch erlebt, dass der Gastlandstatus bei der Buchmesse seinen Schatten voraus warf – man macht sich als naiver Deutscher gar keine Gedanken darüber, welche Bedeutung dieses Ereignis offenbar haben kann.“

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Abo Iaschagaschwilis Führung macht auch Spaß, weil er fast perfektes Deutsch spricht – das er, scheint mir, aus alten Büchern lernte: Er benutzt Worte wie „Zecherei“, liest Passagen aus der Weltliteratur vor… Bucht ihn für Stadtführungen! Kontakt z.B. via Instagram (Link).

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Schönes Viertel für Spaziergänge: die engen Gassen zwischen Rustaveli Square (im Tal) und Makashvil Street (oben am Hang; bei unserem Hotel). Weil viele Straßen den Berg hoch als Sackgasse enden, habe ich mich bei drei Versuchen, neue oder andere Routen zu finden, verlaufen: Hoch kommt man *immer* nur übers Gelände der Mikhail von Tver-Kirche.

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„Fabrika ist eine instandgesetzte ehemalige sowjetische Nähfabrik, die ‚wiederbelebt‘ und in einem multifunktionalen Stadtraum verwandelt wurde mit Cafés und Bars, Künstlerateliers und Geschäften, Bildungseinrichtungen, Co-Working-Spaces, dem größten Hostel der Region, einem Innenhof und ständig wechselnden Veranstaltungen.“ fabrikatbilisi.com

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„Wir haben bereits 2013 deutsche Literaturkritikerinnen und -kritiker sowie Journalistinnen und Journalisten eingeladen, unser Land zu besuchen und über kulturelle Themen in Georgien zu schreiben. Meiner Meinung nach macht es einen riesengroßen Unterschied ob man nur über georgische Literatur liest und schreibt oder ob man den kulturellen Kontext dieser Werke selbst entdeckt, in dem man das Land bereist, die Kultur am eigenen Leib erfährt, die Natur erlebt, die Menschen vor Ort trifft und mit den Autorinnen und Autoren ins Gespräch kommt.“ Link

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Medea Metrevelli vom Georgian Book Centre lädt uns ins Restaurant Tone (auf dem Fabrika-Gelände). Interview: Link (etwas hölzern übersetzt. Medea ist lebendiger, frisscher, als sie hier klingt!)

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Essen mit ca. 9 georgischen Schriftsteller*innen. Ich sprach leider nur mit Zurab Karumidze länger. Anthologien, um georgische Gegenwartsliteratur kennen zu lernen? „Techno der Jaguare“ (nur Autorinnen, 2013) und „Bittere Bonbons“ (nur Autorinnen, 2018).

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Deko: ein Betonkiosk aus Sowjet-Zeiten. Ich kenne die K67 Steckmodul-Kiosks aus Slowenien, die unter Design-Fans oft viral gehen.

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Essen mit Autor Zurab Karumidze – der sofort fragt, ob ich die Buchblogger Jochen und Gerard kenne (…die seinen Roman „Dagny oder: Ein Fest der Liebe“ vor Monaten empfahlen / besprachen.)

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My-Travelworld schreibt: „Das Preisniveau in Georgien ist noch sehr moderat und sehr budgetfreundlich. Besonders Früchte, Metrofahrten in Tiflis, kurze Busfahrten, Bäckereierzeugnisse oder Eis bewegen sich im unteren Centbereich. Auch ein Besuch im Restaurant belastet mit umgerechnet 3-4 Euro für ein Hauptgericht sowie 1 Euro für ein Bier nur mäßig die Urlaubskasse. Günstige Unterkünfte gibt es nahezu überall ab 10 Euro (Backpacker-Unterkünfte z.T. auch darunter) und auch gehobene Hotels sind deutlich günstiger zu buchen als in Mitteleuropa.“

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Matthias Warkus schreibt: „Das georgische Essen ist exzellent trotz oder gerade wegen großen Koriandereinsatzes und hat, wie auch das Sichbegrüßen mit Küsschen und die Weinkultur, etwas geradezu Französisches: Zu Mittag gab es Brot mit unterschiedlichen Dips, verschiedene hervorragende Salate, eine Hühnersuppe mit enorm viel Fleischeinlage, Gemüseschmorgerichte mit und ohne Fleisch, zu Abend ein gewaltiges Buffet mit u.a. dem salzigsten Käse der Welt, verschiedenen Quiches und Patés usw. Das Brot wird tandoorimäßig frisch gebacken, indem man Teig an die Wand eines großen heißen Tongefäßes klatscht.“ [auf dem Foto, im Vordergrund: Steinbackofen mit Metalldeckel, an dessen Wänden das Brot gebacken wird.]

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Das alte, brutalistische Postgebäude: heute ein Supermarkt. Hier im Bild? Der erste McDonald’s Georgiens, eröffnet 1999.

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Matthias Warkus schreibt: „Morgens ab 10: ein Besuch im Nationalmuseum, wo wir steinzeitliche Funde aus Dmanisi (der älteste Fund von Homininen außerhalb Afrikas) und beeindruckenden Schmuck aus frühen georgischen Kulturen sehen konnten.“

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Sehenswertes Gebäude; und sympathische Einführung durch den Museumsleiter, David Lordkipanidze – charismatisch, engagiert.

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Wir verbrachten zu viel Zeit in der frühgeschichtlichen Abteilung: eine Archäologin führte uns in schleppendem Englisch durch die Repliken / Abgüsse verschiedener Schädel, und brauchte viel zu viel Zeit, um zu erklären, wann man von „Proto-Georgiern“ spricht, und ab wann von modernen Georgiern.

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Weil sich der Museumsbesuch so schleppte, entfiel für einen Teil der Gruppe der Besuch der Nationalgalerie. Schade!

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Georgien-Reise.com: „Die überwiegende Mehrheit der Protogeorgier siedelte längs des Flusses Mtkwari in Zentralgeorgien, wo sie mit Jahrhunderten eine eigene Sub Ethnie, die Kartlische, bildeten. Die Georgier betrachten diese Kultur als Ihren Ursprung, weshalb sie bis heute ihr Land als ,,Sakartwelo’’ (der Ort, wo die Kartlier leben) bezeichnen. Ungeachtet der komplizierten ethnischen Struktur, begannen sich die Georgier sehr früh als ethnische Gemeinschaft zu sehen und zu fühlen, was mit der Annahme des Christentums in relativ kurzer Zeit zur geistigen und kulturellen Einigung des Landes führte.“

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Sehenswerter als die Hominiden-Ausstellung: die wunderbare „Schatzkammer“ / „Treasury“-Ausstellung. Kritik auf Tripadvisor: „Wir haben und das gesamte Museum angeschaut, was man aber unbedingt sehen sollte, das ist die „Schatzkammer“ im Kellergeschoß: die Exponate (zumeist in Gold) sind teilweise unglaublich, wenn man bedenkt, aus welcher Zeit sie stammen (der erste kleine goldene (?)Löwe aus dem 3. Jahrtausend vor Christus!)“

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Viele Schmuckstücke scheinen ihrer Zeit weit voraus: Hier hätte ich gerne länger zugehört, mehr erfahren. Infos: Link. Mitreisende Angie Martins schreibt auf Litaffin: „Gold hat für Georgien eine besondere Bedeutung. Traditionell wurde von den Swanen, einem georgischen Bergvolk, in den Bergflüssen des Landes der Goldstaub mit einem Schafsfell aus dem Wasser gewaschen. Der griechisch-antike Mythos vom Goldenen Vlies geht auf diese mit Goldstaub getränkten Fälle zurück. Medea, Königin von Kolchis am Schwarzen Meer (dem heutigen Westgeorgien) soll nicht nur ihre Kinder getötet, sondern auch Iason beim Raub des Goldenen Vlieses geholfen haben. Und auch heute noch heißen georgische Frauen manchmal Medea, wie die Leiterin des Georgian National Book Centers, das die Pressereise mit organisiert hat.“

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Haarnadeln, die man auch in Kleider stecken kann und zum Reinigen von Zähnen, Fingernägeln etc. Der Name „Ear Picks“ macht mir bei den ca. 12 Zentimeter langen Metallstäben… Angst.

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Was ich noch gern gesehen hätte, zum Vergleich: eine Filiale der großen georgischen „Biblus“-Buchladenkette. Auch vom georgischen Zeitschriftenmarkt sah ich – in Supermärkten und an Kiosken – kaum etwas. Second-Hand-Bücher sind VIEL präsenter, überall.

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Restaurants in Tbilisi, die ich gern getestet hätte: People’s, Organique Josper Bar, Sololaki und, außerhalb: Keto and Kote.

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Immer wieder: Essen – und gleichzeitig Autor*innen kennen lernen, die nur für die Dauer der Mahlzeit zu uns stoßen. Die Fusion-Gerichte im hipsterigen „Lolita“ erinnern mich an Dean-&-David-Salate und -Bowls (lecker; doch nicht besonders lokal, authentisch, markant).

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Bei jedem Essen stießen ein, zwei Schriftsteller*innen zu uns. Tollste Begegnung, größtes Privileg: Tamar Tandaschwili zuhören, wie sie hyper-reflektiert über ihre Arbeit als Traumatherapeutin und LGBTQ-Aktivistin spricht… und die Romane und literarischen Arbeiten, die überraschend aus ihren Jobs erwuchsen.

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Matthias Warkus schreibt: „…eilten wir hurtig zu einer Probe des Georgischen Staatsballetts. Das 1945 durch ein Paar von Choreographen gegründete Ballett ist bis heute ein »Familienbetrieb«. Die vorgeführten Tänze sind eine Synthese aus georgischer Folklore und modernen Einflüssen. Wir saßen im Probesaal direkt vor der Spiegelwand und damit teils erschreckend nahe an der Truppe, was hier ein besonders treffender Ausdruck ist, da die Tänze sehr kriegerisch daherkommen. Bei stilisierten Kämpfen knallten Bühnenschwerter tatsächlich funkensprühend aufeinander, Tänzer wirbelten direkt vor uns über den Boden; das alles zu (vermutlich) live gespielter traditioneller georgischer Musik. Ich habe mir sagen lassen, dass dieses Ballett das einzige der Welt ist, bei dem Männer auf Spitzen tanzen, und das tun sie tatsächlich; sie tragen zudem auch Knieschoner, weil viele Sprünge auf den Knien gelandet werden, was schon zu etwas mulmigem Mitgefühl für die eine oder andere arme Patella führen kann.“

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Matthias Warkus schreibt: „Während die Männer also athletisch-aggressive, teils bewaffnete Choreographien aufführen und im Vergleich zu klassischen Corps de ballet recht wenig genormte Körpertypen haben, dürfen die Frauen sich körperlich offensichtlich weniger unterscheiden und haben vor allem »anmutige« und weniger aufregende Parts. Am Abend konnte ich mich noch einmal kurz mit Davit Gabunia über das Ballett unterhalten und er hat mir versichert, dass es inzwischen auch modernere Choreographien gibt, bei denen zum Beispiel die Frauen die traditionellen Männerparts übernehmen und andere Innovationen stattfinden.“

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Was für ein Privileg: Aus oft nur ein, zwei Metern Entfernung zusehen zu dürfen, wie diese Menschen sich verausgaben. Ich bin kein Fan von Choreographien, Paraden usw., bei dem der Einzelne in der Masse verschwindet. Sobald mehrere Menschen die selbe Bewegung machen (müssen), wirkt das auf mich beklemmend, totalitär.

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Beklemmend, für mich: Auf der Straße sah ich kaum gender-nonconforming Menschen. Kein Mann hier wirkte… tuntig, exaltiert, queer, theatral. Und selbst hier, im Ballett, sehen die Männer aus (und halten sich!) wie Dudes oder Clubber: viele Bandanas, Skateboard- und McFit-Kleidung. #heteronormativ

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Ich bin froh, statt einer Aufführung nur eine Probe zu sehen – weil die Tanzenden sonst unter historischen Kostümen / Trachten weitgehend verschwinden. Die beiden Solisten hier im Foto fand ich großartig – ich hoffe, sie auf Instagram o.ä. finden zu können. Edit: Yeah! David Chanishvilii (Instagram). Seine Kollegin suche ich noch.

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Wie funktioniert der georgische Buchmarkt? Welche Bücher werden nachgefragt, welche Themen dominieren? Auf Karlas Engagement und Drängen hin (vielen Dank!) besuchen wir am Freitag – statt einer Weinprobe – die Buchhandlung „Santa Esperanza“.

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Matthias Warkus schreibt: „Aus David Gabunias Langreferat zu georgischer Literatur habe ich vor allem mitgenommen, dass ich bei Gelegenheit einmal Aka Mortschiladses Santa Esperanza lesen möchte, einen nichtlinearen phantastischen Roman über ein fiktives Archipel im Schwarzen Meer.“ Nach diesem 850-Seiten-Roman (Link, Goodreads: 4.1 von 5) ist die Buchhandelskette benannt. Mich schrecken die satirischen Illustrationen eher ab.

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Als Bundle, Angebot im Doppelpack: „Watchmen“ (mochte ich) und „The Killing Joke“ (mochte ich auch, doch geht krass frauenverachtend mit Batgirl Barbara Gordon um).

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Eine Nationallegende? Das Epos vom Recken im Tigerfell. Der einzige georgische Comic bei Santa Esperanza erzählt eine ähnliche Geschichte über einen jungen Mann und einen Tiger, die sich gegenseitig im Kampf töten. Dann erhält die trauernde Mutter Geister-Besuch von der trauernden Tiger-Mutter.

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Marvel-Zeichner David Mack („Jessica Jones“) gibt Kurse für georgische Jugendliche und entwarf mit ihnen zusammen die Graphic Novel „Fatal Error“. Bei Santa Esparanza sah ich die Mainstream-Klassiker „The Dark Knight Returns“, „V for Vendetta“ und „Persepolis“.

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Am 9. Juni 2018 findet das erste „Georgia Comic and Games Festival“ statt – nach dem Vorbild amerikanischer Comic- und Cosplay-Messen. Welche US-Heldencomics von „Big Time“ ins Georgische übersetzt werden, konnte ich online nicht raus finden. Der Buchladen hatte nur ca. 12 Hefte „Spider-Man“. [Das Original erschien 2011: „Amazing Spider-Man 654“]

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Haruki Murakami.

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Alle, älter als ca. 35, lernten in der Schule noch Russisch: Im Buchladen werden fast so viele russische (und: englische) Bücher verkauft wie georgische Titel.

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Erster Gedanke: „Harry Potter“? Waisenkinder, Fantasy, historisch, humorvoll… „A Series of Unfortunate Events“? [Edit: Ja! Die Cover sind international.]

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Die georgische Ausgabe von „Harry Potter“ erscheint bei Bakur Sulakauri Publishing. Wir sprachen überraschend mit dem Sohn des Verleger-Ehepaars. Hintergründe? In Annabelle Stehls Video, ab Minute 10:30.

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Klassiker, bewusst im Retro-Look. Trotzdem wirken die meisten georgischen Bücher in Sachen Buchdesign, Papierqualität, Ausstattung etc. auf mich wie deutsche Bücher bis Mitte der 90er (…oder Selfpublishing-Titel heute). Wichtig für Gegenwartsautor*innen? Jährliche „Book Festivals“, bei denen aktuelle Bücher zum Sonderpreis (auch: in besonderen Ausgaben?) in großer Auflage verkauft werden.

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Minimalistische und sehr zeitgemäße Buchcover im Stil der „Penguin Classics“-Reihe.

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Karla Pauls ausführliche Instagram-Stories, u.a. ihr langes Gespräch mit dem Santa-Esperanza-Buchhändler, kann man hier, bei „Tag 2“, nachschauen (im Browser u.a. mit Firefox):

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Stereotype Mädchen-Bücher: vieles wirkt ästhethisch auf dem Stand von Deutschland ca. 2005. #rosahellblaufalle

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Eines der (extrem wenigen) Kinderbücher, die ich zeitgemäß illustriert fand: „Gullivers Reisen“ für Zweit- oder Drittklässler.

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Georgische Literaturzeitschriften? Lyrik? Kleinverlage? Blogs? Wichtige Facebook-Seiten, Instagram-Profile, Multiplikator*innen? Alles noch nicht recherchiert. Beka Adamashwili sagt, seit ca. 2010 sind Debatten auf Facebook wichtiger: Kaum jemand bloggt noch.-

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„Do you sell LGBT fiction, too?“ – „Yes, of course“, sagt die Santa-Esperanza-Verkäuferin… und braucht zwei Sekunden, um ihre Empfehlungen aus dem Regal zu ziehen.

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Seit über zwei Jahren esse ich keinen Zucker und keine Kohlenhydrate mehr [Keto / LCHF], doch in Georgien wollte ich kulinarisch alles mitnehmen, ausprobieren. Es gab sieben größere Mahlzeiten (einmal im Hotel sowie drei Mittag- und drei Abendessen), die für die Gruppe organisiert wurden und bei denen wir nicht selbst bestellten: große Buffets bzw. Gastmahle aus vielen kleineren Speisen – oft viel Salat, Suppen, kalte Häppchen.

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Große westliche Ketten, überall in Tiflis: McDonalds, Wendy’s und Dunkin Donuts (Starbucks, Burger King etc. sah ich nicht). Der „GEO“-Donut wirkt auf mich ideenlos und armselig: Mit der georgischen Landesflagge hältte man leicht nen schöner localized Signature-Donut gestalten können.

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Georgia-Insight schreibt: „Zu Beginn des 20. Jahrhunderts fand ein reger Austausch zwischen Georgien und Westeuropa statt. Viele Georgier wie Grigol Robakidse (1882-1962) oder Konstantin Gamsachurdia (1893-1975), der Vater des zukünftigen ersten Präsidenten, studierten in Deutschland, Österreich und der Schweiz und kamen dort in Kontakt mit deutschen Schriftstellern wie Stefan Zweig und Thomas Mann. Verschiedene Literaturbewegungen entstanden, wie die avantgardistische Schriftstellergruppe „Tsisperi Kantsebi“ (Blaue Hörner) und wurden zur treibenden Kraft des intellektuellen Lebens im Kaukasus. Unter Stalin wurden alle moderne Literaturbewegungen vom Staat unterdrückt und den stalinistischen Säuberungen fielen auch zahlreiche georgische Schriftsteller zum Opfer. Fast die Hälfte der Gruppe „Tsisperi Kantsebi“, kam dabei um.“

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Überall an Straßenständen: alte Deutschbücher und -Sprachkurse. Auch die deutsche Bibliothek in Tiflis wird überwiegend von Georgiern besucht.

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Ähnlich wie bei Donauschwaben in Rumänien siedelten auch in Georgien seit ca. 1763 schwäbische Piätisten in eigene, anfangs steuerfreie Gemeinden. Fast jeder, mit dem wir länger sprachen, hat diese „Kaukasiendeutschen“ erwähnt – und erklärt, wie viele deutsche Worte, Schilder etc. es im georgischen Alltag gibt. [Die Nestlé-Marke „Alpengold“ kommt, glaube ich, aus Polen.] Die wichtigste deutsche Siedlung hieß Katharinenfeld; es gibt bis heute eine deutschsprachige Monatszeitung namens „Kaukasische Post“.

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Überall in Tiflis: Jugendstilbauten und -Elemente.

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Ein Running Gag, während unserer Reise: Der *sehr* pessimistische Georgien-Reiseführer aus dem „Reise Know-How“-Verlag, der vor Überfällen warnte, Minenfeldern usw. und den wir nur „Reiseführer des Todes“ nannten. Das einzige, das mich selbst verunsicherte, anstrengte: Der Rat, kein Wasser aus dem Hahn zu trinken – und die logistische Mühe, auch außerhalb der Mahlzeiten immer genug Trinkwasser mit zu schleppen.

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Ich kenne die Standseilbahn / „Bergbahn“ aus Heidelberg: Mein Partner lud meine Mutter 2015 auf eine Fahrt ein und würde seitdem, als Ritual, am liebsten jedes Mal damit fahren, wenn wir in der Stadt sind.

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Ich glaube, georgische Literatur ist gut vermittelbar, weil sie sich *eh* fast immer an eine nicht-georgische Leserschaft wendet. Zurab Karumidze: „Ich habe dieses Buch nicht für Georgier geschrieben. Die wissen das meiste davon. Ich spiele natürlich mit den Motiven, so frei manchmal, dass viele sagen: Hey, geh‘ nicht zu weit. Ich habe das Buch für eine Leserschaft außerhalb Georgiens geschrieben, und die ist riesig. Teil der Essenz dieses Buchs ist es, eine gute Einführung in diese unbekannte Kultur zu geben: in Georgiens Narrative, seine Geheimnisse, seine Geschichte, seine Kultur, seine Identität, seine Idiosynkrasien, that´s it!

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Oliver Zwahlen schreibt: „Hoch über der Stadt thront der Vergnügungspark Mtazminda. Das Gelände ist leicht zu finden: Es befindet sich am Fusse des 275 Meter hohen Fernsehturms, den du praktisch von der ganzen Stadt siehst. Leider verfügt der Sendeturm über keine Plattform, die für Besucher zugänglich ist. Aber auch vom Rand des Vergüngungsparks hast du eine tolle Aussicht auf Tiflis. Besonders eindrücklich ist der Ausblick allerdings von den kleinen Kabinen des Riesenrads. Es gibt auch eine Achterbahn, eine Wildwasserbahn, zahlreiche Marktstände und Restaurants sowie ein bizarrer Jurassic Park mit animierten Dinos. Die Fahrten und Eintritte sind sehr günstig und die Bahnen nicht besonders stark frequentiert.“

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Die Dachterrasse des Restaurants Funicular. Mein Partner, schockiert nach dem Blick auf die Fotos: „DA sitzen sie also. Auf ihrem Olymp! Und blicken auf uns Normalsterbliche hinab.“ Einer der… prunkvollsten Abende meines Lebens – keine Frage. Link: Fotogalerie

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Grandiose Aussicht, solides Essen, unvergesslicher Abend. Nur die viel, viel zu langen Tischreden nach jedem Gang waren… peinlich patriarchal. #mansplaining

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Jeder von uns sieben Influencer*innen / Blogger*innen setzt andere Schwerpunkte für die Reise: Karla Paul (links), Florian Valerius und Alexandra Stiller produzieren noch vor Ort lange Instagram-Stories. Annabelle Stehl filmt für ihren Youtube-Kanal „Stehlblüten“. Matthias Warkus‘ umfangreiche, präzise Blogposts für 54Books habe ich hier im Post ausführlich zitiert. Angie Martiens von „litaffin“ führte vier oder fünf sehr lange Interviews vor Ort. Als die Zeit mit Davit Gabunia knapp wurde, kam er einfach mit zum Essen. Ich freue mich auf die Texte!

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Kein Buch über Georgien: Angela Steideles „Anne Lister: eine erotische Biografie“ ist bisher mein Buch des Jahres 2018. Steidele liest die Tagebücher der britischen lesbischen Noblewoman und folgt ihr u.a. auf einer Reise durch den Kaukasus. Trotz ca. 15 Seiten Text, die in Georgien spielen, habe ich beim Lesen wenig über das Land erfahren. Aber…

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…weil Steidele für die Recherche mit ihrer eigenen Partnerin, Susette Pia Schuster, Anne Listers Route via u.a. Moskau 200 Jahre später nach-reiste, erscheint Ende August 2018 ein Steidele-Buch, das *sicher* einen Blick wert ist: „Zeitreisen. Vier Frauen, zwei Jahrhunderte, ein Weg“.

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Matthias Warkus schreibt: „Vom Seilbahnhof aus konnte man deutlich erkennen, welche Spuren die Immobilienkonjunktur hinterlassen hat. Für mein naives Auge scheint es in Tiflis vier Kategorien auffällig moderner Gebäude zu geben:

  1. Sowjetische Moderne/Brutalismus (z.B. dieses ehemalige Ministerium)
  2. Abgefahrene öffentliche Projekte v.a. der Saakashvili-Ära (vgl. Artikel und Bildstrecke hier)
  3. Knallige Investitionsmerkwürdigkeiten (z.B. Berbuk Towers)
  4. Auf knappem Budget mit einfachen Mitteln errichtete Gebäude, die versuchen, trotzdem so modern wie möglich auszusehen – die m.E. sympathischste Kategorie.“

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„Supra (auch Keipi genannt) deutlich, einer großen Tafel, bei der es einen sogenannten Tischmeister (Tamada) gibt, der das Geschehen am Tisch lenkt und Trinksprüche ausbringt, und – um die Übersicht zu behalten – sogar einen Stellvertreter wählt.[2] Die Trinksprüche sind im Allgemeinen keine flapsigen Bemerkungen, sondern werden von jedem, der an dem Tisch sitzt, ernst genommen“

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Zwei Literatur-Orte, die mir empfohlen wurden, und für die keine Zeit blieb: Das „Buch-Café“ „Book Corner“, und das (etwas herunter gekommene?) Literaturmuseum in Tiflis, geleitet von Schriftsteller und Schauspieler Lasha Bakradze (Interview über Stalin, der in Georgien geboren wurde).

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Großes Thema beim Essen: der Oligarch Bidsina Iwanischwili, Eigentümer der Carrefour-Supermarkt-Kette, der seit ca. 2012 die georgische Politik beherrscht.

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„Man muss nur seine wirren Statements hören. Die Art, wie er spricht. Seine Sätze sind so…“ – „…wie bei Trump?“ – „Nein. VIEL schlimmer als bei Trump.“ Oha. MDR-Beitrag zu Iwanischwili (Link)

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Oliver Zwahlen schreibt: „Kleiner Tipp: Ab Tiflis fliegt zwei Mal pro Woche ein Hubschrauber in etwa 45 Minuten nach Swanetien. Damit sparst du nicht nur eine etwa achtstündige Fahrt im Bus, sondern du hast auch einen Flug durch eine grandiose Bergwelt. Und bevor du nun wegen preislichen Bedenken abwinkst: Der Flug kostet etwa 70 Lari (35 Euro).“

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Am Abend findet das 4GB-Elektro-Festival statt, ca. 25 Kilometer außerhalb. Doch aus unserer fast 20köpfigen Gruppe haben nur vier Frauen Lust auf die Fahrt. Ich selbst will ins Schwefelbad, gehe von der Seilbahnstation bis runter ins Bäderviertel, doch nehme gegen Mitternacht dann doch einfach ein Taxi zurück ins Hotel. Der Taxifahrer spielt Balladen von Sergi Gvajarladze, das Fenster ist offen, der Fahrtwind warm.

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Ich bin am Samstag Nachmittag kurz ins „Café Gallery“ – einem LGBTQ-Café, das abends zum Techno-Club wird. Doch wegen dem Trubel um den Unabhängigkeitstag saßen nur drei, vier vor ihrer Limo. „Success“, Tiflis‘ schwule Bar, sah ich nicht. Der queer-freundliche Club Bassiani war eine Woche vor unserer Reise in den Medien – wegen einer (homophoben?) Razzia und riesigen Protesten. Artikel zu Diskriminierung und kirchlicher Bigotterie 2014.

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Freitag, am Vorabend des Unabhängigkeitstags, gehe ich die Hauptstraße entlang und sehe Hunderte von Pflanzen, aufwändig präsentiert. Eine Tradition, ein Brauch? Eine einfache Ausstellung?

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Die selbe Ausstellung, am nächsten Tag: Menschen machen Selfies und schauen auf Töpfe. Verkauft oder verschenkt wird offenbar nichts.

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Statt Wikipedia lese ich oft auch unbedingt die (kein Witz!) kulturwissenschaftlichen „Useful Notes“-Texte auf TVTropes.org um ein Land kennen zu lernen: „The Patron Saint of the country is St. George, as for Serbia, Russia, England, Greece, Montenegro and Canada, among other territories. However it is not named after St. George, at least not directly; the name comes from the Ancient Greek word „geōrgos“, which means „land-worker“.“

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TV Tropes: „One interesting thing about Georgia is that it’s not clear on which continent it is. German Post, for example, considers it to be in Asia, as it costs more to send things to Asia than to Europe. The problem plagues the entire Caucasus; ordinary folks would have problems dictating which continent that neighbors Azerbaijan and Armenia (the latter of which, geographically-speaking, is located wholly in Asia, but is sometimes classified as a part of Europe due to its Christian heritage) belong to. The three countries are the crossroad of the two continents and are the definitive examples of „East meets West“, sharing this distinction with Turkey. „

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Die „Bridge of Peace“-Fußgängerbrücke (Link).

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Eine Polemik, die wir mehrmals hörten: Im sehr patriarchalen Georgien stehen Männer viel auf der Straße, trödeln, beherrschen das Stadtbild. Frauen organisieren, planen im Hintergrund: Sie arbeiten härter.

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Insa Wilke schreibt: „„[In der Sowjetzeit, sagt Manana Tandaschwili, entstanden] immer wieder wahre Kunstwerke, antisowjetisch, aber so schön verpackt, dass die Zensur es nicht gemerkt hat. Seit der Unabhängigkeit ist kulturell plötzlich viel weniger passiert.“ Das habe vor allem an der Kriegssituation gelegen. „Die Leute waren frustriert und müde vom Bürgerkrieg in den 90er Jahren, den Kriegen gegen Abchasien und Südossetien, den Regierungswechseln und Enttäuschungen. Und jetzt schreiben auf einmal so viele Autorinnen wie nie zuvor.“ Dazu muss man wissen, dass es vor der Unabhängigkeit so gut wie keine Prosa-Autorinnen in Georgien gab. „Die starke Stimme der Prosa war Männersache“, erzählt Tandaschwili. Dass jetzt so viele weibliche Stimmen die georgische Literatur prägen, hängt auch mit sozialen Entwicklungen zusammen, vermutet sie. „Die literarische Bühne wird genutzt, um den Wandel der sozialen Rollen zu zeigen. Die Frauen haben ja ansonsten keine öffentliche Bühne.“ Dabei sind sie es, die ihre Familien während der 1990er Jahre, als das Land im Chaos versank, durchgebracht haben..

Viele Bars und Straßencafés, angenehmes Klima: Mein Vater fährt nicht in den Urlaub. Doch in vielen Straßen dachte ich mir: deutsche „Best Ager“ zwischen 50 und 70 würden sich hier, mit Wein, niedrigen Preisen etc. sehr wohl fühlen. Auch bei uns im Flugzeug war eine große, ergraute deutsche Reisegruppe im Studiosus-Look.

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Matthias Warkus schreibt: „Obwohl Georgien, wie wir gehört haben, nach wie vor ein sehr patriarchales Land ist, in dem Schwule, Lesben, queere Menschen oder auch nur Frauen, die Bücher machen, mit vielen Problemen zu kämpfen haben.) Ebenfalls erkennbar schien, dass feiernde Georgierinnen und Georgier relativ leise sind und einen sehr gesitteten Eindruck machen; ob das etwas mit der angeblichen traditionellen Verachtung für öffentliche lärmende Trunkenheit zu tun hat, ist unklar.“

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Georgisches Kino, georgische Filme? „Eine glückliche Familie“ wird mir mehrmals empfohlen. 177 Ergebnisse bei IMDb.com (Link)

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Matthias Warkus schreibt: „Der Ort ist das Dschwari-Kloster über der alten Hauptstadt Mzcheta, an einer Flussmündung, wo man die verschiedenfarbigen Wässer nebeneinander sieht wie bei Donau, Inn und Ilz, und die Aussicht ist natürlich wieder atemberaubend.“

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Knut Krohn schreibt: „Das Kloster Dschwari ist ein georgisch-orthodoxes Kloster aus dem 6. Jahrhundert nahe Mzcheta. Der Name wird mit Kreuzkloster übersetzt. 1996 wurde Dschwari zusammen mit anderen Monumenten von Mzcheta in die Weltkulturerbe-Liste der UNESCO aufgenommen.“

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Matthias Warkus schreibt: „Wir kommen in eine kleine, halbdunkle, über 1400 Jahre alte Kirche, am Eingang verkauft ein Mönch Opferkerzen in unterschiedlichen Preisklassen; ein paar Frauen singen im Hintergrund wunderschön und sauber mehrstimmige orthodoxe Gesänge, ein Geistlicher und ein Lektor psalmodieren dazu vor sich hin, Weihrauch, Bienenwachs, sich bekreuzigend geht ein unablässiger Strom jeder Art von Menschen ein und aus.“

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Gelernt, auf der Reise? Dass Fragen wie „Ist es hier friedlich?“, „Ist es hier liberal?“, „Ist es hier aufgeklärt?“ nichts bringen – wenn Befragter und Befragender verschiedene Parameter, Messlatten nutzen. „Kommen deine Eltern mit deiner Homosexualität gut klar?“ – „Klar! Mein Partner durfte schon mal im selben Zimmer mit mir übernachten. Das nahmen sie hin. Ansonsten haben sie einfach nie gefragt und wollen nichts davon wissen.“ (Uff!) Oder: „Religion ist wichtig, auch im Fernsehen. Aber eine Zensur o.ä. gibt es nicht!“ – „Das heißt, im TV sind z.B. Brustwarzen zu sehen?“ – „Nein, natürlich nicht!“

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Der Trescher-Verlag stellte uns einen aktuellen Reiseführer zur Verfügung: mit exzellenten Texten, aus denen ich viel lernte. Das Bildmaterial und die Gestaltung dagegen fand ich drittklassig, für ein Buch, überarbeite 2018: Zuletzt las und kaufte ich ca. 2001 Reiseführer. Hat sie seitdem ästhetisch nichts getan?

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Ich reise nicht in Länder, in denen Homosexualität kriminalisiert wird. Las vor der Georgien-Reise den Wikipedia-Eintrag „LGBT Rights in Georgia“ und dachte: „Das klingt weitgehend progressiv – bis auf die Verfassungsänderung 2018, Ehe als Bund zwischen Mann und Frau zu definieren.“

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Aber: „According to a 2011 survey, almost nine in 10 Georgians who responded said homosexuality could never be justified. […] More than 30 violent attacks on LGBT people, including the deadly stabbing of a trans woman, were recorded in 2016, according to advocacy groups.“

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Auch mein Trescher-Reiseführer verstört mich: „Verhaltenstipps. Ein Sprichwort lautet: Gehst du in ein fremdes Kloster, vergiss das Statut deines eigenen. Die Georgier sind in der Regel gastfreundlich, Fremden gegenüber aufgeschlossen, hilfsbereit, gesellig, oft herzlich und tolerant. Religiöse Werte nehmen im Weltbild der meisten Menschen einen wichtigen Platz ein. Die im ‚Westen‘ geführten Diskussionen um Abtreibungen, gleichgeschlechtliche Lebensformen, genderpolitische Fragen etc. stoßen bei der Mehrheit der Bevölkerung auf wenig Verständnis oder Abneigung. Die meisten Menschen haben andere Sorgen [krass homophober Satz: Minderheitenrechte sind Menschenrechte, kein Luxusproblem!] und sind vor allem mit dem täglichen Überleben beschäftigt. […] Gleichgeschlechtliche Paare, die gemeinsam Georgien besuchen, sollten überlegen, inwieweit sie ihre Zuneigung in der Öffentlichkeit zeigen.“

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Nichts für mich: „Tschurtschchela, bei der man Haselnuss- oder Walnusskerne auf eine Leine bindet und diese so lange in Traubensaft taucht, der mit Mais- und Weizenmehl angedickt ist, bis sich eine dünne Schicht über die Nüsse gelegt hat.“ [Wikipedia] Ich rechnete mit karamell- oder hariboartigem Geschmack; doch der gelierte Traubensaft schmeckt wächsern, mehlig, kaum süß.

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Chinkali (Wikipedia): „…werden von Hand gegessen. Dabei greift man zur Spitze der Teigtasche (georgisch kudi „Hut“), die kühler ist als der Inhalt. Man beißt etwas Teig ab und trinkt den Saft aus der Tasche, dann isst man den Rest. Weil die Spitze hart ist, wird sie nicht mitgegessen, sondern zur Seite gelegt. Am Ende der Mahlzeit kann gezählt werden, wie viele Teigtaschen jeder Esser geschafft hat.“

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Oben auf dem Berg: Ninos „Kreuzkirche“, das Dschwari-Kloster (Link). Hier unten im Tal: Die Swetizchoweli-Kathedrale (Link). Viel Tourismus, viel Frömmelei. Ein recht trostloser Ort. 

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Knut Krohn schreibt: „Die Innenstadt lebt von den Touristen, die jedes Jahr zu hunderttausenden in den Ort strömen. Für viele Millionen Euro wurde die Stadt aufwändig renoviert. Vom ursprünglichen Flair ist allerdings kaum mehr etwas gebliegen. Die kleinen Geschäfte verkaufen vor allem den üblichen Nippes an die Touristen.“

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Frühchristliche Wandmalereien? Selbstbezogenes Endlos-Gerede über Proto-Georgier im Nationalmuseum? Ballett? Die Reise war großartig organisiert. Und ich verstehe, dass ein Land seine Kulturschätze und Geschichte zeigen will. Doch sollte ich je wieder auf solche Reisen geladen werden, wünsche ich mir noch mehr Gegenwart, Literatur und Literaturbetrieb, Verlage. Lieber fünf georgische Journalist*innen treffen, als in einem Kloster zu stehen, bei dem ich… keinen Bezug zur aktuellen Literatur des Landes sehe.

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Interessanter als die Kathedrale: Unserer Reiseleiterin zuhören zu dürfen, während sie erzählt, wie sie den Krieg 2008 erlebte. Als junge Mutter in der Wohnung saß, während Tiflis von Russland beschossen wurde.

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My-Travelworld schreibt: „Ansonsten herrscht in Mtskheta wirklich ein richtig ruhiges Kleinstadtflair. Obwohl der Ausflug in eigentlich jedem Reiseführer und Gespräch über Tiflis empfohlen wird, empfand ich das kleine Städtchen nicht wirklich als Highlight.“

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Matthias Warkus schreibt: „Die Stadt Mzcheta hat etwas von Rüdesheim und von Altötting, ein paar Gassen, die nur aus Souvenirständen bestehen, und in der Mitte eine wieder einmal uralte Kirche, die Kathedrale, in der die Könige der Bagratiden-Dynastie begraben liegen. Wieder Wachskerzen, Kopftücher, Fresken, mit dem iPad filmende Fernsehjournalisten. Auf dem Weg zum Essen gehen wir an gepanzerten Fahrzeugen der georgischen Armee vorbei, beklettert von Kindern, es ist Unabhängigkeitstag.“

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Teures Restaurant, sehr gutes Essen, absurdes und neureiches Ambiente. Ich liebe das Wort „poshlost“, mit dem Nabokov solchen Kitsch beschreibt.

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Gujari heißt das Restaurant. Absurde Fotos von Hochzeiten, Empfängen usw. auf der Facebook-Seite (Link).

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Matthias Warkus schreibt: „Das Restaurant in Mzcheta, in dem wir zu Mittag essen, hat den Charakter einer Jagdlodge in einem Luxusresort, ein mit Trinkhörnern und alten Waffen dekorierter neo-folkloristischer Bau in einem Garten aus englischem Rasen und Steinskulpturen, der ein wenig wie eine Parzelle der Bestatterbranche bei einer Landesgartenschau aussieht. Hier gibt es im Zuge eines wieder brachial üppigen Menüs auch das andere Nationalgericht, Chinkali, Teigtaschen, aus denen man der Tradition zufolge die Brühe zuzeln muss, so dass es nicht tropft.“

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Matthias Warkus schreibt: „Abendessen gibt es in einer Art Chalet über der Stadt. Diesmal gibt es Amphorenwein, scheint mir, die orange Flüssigkeit steht in großen Kannen auf dem Tisch wie auch der Rotwein, der Wein schmeckt harzig und herb, aber er ist so gefährlich süffig wie die anderen Weine, die wir hier zum Essen bekommen haben. Das Huhn schwimmt im Knoblauch, es gibt Käse-Bohnen-Fladen in Filoteig, zu allem Tkemali, eine Sauce aus Alycha, unreifen Kirschpflaumen (das Nationalobst, natürlich; die InstagrammerInnen unter uns sind sich einig, man könnte die Dinger dort problemlos als den neuen Detox- oder Irgendwas-Trend verkaufen und damit groß machen).“

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Zum Georgischen Unabhängigkeitstag standen drei Panzer (und eine Hüpfburg) auf der Straße ins nächste Dorf. Kinder kletterten auf den Panzern umher, und auf X.s „DAS wäre Deutschland dann doch zu viel.“ lachte Y.: „Geh mal zum Tag der Bundeswehr. Das sieht genau so aus.“ #nationalismus #hurrapatriotismus #überalldeprimierend

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Essen am letzten Abend: bei Rachis Urbani, hoch im Wald über Tiflis.

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Am Samstag will ich noch einmal zu den Schwefelbädern, und gehe quer durch die Stadt: Ich sehe die Feierlichkeiten zum georgischen Unabhängigkeitstag. Viel Musik und Bühnen (ein creepy Knabenchor singt ‚Hey Jude‘), alle 200 Meter Kinderschminken, viele Spider-Man- und Peppa-Woods-Ballons. Viele Georgien-Flaggen, aber wenig Militarismus.

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Seit 1991 sind fast eine Million Menschen aus Georgien ausgewandert. Ein Fünftel der Bevölkerung.

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Ich sagte einem meiner Redakteure, dass ich nach Georgien reise. „Alle anderen auch“, lachte er: Es scheint sehr viele Pressereisen zu geben, bis Oktober 2018. Ich mag, dass sich das Georgian Book Office bemüht, diese Reisen möglichst unterschiedlich zu gestalten: Jede Gruppe trifft ganz andere Schriftsteller*innen. Die Gefahr, dass Deutsche am Ende alle die selben Interviews führen und identische Artikel schreiben, scheint mir klein. Trotzdem frage ich mich vier Tage lang: Wen und was verpasse, übersehe ich gerade?

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Menschen, die von ihrem Urlaub erzählen, frage ich meist: „Würdest du noch mal hinreisen?“ Ich würde sofort ein zweites Mal nach Tiflis (nur in die Stadt: Kloster, Berge, Natur etc. sind mir egal). Und dann auch: die weiteren kleinen Buchhandlungen sehen, entdecken (Link zu einer Liste mit Tipps).

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Matthias Warkus bilanziert: „Man kann das sehr einfach nehmen. Die Küche (Georgiens Nationalgericht ist übrigens ein Salat, erstaunlich), der Wein, die Kirche, die Gebirgslandschaft, die Schwefelquellen und die Landesgeschichte greifen ineinander, wir sind hier fromme Orthodoxe, langlebige Salatesser und fröhliche Weintrinker, die Frauen schön, die Männer mutig, all das seit Jahrtausenden hier zuhause, vielfach erobert, nie ausgelöscht. Ich muss daran denken, dass ein Außenstehender mit genügend unscharfem Blick vielleicht Baden, Ostthüringen oder Oberbayern genauso sehen könnte. Auf der anderen Seite sind da Übergriffe auf LBGTQ*-Personen und religiöse Minderheiten, die traumatische Erfahrung des Zusammenbruchs nach 1991, als es plötzlich keine Arbeit, keine Heizung und keinen Strom mehr gab, die Kriege (»fünf Kriege in zwanzig Jahren«, sagte uns jemand), die Oligarchen, der klare Wille zu Modernität und zu Befreiung in der jungen Literatur,“

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Gesperrte Straße zum Unabhängigkeitstag. Tiflis ist sehr fußgängerfreundlich – aber hat so viele Steigungen, Schwellen etc., dass Rollstuhl-Nutzer*innen große Schwierigkeiten haben.

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Wir sind mit Shuttle-Bussen unterwegs, alle vier Tage: Die Metro (nur zwei Linien, kompakt und billig) wird empfohlen – ich selbst benutzte sie nie.

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Überall in touristischen Ecken: frische Erdbeeren und andere Früchte, die als Saft, geeist, geeist und püriert usw. verkauft werden. Überteuert – wurden wir gewarnt. Erdbeeren gab es auch am Ende *jeder* Mahlzeit, die man uns servierte: aromatisch, geschmacksintensiv, doch tiefst dunkelrot und weich.

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Freundlicher, unspektakulärer Pflanzenmarkt am Unabhängigkeitstag: besonderes Event? Oder feste Institution in der Altstadt?.

Die zehn aktuellsten georgischen Filme mit guten Kritiken?

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Die nächsten Ehrengäste auf der Frankfurter Buchmesse:

  • 2019: Norwegen
  • 2020: Kanada (yeah! ich war fünf Jahre lang in Toronto, drei Monate im Jahr.)
  • 2021: Spanien
  • 2022: Slowenien
  • 2023: Italien

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Die deutschsprachigen Buchblogs mit der größten Osteuropa-Kompetenz:

  • Muromez (Ilja Regier)
  • Read-Ost (Georgierin Irine Beridze und Annika Grützner)

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Das georgische Alphabet ist auch Zentrum und Leitmotiv des Buchmesse-Auftritts und des Claims „Georgia made by Characters“ [= Schriftzeichen]. Wikipedia: “ Von heutigen Wissenschaftlern wird angenommen, dass sich das georgische Alphabet zu Beginn des 5. Jahrhunderts unter griechischem Einfluss aus der aramäischen Schrift weiterentwickelte.“ TV Tropes: „Georgian uses a different alphabet from Russian and a VERY different language. It is (as far as we know) completely unrelated to any of the major language families, instead being part of a „South Caucasian“ family more or less consisting of itself and a couple of close relatives.“

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Straßenhunde und -Katzen? Überall in der Stadt. Sind sie geimpft und kastriert, tragen Hunde einen Knopf im Ohr. Trotzdem gibt, laut diesem Link, nirgendwo mehr tollwütige Hunde als in Georgien.

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Die Hunde haben Flöhe – doch sind recht freundlich. Lucia Höllemann schreibt: „Straßenhunde sieht man in fast allen Städten, aber besonders penetrant fiel es uns in Kutaisi auf, zum Glück sind die meisten dieser Hunde eher friedlich und verhalten sich dem Menschen gegenüber nicht aggresiv. Vor allem in Mestia und Ushguli haben wir sehr viele freundliche Hunde getroffen, die einen gerne auf einem Spaziergang begleiten und einen fast nicht mehr alleine nach Hause lassen!“

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Karla Paul schreibt: „Mehr als die Literatur selbst haben mich die Menschen beeindruckt, die dahinter stehen und trotz bis heute andauernden politischen und gesellschaftlichen Schwierigkeiten an ihre Worte und die darin versteckte Botschaft als Teil der Lösung glauben – für sich selbst, aber auch diejenigen, die sie lesen und täglich leben. Für die Bücher ein wichtiges Transportmittel sind und ihr Weg, Euch die Geschichte ihres Landes zu erzählen. In den kommenden Wochen wird noch viel schriftliche Nacharbeit folgen, Berichte, Interviews und Buchempfehlungen.“

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Ich genoss die Tage sehr. Ich war noch nie östlicher als Berlin – und bin erleichtert, wie wohl ich mich in Tiflis fühlte und, dass Osteuropa / Vorderasien für mich jetzt attraktiver, denkbarer, naher sind als zuvor. Sympathische Gruppe, kluge Begegnungen, und mehr Input in 4 Tagen als sonst oft in zwei Wochen – gern wieder!

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Wer lud mich ein, zu Live-Blogs und Berichterstattung?


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Die Teilnehmenden unserer Blogger-/Influencer-Gruppe:

Angie Martiens_„Litaffin“

Alexandra Stiller_„Bücherkaffee“ | Instagram

Karla Paul_„Buchkolumne“ | Instagram

Florian Valerius_„Literarischer Nerd“ | Instagram

Annabelle Stehl_„Stehlblüten“ | Instagram | Youtube

Matthias Warkus_„54books“ | Twitter

…und ich selbst: Stefan Mesch (Bio) | Twitter | Instagram

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Angie Martins‘ Foto-Blogpost zu unserer Reise:

Der Charme des abblätternden Lacks. Eine (Bilder-)Reise durch Tbilisi

Annabelle Stehls 20-Minuten-Vlog über unsere Reise, auf Youtube:
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Georgia made by Characters: Pressereise / Influencer-Reise nach Tiflis, für die Frankfurter Buchmesse 2018 #fbm18

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Hier kommt der „kleine“, persönlichere Blogpost zur Reise.

Der faktensatte, ausführlichere ist hier (Link).

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Georgien ist 2018 Gastland / Ehrengast der Frankfurter Buchmesse.

Das Georgian Book Office, die Buchmesse Frankfurt und die Agentur 2508 luden ca. 10 (Print- und TV-) Journalist*innen, Literaturkritiker*innen sowie sieben Blogger*innen / „Influencer“ zu einer viertägigen Reise nach Tiflis / Tbilisi:

23. bis 27. Mai 2018.

2016 wurde ich auf eine Pressereise durch Flandern und die Niederlande (damals: Ehrengastregion der #fmb16) eingeladen – doch konnte nicht mit, wegen Deadlines und Verpflichtungen.

Mir für Georgien Zeit zu nehmen, war eine der besten Entscheidungen seit Monaten: Die Reise war schnell, eng getaktet. Ich verbrachte selten *so* intensive Tage, in einer *so* freundlichen, professionellen, mitreißenden Atmosphäre. Viel gesehen, viel gelernt, irrsinnig viel gesprochen, fotografiert, interagiert.

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Bis zur Buchmesse im Oktober werde ich georgische Literatur sichten, sortieren und, falls Redakteur*innen anbeißen, sicher auch besprechen und kritisieren, z.B. für Deutschlandfunk Kultur, vielleicht auch Spiegel Online oder im Freitag.

Ein längerer Blogpost mit konkreten Texten, Informationen, Links, Details zur Reise braucht noch einige Tage Zeit: Ich werde ca. Montag länger bloggen.

Bis dahin empfehle ich die vier Blogposts von Matthias Warkus bei 54books [Text 1, Text 2, Text 3, Text 4] und die Instagram-Stories von @buchkolumne Karla Paul.

Heute, hier im Blog: Fotos, die Atmosphäre, Stimmung unserer Tage in Tiflis gut vermitteln; gegen Ende auch Gruppenbilder der Mitreisenden.

Mein „richtiger“, faktensatter Text zur Reise: online in ca. 5 Tagen.

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Die Teilnehmenden unserer Blogger-/Influencer-Gruppe:

Angie Martiens_„Litaffin“

Alexandra Stiller_„Bücherkaffee“ | Instagram

Karla Paul_„Buchkolumne“ | Instagram

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Matthias Warkus_„54books“ | Twitter

…und ich selbst: Stefan Mesch (Bio) | Twitter | Instagram

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kurz notiert: Christian Krachts Poetik-Vorlesungen und „Text + Kritik“

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Wenn ich im Radio spreche, schicke ich Moderator / Moderatorin und der Redaktion meist vorbereitend einen Leitfaden:

Die wichtigsten Links, Stichpunkte, Gedanken und Fragen, die ich bei der Recherche eines Themas fand.

Manchmal sind die Leitfäden knapp. Doch meist sind sie so lang und ausführlich, dass ich sie, mit ein paar Bildern etc., als öffentlichen Blogpost teile.

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Am Mittwoch war ich Gast beim Abendmagazin „Fazit“ (Deutschlandfunk Kultur), und sprach über Christian Kracht.

Am Freitag war ich Gast bei „Kulturzeit“ (3Sat), weil eine Redakteurin mein „Fazit“-Gespräch gehört hatte und gut fand.

In beiden Fällen gab es – anders als sonst – keine wochenlange Recherche.

…und deshalb keinen ausführlichen Leitfaden.

Trotzdem teile ich heute kurz Links und Notizen zum Thema:

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Seit 1959 gibt es an der Goethe-Universität Frankfurt halbjährlich / einmal pro Semester Vorlesungsreihen, in denen je ein(e) Schriftsteller*in versucht, Wechselwirkungen von Gegenwart, Werk, Biografie etc. zu zeigen: die Frankfurter Poetik-Vorlesungen.

Ich selbst mag aus den letzten Jahren z.B. Terézia Mora und Andreas Maier (…Monika Maron war furchtbar banal).

Meist werden die Poetik-Vorlesungen auch als Buch veröffentlicht.

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Gestern – am 15. Mai – hielt Christian Kracht die erste von drei Vorlesungen.

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Er sprach davon, dass Klaus Theweleit in „Männerfantasien“ fragt, wie der Faschismus Männer in ihrem Selbstbild und Auftreten verformt hat, und zieht Parallelen zum eigenen Werk – das sich meist um sehr grausame, sehr ahnungslose, privilegierte, ästhetisierende Boys / Bubis dreht:

„Ausformungen der menschlichen Erniedrigung, und dann ein gewisser Ästhetizismus“

„Der Akt des Schreibens selbst, die Gewalt, die Erniedrigung, die Grausamkeit, der körperliche Ekel und die fetischisierte, oft verlagerte männliche Sexualität sind Topoi meiner Arbeit, deren ich mir erst jetzt bewusst werde, die aber sozusagen mit der ersten Zeile von ‚Faserland‘ alles bestimmt haben.“

Die FAZ paraphrasiert Kracht: „Auch er selbst weise Eigenschaften auf, die Klaus Theweleit am faschistischen Mann entdeckt habe: hochfunktional, gesichert durch seelische und körperliche Panzer, erworben durch Disziplin.“

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Der Schweizer Autor, geboren 1966, debütierte 1995 mit „Faserland“ – einem satirischen Roman im Stil von Bret Easton Ellis, in dem ein verwöhnter Ex-Internatsschüler von Sylt bis Zürich reist und dabei a) seine eigenen Defizite und seine Wut darüber, dass ein Freund nichts von ihm will, kaum selbst versteht oder ausdrücken kann und b) eine Art… Schneise der Verwüstung schlägt: aus Hochmut, Langeweile, sozialer Kälte, Dekadenz, Unreife/Armseligkeit/Verdrängung etc.

Fast alle Kracht-Romane haben *irrsinnig* selbstbezogene, tragikomische Figuren, die ihre Privilegien nicht sehen. In „1979“, meinem Lieblings-Kracht-Roman, wird ein schnöseliger schwuler Kunstsammler in ein chinesisches Arbeitslager eingeliefert, ernährt sich nur noch von Maden, die er auf menschlichem Stuhlgang züchtet und sagt: „Na ja – andererseits ist das auch eine Chance, endlich seriously abzunehmen.“

Mit diesem zynischen Tonfall etc. nahm Kracht schon 2001 viel der Menschenfeindlichkeit vorweg, die Lifestyle-Welten heute… oft nah ans Totalitäre rückt: ein Gulag und Instagram, bei Kracht ist das kein sehr weiter Weg.

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Ende 2017 sollte Prince Andrew ein Taufbecken stiften im Namen eines 2009 verstorbenen kanadischen Paters, Keith Gleed: Gleed war Kaplan an einem Internat/College in Ontario. Doch über 30 Ex-Schüler meldeten sich und gaben an, von Gleed sexuell misshandelt worden zu sein.

Erst durch diese Meldung wurde Christian Kracht, der Ende der 70er Jahre das Internat – Lakefield College – besuchte, klar, dass er sich eine Begegnung, in der Gleed ihn mit dem Gürtel schlug und hinter seinem Rücken masturbierte, nicht ausgedacht hatte.

Die halb-verschüttete Erinnerung floss in verschiedene Romane ein, z.B. in „Imperium“.

Die FAZ fragt: „Was bestimmt das Denken und Schreiben von Christian Kracht?“ Ich finde es verkürzt und boulevardesk, zu titeln, als „bestimme“ dieser Missbrauch, über den Kracht gestern erstmals sprach, „das Denken und Schreiben von Christian Kracht“.

Andererseits aber ist die Frankfurter Poetikdozentur genau DER Rahmen, in dem Autor*innen erzählen, was ihr Denken und Schreiben bestimmt.

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Für Kracht ist diese Wortmeldung besonders ungewöhnlich, weil…

a) er, wie Christoph Schröder bei ZEIT Online schreibt „Der Mann [ist], der bei seinen raren Lesungsauftritten geradezu panisch darauf bedacht ist, dass ihm kein Zuhörer eine Frage stellen darf.““

b) seine Romane und besonders die Reportagen mit Biografismen, Autofiktion spielen.

c) ganz lange z.B. Krachs Wikipedia-Foto ein Bild war, das OFFENSICHTLICH ein Selfie war – doch als dessen Fotograf ein „Anthony Shouan-Shawn“ angegeben war, ein „bekannter Industriedesigner“, dessen [inzwischen gelöschte] Website aber ebenfalls wie eine Kracht-Inszenierung wirkt: Gibt es diesen Menschen?

Als Kracht dann d) die Regisseurin Frauke Finsterwalder heiratete, war mein erster Gedanke: „Frauke Finsterwalder? Ist das WIEDER eine Kracht-Kunstfigur?“

Die Artikel um Krachts Vorlesung sind misstrauisch und fragen sich, wie immer bei Kracht, wie wir als Leser*innen der Romane mit dieser neuen Information umgehen sollten:

_die Welt schreibt: „Geständnis“, „Kracht beginnt mit einem furchtbaren Geständnis“ #täteropferumkehr

_Spiegel Online: „Die Ruhe, mit der Kracht diese Sätze vorträgt. Ausgerechnet er. Angestarrt wird er. Wie muss das aussehen für ihn, all diese fremden Augen?“ [uff. und was heißt „ausgerechnet er“.]

_Spiegel Online: „…was bedeutet das für ihn als Autor und somit für die Interpretation seines Werkes?“

ich erinnere mich, dass wir im Studium (Kreatives Schreiben, Hildesheim, 2003 bis 2008) immer wieder über Kracht sprachen als jemand, der es geschafft hat, eine Persona zu etablieren:

Was ist seine Masche? Wie funktioniert diese Masche, was ist an ihr so faszinierend? der ironische Dandy, der von FDP-Bubis geliebt wird UND von allen, die FDP-Bubis verachten etc.

Als Mitherausgeber der Zeitschrift „Der Freund“ gab Kracht damals Katmandu als Redaktionssitz an, und mir ist bis heute nicht klar, ob Kracht damals in Katmandu lebte, ein paar Jahre. [Edit: Kracht schrieb auch einen Reiseführer zu Katmandu; er lebte länger in Südasien und aktuell in LA. Ich habe keinen Grund mehr, Katmandu anzuzweifeln.]

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2012 fragte sich SPIEGEL-Kritiker Georg Diez, ob Krach faschistoid ist – weil der Ich-Erzähler in „Imperium“, ein (Amateur-)Kolonialherr im deutschen Kaiserreich durchgängig, ohne Brechung rassistisch und erniedrigend etc. handelt. ich fand die Gleichsetzung von Autor und Figur völlig absurd, unsachlich, ad hominem und… peinlich für Diez.

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Ich selbst „freue“ mich sehr, wenn Christian Kracht offen oder persönlich spricht – und finde enttäuschend, wenn man bei „Ich wurde missbraucht“-Aussagen groß öffentlich fragt: „Was bezweckt er / sie damit? Warum jetzt? Ist das ein Trend, will er/sie sich interessant machen?“ etc.

Klar ist das ein… außergewöhnlicher und wichtiger Schritt:

Dass einer der verschlossensten und diskretesten Autoren der letzten 20 Jahre direkt sagt: Teile meines Schreibens lassen sich auch aus einer Missbrauchserfahrung heraus erklären, kontextualisieren.

Dahinter sofort wieder eine Masche, ein Spiel mit Erwartungen etc. zu vermuten, finde ich respektlos, boulevardesk und… auch literaturwissenschaftlich KRASS fragwürdig/arm.

Ein Mann, der mir persönlich als Autorenpersona oft viel zu weit weg, viel zu distanziert, viel zu vage blieb, macht diese Autorenpersona bewusst und absichtlich greifbarer, verletzlicher, menschlicher. Ich selbst möchte mich für diesen Schritt am liebsten bedanken.

Auch, weil ich z.B. unerträglich fand, dass Kracht DIE Galionsfigur für „anspruchsvolle schwule deutschsprachige Gegenwartsliteratur“ war seit 1995 – und ich mich immer fragte: Ein Autor, mit einer Frau verheiratet, der kaum über sich selbst spricht, lässt Ich-Erzähler, die ihr eigenes schwules Begehren meist verdrängen, ungeschickt und armselig durch die Welt holpern. DAS ist das „beste“ „schwulste“, das wir als Kultur haben?

Und: ein Autor, der nicht auf Twitter ist, keinen Blog hat, kaum sichtbar ist als öffentliche Person [Edit: Krachts Instagram-Account ist einen Blick wert!], schreibt über Pop, Gegenwart, Jetztzeitigkeit – doch nimmt eben kaum an öffentlichen Debatten teil? Bleibt so vage, dass Leute wie Diez sich ernsthaft fragen können: „Ist das ein Rechter, der den Kolonialismus liebt?“

Ich habe KEINE Ahnung, wer Christian Kracht – als Mensch – ist. Doch ich bin froh und dankbar, dass er mit diesen Vorlesungen konkreter, sichtbarer wird.

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Kracht authentisch

Inszeniert sich Kracht? Gutes Essay von Thomas Wegmann, in „Text & Kritik: Christian Kracht“

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Statement von mir, transkribiert:

„Christian Kracht war bisher nie jemand, der sich eingemischt hat, oder der Position bezogen hat, und dass so jemand, nachdem wir 20 Jahre lang diese Bücher oft sehr einseitig, in Schwarz und Weiß gelesen haben, ausgerechnet bei der Poetikdozentur, also dem Ort, wo literaturkritisch noch mal alles in ein neues Licht gerückt werden kann, sagt, ‚Leute, ich möchte euch etwas sagen und ich sage das auch, damit ihr meine Romane anders lest, damit ihr die in einem anderen Licht seht‘, ich finde schon, dass das die ganze Rezeption verändert, und ich bin ein bisschen froh drum, weil wir jetzt 20 Jahre lang doch eher auf der Stelle traten.“

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Es gibt mehrere Texte, die ich empfehle:

„Der Autor will seinen Interpreten, den Journalisten, Literaturkritikern und -wissenschaftlern seine Texte aus der Hand nehmen. Genug habe er von den ständigen Zuschreibungen, vom Popliteratur-Schmäh, den unzähligen Dandy- und Camp–Analysen. Seine Poetikvorlesung steht ganz im Zeichen der Wiederaneignung des eigenen Werkes. Nur konsequent erscheint so, dass Kracht zum Abschluss seines Vortrags die letzten Seiten aus Faserland vorlas, als wollte er dem Publikum vorführen, dass kein Text mehr derselbe sein wird nach diesem Abend. Eine werkbiographische Zäsur ist markiert. Ab sofort gibt es eine prä- und eine post-Frankfurt-Lesart Christian Krachts. Obwohl der Autor jeder offiziellen Video- und Ton-Aufzeichnung widersprochen hatte und sich zu einer Publikation der Vorlesungen bislang nicht geäußert hat, wird seine Biographie in Zukunft unzählige Kracht-Lektüren prägen. Vor biographistischen Lesarten, die Krachts Texte beflissentlich nach Traumaspuren absuchen, graust uns bereits. Wie die Literaturwissenschaft allerdings mit Krachts biographischer Entblößung umgehen wird, ist mit Spannung zu erwarten.“

…schreiben Miriam Zeh und Kevin Kempke bei „Merkur“

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Literaturwissenschaftlerin Lena Vöcklinghaus postet einen wichtigen, öffentlichen Facebook-Kommentar über Privilegien und Sichtbarkeit:

„Vor zwei Tagen saß ich in einem Hörsaal der Goethe Universität in Frankfurt am Main und habe Christian Kracht dabei zugehört, wie er vor rund neunhundert Menschen einen erlittenen sexuellen Missbrauch und seine Folgen beschrieb. Er beschrieb, wie er in den letzten Monaten verstanden hatte, dass der Missbrauch und das ständige Anzweifeln der Erinnerungen seine Entwicklung und auch sein Schreiben in großem Maße beeinflussten. Die Finesse, die Kraft und der restliche Inhalt dieses Vortrags wurden an vielen Stellen sehr schön beschrieben. Ich weiß, das weil ich seit Dienstag die Berichterstattung gebannt verfolge. Ich hatte Angst vor den Artikeln, die entstehen würden, und ich bin dankbar, dass sie zwar den offensichtlichen Aufhänger ausschlachten, aber das auf so eine behutsame Art und Weise tun. Sie loben zu Recht, was an dem Vortrag literarisch und in Bezug auf Krachts Poetik beeindruckend und bewegend war. Aber noch fehlt mir eine Dimension in den Berichten. Sie fehlt wahrscheinlich, weil sie wenig mit Kracht selbst zu tun hat, wenig mit seinem Vortrag und überhaupt nichts mit seiner Literatur; und weil sie für eine ganz andere Zielgruppe wichtig ist als für die Leserinnen und Leser, Literaturwissenschaftlerinnen und Literaturwissenschaftler, die sich ab jetzt mit dieser Vorlesung auseinandersetzen werden.

Kracht hat ein Tabu gebrochen. Er hat eine Geschichte, die zuhauf erzählt wird, weil sie zuhauf stattfindet, an einen Ort getragen, an dem sie so noch nie erzählt wurde. Er hat die Verletzung, die bei ihm zurückblieb, als ein vertrauter Erwachsener ihn missbrauchte und niemand ihm glaubte, und das späte, viel zu späte Verstehen dieser Verletzung in die Worte des Kanons (Walter Benjamins, seine eigenen) gefasst. Er erzählte eine Geschichte, für die es Ratgeberliteratur gibt, die verschämt im Versandhandel bestellt wird, für die es therapeutische Angebote gibt, die unauffällige Namen und Türschilder tragen, und für die es einige wenige gute und viele kitschig-verklärende fiktionale Selbthilfekrücken gibt. Eine Geschichte also, die überall sonst außer in der Hochkultur zuhause ist. Er erzählte sie Professorinnen und Professoren, dem Dekan der Universität, Geldgeberinnen und Geldgebern der Poetikdozentur, Studierenden und der Presse. Er konnte sich sicher sein, dass einige die Erlebnisse, von denen er berichtet, nur allzu gut kennen. Er konnte sich aber genauso sicher sein, dass die wenigsten in diesen Räumen die Freiheit haben, über solche Erlebnisse offen, gar öffentlich zu sprechen.

Kracht konnte das tun, weil Kracht Kracht ist. Weil Kracht die Sprachmacht besitzt, die Effekte einer solchen Schilderung durch seine Wortwahl weitestgehend zu gestalten. Weil Kracht dieses Werk hat, längst fest im Kanon der Gegenwartsliteratur sitzt, weil Kracht es sich leisten kann, sich dem öffentlichen Interesse zu entziehen, und trotzdem verkauft wird, gebucht wird, geehrt wird. Aber dass Kracht seine privilegierte Stellung nutzt, um öffentlich den eigenen Missbrauch zu erzählen, ist nicht selbstverständlich. Selbst Kracht, sogar Kracht geht mit einer solchen Schilderung ein Risiko ein. Es war so still im Saal während der Vorlesung, weil der Vortrag so gut gemacht war. Aber es war auch so still, weil Kracht etwas riskiert hat. Nicht literarisch, diesmal. Aber menschlich.

Kracht hat an dem denkbar unwahrscheinlichsten Ort auf denkbar unwahrscheinlichste Art #metoo gesagt. Er hat dann noch ein bisschen aus Faserland gelesen, als sanften Ausklang der Vorlesung, sich dann bedankt und ganz kurz in den Applaus hinein verbeugt. Es gab Standig Ovations, einige sogar von Trägern wichtiger Funktionen in Frankfurt. Kracht war da längst wieder an seinem Platz und hat in seiner Tasche gekramt, ich bezweifle, dass er sie gesehen hat. Aber ich bereue trotzdem, nicht aufgestanden zu sein. Ich habe heute Morgen tatsächlich überlegt, den ersten Leserinnenbrief meines Lebens ausgerechnet an Christian Kracht zu schreiben. Jetzt habe ich stattdessen diesen Post geschrieben, weil ich nicht aufhören kann, dankbar zu sein. Ich bin diesen Menschen um ihre Standing Ovations dankbar. Ich bin den Journalistinnen und Journalisten um ihre behutsamen Berichterstattungen dankbar. Aber vor allem bin ich Christian Kracht dankbar, seine Position auf diese Weise genutzt zu haben.

Annie Ernaux schreibt: „Zu jedem Moment gibt es neben dem, was als normal gilt, all das worüber die Gesellschaft Schweigen bewahrt und so all jene, die diese Dinge empfinden, sie aber nicht benennen können, zu Einsamkeit und Unglück verdammt. Eines Tages wird das Schweigen dann gebrochen, ganz plötzlich oder allmählich, endlich bekommen die Gefühle einen Namen, endlich werden sie anerkannt, während darunter neues Schweigen entsteht.“

Dienstag war für mich einer dieser Tage. Danke, Christian Kracht.“

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Ist es ein Versuch, sich und sein Werk zu erklären?

Mit dieser Annahme wäre ich vorsichtig. In der Berichterstattung geht unter, dass er mit dem Bekenntnis nicht die ganze Vorlesung ausgefüllt hat. Das war nur ein Moment, aber sicherlich ein Schockmoment.

Es war der Anfang der Vorlesung. Kracht ist damit eingestiegen.

Genau. Aber er selbst hat es nicht als Skandal präsentiert. Er hat es im Grunde als einen Baustein in der Genese seiner Existenz als Schriftsteller präsentiert.

Er erzählt von einer Erinnerung, von der er lange geglaubt hat, es wäre eine falsche Erinnerung oder bloss eine Erzählung, die ihm jetzt als Wahrheit erscheint. Kracht ist jemand, der sehr gut weiss, wie man auch etwas so Furchtbares erzählt. Doch selbst da schimmert durch, dass er sich durch die Worte vor diesen Ereignissen schützt.

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Miriam Zeh und Kevin Kempke, als Besucher*innen der Vorlesung:

„Mit der Handreichung dieser Fülle von Referenzen wird Krachts Poetikvorlesung bei allem Eingeständnis von Verletztlichkeit und Schwäche auch eine Geste der Souveränität. Der Autor will seinen Interpreten, den Journalisten, Literaturkritikern und -wissenschaftlern seine Texte aus der Hand nehmen. Genug habe er von den ständigen Zuschreibungen, vom Popliteratur-Schmäh, den unzähligen Dandy- und Camp–Analysen. Seine Poetikvorlesung steht ganz im Zeichen der Wiederaneignung des eigenen Werkes. Nur konsequent erscheint so, dass Kracht zum Abschluss seines Vortrags die letzten Seiten aus Faserlandvorlas, als wollte er dem Publikum vorführen, dass kein Text mehr derselbe sein wird nach diesem Abend. Eine werkbiographische Zäsur ist markiert. Ab sofort gibt es eine prä- und eine post-Frankfurt-Lesart Christian Krachts.“

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ein unangenehm süffisanter Text über die zweite Vorlesung (taz, Arno Frank):

„Licht ins Dunkel sollte die zweite Vorlesung bringen. So richtig brechend voll, mit Leuten im Schneidersitz auf den Gängen und Zuspätgekommenen an den Wänden, so richtig brechend voll ist es nicht – und doch ist das auf 1.200 Plätze ausgelegte Audimax am Campus Westend beinahe voll ausgelastet. In den vorderen Reihen hat sich geschlossen das Feuilleton der Republik versammelt, dazu Prominenz aus dem Verlagswesen, man kennt sich, grüßt familiär. Ist gespannt. Wird er den Bluff auflösen? Die Erzählung weiterspinnen?“

Warum steht hier „Bluff“?

Heißt das: Frank (…und all die Leute, denen Frank unterstellt, dass sie alle wegen dieser „Bluff“-Frage gekommen sind?“), warten darauf, dass Kracht sagt, der Missbrauch sei ein Bluff?

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Zur Vorbereitung der Gespräche….

  • …sah ich „Finsterworld“ von Frauke Finsterwalder (Drehbuch: Christian Kracht) und war angetan. Ein unerwartet optimistischer, abwechslungsreicher, charmanter Episodenfilm, bei dem ich a) an die Serie „Fargo“ denken musste und b) an den tollen Comic „Ghost World“, den eine der Figuren liest. Wer Kracht nicht kennt und einen mühelosen, schwungvollen Einstieg in seine Themen sucht: Empfehlung!

    [irritierend nur, dass es schon *wieder* ums Essen von Körperteilen ging.]

  • …ließ ich mir die E-Book-Version des hundertseitigen „Text + Kritik“-Bandes über Christian Kracht von 2017 schicken. Der Band ist recht teuer und ein Tick zu kurz (gern noch vier, fünf weitere Beiträge; v.a. auch mehr Texte von Frauen!) Doch kein einziger Beitrag war spöttisch, eitel, verblasen, kulturpessimistisch oder schlimm-am-Thema-vorbei: zweieinhalb Stunden Lesezeit, die sehr helfen, Kracht zu kontextualisieren, zu greifen.
  • ein Problem: Dass trotz 100 Seiten Platz niemand noch einmal genauer durch Krachts Briefwechsel mit David Woodard schaut, veröffentlicht als „Five Years“. Georg Diez nimmt 2012 in seiner Kracht-ist-rechts-Attacke im Spiegel „Five Years“ als Basis, stärkste Indiziensammlung für seine Thesen. Ich habe „Five Years“ nicht gelesen und wünsche mir jemanden, der dieses Buch fachkundigt vermittelt. [Aber: Dass Kracht kein Fan des Totalitären, Faschistoiden ist, „beweist“ mir z.B. das warmherzige „Finsterworld“.]

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zum Abschluss: Passagen aus „Text + Kritik“, die ich aufbewahren und teilen will:

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Kracht schwul

Krachts Romane als „queere Literatur“? Isabelle Stauffer & Björn Weyand

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Kracht Steckdose

Steckdose?!

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Kracht Kleinschmidt

Ironie? Pop? Ein Bluff?

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Kracht 3

Thomas Wegmann zu Krachts „übercodierten“ Romanen

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Daniel Kehlmann Faserland

…und Daniel Kehlmann zu Krachts Debüt, „Faserland“

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Kulturzeit 3sat Stefan Mesch

ein Stil-Problem von Mainstream-Heldencomics…

die Batcave, gezeichnet von Greg Capullo

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„Die Bat-Höhle sieht jedes Mal anders aus.“

DC veröffentlicht gut 50 monatliche oder zweiwöchige Heftreihen. Jede Reihe hat ein, manchmal zwei oder drei Zeichner*innen.

…und jeder dieser Leute zeichnet Lois Lane eine etwas andere Frisur. Lex Luthor manchmal grüne, manchmal blaue Augen usw.

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Ich sagte das neulich meinem besten Freund.

Er war enttäuscht, dass es auch für die bekanntesten, grundlegendsten Figuren und Orte oft so viel Spielraum gibt.

So viele Widersprüche. Auch in Heften, die gleichzeitig spielen und im selben Monat erscheinen.

Ich selbst finde es nicht mehr dramatisch – doch ich lese Heldencomics seit 2008; habe mich an vieles gewöhnt.

TV Tropes: Art Shift | Art Evolution

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die Batcave, gezeichnet von Jim Lee

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Nur kurz aber – um zu zeigen, wie weit die Zeichenstile, Charakterdesigns und Handschriften auseinander gehen:

die Nebenfigur „Arcade“ aus dem Marvel-Universum, und ihre Auftritte in den letzten Jahren, in verschiedenen Heftreihen, von jeweils anderen Zeichner*innen:

Das ist *immer* die selbe Figur, und immer in der selben „Wirklichkeit“ / Continuity. All diese Geschichten passieren gleichrangig:

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Avengers Arena 16. Zeichner: Karl Moline

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Hellcat 6. Zeichnerin: Natasha Allegri

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Gwenpool 12. Zeichner: Gurihiru

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Avengers Undercover 10. Zeichner: Tigh Walker

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Avengers Arena 07. Zeichner: Allessandro Vitti

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Elektra 02. Zeichner: Juan Cabal

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America 06. Zeichner: Juan Villalobos

Frauen im Science-Fiction-Comic [Gasteintrag ‚Binge Reader‘]

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Ich bin kein Fan von „Paper Girls“: dem aktuell beliebtesten Science-Fiction-Comic in deutschsprachigen Buchblogs.

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In bisher vier Sammelbänden stranden vier zwölfjährige Schülerinnen aus Cleveland, die 1988 auf Fahrrädern Zeitungen austragen, in einem Krieg unter Zeitreisenden. Portale und Flugsaurier, Soldaten und Verschwörungen.

Ich liebe die ausdrucksstarken, schlichten Zeichnungen Cliff Chiangs. Autor Brian K. Vaughan gehört seit fast zwanzig Jahren zu den fähigsten Comic-Erzählern. Doch er schrieb auch für „Lost“ – eine Serie, die ich erst mochte, der Figuren wegen…  doch schnell zu hassen lernte, als all diese Figuren zu immer flacheren Spielsteinen wurden. Weil sie nur flüchteten, rannten, Fallen entkamen: In tausend hektisch-öden Standard-Action-Szenarios blieb kaum Raum für Dialoge, komplexer als „Wir müssen zum Frachter! Schnell!“

„Paper Girls“ ist die selbe Sorte flach-naive Schnitzeljagd: Vier Heldinnen, bei denen ich nach fast 500 Seiten noch immer nur ein, zwei Charaktereigenschaften nennen kann, sind auf mehreren Zeitebenen einzig damit beschäftigt, zu laufen, nicht getrennt zu werden und Soldaten, Monstern, Robotern zu entkommen. Ein professioneller Comic? Ja. Doch als Story um Klassen schlechter als „Stranger Things“. Die Figurentiefe? Flacher als in „My Little Pony“.

Toll, vier junge Frauen in der Hauptrolle zu sehen. Doch das geht besser, tiefer!

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Sabine Delorme bloggt als „Binge Reader“ [Buchblog, Link] und sammelt aktuell Gastbeiträge über Feminismus und Science-Fiction unter #womeninscifi

Es geht u.a. um:

Ich selbst bloggte auf „Binge Reader“ über Science-Fiction-Comics mit Frauen in der Hauptrolle (und manchmal: auch von Frauen gezeichnet und geschrieben).

Heute cross-poste ich den Eintrag noch einmal hier bei mir im Blog, mit ein paar zusätzlichen Bildern.

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Frauen in SciFi-Comics: 7 Favoriten

 

Twin Spica | in 16 Sammelbänden abgeschlossen

Text und Zeichnungen: Kou Yagunima

9781939130945Die ersten „Harry Potter“-Bände? Als alle neu in Hogwarts sind – und jeden Tag überrumpelt, überrascht werden?

„Twin Spica“ erzählt von einer Schülerin im selben Alter, die Astronautin werden will. Alltag (und viel Sense of Wonder!) in der Akademie. Eine traurige Familiengeschichte. Etwas magischer Realismus. Und die Frage, welche Ziele sich Menschen setzen, die viel verloren haben. Verlust gegen Hoffnung. Zuversicht trotz Trauma. Wer die Optik von 70er-Trickserien wie „Heidi“ mag, findet hier eine emotional komplexe, viel erwachsenere Geschichten im selben Stil. Ich las bis Band 6 von 16. Und bin fasziniert, wie harmlos ein existenzieller, reifer Comic aussehen kann.

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Dept. H | in 4 Sammelbänden abgeschlosen
Text und Zeichnungen: Matt Kindt
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Mias Vater ist Tiefseeforscher, Umweltaktivist – der Jacques Cousteau Südasiens. Mia forscht im All, nicht unter Wasser. Bis ihr Vater an Bord seiner Station ermordet wird: Jemand aus der kleinen Crew muss Täter sein; Mia will ihn vor Ort überführen. Doch die Station wird sabotiert… und damit zur Falle. Ein Kammerspiel mit unvergesslichen Figuren, viel Psychologie, trügerisch schlichten Zeichnungen, absurd warmherzigen Rückblenden und einer Spannungskurve wie in den größten Horror- und Thriller-Klassikern: technisch, menschlich, literarisch ist „Dept. H“ der reifste aktuelle Comic, den ich kenne.
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Lazarus | bisher 5 Sammelbände und der recht nichtssagende Kurzgeschichten-Band „Lazarus X+66“

Text: Greg Rucka, Zeichnungen: Michael Lark
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Konzerne regieren die Welt. Jedes große Familienunternehmen herrscht über ein Terrain, wie im Feudalismus. Die Bevölkerung lebt in zwei Gruppen: als wertloser „Waste“ oder als Dienerklasse, „Serf“. Und diplomatische Konflikte werden meist unter Elite-Kampfkräften der Clans ausgetragen. Manchmal durch Krieg, Terrorismus, Spionage. Oft aber in rituellen Duellen: Jede Familie hat einen „Lazarus“.
Clan Carlyle herrscht über die Südwestküste der ehemaligen USA. Tochter Forever Carlyle wurde ihr Leben lang als Lazarus trainiert. Machtspiele, Samurai-Drama, Biotech und tolle Nebenfiguren aus den unteren Klassen: Rucka ist mein Lieblings-Comicautor. „Lazarus“ sein durchgängig packendstes Werk.
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Shade | 2 Sammelbände, dann das Crossover „Milk Wars“, dann die Reihe „Shade, the Changing Woman“
Text: Cecil Castellucci, Zeichnungen: Marley Zarcone
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Eine depressive Vogelfrau vom Planeten Meta stiehlt ein Artefakt, mit dem sie in den Körper des komatösen US-Schulmädchens Megan springt. Megan war hasste sich selbst – und ihre Nicht-Freunde und Mobbing-Opfer Megans fragen sich, warum sie plötzlich spricht wie ferngesteuert. „Shade“ bringt 90er-, Indie- und David-Lynch-Atmosphäre ins DC-Universum; fragt nach Gender, Identität, Körperbildern und Agency. Grandios koloriert, unverwechselbar gezeichnet.
Feministisch, komplex, verspielt, überraschend. Die originellen Bilder, Layouts und Wendungen machen so viel Lesefreude: ein Gegengewicht zu den düsteren Frauen-Leben.
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Squirrel Girl | bisher 8 Sammelbände; besonders empfehlenswert ist der Sonderband „The unbeatable Squirrel Girl beats up the Marvel Universe“
Text: Ryan North, Zeichnungen: Erica Henderson
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Ich brauchte 100 Seiten, um den Tonfall zu verstehen: Eine Eichhörnchen-Superheldin Anfang 20, die im ersten Semester Computerlinguistik studiert – und sich die gute Laune nie verderben lässt? Sollen wir mit ihr lachen… oder über sie? Doch wer Doreen Green drei, vier Bände lang folgt – schrullige Dialoge, grimmiger Optimismus, zu viele hyper-theoretische, absurde Zeitreise- und Doppelgänger-Storylines, die immer fünf, sechs Seiten zu lang dauern, immer mehrere pedantische Gedankenspiel-Wendungen mehr als nötig nehmen – wird die Figur und ihren Blick nie vergessen. Ein unvergleichlicher Marvel-Comic, albern, kantig, schlau. Lernte Ryan North von Terry Pratchett?
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Wandering Island | bisher 2 Sammelbände
Text und Zeichnungen: Kenji Tsuruta
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Mikura, eine junge Pilotin mit Wasserflugzeug, liefert an der japanischen Küste als privater Kurierdienst Pakete aus. Die selbe Prämisse wie in „Käptn‘ Balu und seine tollkühne Crew“ – doch erzählt in ruhigen, detaillierten Flug- und Landschaftsbildern. Auch Mikuras Großvater war Pilot: Sein Archiv sammelt Indizien, dass eine mechanische, schwimmende Insel vor der Küste treibt. Sind die Mentoren und Vorbilder in Mikuras Leben wirklich tot – oder verstecken sie sich in einem Steampunk-Exil? „Wandering Island“ zeigt eine absurd schlanke, oft nackte junge Frau, über Seekarten gebeugt. Trotz dem sexistischen Blick und arg dünnem Plot: große Zeichenkunst, tolle Atmosphäre!
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Unstoppable Wasp | in 8 Kapiteln / 2 kurzen Sammelbänden abgeschlossen
Text: Jeremy Whitley, Zeichnungen: Elsa Charretier
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Mädchen und MINT-Fächer? Nadia Pym ist Tochter des verstorbenen Forschers und Avengers Hank Pym: Ant-Man. Die junge (und: lesbische?) Osteuropäerin erbt sein Labor – und fragt sich, weshalb im S.H.I.E.L.D.-Ranking der intelligentesten Menschen so wenige Frauen stehen. Oder Bobbi Morse als Super-Spionin bekannt ist, doch kaum als Wissenschaftlerin. Und, wie solche Probleme strukturell, institutionell, politisch lösbar sind. Ein schwungvoller, farbenfroher, optimistischer Comic für alle ab 11 mit einer idealistischen, hochbegabten, doch nie kitschig-perfekten Heldin.
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5 Mainstream-Superheldinnen:

Thor. 11+ Sammelbände; von Jason Aaron (Text), Russell Dauterman u.a. (Zeichnungen):
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2010 nannte ich „Green Lantern“ das „vielleicht letzte große triviale Epos im Comic“: eine wuchtige Space Opera, blutig, überbordend, warmherzig. Seit 2011 schreibt Jason Aaron „Thor“, im selben Stil: Erst geht es vier Sammelbände lang um Odins Sohn. Dann um eine geheimnisvolle Frau, die Thors Hammer übernimmt. Eine Reihe, die immer schneller, facettenreicher, melodramatischer wird. Allergrößte Oper!
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Invincible Iron Man. Bisher 2+ Bände, dann das Crossover „The Search for Tony Stark“; von Brian Michael Bendis (Text), Stefano Caselli (Zeichnungen):
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Tony Stark ist fort. Doch sein Bewusstsein hilft, als A.I.-Programm, der brillanten Schülerin Riri Williams beim Bau einer eigenen Iron-Man-Rüstung. Brian Michael Bendis, Erfinder von Jessica Jones, ist einer der wichtigsten (und: feministischsten) Marvel-Autoren. Mit „Invincible Iron Man“ und der (leider: viel schlechteren) parallelen Serie „Infamous Iron Man“ verabschiedet er sich aus dem Marvel-Universum und wechselt zu Konkurrenzverlag DC. Riris Hefte? Young-Adult-Spaß mit allen Figuren, die schon in den Iron-Man-Kinofilmen überzeugten (Pepper Potts etc.) – und Spider-Mans Tante May!
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Runaways [Neustart]. Bisher ein Sammelband; von Rainbow Rowell (Text), Kris Anka (Zeichnungen)
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Ein Comic-Erfolg ab 2003, seit 2017 auch als TV-Serie: Fünf Jugendliche denken, ihre Eltern seien alte Geschäftsfreunde. Tatsächlich sind sie ein Schurken-Geheimbund. In Rainbow Rowells Neuauflage verging Zeit: Fast alle kriminellen Eltern sind besiegt, die Runaways gehen eigene Wege. Dann gelingt es zweien, eine verstorbene Freundin via Zeitreise in die Gegenwart zu retten. Start einer langsamen, dialoglastigen, gefühlvollen, oft „Buffy“-haften Young-Adult-Reihe über Freundschaft und Entfremdung. Vorwissen über die früheren „Runaways“-Hefte? Kein Muss.
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Batwoman. Greg Rucka (Text), J.H. Williams III (Zeichnungen, ab Band 2 auch Text)
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Kate Kane, Bruce Waynes lesbische, jüdische Cousine, wollte Elite-Soldatin werden. Jetzt kämpft sie gemeinsam mit ihrem Vater, einem Colonel, gegen meist übersinnliche und okkulte Bedrohungen in Gotham City. Eine unverwechselbare Frau in düster-märchenhaften Urban-Fantasy-Abenteuern, oft ebenso unverwechselbar gezeichnet, inszeniert. Die ersten fünf Sammelbände? Die beste DC-Serie seit 2011. Auch James Tynions „Detective Comics“, über Kate als Bat-Team-Chefin, machen Spaß.
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Moon Girl. Bisher 5+ Sammelbände; Amy Reeder (Text), Brandon Montclare (Zeichnungen)
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Ein Comic für Kinder ab 8 – über die begabteste Person im Marvel-Universum: eine schwarze Drittklässlerin in Midtown, mit liebevollen Eltern und einem bodenständigen Alltag. Lunella Lafayette lernt einen tumben Saurier kennen, versteckt ihn im geheimen Labor unter der Schule. Ich liebe, dass die Serie viel süßlicher, harmloser sein könnte – doch immer wieder komplizierte Abenteuer und Konflikte entwickelt; und dass Lunella oft atemberaubend arrogant, unterfordert, frustriert sein darf. Eine kindgerechte Kinder-Heldin – mit Profil und Abgründen.
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6 Sci-Fi-Tipps, in denen Frauen zentral sind – doch nicht die einzige Hauptfigur:

Saga. Bisher 8+ Sammelbände; von Brian K. Vaughan (Text), Fiona Staples (Zeichnungen)
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Eine Soldatin verliebt sich in einen Mann der gegnerischen Spezies. Die beiden zeugen ein Kind – und flüchten, vor beiden Nationen. Vaughans brutale, aber sehr zärtliche Weltraum-Odyssee zeigt markante, originelle Welten, Wesen; und liebt irre Cliffhanger, Zeitsprünge, dramatische Ironie. Der beste Comic des Jahrzehnts, mit vielen interessanten Frauenfiguren – einige auch queer und/oder trans.
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Injection. Bisher 3+ Sammelbände; von Warren Ellis (Text), Declan Shalvey (Zeichnungen)
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Fünf britische Genies – zwei Frauen, drei Männer – setzen eine künstliche Intelligenz in die Welt. Doch das Programm glaubt, wachsen zu können, indem es prüft, ob es Übersinnliches, fremde Dimensionen, okkulte Wesen gibt – und diese kontrollieren kann. Ein Mystery-Comic im Stil von „Akte X“, „Fringe“ oder „Torchwood“, mit Figuren, inspiriert von „Dr. Who“, James Bond und Sherlock Holmes. Autor Warren Ellis liebt Technologie, Literatur, Mythologie – und spielt hier kongenial mit britischen Pulp-Nationalmythen.
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Invisible Republic. Bisher 3+ Sammelbände; von Gabriel Hardman (Text und Zeichnungen), Corinna Bechko (Zeichnungen)
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Die Menschheit hat ein fremdes Sonnensystem besiedelt – doch der Mond Avalon wurde durch Bergbau, Korruption und einen Stellvertreterkrieg zur Militärdiktatur. Ein junger Partisane und seine Cousine wollen das Regime stürzen. Mit welchen Mitteln? Auf zwei Zeitebenen zeigt Hardman Geopolitik, Kolonialismus, linke Debatten; und fragt nach der Rolle von Whistleblowern und Presse. Ein realistischer, manchmal grauer Geheimtipp, der optisch an Osteuropa in den 70ern erinnert. Eine TV-Version? Kommt sicher bald. Perfekte Vorlage!
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The Vision. In 2 Sammelbänden abgeschlossen; von Tom King (Text), Gabriel Hernandez Walta (Zeichnungen)
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Ein Android mit Sehnsucht nach Menschlichkeit baut sich eine Kleinfamilie, zieht in die Vorstadt… und erlebt, wie in einem magischen Norman-Rockwell-Herbst alles vor die Hunde geht: „The Vision“ beginnt als „domestic drama“ im satirischen Retro-Look. Doch in Band 2 tauchen auch andere Avengers, Victor Mancha, die Scarlet Witch auf – und aus einer „Mad Men“-artigen Parabel wird ein Helden-Thriller. Nerdig, menschlich, überraschend. Und, wie immer bei Tom King: voller Motivketten, formaler Spielchen und erzählerischer Tricks. Souverän!
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Black Hammer. Bisher 3+ Sammelbände sowie mehrere Spin-Off-Comics; von Jeff Lemire (Text), (Zeichnungen)
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Eine Gruppe Superhelden, wie wir sie aus den 50ern und 60ern kennen, dem „Golden“ und dem „Silver Age“ der Heldencomics, ist seit Jahrzehnten gestrandet – in einem künstlichen Retro-Dorf. Kanadier Jeff Lemire liebt Groschenheft-Klischees. Und ehrliche, tiefe Provinz-Melancholie. „Black Hammer“ ist ein neues, eigenes Erzähl-Universum, das klassische Figuren wie Mary Marvel, Lex Luthor und Martian Manhunter neu denkt. Liebevoll, morbide, intelligent.
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Darth Vader. In 4 Sammelbänden und dem Crossover „Vader Down“ abgeschlossen; doch fortgesetzt in der (schwächeren) Serie „Star Wars: Doctor Aphra; von Kieron Gillen (Text), Salvador Larroca (Zeichnungen)
Dr. Aphra ist Archäologin (und lesbisch) – und hat keine Skrupel, fürs Imperium zu arbeiten. In klugen Polit- und Action-Dramen, die alle zwischen Episode IV und V spielen, kämpfen Vader und Aphra mit- und gegeneinander. Sie überlisten Rebellen. Verbündete. Und alle, die versuchen, sie zu verraten. Ein Comic voll zynischer Figuren – der jedoch selbst nie menschenfeindlich, respektlos wird. Sondern zeigt, wie im totalitären Imperium jeder leidet – unter jedem anderen.
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15 Comics, auf die ich mich freue:

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Hawkeye Kate

tolles Panel aus: „Hawkeye: Kate Bishop“, Vol. 2

Die besten Comics 2018: Empfehlungen zum Gratis-Comic-Tag #gct2018

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Am Samstag, den 12. Mai 2018 ist Gratis Comic Tag [Infos: hier].

In teilnehmenden Comic-Shops, Buchhandlungen, Zeitschriftenläden darf man aus 35 je ca. 40 Seiten langen Gratis-Comics wählen; so lange der Vorrat reicht. Ein Radar zum Finden aller Stores: hier im Link.

Als Kritiker und Journalist stelle ich u.a. bei Deutschlandfunk Kultur und im Berliner Tagesspiegel Comics vor und gebe regelmäßig persönliche Empfehlungen hier im Blog [2017 | 2016 | 2015 | Mangas]. 2017 und 18 schrieb ich die Programmtexte zur Manga Comic Con der Leipziger Buchmesse. 2014 und 2015 übersetzte ich zwei Versionen eines „Avengers“-Lexikon vom Englischen ins Deutsche.

Zum Gratis Comic Tag ließ ich mir alle 35 Titel zur Rezension schicken. Hier im Eintrag stelle ich sie vor.

Hier im Blogpost: Ausschnitte, [gekürzte, teils präzisierte] Klappentexte und etwas Literaturkritik / Einordnung von mir.

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Unerschrocken. Portraits außergewöhnlicher Frauen

Reprodukt | Pénélope Bagieu

Reprodukt_GCT2018_Unerschrocken„Vorreiterinnen, Querdenkerinnen. Jede eine Heldin auf ihre ganz eigene Art. Diese Frauen fanden ihre Bestimmung: Insgesamt 30 beeindruckende Persönlichkeiten porträtiert Pénélope Bagieu in den beiden Bänden von “Unerschrocken”, darunter bekannte Namen wie die Kunstsammlerin Peggy Guggenheim und noch zu entdeckende Persönlichkeiten wie die Vulkanologin Katia Krafft. Sie alle führen und führten ein selbstbestimmtes Leben und haben die Welt verändert. Das Heft zum Gratis Comic Tag zeigt drei spannende Biografien: Sonita Alizadeh, Rapperin aus Afghanistan; Autorin und Zeichnerin Tove Jansson; und Mae Jemison – die erste schwarze Frau im Weltall.“ [Klappentext, gekürzt.]

Details: Reprodukt | Goodreads

Empfehlung: Drei politische, inspirierende, packende Kurzbiografien, je 6 Seiten lang – die ich nie vergessen werde.

Schwächen? Über einen großen Mann schreiben Menschen eine Monografie. Doch wegweisende Frauen landen dauernd in Büchern, die 15, 20, 30 von ihnen sammeln. „Unerschrocken“ begann als Zeitungsprojekt und wirkt weniger wie ein Comic als eine illustrierte Info-Seite. Didaktisch, textlastig, visuell nie besonders reizvoll. Aber: Pénélope Bagieu ist SEHR gut darin, Relevantes auszuwählen und pointiert, kurzweilig zu präsentieren. Für mich sind diese Biografien Einladungen, zu googeln, mich selbst weiter zu bilden. Bagieu macht Lust, mehr zu erfahren!

und dann? Narrativere, literarischere Comics über Frauen- und Bürgerrechte, z.B. „Stuck Rubber Baby“ oder „Ooku – the inner Chambers“; Tove Janssons wunderbares „Sommerbuch“

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Q-R-T

Reprodukt | Ferdinand Lutz

Reprodukt_GCT2018_Q-R-T_CVR_web„Q-R-T sieht aus wie ein normaler Junge, doch ist schon 122 Jahre alt. Er kommt vom Planeten Rzzz, auf dem man sein Leben lang Kind bleibt. Mit seinem tollpatschigen Haustier Flummi, das jede beliebige Gestalt annehmen kann, zieht er in eine Plattenbausiedlung, um das Verhalten der Erdlinge zu studieren. Die scharfsinnige Nachbarin Lara lässt nicht locker und stellt unangenehme Fragen. Ferdinand Lutz’ liebevoll-schräge Comics erschienen 2011 bis 2016 monatlich im Kindermagazin “Dein SPIEGEL”.“

Details: Reprodukt| Goodreads

Empfehlung: Kurze, kindgerechte Episoden. Jedes Panel zeigt schöne Charakter-Momente oder einen Grund, zu lachen. Lara wirkt etwas banal / nebensächlich, und die Atmosphäre (mit Kehrwoche etc.) erinnert mich an eine Kindheit der 80er, nicht an heute. Trotzdem: So einladend, leicht verständlich, schwungvoll… ein gutes Geschenk; und eine Figur, die Kinder anspricht. (Plus: kluges Kurzinterview des Zeichners/Autors.)

Schwächen? Ein Ensemble wie aus einer typischen 80er-Jahre-Sitcom („ALF“, „Mein Vater ist ein Außerirdischer“); viele Witze wirken etwas gestrig.

und dann? „Kiste“ von Patrick Wirbeleit. Solider Erstleser-Comic ab 6. Und, wie immer: mein Lieblingscomic für alle Grundschüler*innen, „Yotsuba!“

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To your Eternity

Egmont Manga | Yoshitoki Oima

02_GCT2017_Manga_ToYourEternity„Allein in der Tundra: Der letzte Überlebende eines Dorfes ist dem Tode nahe. Doch er bekommt Gesellschaft: Ein unsterbliches Wesen ist auf der Welt gelandet und kopiert den Körper seines sterbenden Wolfshunds. Eine fantastische Geschichte voll Leid, Schmerz, Freundschaft, Liebe der Zeichnerin von ‚A Silent Voice‘.“ [Klappentext, gekürzt.]

Details: Goodreads | Egmont

Empfehlung: Ein stiller, sofort verständlicher, märchenhafter A-Boy-and-his-Dog-Manga, der mich mühelos in die Geschichte zieht, neugierig macht.

Schwächen? Die Mangaka schrieb auch „A Silent Voice“: eine Manga-Reihe, in der eine gemobbte, gehörlose Schülerin Nebenfigur ihrer eigenen Geschichte blieb. Selbsthass und Tristesse, kein Empowerment. Ich mag, dass „To your Eternity“ ganz andere Figuren zeigt, eine ruhigere Grundstimmung. Doch ich traue dieser Autorin nicht zu, viel Kluges zu sagen über z.B. Nomadenvölker, oder die Psychologie jahrelanger Hunger-, Survival- / Überlebenskampf-Konflikte.

und dann? Viel besser gezeichnet? „Young Bride’s Story“, über Alltag an der Seidenstraße im späten 19. Jahrhundert. Großes, märchenhaftes Survival-Kino? „Nausicaä – Prinzessin aus dem Tal der Winde“. Auch die Manga-Vorlage will ich endlich lesen.

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Schattenspringer

Panini | Daniela Schreiter

Schattenspringer-GCT-Cover-500x„’Wer einen Autisten kennt, kennt genau EINEN Autisten‘, sagt sich Daniela Schreiter im dritten ‚Schattenspringer‘-Band und macht sich auf, andere Betroffene zu interviewen. Wie immer kombiniert sie dies mit ihren eigenen Erfahrungen. Und schafft erneut, wundervoll unterhaltend über ein scheinbares Tabuthema aufzuklären, ohne belehrend zu wirken. Schreiter wurde im wilden Berlin der 1980er Jahre geboren.“ [Klappentext, gekürzt.]

Details: Panini  | Goodreads

Empfehlung: Eine Künstlerin mit Asperger-Autismus zeigt ihren Alltag – in didaktischen, einladenden Sach-Comics. Ich mag das Figurendesign, die klare Sprache und, wie verhältnismäßig tief, komplex hier auf wenigen Seiten über Themen wie „Warum stört mich, dass mir Partner beim Kochen helfen?“ oder „Warum brachte mich Gruppenarbeit an der Uni aus dem Konzept?“ gesprochen wird. Durchgängig lehrreich, lesenswert!

Schwächen? Ich war SO enttäuscht, dass der Mittelteil des Comics plötzlich nur Schwarzweiß zeigt. Und ich bin gespannt, wie tief Daniela Schreiter z.B. über Sexualität spricht, in ihren drei Büchern: einerseits gibt es eine „Nacktszene“. Andererseits spielt in den langen Passagen über die Dynamik in Partnerschaften Körperlichkeit *gar keine* Rolle.

und dann? Ich liebe den Pädagogik-Manga „With the Light: Raising an Autistic Child“. Tolle Sach-Comics über Neurodiversität oder Krankheit habe ich HIER im Link gesammelt. Ich folge Schreiters Kollegin und Freundin Sarah Burrini auf Twitter – und glaube, sie haben ähnliche Zielgruppen.

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Snoopy

Carlsen | Charles M. Schulz

CarlsenComics_Cover_Peanuts-500„‚DIE PEANUTS‘ gehören zu den großen, zeitlosen Comics: seit Jahrzehnten von Kindern und Erwachsenen geliebt. Bei Carlsen erscheinen deshalb Bücher für unterschiedlichste Zielgruppen, wie die 26-bändige, bibliophil ausgestattete Gesamtausgabe. Und die Reihe „Peanuts für Kids“ für die jüngsten Leser. Dieser Gratiscomic enthält farbige Comicstrips, Zeichenanleitungen und Rätsel.“ [Klappentext, gekürzt.]

Details: Carlsen | Goodreads

Empfehlung: Sympathische, solide Snoopy-Comics, selten ganz-, meist halbseitig. Gewitzt, warmherzig, für jede Altersgruppe geeignet.

Schwächen? Keine. Snoopy ist nicht meine „Peanuts“-Lieblingsfigur. Das Heft dreht sich fast nur um ihn. Persönlich wäre mir ein Band über z.B. Patty, Linus oder Schröder lieber.

und dann? Ich frage mich oft, welche erwachsenere Serie den „Peanuts“-Tonfall am besten aufgreift. „Scott Pilgrim“ und „Honey & Clover“ sind recht schrullig, idiosynkratisch, melancholisch.

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Der freie Vogel fliegt

Chinabooks | Jidi & Ageng

chinabooks_der_freie_vogel_flie„China in den 90er Jahren: Lin Xiaolu besucht eine Mittelschule mit Schwerpunkt Kunst und Gestaltung. Als Scheidungskind lebt sie mit ihrer Mutter in der westchinesischen Stadt Chengdu. Sehr realistisch erfährt man von seelischen Nöten und Sorgen: erste Erfahrungen mit dem anderen Geschlecht, erste Liebe und Liebeskummer, die Sprachlosigkeit zwischen Heranwachsenden und ihren Eltern. Es werden auch schwierige Themen angepackt wie der enorme Schuldruck und Prüfungsstress.“ [Klappentext, gekürzt.]

Details: Chinabooks | Goodreads

Empfehlung: Pastellfarben, gefällig, illustrativ. Ein sympathischer Comic mit interessanten Zwischentönen. Im Grundschulalter z.B. freut sich die Hauptfigur, dass ihre Eltern sich trennen und Partner suchen, die besser passen. Mir fehlen längere Szenen mit mehr Sprechblasen, Dynamik: Oft schreibt die Ich-Erzählerin drei, vier Sätze über ihr Innenleben, und auf der Bild-Ebene gibt es dazu eine nette, doch nie besonders originelle visuelle Umsetzung. Ein braver, statischer Comic. Klappentext und Erzähltext sind zudem seltsam trocken, akademisch: Ich kann kein Chinesisch. Doch vermute, dass hier an vielen Stellen unnötig abstrakt, verlabert übersetzt wurde.

Schwächen? Hätten die Nebenfiguren mehr Raum und mehr szenische Auftritte – die Geschichte wäre dynamischer, vielleicht authentischer.

und dann? „The Nao of Brown“ erzählt im selben Zeichenstil von einer Angststörung, deutlich klüger. „Punpun“ ist psychologischer (…und gegen Ende leider platt nihilistisch), zieht mich tiefer rein. Der tolle Anime „Your Name“ ist ähnlich illustrativ & pretty. Und Thi Buis „The Best we could do“ zeigt, dass es keine makellosen Bilder braucht, um Zwischentöne der Pubertät toll zu schildern. Auf meinem bald-Lesen-Stapel: Yoshihiro Tatsumis Künstler-Biografie „A Drifting Life“

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Black Hammer

Splitter | Jeff Lemire, Dean Ormston

Splitter_Black_Hammer_GCT_Cover„Das goldene Zeitalter der Superhelden ist um: Abraham Slam und seine Gefährten waren einst die Beschützer von Spiral City, doch nach einem Gefecht gegen ihren Erzfeind finden sie sich in einem gottverlassenen Nest im Nirgendwo wieder. Dort müssen die Helden sich häuslich einrichten, denn aus der Kleinstadt gibt es kein Entkommen. Jeff Lemire, Spezialist für ausgefallene Stories mit Tiefgang, schafft eine Hommage an die großen Comic-Helden, bei der die Liebe zum Genre aus jeder Seite strahlt.“ [Klappentext, gekürzt.]

Details: Splitter | Goodreads

Empfehlung: Ich empfahl „Black Hammer“ schon mehrmals. Zuletzt mit folgendem Kurztext: Eine Gruppe Superhelden, wie wir sie aus den 50ern und 60ern kennen, dem „Golden“ und dem „Silver Age“ der Heldencomics, ist seit Jahrzehnten gestrandet – in einem künstlichen Retro-Dorf. Kanadier Jeff Lemire liebt Groschenheft-Klischees. Und ehrliche, tiefe Provinz-Melancholie. „Black Hammer“ ist ein neues, eigenes Erzähl-Universum, das klassische Figuren wie Mary Marvel, Lex Luthor und Martian Manhunter neu denkt. Liebevoll, morbide, intelligent.

Schwächen? Heft 1 ist männerlastig und recht trostlos. Die Erzählwelt wird bald bunter, feministischer, reicher. Nicht zuletzt durch z.B. Gastzeichner David Rubin.

und dann? James Robinsons „Starman“, Jeff Lemires „Royal City“ und „Essex County“, vielleicht auch Darwyn Cookes „The New Frontier“ (über das Silver Age, nicht das Golden Age); auch der direkte Vergleich zwischen „Watchmen“ und „Black Hammer“ lohnt sich.

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American Gods

Splitter | Neil Gaiman, P. Craig Russell, Scott Hampton

Splitter_American_Gods_GCT_Cove„Kaum hat Shadow seine Haftstrafe abgesessen, erfährt er, dass seine Frau einen tödlichen Unfall hatte. Darum hält ihn nichts davon ab, auf das Jobangebot des jovialen Mr. Wednesday einzugehen und dessen Leibwächter zu werden. Die Personen, die Mr. Wednesday auf seinen Reisen quer durch die USA besucht, sind ebenso undurchschaubar. Shadow steckt mitten in einem uralten Konflikt von wahrhaft göttlichem Ausmaß.“ [Klappentext, gekürzt.]

Details: Splitter | Goodreads

Empfehlung: Neil Gaimans Romanvorlage? Eins meiner Lieblingsbücher. Die aktuelle HBO-Serie? Solide Kritiken. Der Comic irritiert: Ich mag, wie viel Platz jede Seite lässt, um Neil Gaimans Prosa Wort für Wort zu erhalten. Doch damit wirkt das Heft recht steif. Bildaufbau und Figuren (nach Models gezeichnet: Photo Referencing?) kommen mir vor wie aus den 90ern; und ich habe kein Vertrauen, dass jemand diese Seiten liest und daran sieht, was Comics als eigene, distinkte Kunstform können. Trotzdem: tolle Geschichte, schön koloriert, kompetent adaptiert. Und: sympathisch, dass eine der wagemutigsten Szenen im Roman – ein Mann wird von einer Vagina verschlungen – direkt hier im Heft zu finden ist.

Schwächen? Women in Refrigerators: Frauen, die sterben, damit die männlichen Helden Antrieb haben, zu handeln. Wäre ich kein Gaiman-Fan, würde mir dieser Start keine Lust machen, mehr von ihm zu lesen.

und dann? Ich bin kein Fan von Grant Morrisons und Dave McKeans „Arkham Asylum“, doch glaube, wer die „American Gods“-Ästhetik mag, wird den Klassiker lieben. Ich selbst empfehle den (schrulligen, auch toll verfilmten) Comic „Wild Palms“ von Bruce Wagner.

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Die drei ??? und das Dorf der Teufel

Kosmos | Christopher Tauber, Ivar Leon Menger, John Beckmann, Asja Wiegand

Kosmos_GCT2018_DDF_print-1-500x„Auf der Suche nach einem vermissten Freund des Chauffeurs Morton landen die drei ??? in Redwood Falls. Die Bewohner lehnen Fortschritt ab. Schon bald überschlagen sich die Ereignisse und das Dorf der Teufel zeigt sein wahres Gesicht.“ [Klappentext, gekürzt.]

Details: Kosmos | Goodreads

Empfehlung: Drei schnöselige Jungs in Abenteuern, die mir wenig über Kalifornien zeigen/verraten. In meiner (Nicht-Bildungsbürger-)Kindheit las man das prollige, rassistische „TKKG“, nicht die drei Fragezeichen. Auch hier wachsen mir die drei Stock-im-Arsch-Boys und ihr Junge-Liberale-haftes Siezen nicht an Herz. Die Geschichte (oder: der Ausschnitt des Bandes, auf den sich das Gratis-Heft beschränkt) ist durchschaubar, klischeehaft, hat ein offenes Ende. Eine frustrierende Rahmenhandlung macht nichts besser. Doch die Zeichnungen?! Das Heft ist zeichnerisch – keine Übertreibung! – Weltklasse, und erzählerisch gut genug, dass ich… begeistert wäre, falls das ???-Team US-Horror-Lieblings-Comicreihen wie „Afterlife with Archie“, „Harrow County“ übernehmen würde.

Schwächen? Massig. Egal: Feiert dieses Heft; gebt den Künstlern Geld, Jobs, künstlerische Freiheiten. Erste Liga!

und dann? „Harrow County“ und „Afterlife with Archie“. Außerdem: Alles von Seth (Link), einem kanadischen Comiczeichner, der oft im selben Stil und mit den selben Farbkombinationen arbeitet. Und: Der aktuelle, lesenswerte Matt-Ruff-Roman „Lovecraft Country“ hat die selben Themen, Atmosphäre, den selben „Look“.

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Batman: Metal

Panini | Scott Snyder, Jim Lee, Andy Kubert, John Romita Jr

DBATME001CT_cover_RGB-500x714„Starautor Scott Snyder taucht tief ein in die Vergangenheit der Familie Wayne und die Ursprünge des DC-Kosmos ‒ und präsentiert die Schrecken des Schwarze-Materie-Universums! Batman und Helden wie Wonder Woman, Superman, Aquaman und Flash kämpfen ums Schicksal der Welt. Das DC-Mega-Event, das niemand verpassen darf!“ [Klappentext, gekürzt.]

Details: Wikipedia | Goodreads

Empfehlung: Die ersten beiden „Batman“-Bände von Scott Snyder, „Court of Owls“ und „City of Owls“, sind einsteigerfreundlich, packend. Dann wurden Snyders Comics esoterischer, barocker: überspannt. Oft toll eigensinnig. Oft einfach: Trash und Fan-Wank für ein Nischenpublikum. Ein DC-Autor dagegen, der auch Nischen-Themen toll mainstreamfreundlich erzählen kann? Geoff Johns. 2016 deutete Johns an, dass der Joker keine Einzelperson ist, sondern drei verschiedene Entitäten. In „Batman: Metal“ erzählt Snyder (der dafür wirklich GAR kein Talent bewies bisher) eine Geschichte im Johns-Stil, u.a. über den Joker. Die Kritiken sind großartig, der Start macht Spaß (ich las bisher erst 100 von fast 400 Seiten). Aber, Warnung: Das hier…

Schwächen? …ist ein DC-Comic für Menschen, die nachts wach liegen und sich fragen „WAS ist eigentlich mit Hawkman?“ oder „Welche Plastic-Man-Comics sind weiterhin ‚offiziell passiert‘, und welche kosmischen Zauber, Dimensionswechsel, Neustarts etc. haben die Figur verändert: inwiefern?“

und dann? Die meisten DC-Serien sind ab 2016 recht zugänglich, einsteigerfreundlich. Ich empfehle „Superman“ und „Action Comics“, „Detective Comics“, „Super Sons“ und das barocke, doch einladende, süffige „Injustice 2“.

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Die Nektons: Abenteurer der Tiefe

Dani Books | Tom Taylor, James Brouwer

dani_books-GCT-2018-Die-Nektons„Die wagemutige Meeresforscherfamilie Nekton reist mit ihrem High-Tech-U-Boot „Arronax“ in die Tiefe! Als es nach einem Erbeben vor der Küste Grönlands vermehrt zu Berichten über Monstersichtungen kommt, machen sich William und Kaiko Nekton gemeinsam mit ihren Kindern Fontaine und Ant (sowie natürlich Ants Haustier, dem Fisch Jeffrey) auf, um dem Rätsel auf den Grund zu gehen. Werden sie aus Versehen aufgefressen? Wird es Ant gelingen, einem Fisch das Stöckchenholen beizubringen? Das Comic zur beliebten Super-RTL-Trickserie von Tom Taylor („Injustice: Gods Among Us“, „All-New Wolverine“).“ [Klappentext, gekürzt.]

Details: Serie bei TV Tropes | Goodreads | Dani Books

Empfehlung: Australier Tom Taylor, einer der witzigsten, schwungvollsten, zugänglichsten US-Heldencomic-Autoren, hat eine Kinderserie? Drei Staffeln? Auch in Deutschland erfolgreich? Ich bin bei Unterwasser-Serien (wie „Seaquest“) schnell nervös – weil oft nach wenigen Episoden die Ideen ausgehen. Die Rollenverteilung in der Familie Nekton ist konventionell, und noch bevor etwas Originelles geschieht, Ausmaß und… Tiefgang des Konflikts absehbar werden, hört der Gratis-Comic auf. Trotzdem: für 8- bis 12jährige wartet hier kompetente Mainstream-Unterhaltung eines Comic-Profis, dem ich seit ca. 2012 vertraue.

Schwächen? Seit Jahren sensibilisieren mich Freund*innen, dass Worte wie „dumm“, „irre“, „bescheuert“ ableistisch sind. Beim dritten, vierten „Du bist ein Idiot!“ unter den Geschwistern hier im Comic war ich gelangweilt, genervt.

und dann? Mein Tiefsee-Favorit (für Erwachsene) ist Matt Kindts „Dept H“. Die Nektons wirken auf mich noch zu sehr wie „The Incredibles“ (Pixar). Trotz guter Kritiken konnte ich mit den Abteuer-Grundschul-Comics „Amulet“ und „Avatar: Herr der Elemente“ wenig anfangen (die „Avatar“-Trickserie mag ich sehr).

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Super Mario Adventures

Kazé | Kentaro Takekuma, Charlie Nozawa

Kaze_SuperMario_COVER_UNVERBIND„Prinzessin Peach wird vom teuflischen Halunken Bowser entführt. Doch die Super-Klempner Mario und Luigi sind mit ihrem neuen Freund Yoshi schon auf dem Weg. Können sie den Koopa-König aufhalten, bevor er Peach zur Heirat zwingt und das Pilzkönigreich an sich reißt? Exklusiv für das offizielle Magazin ‚Nintendo Power‘ entstand von Januar 1992 bis Januar 1993 eine Reihe von Comic-Strips. Diese Comics folgten nicht der Storyline eines bestimmten Spieles, vielmehr erzählten sie neue Abenteuer der bekannten Helden – und führten sogar neue Figuren ein. Der Sammelband Super Mario Adventures bündelt erstmals und vollständig auf Deutsch alle Comics. Zum Gratis Comic Tag gibt es die Kapitel 1 bis 3 zum Schnuppern.“ [Klappentext, gekürzt.]

Details: TV Tropes | Kaze | Goodreads

Empfehlung: Die Super-Mario-Trickserien von 1989 („Super Mario Bros Super Show“), 90 („Super Mario Bros 3“), 91 („Super Mario World“) sind atemberaubend schäbig, geistlos, schlecht. Umso toller, wie viele skurrile Ideen, Bildwitze, Wortspiele und Details dieser Werbe-Comic von 1993 aus dem selben Stoff holt. Man merkt dem Comic sein Alter deutlich an – Luigi nahm ich z.B. in modernen Spielen nie als faulen Vielfraß wahr. Doch Mario ist eine SO populäre Figur, über die es SO wenig interessante Texte, Geschichten gibt: Ich bin hingerissen! (Schaut z.B. oben: Bowser hat sogar DEN SCHREI VERSTEINERT!)

Schwächen? Ein Toad-Masseur, der über Chi spricht, eine halbe Seite lang auftaucht, sieht aus wie die typische rassistische Karikatur eines Chinesen.

und dann? Sagt es mir! Der „Sonic“-Comic hat oft gute Kritiken, doch bisher war ich von jeder Leseprobe gelangweilt. TV Tropes hat eine kurze Liste mit Comics, die auf Spielen basieren.

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Grandville

Schreiber & Leser | Bryan Talbot

schreiberleser_Grandville_cover„Wie sähe die Welt aus, wenn Napoleon bei Waterloo gewonnen hätte? Vielleicht wäre die Sozialistische Republik Britannia ein kleiner, unbedeutender Staat, über die Kanalbrücke verbunden mit dem Empire Frankreich. In dieser Parallelwelt wird die Leiche eines britischen Diplomaten aufgefunden. Selbstmord? Detective Inspector LeBrock und sein Assistent Roderick Ratzi ermitteln in der Grandville Paris, der Stadt der Lichter. Bryan Talbot, u.a. bekannt durch ‚Sandman‘, verneigt sich mit dieser Steampunk-Serie vor Meistern wie J.J. Grandville, Albert Robida, Sir Arthur Conan Doyle und Quentin Tarantino.“ [Klappentext, gekürzt.]

Details: Schreiber & Leser | Goodreads

Empfehlung: Bedingt. Ein Dachs, der spricht wie Sherlock Holmes, erlebt recht hölzern und steif geschriebene und gezeichnete Steampunk-Krimi-Abenteuer mit erwartbaren Nebenfiguren, Wendungen. Ich mag die detailverliebten Zeichnungen, die Alternate-History-Ideen und, wie erkennbar tief und leidenschaftlich sich Autor Bryan Talbot literarisch in die Tropen, Stimmungen, Themen des viktorianischen Zeitalters einarbeitete. Außerdem: Paradoxe wie „In Paris scheißen die Hunde auf die Straße“. Sprechen wir von anthropomorphisierten Hunden? Oder haben die anthropomorphisierten Hunde im Grandville-Universum Hunde als Haustier? Ich glaube, dass z.B. Disney mit diesem Stoff mehr machen könnt. (Oder – hey: Die Spanier, die in den 80ern „Um die Welt mit Willy Fog“ animierten!)

Schwächen? Im ganzen Heft: amateurhafte Computereffekte, Kolorierung. Trotzdem ist der Comic innen deutlich einladender als das triste Titelbild. Unbedingt aufschlagen, blättern!

und dann? Um Welten besser gezeichnet, stilsicherer inszeniert: die „Blacksad“-Comics.

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Usagi Yojimbo

Dantes Verlag | Stan Sakai

Dantes-Verlag-GCT-2018-Usagi-Yo„Die Saga um Usagi Yojimbo [wörtlich: „Leibwächter Hase“] entfaltet sich im teils fiktiven Japan am Ende des 16. Jahrhunderts. Die historische Schlacht von Sekigahara wurde am 21. Oktober 1600 geschlagen: Sie beendete die Zeit der Bürgerkriege und etablierte die Shogunatsherrschaft. Die Samurai bilden im ganzen Land die herrschende Klasse. Sie folgen einem strengen aber ungeschriebenen Kodex an Verhaltensregeln, dem bushido [„Weg des Kriegers“], und müssen in der neuen Ordnung erst noch ihren Platz finden. Es ist eine Zeit unruhiger Geschäftigkeit und politischer Intrigen. Durch diese Welt wandert ein herrenloser Samurai: Miyamoto Usagi. Im Comic „Ein welkes Feld“ trifft er auf Nakamura Koji, einen in die Jahre gekommenen, vollendeten Schwertkämpfer.“ [Klappentext, gekürzt.]

Details: Dantes | Goodreads

Empfehlung: Bedingt. Das kluge Vorwort des Gratis-Comics zeigt: Der Dantes-Verlag brennt für diesen Comic, will die historischen Hintergründe vermitteln. Ich liebe Holzschnitte von u.a. Hasui Kawase, bewundere Sakais elegante, fachkundige Zeichnungen. Emotional stieg ich trotzdem aus – als die Hauptfigur 16 Samurai tötet, ohne Gedanken. Mir sind fast alle Samurai-Manga zu gefühlskalt – und ich komme mit der Mischung „Funny Animal-Figuren & Seppuku“ nicht zurecht, emotional.

Schwächen? Moderne „Turtles“-Comics werden oft für ihre Psychologie, Deepness gelobt – doch bisher las ich keinen, der mich tatsächlich packte. „Usagi Yojimbo“ ist etwas tiefer, melancholischer, psychologischer – doch auch hier wünsche ich mir mehr Innenleben. Die Hauptfigur blieb mir teils ekelhaft fremd.

und dann? Hier im Link merkte ich mehrere Samurai-Manga vor. MÜSSTE ich einen lesen, wäre es „Jin“ von Motoka Murakami (ein Arzt in der Edo-Zeit). „Blade“ und „Vagabond“ sind zu nihilistisch; „Shigurui“ fand ich absurd und, in seinen Gewaltdarstellungen, pornografisch. Trotzdem war’s ne Lektüre, die ich nie vergaß.

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Ekhö

Splitter | Christioge Arleston, Alessandro Barbucci

Ekhoe_01_GCT_Cover-500x714„Als ihre Linienmaschine vom Blitz getroffen wird, landet die junge Studentin Ludmilla auf dem Rücken eines Flugdrachen in New York landet. Doch ist dies überhaupt noch New York? Es gibt keinen Strom oder Autos, dafür aber jede Menge Fabeltiere. Im Hintergrund der bizarren Parallelwelt Ekhö halten die Preshauns die Fäden in der Hand: scheinbar putzige, etwas pedantische Wesen, die Eichhörnchen ähneln. Im Flugzeug krallte sich Ludmilla an ihrem Sitznachbarn Juri fest, der ihr nun auf Schritt und Tritt folgen muss. Gelegentlich wird sie von ruhelosen Geistern kürzlich Verstorbener besessen, die erst von ihr ablassen, wenn ihr ungeklärter Todesfall gelöst ist.“ [Klappentext, gekürzt.]

Details: TV Tropes | Goodreads

Empfehlung: Bedingt. In jedem Sammelband erkundet Ludmilla (mit Juri?) eine andere Stadt der Spiegelwelt. Warum sie dabei zusätzlich „Ghost Whisperer“-artige Fälle löst? Mir scheint das unfertig, überfrachtet. Hintergründe, Design des Comics: Weltklasse. Die Geschichte? Recht banal, schleppend. Allerwelts-Fantasy!

Schwächen? TV Tropes nennt Ekhö einen „Young Adult“-Comic; vom Zeichner der („Sailor Moon“-artigen) Kinderserie „WITCH“. Ludmilla wirkt wie Cassie Sandsmark, Wonder Girl in… (noch) pornös(er). Für mich ist Ekhö vorbei, weil a) Ludmilla auf jede Gefahr mit einem dümmlich-erstaunten Porno-Gesichtsausdruck reagiert, b) jedes Panel die übergroßen Brüste zeigt, c) zwei Stripperinnen ihre Brustwarzen schwenken, seitenlang. Nicht, weil sich  Erotik und Young Adult widersprechen. Sondern, weil hier zwei super-talentierte Männer, die sich auf jeder Seite endlos gestalterische Mühe geben, mit schmierigem Male Gaze alles verderben. Selbstsabotage. Selbst-Verramschung.

und dann? Der schönste aktuelle Parallelwelt-Comic, den ich kenne: Matt Kindts „Ether“. Doch tatsächlich sind die „Ekhö“-Zeichnungen besser. Sehenswert: Simon Spurriers „The Power of the Dark Crystal“

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Lucky Luke: Billy the Kid

Egmont | René Goscinny, Morris

03_GCT2018_Comic_Lucky_Luke_37-„Der einsame Cowboy kommt nach Fort Weakling. Das einst lebhafte Städtchen ist wie ausgestorben und wird von Billy the Kid terrorisiert. Lucky Luke will Billy dingfest und aus den verschüchterten Einwohnern wehrhafte Bürger machen.“ [Klappentext, gekürzt.]

Details: Goodreads zur Reihe | Kritiken zum Einzelband

Empfehlung: Bedingt. Ein Comic von 1961 – mit markantem Figurendesign, viel Humor, seiner Zeit voraus. Mich langweilte „Lucky Luke“ als Kind, Anfang der 90er, und ich bin unsicher, wen diese Comics ansprechen: europäische Western-Klischees, alles sehr normiert – auch z.B. durch die engen, rigiden Panels. Wer die Figur mag, findet hier eine komplette Geschichte. Ich selbst habe keine Lust, mehr zu lesen.

Schwächen? Kaum Frauen. First-Nation-Figuren als übliches rassistisches Klischee.

und dann? Ich glaube, ich lese gar keine Western – und merke oft, dass andere Formate als Western konzipiert wurden (z.B. Staffel 4 von „Fear the Walking Dead“), ohne, dass mir diese Strukturen auffallen. Der Weltraum-Westerncomic „Copperhead“ ist brav, gemächlich, aber sympathisch. „Westworld“ ist toll – aber kein Western.

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Battle Angel Alita

Carlsen | Yukito Kishiro

battle_angel_perfect_edition_GC„Neuausgabe in vier Sammelbänden im Großformat, frisch digitalisiert und mit neuen Farbseiten – rechtzeitig zum Kinostart der von James Cameron produzierten Hollywood-Live-Action-Verfilmung. Auf dem Schrottplatz unterhalb der Himmelstadt Zalem findet der Mechaniker Ido den Kopf eines weiblichen Cyborgs, dessen Gehirn noch intakt ist. In seiner Werkstatt baut er dem Wesen einen reizvollen mechanischen Körper und gibt ihm den Namen Alita…“ [Klappentext, gekürzt.]

Details: Carlsen | Goodreads

Empfehlung: Bedingt. 2017 legte ich den „Ghost in the Shell“-Manga (1989) zur Seite, weil mich die Optik „detailverliebte Technik, puppenhafte Kindfrauen mit Riesenbrüsten und Männer, im Funny-Stil gezeichnet“ abstieß. „Alita“ stammt aus der selben Ära (1991), hat etwas luftigere Layouts, ist flüssiger zu lesen. Doch ich mag a) keine Pinoccio-Plots, b) keine Mangas über Mädchen als Kampfmaschinen wie „Saikano“ und „Home sweet Home: Die fünfte Stunde des Krieges“. Durch „Westworld“ bin ich komplexe, feministische Geschichten gewohnt über künstliche Frauen, von Männern instrumentalisiert. „Alita“ ist, fürchte ich, schlichter. Im Gratis-Heft werden Prostituierte ermordet. Allen Figuren ist das Schicksal dieser Frauen recht egal. Bestimmt wird „Alita“ noch etwas tiefsinniger. Doch ich will SciFi lesen, in denen ALLE Frauen wertvoll sind. Nicht nur die eine: die mit dem Puppenmund und den Riesenbrüsten.

Schwächen? Hier gilt die umgekehrte Frage. Kann ich etwas, das handwerklich solide wirkt, nach ca. 40 Seiten aussortieren? Ich WILL das nicht lesen. Doch einen zweiten Blick ist es sicher wert.

und dann? „Westworld“, wie gesagt.

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Courtney Crumrin

Dani Books | Ted Naifeh

dani_books-GCT-2018-Courtney-Cr„Courtneys Eltern wollen fortan im alten Spukhaus des gruseligen Großonkels Aloysius wohnen. Courtney muss sich mit hochnäsigen Klassenkameraden und seltsamen zwielichtigen Besuchern herumschlagen, die oft bei ihrem Onkel vorbeischauen. Statt der Kinder aus der Nachbarschaft sind nun grausige Ghule und gräuliche Geister ihre einzigen Freunde.“ [Klappentext, gekürzt.]

Details: Wikipedia | Goodreads

Empfehlung: Bedingt. Ein Horror-Comic mit langweilig konventionellem Figuren-Design und Plot – an dem nur die bizarr unsympathischen Nebenfiguren auffallen: Courtneys Eltern sind ignorant, eitel; die Mitschüler prügeln, wenn Courtney kein Taschengeld auszahlt. Ein freundlicherer Schüler wird von ihr verachtet, dann von Monstern verspeist – ohne, dass sich Courtney oder der Erzähler daran stören. „Courtney Crumrin“ will etwas literarischer, „Coraline“-hafter sein als z.B. „Emily the Strange“ und „Monster High“ – doch wirkt wie ein freudloser, fader Nachklapp, zehn Jahre zu spät. [Edit: Nein. Der Comic erschien im Original 2002. Er wird nur absurd spät übersetzt!]

Schwächen? Der Klappentext gilt fürs komplette Buch, nicht fürs Gratis-Comic-Heft – und erwähnt, dass Courtney mit Geistern befreundet ist. Ich hoffe, einer dieser Geister ist der tote Kumpel. Falls nicht, ist mir das Menschenbild hier zu… garstig, kalt, gehässig für eine Geschichte, die ca. Elfjährigen gefallen soll.

und dann? Die warmherzige, makabre, schwungvolle Horror-Reihe „October Faction“ von Steve Niles! Unterkomplexe Plots. Doch viel enthusiastischere Helden! Oder meine Lieblings-Comicreihe überhaupt, „Locke & Key“. Auch der Middle-Grade-Grusel-Comic „Anya’s Ghost“ ist solide.

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Sigurd

Ewald Verlag | Hansrudi Wäscher, Angel B. Mitkov

Cover-Becker-Comic-etc„Zwei Kurzgeschichten des ritterlichen Helden Sigurd. Im von Hansrudi Wäscher gezeichneten Abenteuer „Im Tal der Schatten“ nimmt Sigurd es gegen eine Bande auf, die als sagenhaften Werwölfe Angst und Schrecken verbreiten. „Gefährliche Hilfe“, gezeichnet von Angel B. Mitkov, ist ein Auszug aus der aktuell geschaffenen Fortsetzung des 1968 abgebrochenen Abenteuers: wobei streng darauf geachtet wurde, dass Wäschers markanter Zeichen- und Erzählstil beibehalten wurde.“[Klappentext, gekürzt.]

Details: Wikipedia

Empfehlung: Bedingt. Ich glaube, man kann aus „Sigurd“, seiner Entstehungs- und Rezeptionsgeschichte viel lesen über Deutschland in den 50ern, und ich bin froh um jeden Satz, der diese Comics kontextualisiert, erklärt. Lesespaß? Nein. Eine farblose Hauptfigur, keine Frauen, zu viel Der-Erzähler-erzählt. Immerhin spielen die Comics nicht im apolitischen „Gummibärenbande“-Märchenbuch-Mittelalter. Sondern setzen voraus, dass ihre Leser z.B. wissen, wie Wilderei funktioniert oder, was Lehnsherren sind.

Schwächen? Ich dachte, die Panels, die ich oben fotografierte, stammen aus den 50ern. Doch sie sind moderne Hommagen: „echte“ Sigurd-Comics waren noch hölzerner.

und dann? Ab 1905 zeichnete ein Amerikaner „Little Nemo“. Ab 1940 zeichnete Will Eisner „The Spirit“. Deutschland feierte DAS hier?

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Aposimz: Land der Puppen

Manga Cult | Tsutomu Nihei

GCT2018_MangaCult_Aposimz_Cvr_rDas neue Meisterwerk von Tsutomu Nihei (Blame!, Knights of Sidonia): Vor 500 Jahren verloren die Menschen des künstlichen Planeten Aposimz den Krieg gegen den Kern des Planeten und somit auch das Recht, im Inneren von Aposimz zu leben. Seitdem kämpfen sie auf der eiskalten Oberfläche des Planeten ums Überleben. Sie verstecken sich in den Ruinen einer längst vergangenen Zeit, um der Unterdrückung durch die aggressiven Cyborgs (oder Puppen) des Kernes zu entgehen… während sie eine mysteriöse Krankheit einen nach dem anderen selbst in Puppen verwandelt.“ [Klappentext, gekürzt.]

Details: Cross Cult | Wikipedia

Empfehlung: Nur für a) Menschen, die durch „Blame!“ und „Knights of Sidonia“ schon Vertrauen in den Mangaka haben oder b) Menschen, die „Alien“-Designer H.R. Giger so toll finden, dass ihnen auch eine fade Schwarzweiß-Hommage des Looks (ohne besondere eigene Ideen) sehenswert scheint. Ich mag, wie absurd weit in der Zukunft alles spielt und hoffe, im Planetenkern sind komplexere, futuristischere Dinge verborgen (Hard Sci-Fi!). An der Oberfläche gibt’s erstmal nur Survival-, Soldaten- und Zombie-Klischees.

Schwächen? Das Manga-Kapitel hat Überlänge, das Gratis-Heft nicht: Die Handlung bricht mittendrin ab.

und dann? Der postapokalyptische Sci-Fi-Manga, auf den ich mich freue? „Desert Punk“. Liste mit weiteren Mangas des Genres: Link, TV Tropes.

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Kultgeschichten

Kult Comics | Michael Mikolajzak, Sascha Dörp, Holger Klein, Andreas Möller

KultComics_kultgeschichten_GCT1„Zum ersten Mal ist Kult Comics beim Gratis Comic Tag dabei, mit drei Geschichten: »S.C.U.M.« gezeichnet von Sascha Dörp, »Königinnen« von Holger Klein und »Wurzeln« von Andreas Möller. Alle Stories wurden von Michael Mikolajczak geschrieben. Spannende [70er-Jahre-]Geschichten über starke Frauen, Wahnsinn, Verzweiflung, Rache, Familienbande und Mord.“ [Klappentext, gekürzt.]

Details: Kult Comics

Empfehlung: Bedingt. Ich schlage 35 Comics auf. „Unerschrocken“ (Platz 1) und „Kult Comics“ sind die einzigen, in denen Schwarze Frauen und queere Figuren nennenswerte Rollen spielen. Wer 80er-Jahre-Underground-Comics im Stil von „V for Vendetta“ mag, findet hier drei literarische, visuell halbwegs interessant inszenierte Episoden: Comics über die 70er, erzählt wie in den 80ern.

Schwächen? „Comics über die 70er, erzählt wie in den 80ern“ war kein Lob. Jeder von uns hat fünf, sechs Facebook-Freunde, die Zeug posten wie „Nach Led Zeppelin gab es keine nennenswerte Musik mehr!“ oder „‚Der Pate‘? Bester Film, seitdem gehts nur bergab“. Die „Kultgeschichten“ erzählen von Emanzipation, queere Politik (Valerie Solanas, Andy Warhol), Selbstermächtigung. Im Ton von Onkel Wolfgang.

und dann? Keine Ahnung – ich fand auch Reinhard Kleists „The Secrets of Coney Island“ schlimm gestrig, altbacken: Bin ich bei deutschen Amerika-Comics überkritisch? Aber: Warum nicht Schwarzen Künstler*innen direkt zuhören? In z.B. „Atlanta“.

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Garfield

Egmont | Jim Davis

03_GCT2018_Comic_Garfield-500x7„1978 erblickte der fett, faul, filosofische Kater das Licht der Welt. Das feiern wir mit einem Best-of aus 40 Jahren Garfield Comic-Strips.“ [Klappentext, gekürzt.]

Details: TV Tropes | Goodreads

Empfehlung: Ästhetisch, sprachlich, „zeitgeistig“ blieb „Garfield“ in den späten 70ern. 2017 las ich einen klugen, leidenschaftlichen „Squirrel Girl“-Comic von Jim Davis; bin deshalb umso enttäuschter, wie einfach er es sich sonst macht. „Garfield“ ist „Garfield“ ist „Garfield“. Nicht weniger. Aber: Ein bisschen wäre schön gewesen, in 40 Jahren!

Schwächen? Die längeren Farb-Strips, einer pro Doppelseite, sind origineller, witziger als die Drei-Panel-Shorts, die drei Viertel des Hefts einnehmen. Krass auch, dass kaum Frauen vorkommen.

und dann? „Calvin & Hobbes“ (dort sind die kurzen Schwarzweiß-Strips besser als die farbigen, mir immer etwas zu langen Sunday Strips). Oder, klar: „Garfield minus Garfield“!

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The Tale of the Wedding Rings

Kazé | MAYBE

Kaze_WeddingRings_Cover_NEU-500„Seit Jahren ist Sato schon in seine Nachbarin Hime verknallt. Doch als er den Mut aufbringt, ihr diese Liebe zu gestehen, eröffnet sie ihm, dass sie fortgehen wird – für immer. Seine Angebetete die Prinzessin eines magischen Königreiches und die letzte Hoffnung ihres verzweifelten Volkes. Um ihre Welt zu retten, muss Hime unbedingt heiraten, denn ihre Hochzeitsringe bergen ein mächtiges Geheimnis…“ [Klappentext, gekürzt.]

Details: TV Tropes | Wikipedia | Goodreads

Empfehlung: Ich scheitere am Timing. Sato und Hime waren jahrelang Nachbarn – doch stellten sich die wichtigsten Fragen nie? Ein 08/15-Schulboy. Eine brave, gewissenhafte Standard-Schulmädchen-Figur. Auf den letzten Seiten ein Standard-Fantasy-Königreich. Ich sehe hier literarisch, gestalterisch, psychologisch keine Lust, keinen Ansatz, etwas Neues zu probieren. Eine Erzählwelt, so Schema F, dass ich aussteige.

Schwächen? „Sato ist von nun an der Ringkönig, dessen Aufgabe es ist, die Prinzessinnen der fünf verschiedenen Völker zu ehelichen. Jede Prinzessin besitzt einen Ring, mit dem man über ein Element gebieten kann.“ [Wikipedia] Urks.

und dann? Fantasy-Königreiche im Comic? „Monstress“, vielleicht die neue Reihe „Isola“.

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Wayne Shelton

All Verlag | Jean Van Hamme, Christian Denayer, Thierry Cailleteau

GCT2018-All_Verlag_v1-1-500x714„Vietnam-Veteran Wayne Shelton ist Mann für heikle Missionen, in Diensten finanziell potenter Auftraggeber ein. Der exzentrische Milliardär Horace T. Quale bietet Shelton stattliche Summen, um einem französischen Fernfahrer, der in der fiktiven ehemaligen Sowjetrepublik Kalakschistan in einem Hochsicherheitsgefängnis sitzt, zur Flucht zu verhelfen. Shelton schart ein Team bewährter Mitarbeiter um sich. Ein Meisterwerk des modernen Abenteuercomics, geschaffen vom belgischen Erfolgsautor Jean van Hamme und seinem Landsmann Christian Denayer.“ [Klappentext, gekürzt.]

Details: Goodreads | Wikipedia

Empfehlung: Nur für Menschen, die z.B. „The Italian Job“, alte Bond-Filme und „Ocean’s Eleven“ sehen können, ohne, dort Frauenfiguren, Vielfalt, Repräsentation zu vermissen. Ich las „Wayne Shelton“ und dachte „Oha. SO sahen die 80er aus. Angestaubt, altbacken – aber ECHT stilsicher.“ Dann merkte ich: Der Comic ist von 2001.

Schwächen? Am liebsten würde ich eine diverse Gruppe 17jähriger bitten, alle Sprechblasen und Texte neu zu schreiben. „Wayne Shelton“ ist ein Cliché Storm, altmännerhaft und provinziell, über den ich lachen, heulen könnte. Kunstvolle Zeichnungen, detailverliebtes Ambiente. Und: Es ist kein *böse* reaktionäres Comic. Sondern einfach: kurz gedacht, gedankenlos, langweilig.

und dann? Ed Brubakers „Velvet“ liebt 70er-Jahre-Dekor; Band 3 endet leider banal. 60er-Jahre-Bildwelten? Darwyn Cookes „Hunter“-Comics.

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Der Janitor

Schreiber & Leser | Francois Boucq, Yves Sente

schreiberleser_Janitor_cover-1-„Zwölf Janitoren bilden die geheime Elite-Schutztruppe des Vatikan. Als Nummer Drei ausfällt, muss jemand nachrücken: So wird aus dem jungen Pater Vince, der sich bereits als Leibwächter bei Sondereinsätzen bewährte, Janitor Trias. Doch Vince, weltlichen Genüssen nicht abgeneigt, quält sich mit Zweifeln über seine klerikale Berufung.“ [Klappentext, gekürzt.]

Details: Schreiber & Leser | Goodreads

Empfehlung: Bedingt. „Janitor“ hat keine dramatischen Schwächen, Angriffsflächen, Probleme – doch leider auch keine besondere Dramatik. Ein souveräner, gemächlicher Polit-Thriller, der im Original als großformatiges Album erschien und dessen kleine Schriftart hier als Heft alles noch träger macht. Fahrzeuge, Hintergründe sind detailverliebt, atmosphärisch inszeniert. Die Hauptfigur bleibt blass.

Schwächen? Keine interessanten Frauen. Um Welten zeitgemäßer als „Wayne Shelton“. Doch während Shelton Trash-Charme hat, ist mir der „Janitor“ einfach sehr egal.

stattdessen? Die aktuellen James-Bond-Comics haben maue Kritiken – und auch dort schnarchte ich jedes Mal, wenn ich mehr als zehn Seiten las, weg. Ich liebe Greg Ruckas „Queen & Country“-Spionage-Polit-Thriller.

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ASH – Austrian Superheroes

Contentkaufmann | Andi Paar, Harals Havas, Martin Frei, Jan Dinter u.a.

ASH_LDH_GCT_Cover-500x714Die Comicserie wurde 2015 durch Crowdfunding finanziert und 2016 gestartet. Seit 2017 erscheinen die Hefte regelmäßig alle zwei Monate. Das Ziel? Ein eigenes europäisches Mainstream-Superhelden-Universum. Seit Herbst 2017 wird ASH durch eine zweite Serie namens „LDH – Liga deutscher Helden“ ergänzt. Dahinter stehen über 20 Zeichnerinnen und Zeichner, österreichische bei ASH, deutsche bei LDH. Sowohl von den Storys und dem Artwork her als auch dem qualitativ hochwertigen Druck versucht das Team, denselben Look und Feel zu bieten wie die großen amerikanischen Vorbilder. Und denselben Spaß!“ [Klappentext, gekürzt.]

Details: Website | Goodreads

Empfehlung: Nein. Ich teile die Kritikpunkte von Lara Keilbart im Tagesspiegel (Link, zum Spinoff „LDH“): „Das Gesamtbild wirkt älter, wie ein Comic aus den 60er Jahren. […] Einerseits möchte es keine Parodie sein, andererseits sind die Protagonisten auf allen Ebenen wandelnde Klischees. Vor allem der alberne Jeck und der grobschlächtige Gamsbart irritieren mit Dialektsprache und unangebrachten lockeren Sprüchen. Die Dialoge sind dabei hölzern und die Formulierungen wirken oft peinlich verkrampft auf vermeintliche Epik getrimmt.“

Die burschikos-rustikale Lady Heumarkt ist eine witzige Figur. Und: toll, dass deutschsprachige Profis versuchen, mit der US-Szene mitzuhalten. Dass das Ergebnis so sehr nach Regionalliga klingt / aussieht, liegt für mich vor allem an der Idee, lokale Held*innen müssten „Captain Ethnic“-Klischees erfüllen. Ein lokaler Held sein? Heißt für mich nicht, sich zu kostümieren und zu benennen, als sei man Lokalmarketing; ein Maskottchen vom Fremdenverkehrsamt!

Schwächen? Mein größter Wunsch an diese Reihe: WENN euch so wichtig ist, Wien etc. zu zeigen, zeichnet bitte detailliertere, liebevollere Hintergründe. Und, hey: Für mich ist Österreich ein Land, das RIESIGE Probleme mit Fremdenhass, reaktionären Stimmen, Rechtspopulismus hat. Kämpfen die ASH-Leute dagegen? Oder steht die Heimattümelei dieser Comics für die Sehnsucht nach einem „Wir sind wieder wer!“/“Wir sind genau so gut! Sogar unsere Heldencomics“…?

stattdessen? Ich bin kein Fan der (humorvolleren, satirischen) Justice-League-Comics von Keith Giffen. Und: Bezeichnend, dass der einzige professionelle US-Comic, der mir zu ASH einfällt, eine Reihe von 1987 ist.

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Star Wars Abenteuer

Panini | Landry Q. Walker, Chris Eliopoulos, Allessandro Ferrari, Jordie Bellaire, Derek CHarm u.a.

StarWars_GCT_2018_Cover-500x714„Neben einer Leseprobe zur Junior Graphic Novel zum Filmhit ROGUE ONE enthält dieses spannende Heft zwei abgeschlossene Droiden-Kurzgeschichten, eine davon exklusiv nur in diesem Heft. Ein Highlight für junge Star Wars-Fans.“ [Klappentext, gekürzt.]

Details: Star Wars Adventures in Deutschland: je 80 Seiten, bei Panini

Empfehlung: Nein. Drei von vier Gratis-Comics von Panini 2018 scheitern, weil sich statt einer packenden Geschichte viel zu knappe Vignetten ins Heft quetschen. „Star Wars“-Comics sind seit 2015 oft großartig: Kieron Gillens „Darth Vader“, „Kanan“, „Poe Dameron“. Ich mag die TV-Jugendserie „Rebels“, ich LIEBE Jarson Frys „Rebels“-Romanreihe „Servants of the Empire“. Doch ich las bisher keinen guten Comic der Jugendreihen „Star Wars: Adventures“ & „Forces of Destiny“ (Sympathisch? Die deutsche Zeichnerin Eva Widermann). Mich langweilen Landry Q. Walkers dialogfreie Druiden-Comics. Und der simple Zeichenstil lässt alle Figuren naiv, zu harmlos wirken.

Schwächen? Erst eine Nicht-Geschichte, in der C-3PO anreißt, wie viel er erlebte. Dann banale Druiden. Am Ende der Start der Kindercomic-Adaption von „Rogue One“. Nichts davon: unprofessionell. Doch als „Geschichte“ qualifiziert sich keine der drögen Szenen.

stattdessen? Ich suche selbst: abgeschlossene Graphic Novels für ca. Zehnjährige werden wichtiger, populärer (Liste für 2018, Link). Doch eine Heftreihe für die Altergruppe? Mit SciFi, Abenteuer? „Princeless: Raven the Pirate Princess“ war… okay.

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Werner: Wat Nu!?

BröseLine Verlag | Brösel

broesline_werner_13_gct_cover_1„Werner ist wieder da! Und zeigt der Fracking-Lobby, Donald und sonstigen Spinnern wo die Wuäss wächst! Die Essenz aus Alt und Neu. Gute Unterhaltung!“ [Klappentext, gekürzt.]

Details: Goodreads

Empfehlung: Nein. Ich mag, dass Werner eine Blue-Collar-Figur ist; Brösel wirklich *immer* mitdenkt, was das bedeutet: Auf dem Land zu leben, Handwerker zu sein, in vieler Hinsicht abgewertet und ausgeschlossen. Und ich mag, dass die ersten Seiten des Comics von Fracking handeln (und eine spätere Doppelseite vom Endlager Gorleben): Brösel ist politisch, hat Anliegen, Haltung. Doch Fracking wird sich nicht aufhalten lassen, indem Werner nach Hannover fährt und einen Anzugträger anbrüllt. Und dieser Comic – an vielen Stellen: charmant koloriert – hat nichts zu sagen, nichts zu erzählen, bei dem ich denke: „Whoa! Werner und Werners Macher gehören ins Jahr 2018.“ Ein peinlicher Comicstrip von 1982 verdirbt mir das Heft noch mehr: Eine übergewichtige Frau fragt einen Verkäufer nach einem knappen Bikini. Ihr Ehemann kriegt bei der Vorstellung, seine Frau darin zu sehen, das Kotzen.

Schwächen? Gestrig, müde, stehen geblieben. Die Comics erscheinen im Selbstverlag. Ich wünschte, jemand würde Brösel sagen: „Sei Punk. Sei unbequem. Sag klügere Dinge über Arbeit, Strukturwandel, Provinz!“

stattdessen? Walter Moers‘ „Das kleine Arschloch“?

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Is it wrong to try to pick up Girls in a Dungeon?

Kazé | Kunieda, Fuhino Omori

Kaze_IsItWrong_Cover-500x714„In den Tiefen des Dungeons lauern Monster, Schätze – und süße Mädchen! Doch wie soll ein Hänfling wie Bell nur die Aufmerksamkeit einer so talentierten Schwertmeisterin wie Aiz erwecken? Da hilft nur eins: Bell muss stärker werden. Also geht er fleißig weiter im Dungeon trainieren – und macht dabei schnellere Fortschritte, als er sich selbst je zugetraut hätte. Ohne sein Wissen schlummern in Bell besondere Fähigkeiten. Der Anime- und Light-Novel-Hit jetzt auch als Manga: aufgebaut ganz nach den Regeln japanischer Rollenspiele, inklusive Statuswerten und besonderen Skills, die den Helden von ihren Schutzgöttinnen auf den Rücken tätowiert werden.“ [Klappentext, gekürzt.]

Details: Goodreads | TV Tropes

Empfehlung: Nein. „Sword Art Online“ hat viele Probleme typischer Shonen-Animes (endlose Superlative und Steigerungen; die Hauptfigur als Messias; Durchhalte- und Streng-dich-an-dann-klappt-schon-alles-Moral; naive Technikkritik & Körperbilder); doch dort geht es um E-Sport, Fantasy-Duelle, Rollenspiel und DUTZENDE interessanter, fähiger Frauenfiguren. „Is it wrong…?“ ist eine drittklassige, sexistischere, einfallslose Geschichte für die selbe Zielgruppe: ein Harem-Manga mit uninteressanten, sinnlos servilen Frauen und einer langweiligen, planlosen Hauptfigur.

Schwächen? Eine Figur in einem MMORPG (?) hinterfragt die Logik ihrer fadenscheinigen Welt. Alle zwei Seiten sehe ich Ballonbrüste an Mädchen, gezeichnet, als wären sie 12. Nach der „Ich bin die brave Bäckerin und schenke dir ohne Grund mein Essen!“-Szene verlor ich mein Vertrauen, dass hier noch etwas kommt, das meine Zeit wert ist.

stattdessen? Noelle Stevensons „Nimona“, vielleicht auch „The Guild“

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Avengers: Attack on Titan

Panini | Babs Tarr, Brenden Fletcher, Gail Simone, Phil Jimenez, Hajime Isayama, Jim Zub, Jason Aaron u.a.

Avengers-AttackOnTitans-GCT_cov„Als die Titanen Manhattan angreifen, stellen sich die Marvel-Helden den Giganten aus einer anderen Dimension. Das ultimative Crossover zwischen Attack on Titan und Avengers. Inhalt: ‚Attack on Titan‘-Kurzgeschichten von Gail Simone und Brenden Fletcher; Attack on Avengers; eine Szene aus Avengers K; und eine kurze Wolverine/Logan-Szene aus ‚Marvel Legacy'“ [Klappentext, gekürzt.]

Details: Goodreads zum über 200 Seiten langen US-Sammelband | Wiki zur Originalserie 

Empfehlung: Nein. Ich lese „Attack on Titan“, finde die Serie an vielen Stellen so zynisch, dass es faschistoid wird – doch freue mich, wie viele Wendungen sie nimmt und dass es mittlerweile, in Band 24+, um VÖLLIG andere Machtkonstellationen und politische Probleme geht. Die beiden AoT-Kurzgeschichten hier Heft sind banal. Brenden Fletcher, dessen ersten „Batgirl“-Band ich mochte, liefert bizarren, tumben Trash; Gail Simone eine fade Klischee-Geschichte. Alle fünf Storys im Heft sind viel zu kurz, oberflächlich, unnötig brutal – und falls ich nichts über die Avengers und / oder AoT wüsste, wäre mein Fazit nach 40 blutig-pubertär-zusammenhanglos-freudlosen Seiten: Beides kann ich mir sparen.

Schwächen? Überall, ja. Flechters Geschichte würde ich gern in einem Gender-Seminar besprechen: kurz gedachte „Girl Power“. Lichtblick: Ich mag Zeichner Phil Jimenez, doch finde seine Panels oft überfrachtet. Hier, in Gail Simones Geschichte, sind sie toll koloriert und wirken deshalb großzügiger, luftiger, eleganter als sonst.

stattdessen? G. Willow Wilsons „Ms. Marvel“ und Jason Aarons „Thor“ sind seit über vier Jahren die besten Marvel-Reihen.

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Oblivion Song

Cross Cult | Robert Kirkman, Lorenzo de Felici

GCT2018_CrossCult_ObivionSong_C„Der neue Comic-Hit von Erfolgsautor Robert Kirkman (The Walking Dead): eine actiongeladene Reise durch Raum und Zeit – fiese Aliens inklusive. Vor [10] Jahren tauchte in Philadelphia plötzlich eine Dimension auf, die fast die Hälfte der Stadt mit einem neuen Ökosystem überzog. Fast 20.000 Menschen verloren dabei ihr Leben. Nach der Katastrophe finden Wissenschaftler heraus, dass die fremde Welt nicht einfach in Philadelphia erschien, sondern den Platz mit einem Teil der Stadt tauschte. Neue Technologie ermöglicht nun die Reise zwischen Erde und der Oblivion genannten Dimension. In diese werden Rettungsteams geschickt, um die Überlebenden des echten Philadelphias in Oblivion zu finden und zu retten.“ [Klappentext, gekürzt.]

Details: GoodreadsCross Cult

Empfehlung: Nein. Ich las zwei Bände „The Walking Dead“, zwei Bände „Invincible“, doch scheitere an Robert Kirkmans Dialogen: In jeder Sprechblase stehen ein, zwei Sätze mehr als nötig. Seine Figurensprache ist deprimierend redundant. Er sagt das selbe mehrmals, direkt hintereinander. Es gibt zu viele Wiederholungen. Ich bin gelangweilt, dass seine Figuren oft den selben Punkt in der selben Sprechblase erneut machen. Ich will nichts lesen, das klingt, als gäbe es keinen Lektor. Kirkmans Sprache dreht sich im Kreis. Mich macht ungeduldig, wie oft er sich wiederholt.

Schwächen? Der selbe Kirkman-Bla wie immer. Dazu: eine einfallslose Erzählwelt und klischierte Figuren. Eine Prämisse, so frisch wie Roland Emmerich, „Sliders“, „Revolution“, „FlashForward“ etc.

stattdessen? Brian Wood denkt solche Stoffe politischer und persönlicher: Ich mag „DMZ“ und das etwas schwächere „The Massive“.

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Deadpool

Panini | Robbie Thompson, Mark Bagley, Gerry Duggan, Scott Koblish, Fred van Lente, Dalibor Talajic, Damion Scott

DEADPL023CT_cover-1-500x714„Deadpool, der Söldner mit der großen Klappe macht Jagd auf Cable, den Mutanten aus der Zukunft. Inhalt: The despicable Deadpool #287; Kurzgeschichten aus Deadpool #900 (II, III)“ [Klappentext, gekürzt.]

Details: Panini setzt auf diese Figur

Empfehlung: Nein. Ich sah den „Deadpool“-Kinofilm noch nicht. Das kann schon klappen: ein ultrabrutaler, fast unsterblicher Söldner, der mit dem Publikum spricht, alle Gegner überlistet. Halb Till Eulenspiegel, halb GTA-Avatar, der nur bösen Quatsch macht. Doch alle (5?) „Deadpool“-Comics, die ich las, erschienen mir wie: Der erstbeste Autor lässt Deadpool die erstbesten Dinge sagen. Dann wird jemand erschossen. Geist-, freud-, witzlos.

Schwächen? Mein Verdacht: Die Figur klappt, wenn mehrere Leute an ihr arbeiten, sich alle Beteiligten anstacheln. „Geht das gewitzter? Origineller?“ Die Comics hier im Band sind ein Armutszeugnis. Erzählerischer Bankrott. Menscheinfeindlicher Müll.

stattdessen? „Gwenpool“ zeigt die Comic-Leserin Gwen Poole – die plötzlich im Marvel-Universum erwacht. Begreift, dass sie in einem Comic steckt. Und mit Fan-Wissen Figuren manipuliert. „Gwenpool“ bringt mich zum Lachen. Und Weinen! „Deadpool“ könnte das. Doch versagt hier komplett.

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Dragons – Die Reiter von Berk

Cross Cult | Simon Furman, Stephen Downey, Sara Richard, Arianna Florean

GCT2018_CrossCult_Dragons_Cvr_r„Gleich drei irrwitzige Kurzgeschichten aus der Welt der Drachenreiter – bekannt aus TV und Kino. 1) Rotzbakke merkt, dass es gar nicht so einfach ist, als Babysitter auf einen Haufen Jungdrachen aufzupassen. 2) Ein verstauchter Flügel ihres Drachen Sturmpfeil zwingt Astrid zur Landung auf einer einsamen Insel. 3) Kann das Feuer der Drachen beim Schmieden helfen?“ [Klappentext, gekürzt.]

Details: Wiki | Goodreads | Cross Cult

Empfehlung: Nein. Seit mich „Ice Age“ und „Shrek“ anödeten, konnte ich mich zu keinem DreamWorks-Film aufraffen – das „How to Train your Dragon“-Universum ist mir fremd. Hier sehe ich: naive, eindimensionale Figuren in Geschichten, viel zu kurz und ohne Pointe. Ich mag den Zeichenstil in Astrids Geschichte (Bild oben). Und: Nichts an diesen professionellen Comics ist besonders amateurhaft, zweitklassig. Doch es sind jene Sorte Kurzgeschichten, die z.B. gratis in einer Cornflakes-Packung liegen, und sie machen mir *null* Lust auf Berk und seine Bewohner. Das hier liest sich wie KNAX: der fade Gratis-Comic der Sparkasse.

Schwächen? Vielleicht kann Cross Cult mit der Lizenz anspruchsvollere Erwachsenen-Comics querfinanzieren? Ich sehe: Storys, die mich schon als Kind schlimm gelangweilt hätten.

stattdessen? Viele aktuelle Kinderserien trauen sich a) anspruchsvolleres Design, b) schrulligere, teils auch  queere Figuren. Der „SpongeBob“-Comic ist oft überraschend gut. Auch „Adventure Time“-, „Stephen Universe“-, „Gravity Falls“-, „Wander over Yonder“-Comics würde ich sofort lesen.

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Micky Maus

Egmont | Gail Renard, Tom Anderson, Ferioli, Francois Corteggiani, Daan Jippes u.a.

02_GCT2018_Comic_Mickey_Maus-50„Jeder liebt Micky Maus! Die Comic-Ikone schlechthin feiert am 18. November 2018 90. Geburtstag! Zu diesem Anlass haben wir vier der besten Maus-Comics ausgewählt.“ [Klappentext, gekürzt.]

Details: Comicforum

Empfehlung: Nein. In welchem Jahr erschien die längste Geschichte hier im Heft, von Gail Renard und Tom Anderson, ursprünglich: Anfang der 90er? In Deutschland haben die Disney-Enten viel mehr Fans als Micky. Sowohl die klassische Schabernack- und Unruhestifter-Maus aus den frühen Cartoons (hier im Heft: eine Comic-Version von „Micky’s Trailer“) als auch Detektiv- und Bürger-Micky der europäischen Comics sind umstritten. Ich selbst mag den seriösen Micky sehr, z.B. in „Das verzögerte Telefonat“. Hier im Comic aber: zwei banale Kurz-Strips, je eine Seite lang. Die blasse „Micky’s Trailer“-Adaption. Und eben: ein durchschaubarer, langweiliger Detektiv-Micky-Comic, ca. 25 Jahre alt.

Schwächen? Das Problem ist nicht, dass diese blassen, ramschigen, banalen Comics verschenkt werden. Sondern, dass sie unter dem Label „vier der besten Comics“ vermitteln sollen, was spannend ist an einer bekannten, doch oft nicht sehr beliebten oder greifbaren Figur. Hier versagt das ärgerliche, uninteressante Heft völlig.

stattdessen? Die neue „DuckTales“-Serie ist exzellent. Meine Lieblings-Comics aus den Lustigen Taschenbüchern habe ich u.a. hier gebloggt. Und Carl Barks ist so toll, wie alle sagen: Believe the Hype!

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Splatoon

Carlsen | Sankichi Hinodeya

GCT-2018_carlsen_Splatoon_U1-1-„Vorbild für die Mangaserie sind die Nintendo-Games auf Wii-U und Switch – ein Riesenspaß für Kids und alle Zocker! Bis an die Zähne bewaffnet mit Klecksrollern, Schwappern, Pinseln oder am besten gleich als Tintenfisch muss Farbe verteilt werden: Das Team, das das größte Gebiet in Inkopolis einfärbt, gewinnt! Das blaue Dussel-Team rund um den Inkling Goggle mischt das CoroCoro-Turnier auf. Was kann dieses Team, das voll neben der Kappe steht, den Konkurrenten entgegensetzen?“[Klappentext, gekürzt.]

Details: TV Tropes | Goodreads

Empfehlung: Nein! Ein Videospiel, in dem es NUR darum geht, auf den ersten Blick zu sehen „Liegt hier mehr Blau oder z.B. mehr Grün?“ als lustloser, banaler Schwarzweiß(!)-Manga voll „Deine Hose steht offen!“-Witzeleien. Ich lerne nichts über die Erzählwelt, die Inklings, einzelne Figuren. Nur, dass alle „dumm“ oder „peinlich“ sind. Bevor das erste Duell richtig beginnt, bricht das Heft ab. Armselig, drittklassig, langweilig.

Schwächen? NUR Schwächen.

stattdessen? Die Hauptfigur sieht aus wie Beast Boy aus „Teen Titans Go!“. Ähnlicher Tonfall – aber temporeich und witzig. Die Comics zur Serie sind solide.

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Bild unten: noch mal „Der freie Vogel fliegt“

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GCT2018

Marlon Bundo, John Oliver, Mike Pence und… schwule und „ideologisierte“ Kinderbücher

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morgen – Mittwoch, 21. März, gegen 14 Uhr im Kulturmagazin „Kompressor“ – spreche ich auf Deutschlandfunk Kultur über zwei konkurrierende Kinderbücher:

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John Oliver ist Comedian und hat seit 2014 eine wöchentliche Late-Night-Polit-Show auf HBO, „Last Week Tonight“. Er ist 40, Brite, und war seit 2006 Außenreporter / Correspondent bei Jon Stewarts Polit-Comedy „Tonight Show“.

US-Vizepräsident Mike Pence, 58, wuchs streng katholisch auf und saß ab 2001 im Repräsentantenhaus für Indiana (Midwest, Red State). Für seine Frau Karen konvertierte er in eine Freikirche. Die beiden haben drei Kinder.

Karen war Grundschullehrerin und malt mit Wasserfarben, vor allem Gebäude und Landschaften. Eine gemeinsame Tochter, Charlotte, ist 24. Charlotte hat Film studiert und kaufte für ein Filmprojekt einen Hasen.

mehr zu Charlotte: Link, Heavy.com

Charlottes Hase heißt Marlon Bundo – weil Charlotte ihn via Craigslist kaufte und sich beim Kauf ein „Was wollen Sie dafür?“-Dialog entspannt, der sie an eine Dialogzeile Marlon Brandos in „Der Pate“ erinnerte. Charlotte Pence ist u.a. auf Twitter aktiv und möchte Abtreibungen unter Strafe stellen – Retweet zum „March for Life“-Auftritt ihres Vaters (Link).

Sie hat unter 3000 Follower und ist keine sehr öffentliche Person.

Doch Marlon Bundo hat einen Instagram-Account mit über 20.000 Followern: Link

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Seit Oktober 2017 steht fest, dass Mutter und Tochter gemeinsam ein Kinderbuch produzieren – über Marlon Bundo, „BOTUS“ [Bunny of the United States], der seinen „Grampa“ Mike Pence durch den Tag begleitet, u.a. ins Weiße Haus.

Karen Pence zeichnet, Tochter Charlotte schreibt die Texte (simple Verse in Reimen, jeweils vierzeilig).

Ziel des Buchs ist, zu vermitteln, wie der Arbeitstag des Vizepräsidenten aussieht.

Hier im Video, bei der Nachmittagstalkshow „The View“ mit u.a. Whoopie Goldberg, erzählt Charlotte, „proud mother of Marlon“ [uff. kein Witz: steht in ihrer Autorinnen-Bio] ein wenig: Link

Mike Pence unterstützt bis heute „Focus on the Family“ – eine christliche Lobby-Organisation, die u.a. gegen Queerness und Homosexuellenrechte protestiert und deren Gründer glaubt, Homosexualität sei heilbar.

Pence sagt, dass queere Menschen im US-Militär nichts zu suchen haben. Als Gouverneur von Indiana erließ er ein Gesetz, das Gewerbetreibenden erlaubt, queere Leute „aus religiösen Gründen“ nicht zu bedienen, den „Religious Freedom Restoration Act“. Erst seit einem Amendment 2015 kann/darf das Gesetz kein Vorwand mehr sein, um gegen queere Menschen zu diskriminieren: Link

Charlotte Pences Buch erschien am Montag: „Marlon Bundo’s Day in the Life of the Vice President“. Ein typisches US-Bilderbuch mit ca. 32 Seiten Textteil.

Am Abend zuvor verkündete John Oliver in einem 20-Minuten-Beitrag über Mike Pences Homophobie, dass er ein eigenes Buch über Marlon Bundo produzieren ließ – ebenfalls ca. 32 Seiten, im selben Look und für die selbe Zielgruppe (Kinder ab ca. 3): „A Day in the Life of Marlon Bundo“ (Text: Jill Twiss, Zeichnungen: E.G. Keller)

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Im Oliver-Buch ist Marlon Bundo schwul, verliebt sich in einen anderen Hasen, Wesley, will ihn heiraten…

…was eine Stink Bug / Baumwanze, die aussieht wie Mike Pence, verbietet. Die Stink Bug ist „in charge“, deshalb müssen die anderen Tiere (u.a. eine Schildkröte, eine Maus, ein Igel, ein Dackel) gehorchen. Die Stink Bug sagt, „different“ sei schlecht, und „Boy Bunnies marry Girl Bunnies. Girl Bunnies marry Boy Bunnies. This is the way it has always been.“ – doch die anderen Tiere finden, jede*r von ihnen sei „different“, auf seine Art, und beschließen, eine Wahl abzuhalten, mit den Wahlmöglichkeiten „Who’s in Charge? A: The Stink Bug, B: Not the Stink Bug“. Als alle außer der Stink Bug für B stimmen, kann die Hochzeit gefeiert werden: eine lesbische Katzen-Pfarrerin traut die beiden Hasen.

Die Überraschung: Das Oliver-Buch ist *richtig* gut.

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Keine Verse/Kinderreime, sondern kurzer, sympathischer Fließtext, und anthropomorphisierte, ausdrucksstarke Figuren wie in u.a. „Zoomania“ und anderen Disney-Filmen. Es gibt ein paar Popkultur-Anspielungen wie Cameos der CNN-Moderatoren Anderson Cooper (als Hase) und Wolf Blitzer (als Wolf). Menschen tauchen nur am Rand auf: Wir sehen die Hosenbeine von Politikern („very boring meetings with very boring people“); dass Marlon im Haus von „Grampa“ Mike Pence lebt, spielt keine große Rolle: „This story isn’t about him, because he isn’t very fun. This story is about me, because I’m very, very fun.“

Es gibt eine Audio-Version des Buchs, bei dem schwule Stars wie Jim Parson („Big Bang Theory“), Jesse Tyler Ferguson („Modern Family“) und RuPaul Rollen einsprechen. Der Erlöse werden vollständig ans Trevor Project gespendet – einer Hilfsorganisation, die queere Jugendliche vor dem Selbstmord bewahren soll – und an AIDS United.

Marlon trägt im Buch eine bunte Fliege: Charlotte Pence hatte den Hasen an Halloween verkleidet und mit Fliege auf Instagram gepostet.

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Das Original-Buch ist nüchterner: Ich-Erzähler Marlon ist ein naturalistischer Hase ohne besondere Mimik oder Ausdruckskraft, der, wie ein Hündchen, „Grampa“ Mike Pence passiv durch den Tag folgt. Auch hier werden Menschen nur als u.a. Arm oder Hosenbein gezeigt.

Fokus liegt auf der Architektur, Lichtstimmung und Geschichte der verschiedenen Büros, Verwaltungsräume und Einrichtungen, die Pence (mit Marlon im Schlepptau) besucht: Das Haus, in dem der Vice President lebt, gehört der US Navy und hat ein eigenes Teleskop/Observatorium: Pence lässt Marlon durchs Fernrohr sehen. Pro Doppelseite gibt es eine Zeichnung, die jeweils Architektur/Umgebung zeigt… und irgendwo am Rand hoppelt unmotiviert ein kleiner, etwas trostloser Hase: Das Buch sieht aus, als habe Karen Pence Fotos aus Knöchelhöhe geschossen und die dann – künstlerisch recht uninspiriert – abgetuscht.

Das Buch ist keine Katastrophe – aber IRRSINNIG random: Wir erfahren nichts über Mike Pence‘ Charakter, Stärken oder Familiendynamik, und auch nur die oberflächlichsten Abläufe seines Jobs: Er fährt hierhin und dorthin, und zu jedem Ort gibt es ein, zwei Stücke beliebiger Trivia. Zum Beispiel, dass Mitglieder der US Navy Pence den guten-Morgen-Kaffee kochen. Oder, dass in der Einfahrt eine digitale Zeitanzeige im Gebüsch steht. Oder, dass in Pences Büro im weißen Haus ein Bild eines Landschaftsmalers aus Indiana, T.C. Steele, hängt.

Der einzige „Witz“ im Buch ist eben Marlons „BOTUS“, für „Bunny of the United States“ [der US-Präsident wird oft POTUS genannt].

Am unsympathischsten: Die Behauptung, dass Pence jeden Abend (gemeinsam mit dem Hasen) aus der Bibel liest und betet.

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Es gibt fünf Seiten Fußnoten / Appendix, die ich recht interessant finde – die aber KEIN drei- bis fünfjähriges Kind interessieren werden. Nichts an diesem Buch erklärt seine Existenz / schafft eine Existenzberechtigung.

Eine Freundin nennt die Amateur-Kunst reicher Frauen „Arztgattinnenkunst“: Karen Pence zeichnet in einem solchen Ist-doch-okay-für-einen-Amateur-Stil, Charlotte Pence schreibt lieblose, drittklassige Reime. Ein Teil des Erlöses wird kranken Kindern gespendet, und einer Organisation, die sich gegen Menschenhandel einsetzt.

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Mein Fazit: Bilderbücher in den USA wollen oft Erwachsene ansprechen. Sie sind raffinierter, witziger, eleganter als deutsche Kinderbücher, und oft verkaufen sich Titel, nur, weil Eltern sie witzig finden, z.B. „Get the Fuck to Sleep“. Zu meiner Überraschung ist Olivers „Better Bundo Book“ KEIN solches Buch – sondern tatsächlich ein ernst zu nehmendes, lohnendes, sehr professionelles und lesenswertes Plädoyer für Vielfalt, Demokratie und Selbstbewusstsein. Ich bin etwas genervt, dass Marlon seinen Wesley schon nach EINEM Tag Bekanntschaft heiraten will.

Und ich glaube, dass John Olivers Polemik einen falschen Eindruck vermittelt: „Buy it for the children, for any child you know… or please: Just buy it because you know it would annoy Mike Pence. You’d be doing a nice thing in a really dickish way.“

Mike Pence hat noch nicht auf Oliver reagiert; er tweetete nur, dass er stolz auf seine Tochter ist. Charlotte Pence tweetete, dass sie sich freut, dass Olivers Buch für einen guten Zweck ist.

[Beide Bücher sind in Deutschland als E-Book erhältlich; und beide erschienen in „echten“ Verlagen: Das Oliver-Buch bei Chronicle Press, und das Pence-Buch in einem konservativen Verlag, der u.a. mit Sarah Palins Büchern Geld macht, Regnery. Die Print-Erstauflage des Oliver-Buchs ist ausverkauft – weil alle vom Erfolg recht überrascht sind.]

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Zur Buchmesse erschien im rechtskonservativen Wutbürger-Magazin „Cicero“ ein dummer Artikel darüber, dass Grüne etc. Kinder indoktrinieren wollen, durch Kinderbücher über z.B. Veganismus oder Flucht. Der „Cicero“ wünscht sich, dass es z.B. auch Kinderbücher gibt, in denen gezeigt wird, wie sich ein deutsches Dorf fürchtet durch all die Geflüchteten und fragt sich, warum die AfD keine Stiftung hat, die Kindern Buchtipps gibt.

Ich werde den Artikel nicht verlinken – mir ist das zu hasserfüllt und kurz gedacht.

Stattdessen fragte ich auf Facebook, welche deutschen Bilderbücher mit queeren Figuren empfohlen werden können.

Freund Linus empfiehlt aktuell des trans-Bilderbuch „Teddy Tilly“. Ich finde es zu konfliktfrei und hätte mir mehr Tiefe gewünscht (z.B., mindestens, ein Gespräch über Pronomen!):

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Ich mag „Du gehörst dazu. Das große Buch der Familien“ und „Der verliebte Koch“. Aber in beidem spielt Homosexualität keine RICHTIG große Rolle: Sie ist selbstverständlich, aber eine Nebensache.

  • Jo im roten Kleid
  • Zwei Papas für Tango
  • König & König
  • Komm ich zeig dir meine Eltern
  • Joscha und Mischa, diese zwei
  • Luzie Libero und der süße Onkel
  • („…und wahrscheinlich gibt es noch einige andere. Auffällig finde ich das fehlen von weiblicher Homosexualität im Bilderbuch“, schreibt ein Freund).

Freundin P. ergänzt: „In „Das Zebra unterm Bett“ von Markus Orths hat Hanna zwei Väter, was nicht alle in ihrer Schule so einfach akzeptieren können. Geht wahrscheinlich nicht als Bilderbuch durch, fällt mir gerade auf, wird aber auch schon von Vierjährigen geliebt.“

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Die besten Jugendbücher: Deutschland, 2018 – Vortrag am Literarischen Colloquium Berlin

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Am 13. März darf ich am Literarischen Colloquium Berlin sieben aktuelle Jugendbücher meiner Wahl vorstellen, denen ich ein internationales Publikum wünsche. 35 Übersetzer*innen aus 29 Ländern hören zu.

Seit 2009 lese und mag ich Jugendbücher: Ich schreibe einen Roman über Teenager, „Zimmer voller Freunde“, und war unsicher, sobald Agent*innen etc. fragten, ob das Young-Adult-Literatur sei. Kann ich aus YA-Literatur für mein Erzählen, Schreiben lernen? Soll mein Buch in dieser Ecke der Buchhandlung liegen? Ich las YA – um mich zu positionieren und, weil mir die Sparte schnell ans Herz wuchs.

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„Jugendbuch“ in Deutschland heißt meist:

ein Buch, geschrieben für Leser*innen ab ca. 10.

Auf dem US-Markt wird zwischen „Middle Grade Novels“ und „Young Adult“ unterschieden: Bücher für Tweens (10 bis ca. 12) und dunklere, anspruchsvollere, komplexere Bücher für Teenager auf der High School. Der deutsche Jugendbuchmarkt scheint mir, insgesamt, auf Jüngere fixiert: Ich finde kaum ein Buch, das explizit erst ab 14 bis 16 empfohlen wird, über 300 Seiten hat oder sich, im Young-Adult-Stil, bemüht, ein Problem-Thema besonders tief und intensiv zu bearbeiten.

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Young-Adult-Literatur, die ich mag:

  • …hat meist eine Hauptfigur, der wir möglichst nahe kommen sollen. Oft als Ich-Erzähler*in.
  • Die Figur kann sehr eigen sein in Sprache oder Verhalten; sie kann unsympathisch sein oder ein komplexes Krankheitsbild, einen komplizierten Background etc. haben. Doch Ziel ist fast immer, dass wir der Figur und ihren Problemen so nah wie möglich kommen. Die Welt aus ihren Augen sehen.
  • Oft gibt es EIN zentrales Thema im Buch, z.B. „Loslassen“, „Vertrauen fassen“, „zu sich selbst Stehen“ etc., und alle Figuren, alle Subplots etc. behandeln Facetten und Aspekte dieses zentralen Themas.
  • (Mein Roman hat drei Hauptfiguren, ein halbes Dutzend Perspektiven, Sprünge. YA-Leser*innen wären irritiert, wie viel Distanz durch solche Wechsel entsteht: Um die YA-Zielgruppe anzusprechen, müsste ich mich viel entschiedener, empathischer auf die Seite einer oder zweier Figuren stellen.)

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Deutschsprachige Jugendbücher sind weniger normiert als US-Titel.

Leider haben sie dafür oft auch weniger Formgefühl: Sie sind amorpher, labbriger erzählt. Ich frage mich oft: „Autor*in? Wie viele Jugendbücher hast DU bisher gelesen? Was genau tust du da, für wen?“ Die Bücher sind kürzer. Und: meist jünger, optimistischer, harmloser. Sprachlich und psychologisch weniger komplex.

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Zwei Probleme bei meiner Auswahl: Auch, weil viele der erfolgreichsten Klassiker auf dem deutschen Markt Märchen- und Fantasy-Elemente enthielten, gibt es aktuell eine Flut von Prinzessinnen-, Elfen- und Zauber-Romanen, meist „nur für Mädchen“. Sowie irrsinnig viele Jugend-Dystopien, die ich als schwache Kopie von „Hunger Games“ etc. lese. Beides: oft sexistisch, abgedroschen, klischiert.

Mir fehlen männliche Autoren, die ausschließlich Jugendbücher schreiben: Ich finde Jugend-Krimis von Krimi-Autoren, Jugend-Sci-Fi von Sci-Fi-Autoren, Jugend-Thriller von Thriller-Autoren. Die Jugendbücher dieser Männer kommen mir oft vor wie Nebenbei- oder Light-Projekte. Mein Erfahrungswert: Je hauptberuflicher, desto ambitionierter und intelligenter ist das Jugendbuch..

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Sieben Favoriten, die ich gern übersetzt sähe:

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STEFANIE HÖFLER, „Mein Sommer mit Mucks“

  • Jugendbuch ab ca. 11 | Ich-Erzählerin ist ca. 12
  • Mädchen trifft einen exzentrischen Jungen im Schwimmbad; sie werden Vertraute.
  • Beltz & Gelberg, 140 Seiten, 2015
  • PerlentaucherGoodreads, Amazon

„Zonja besitzt eine unbezwingbare Neugier, weshalb die meisten in ihrer Klasse sie für eine Spinnerin halten. Egal. Zonja mit Z liebt es, im Schwimmbad Leute zu beobachten und Statistiken aufzustellen, und so fischt sie an diesem Tag einen Jungen – grüne Badehose, dünn wie eine junge Birke, abstehende Ohren – aus dem Wasser, weil der nicht schwimmen kann. Seltsam. Sie spielen Scrabble, beobachten den Sternenhimmel und essen viele Pfannkuchen – eigentlich ist Mucks der erste Mensch seit Jahren, der ihr Freund werden könnte. Doch irgendwas stimmt überhaupt nicht mit ihm, und es dauert diesen einen Sommer, bis sie weiß, warum er im Regen tanzt und was es mit den blauen Flecken und dem Pfefferspray auf sich hat.“ [Klappentext, ungekürzt]

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Ein pubertäres, idealistisches Mädchen im Stil von Lisa Simpson (talentiert, aufgeweckt, doch ziemliche Scheuklappen) mit harmonischen Eltern, liebevoller Oma, hübschem Garten etc… in einer nicht-sehr-großen, wohlhabenden (süddeutschen?) Stadt. Ein introvertierter, aber liebenswerter Junge aus einfachen Verhältnissen, dessen Vertrauen sie gewinnt. Ein Handlungsraum und Tonfall, in dem auch kleine Schritte (nachts die Sterne beobachten; den Mut fassen, an einem fremden Wohnblock in einer „schlechten“ Nachbarschaft zu klingeln usw.) angemessen dramatisch erzählt werden:

„Mein Sommer mit Mucks“ ist das schönste, wärmste, liebevollste, zugänglichste Jugendbuch, das ich seit Jahren las. Genug Tiefgang und eine intelligente Grundfrage – Wie weit kann man gehen, um jemandem zu helfen, der sagt, er brauche keine Hilfe? – um sich als Schullektüre zu empfehlen. Und so frei von Zeit-, Medien- und Gegenwarts-Bezügen, dass es in jeder Sprache funktioniert und für fast jede Altersgruppe: Stefanie Höfler hätte das Buch auch 1996 schreiben können, oder spielen lassen.

Als Autorin macht sie mir das eher unsympathisch – weil für mich Social Media, Serien, Kino etc. zu Jugend und Alltag gehören. Und, Grundproblem: Fehlen Jugendbücher mit dem Plot (A) „Bürgerliches Mädchen mit idyllischem Umfeld hat kurz Sorgen, wegen einem sozial schwachen Jungen“? Oder (B) „sozial schwacher Junge kennt nur häusliche Gewalt, Armut und Frauenhass“? (B) wäre mutiger. Und ginge tiefer.

Schwächen:

  • Betuliche, altbackene Sprache… die zwar zur sehr behütet aufwachsenden Erzählerin passt, doch auf mich arg saturiert, provinziell, bieder, tantig wirkt: Stefanie Höfler ist eine irrsinnig sympathische Erzählerin. Als Stilistin finde ich sie gestrig.
  • Wenige Illustrationen – die der Geschichte nichts vermitteln/hinzufügen.
  • Plot und Figuren sind großartig universell, zeitlos. Das heißt auch: Der spezifische Handlungsort, die Zeit etc. bleiben vage. Das Buch aus dieser Auswahl, dem Gegenwärtigkeit & „Sense of Place“ am egalsten sind, und das am wenigsten über Deutschland erzählt.

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STEFANIE HÖFLER, „Tanz der Tiefseequalle“

  • Jugendbuch ab ca. 12 | Ich-Erzähler und Ich-Erzählerin sind ca. 12
  • angepasstes Mädchen traut sich nicht, freundlich zu einem übergewichtigen (und: exzentrisch-schrullig-selbstverliebten) Jungen zu sein.
  • Beltz & Gelberg, 190 Seiten, 2017
  • Perlentaucher, Goodreads, Amazon

„Manchmal ist es diese eine Sekunde, die alles entscheidet: Niko, der ziemlich dick ist und sich oft in Parallelwelten träumt, rettet die schöne Sera vor einer Grapschattacke. Sera fordert Niko daraufhin zum Tanzen auf, was verrückt ist und so aufregend anders, wie alles, was in den nächsten Tagen passiert. Vielleicht ist es der Beginn einer Freundschaft von zweien, die gegensätzlicher nicht sein könnten – aber im entscheidenden Moment mutig über ihren Schatten springen.“ [Klappentext, ungekürzt]

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Niko ist für mich eine Kunstfigur: ein optimistischer, tagträumender, onkelig-altklug-distanzierter Nerd, der davon träumt, mit schrulligen Erfindungen den Alltag aller Menschen zu verbessern. In altkluger, künstlicher Sprache schreibt er über Klassenkameradin Sera – die er langsam aus der Reserve lockt und von der er hofft, sie sei anders als die vielen oberflächlichen Kinder, die ihn mobben.

Auch Sera ist Ich-Erzähler: In jedem zweiten Kapitel wägt sie ab, was es für ihren Status auf dem Schulhof bedeutet, wenn sie mit einem Außenseiter lacht und Zeit verbringt. Auf einer Klassenfahrt versucht Sera, für Niko Flagge zu zeigen – doch alles geht schief, und die beiden trampen, getrennt von ihrer Klasse, nach Hause.

Schwächen:

  • Sera ist ein Archetyp, den ich in der Schulzeit oft sah – doch kaum kenne, verstehe: ein Mädchen, das nicht auffallen will. Nicht als Pathologie oder große Charakterschwäche. Sondern einfach, weil das leichter ist. Was widerfährt so vielen Mädchen ab ca. 12, bis/dass sie glauben, es sei lebenswichtig, unter dem Radar zu bleiben? Ich hätte mir von Höfler mehr Tiefgang, bessere Antworten gewünscht.
  • Nikos schrullige und altbackene Sprache passt gut zu Höflers eigenem, meist biederem Stil. An zu vielen Stellen aber klingt Niko komplett artifiziell. Ein Junge voller Selbsthass wäre mir lieber gewesen als jemand, dessen drollige Exzentrik deutlich mehr Raum nimmt als die… Body Issues.
  • Niko ist großherzig, charmant und entspannt. Tatsächlich aber tragen die meisten gemobbten Jungs den Hass, den sie erfahren, an z.B. die Mädchen, in die sie sich erfolglos verlieben, weiter: Ich kann mir eine MENGE ca. 14jähiger Arschloch-Jungs vorstellen, die das Buch lesen, sich sagen „Auch ich wurde von einer dummen Fotze in die Friendzone gesteckt. Dabei bin ich so ein netter Kerl!“ Niko ist für mich eine Ausnahme, eine Fiktion.

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ANKE STELLING, „Erna und die drei Wahrheiten“

  • Jugendbuch ab ca. 11 | Ich-Erzählerin ist 11
  • Soll Erna einen scheußlichen Mitschüler verpetzen, unter dem alle leiden? Alle in der Gemeinschaftsschule mahnen: Nein – nimm bitte immer Rücksicht!
  • cbj, 240 Seiten, 2017
  • Perlentaucher, LovelyBooks, Amazon

„Warum steckt in „Gemeinschaft“ auch „gemein“? Solche Fragen interessieren Erna Majewski, 11. Sie besucht eine Gemeinschaftsschule und lebt, wie ihre Freundinnen Liv und Rosalie, im gemeinschaftlichen Wohnprojekt. Dass das ganze Gemeinschaftsgetue ungerecht und sogar verlogen sein kann, erleben Erna und ihre Freundinnen, als nach dem Schulfasching jemand mutwillig die Klos ruiniert hat: Weil der Täter sich nicht meldet, sollen jetzt alle dafür büßen. So eine Gemeinheit! Liv lässt das kalt, aber Erna ermittelt. Und sie findet heraus, was passiert ist. Aber soll sie es auch verraten? Schließlich gibt es laut einem Sprichwort drei Wahrheiten – deine, meine und die Wahrheit. Und wer kann die schon ertragen?“ [Klappentext, ungekürzt]

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2015 war Anke Stellings (Erwachsenen-)Roman „Bodentiefe Fenster“ auf der Longlist des deutschen Buchpreis‘: Eine Ich-Erzählerin mit Kindern und lapidarem Ehemann, zunehmend verzweifelt in einem Gemeinschaftswohnprojekt im Prenzlauer Berg. Linke Idealisten und Kreative, die sich Eigentumswohnungen bauten; doch deren Freundschaften während endloser Öko-, Achtsamkeits-, Bio-Debatten im Plenum starben. Ich mochte das Buch… doch wurde beim Lesen müde: Ist das Satire? Rollenprosa einer irr zergrübelten, analytischen, gehemmten Mutter – privilegiert und trotzdem prekär? Die Grübel-Ich-Erzählerin war so unentschieden, stellte ihre Gefühle so schnell in Frage, relativierte jeden Gedanken… Der Roman verlor Schwung. Jeden Gedanken mit einem Gegen-Gedanken zu kontern und dabei immer schneller zu pendeln… das wurde, gegen Ende, freudlos und zerquält. Ohne, dass ich noch sagen konnte: „Klug hinterfragt!“

„Erna und die drei Wahrheiten“ spielt im selben Milieu. Mit einer elfjährigen Hauptfigur, genauso zergrübelt, fragend, nervös. Aber: Das Jugendbuch ist kürzer, spitzer, schärfer, witziger und zieht sich, anders als „Bodentiefe Fenster“, nicht ständig selbst durch Über-Analysieren den Boden unter den Füßen fort.

Ein oft brillanter Ton, der die maximal unbequemen Fragen in den witzigsten Momenten stellt – kindgerecht, doch für jedes Alter empfehlenswert. Den Erwachsenen aus „Bodentiefe Fenster“ wollte ich zurufen: Trennt euch! Zieht aus! Tut irgendwas und zieht es durch! Ihr habt alle Möglichkeiten!“ Erna, 11, hat keine Optionen. Das macht ihr Buch so dringlich, intensiv, klug. Ein Tonfall wie in den besten „Peanuts“-Strips: melancholisch, clever… und trotzdem irr süffig, lebenslustig, leicht!

Schwächen:

  • Erna liebt seltene Worte, hat immer ein etymologisches Wörterbuch dabei. Das ist, im Rahmen des Buchs, okay. Doch mich langweilt, dass DREI von sieben Kinder-Ich-Erzähler*innen hier auf der Liste seltene Worte sammeln, über die Schönheit von Vokabeln philosophieren. Ein Bildungsbürger-Kinderbuch-Klischee – das nochmal doppelt nervt, falls Figur und Autor dann auch noch Youtube, Whatsapp usw. ostentativ egal sind. [Erna schimpft immerhin, dass sie kein eigenes Tablet hat; und sie mag schlechte High-School-Filme.]
  • Ein abruptes Ende. Ich glaube, Ratlosigkeit und ein gewisses Sich-Abfinden sind Stellings Markenzeichen: Über Probleme mit klarer Lösung schreibt sie erst gar nicht.
  • Erna hat die zweit-dicksten Oberschenkel der Stufe. Ich mochte, dass das recht spät im Buch zum Thema wird – weil Erna selbst ihren Körper mag, nur unter den abschätzigen Kommentaren leidet. Doch wenn der Verlag Erna zeichnen lässt, will ich beim Blick aufs Buch-Titelbild bitte nicht denken: „schlaksiges, dünnes Mädchen“.

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DORIT LINKE, „Jenseits der blauen Grenze“

  • Jugendbuch ab ca. 13 | Ich-Erzählerin ist ca. 12 bis 16 (Rückblenden) / 17 oder 18 (Flucht)
  • Hanna und Andreas aus Rostock schwimmen über die Ostsee – weil sie in der DDR keine Zukunft sehen.
  • Magellan, 304 Seiten (TB), 2014
  • Goodreads, Amazon
  • Link zu geschichtlichen Hintergrund: „Die Ostsee – eine gefährliche Fluchtroute“

„Die DDR im August 1989: Hanna und Andreas sind ins Visier der Staatsmacht geraten und müssen ihre Zukunftspläne von Studium und Wunschberuf aufgeben. Stattdessen sehen sie sich Willkür, Misstrauen und Repressalien ausgesetzt. Ihre einzige Chance auf ein selbstbestimmtes Leben liegt in der Flucht über die Ostsee. Fünfzig Kilometer Wasser trennen sie von der Freiheit – und nur ein dünnes, verbindendes Seil um ihr Handgelenk rettet sie vor der absoluten Einsamkeit …

‚Ergreifend wird hier das Bild einer sozialistischen Jugend zwischen Aufmüpfigkeit und Resignation, Leistungssport und politischer Agitation gezeichnet. Hanna und ihre Freunde finden mit sicherem Instinkt die Brüche im System. Dorit Linke hat die Charaktere glaubwürdig und berührend gezeichnet und eine untergegangene Welt dem Vergessen entrissen.‘ Karen Duve“ [Klappentext, ungekürzt]

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Hanna, Andreas (…und der alberne, naive, eindimensionale „Sachsen-Jensi“) hadern seit der ca. 7. Klase mit gehässigen Lehrern, Drill, angepassten Kameraden. Jensi hat West-Verwandtschaft: Er darf nach Hamburg ausreisen. Andreas wird vom Vater geschlagen. Er rebelliert, landet im Jugendwerkhof und versucht, sich umzubringen. Ich-Erzählerin Hanna hat einen depressiven/umnachteten Vater. Eine Mutter, die sich nur wünscht, dass Hanna Zöpfe und Röcke trägt. Und einen renitenten Opa, der jedes Schulfest und jede Feier mit staats- und frauenfeindlichen Sprüchen sprengen will. Nach einem Scherz von Opas wird Hanna und Andreas das Abitur verwehrt – und Andreas beschließt, im Neoprenanzug ca. 50 Kilometer in den Westen zu schwimmen. Hanna, die als Sportlerin aussortiert wurde, trainiert in der Schwimmhalle. Auch, weil sie glaubt, dass Andreas unvorbereitet und schwach ist, und ohne sie sterben wird.

Alle ca. 8 Seiten wechselt das Buch von Rückblenden aus der Schulzeit (oft: schleppend, mit recht durchschaubaren Figurenkonflikten) zur Gegenwart: toll recherchierte, dramatische Survival-Action auf der Ostsee, blendend geschrieben. Hanna spricht und entscheidet extrem pragmatisch: Ich musste an „Hunger Games“ denken – denn wie Katniss liebt auch Hanna ihren Survival-Partner… doch hält ihn für leichtsinnig, zu weich, einen Klotz am Bein.

Eine sehr erwachsene, oft rhythmische Sprache. Eine Autorin, die ihr Milieu *sehr* genau kennt. Ein actionreiches, beklemmendes, oft erwachsen-unsentimentales Buch – ambitioniert, literarisch auf hohem Niveau. Passt auf den US-Markt, wo Action-Historien-Titel wie „Code Name Verity“ zu YA-Bestsellern wurden.

Schwächen:

  • Unmengen an DDR-Jargon? Das öffnet eine fremde Welt. Dass sich Vieles erst im Kontext erschloss? Kein Problem. Doch ich hatte den Eindruck, dass besonders in den dialog-intensiven Rückblenden auf jeder Seite fünf bis acht Idiome, Sprüche, Floskeln, Markennamen etc. aus der DDR gehäuft wurden. Als würde die Autorin eine Liste abarbeiten. Auf Kosten des Erzählfluss‘.
  • Am störendsten: Sachsen-Jensi und Opa erzählen gern Witze, manchmal drei oder vier am Stück. Auf 300 Seiten gibt’s 40, 50 (?) sehr zeit-spezifische Ost-Kalauer. Alle wären lost in translation. Mich haben sie beim Lesen gebremst: Sie nervten, in ihrer Monotonie.
  • „Sachsen-Jensi“ ist wie eine noch dümmere, feigere, faulere Version von Ron aus „Harry Potter“: eine eindimensionale Figur mit dümmlichen Slapstick-Problemen wie zu kleiner / zu großer / gerissener / hässlicher Kleidung.
  • Eine Übersetzung bräuchte Fußnoten, ein ausführliches Glossar – oder viele ergänzende Halbsätze wie „Wir gingen in den Intershop, wo man nur mit Fremdwährung einkaufen konnte.

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CHRISTIANE NEUDECKER, „Sommernovelle“

„Ein Sommer, wie es ihn nur in der Kindheit oder Jugend gibt: In den Ferien arbeiten zwei 15-jährige Schülerinnen auf einer Vogelstation direkt am Meer. Sie streifen über die Nordsee-Insel und lauschen den Trillergesängen der Austernfischer, zählen Silbermöwen am Himmel und führen Kurgäste durch das schillernde Watt.

Pfingsten 1989: Lotte und Panda wollen die Welt verändern. Es ist die Zeit kurz vor der Wende, in der es für Jugendliche in der BRD vor allem Nord und Süd gab, nicht aber Ost und West. Deutschland liegt noch im Schatten der Wolke von Tschernobyl und jedes Gewitter bringt sauren Regen. Die beiden Freundinnen sind sich einig: Sie wollen handeln. Gemeinsam mit einer bunt zusammengewürfelten Truppe aus Rentnern und Studenten leisten sie ökologischen Dienst in einer skurrilen Vogelstation. Da ist etwa Hiller, der vogelbesessene Pensionär, der Panda in sein Herz schließt und ihr beibringt, das Meer zu deuten und den Himmel zu lesen. Lotte nähert sich dem attraktiven Julian an, der sie für erwachsener hält, als sie tatsächlich ist.“ [Klappentext, gekürzt]

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Ich hasse, wenn Zyniker Kinder- und Jugendliteratur als Schwundstufe, Light-Version von E-Literatur begreifen. Ich zweifle, dass es einfacher, leichter ist, ein gutes Jugendbuch zu schreiben – und halte Jugendbuchautor*innen nicht für verkrachte Autor*innen zweiter Klasse. Trotzdem kann ich in Jugendbüchern – besonders bei Ich-Erzähler*innen gibt – besser mit Figuren leben, die nicht alles zu Ende denken. Ich las „Sommernovelle“ 2015… und fand das Buch zu harmlos, kurz, plätschernd unentschieden: Christiane Neudecker findet einen liebenswerten Ton. Schafft eine überzeugende Atmosphäre und eine Erzählerin, die man gern begleitet. Besonders tief, dramatisch, hässlich, verstörend oder klug-verdichtet sind die melancholischen Sommer- und Insel-Anekdoten nicht.

Doch übersetzt, und als Jugendbuch vermarktet? Die Ich-Erzählerin kommt mir nah (perfekt bei Jugendbüchern!), funktioniert als Einladung, Identifikationsfläche… doch ist trotzdem so charmant prototypisch-nostalgisch-spezifisch fürs 80er-Jahre-Bürgertum, dass z.B. eine etwas versnobte 40jährige Kanadierin, die sich für übersetzte Literatur interessiert, *sehr* viel wieder erkennen und mögen wird.

Ähnlich gelungen finde ich hier im Buch Sylt: Eine Kulisse, harmlos und einladend genug, dass das Buch als Sommer-, Strandlektüre und Middle-Brow-Novel funktioniert. Doch detailliert und fachkundig genug beschrieben, dass jeder sagen wird: „In diesem sehr deutschen Buch über Deutschland wurde mir eine attraktive deutsche Ecke in schöner Sprache einladend beschrieben.“

Überzeugendes, charmantes, publikumswirksames Zeit- und Lokalkolorit!

Schwächen:

  • Ich glaube, je mehr man denkt „Das hier will allergrößte Literatur sein“, desto enttäuschter ist man von diesem sanften, lapidaren Buch.
  • „Sommernovelle“ handelt von Jugendlichen, die nicht wissen, wie viel sie erwarten dürfen. Fast alle Erwartungen werden enttäuscht. Deshalb wirkt das Buch etwas… antiklimatisch.
  • (Aber: meine Lieblings-Jugendserie, „Willkommen im Leben“/“My so-called Life“, hat das selbe Grundthema. Ich finde tröstend, wenn Jugendliteratur, statt künstlicher Dramatik, zum Thema macht, wie wenig oft passiert.)

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CHRISTIAN DUDA, „Gar nichts von allem“

  • Jugendbuch ab ca. 10 | Ich-Erzähler ist 11
  • Der Vater schlägt. Die Mutter vertuscht und entschuldigt. In einem Tagebuch wird Magdi die eigene Machtlosigkeit bewusst.
  • Beltz & Gelberg, 140 Seiten, 2017
  • Perlentaucher, Amazon

„Der 11jährige Magdi ist glühender Fan des Boxers Mohammed Ali. Denn Ali ist stark, fair und einfach unbesiegbar. Ganz anders als Vater. Der buckelt nach oben und tritt nach unten. Unten, da stehen Magdi und seine drei Geschwister. Und Mutter. Was den arabischen Vater und die deutsche Mutter eint, ist der Wille, »gebührliche« Kinder großzuziehen. Bloß nicht unangenehm auffallen! Deshalb müssen Magdi und seine Geschwister besser sein als die anderen. Und wenn sie nicht besser sind, dann hilft Vater nach.“ [Klappentext, ungekürzt]

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Ein Tick zu kurz, zu schlicht. Doch dafür: Das Buch hier in meiner Auswahl, das ich jedem noch-so-lesefaulen Elfjährigen in die Hand drücken will. Zugänglich, pointiert und mit zwei, drei markanten Gedanken, Szenen oder Witzen pro Seite. Duda nutzt Sarkasmus, um einem 11jährigen in hoffnungsloser Lage Stimme, Agency, Mut, Spielraum zu zeigen: Im Schreiben versteht Magdi die Dynamiken seines (oft unerträglichen) Alltags.

Ob „Gar nichts von allem“ gefällt/gelingt, hängt an den eigenen Maßstäben: Alles könnte tiefer greifen. Viel länger sein! Geschwister, Nebenfiguren bleiben kaum genutzt. Dass Magdis Mutter als Enablerin / Vertuscherin genauso gefährlich ist wie der gewalttätige Vater, deprimiert mich. Realistisch, dass die Familie in ihrer Dynamik bleibt. Doch schade, dass (außer: Tagebuch-Führen) für keines der Kinder eine Lösung sichtbar wird: Magdi wünscht sich, dass sein Vater stirbt. Ein Wunsch, auch für uns Leser deprimierend verständlich.

Lieblingsstelle: Eine Fußballmanschaft gewinnt ein wichtiges Spiel. Die autoritäre, böse Lehrerin steht auf dem Hof und schreit völlig enthemmt „Sieg! Sieg!“, „als hätte sie das schon mal irgendwo geübt.“ ❤

Schwächen:

  • Hier im Buch ist das Meta-Gewäsch über den Zauber der Sprache und die empowernde Macht des Schreibens am stärksten: Magdi ist ein scharfsinniger, gewitzter Ich-Erzähler, genießt das Tagebuchschreiben sichtlich, wird als Figur plausibel. Doch fünf, sechs „XY ist SO ein verrücktes Wort, wenn man genauer darüber nachdenkt…!“-Passagen hätte ich streichen lassen.
  • Kleine Illustrationen, die aussehen wie Schmierereien und Tintenkleckse eines nervösen Elfjährigen: Sie passen gut ins Buch – doch fügen dem Text nichts hinzu, und die Motive sind nicht originell.
  • Das Buch spielt Mitte der 70er in einer Industriestadt (Ruhrgebiet?); der Klappentext rückt Mohammed Ali in den Mittelpunkt. Tatsächlich sind Plot und Milieu nicht besonders detailliert / zeitspezifisch. Ein halbes Dutzend recht verständlicher, doch nicht sehr origineller Popkultur-Anspielungen werden in einem witzigen, charmanten Glossar kurz erklärt.
  • Rezensent Hartmut el Kurdi „rechnet dem Autor hoch an, dass dieser die Probleme nie ethnisiert oder kulturalisiert und die Durchschnittlichkeit einer multikulturellen Identität ebenso thematisiert wie deren Besonderheit. Nicht zuletzt lobt El Kurdi den „authentischen“ Erzählton dieses lesenswerten Buches“. Ich stimme zu. Warne aber: Über den Alltag muslimischer Familien in Deutschland erfährt man hier deshalb eben… relativ wenig.

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TANYA LIESKE, „Mein Freund Charlie“

  • Jugendbuch ab ca. 11 | Ich-Erzähler ist 12 oder 13
  • Ein Sommer in Düsseldorf, damit Niks‘ Vater auf dem Bau Geld machen kann. Niks, allein in der Wohnung, wird in den Bandenkrieg der russischen Nachbarn verwickelt.
  • Beltz & Gelberg, 170 Seiten, 2017
  • Perlentaucher, Bücherkinder, Amazon

„Niks lernt Charlie kennen, als er mit seinem Vater Mahris für mehrere Wochen von Riga nach Deutschland kommt. Während Mahris Arbeit sucht, streunen die Jungen durch die Stadt und Charlie zeigt Niks, was er besonders gut kann: sich unsichtbar machen. Egal, ob in einer Menschenmenge oder in einem Geschäft, manchmal ist Charlie einfach weg. Oft sind dann auch Portemonnaies, Skateboards oder anderes Zeugs verschwunden. Niks ist fasziniert von Charlies Talent.“ [Klappentext, ungekürzt]

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Das schwächste Buch dieser Auswahl: Ich freue mich, dass eine deutschsprachige Autorin versucht, die Stimme eines jungen Letten einzunehmen. Psychologisch klappt das gut – für mich handelt Niks nachvollziehbar und authentisch. Stilistisch, sprachlich klappt es kaum: Tanya Lieske benutzt viele Floskeln und Sprachbilder aus den ca. 60ern. Das Buch klingt IRRSINNIG altbacken [aber: genau solche Dinge kann eine gute Übersetzung ja ausbügeln/ausgleichen].

Drei Viertel des Romans glücken für mich: Niks, allein in einer deprimierenden Mietwohnung, lernt von seiner Zufallsbekanntschaft Charlie die Kunst des Taschendiebstahls, doch muss dann für dessen Familie in ein Hehler-Haus klettern, damit Charlies russische Hehler-Familie ihre Rivalen, zwei deutsche Hehler-Brüder, bestehlen können. Viel Action. Eine vernünftige, gewinnende Hauptfigur – und ihr liebevoller, hilflos optimistischer Vater: ein Duo, eine Familiendynamik, die mir sehr gefiel!

Leider läuft alles auf einen Klimax hinaus, in dem Figuren entführt werden, Schüsse im Mietshaus fallen, verkleidete Männer Lassos (!) in einer Sozialwohnung schleudern etc. – ein Finale, in dem sich Abgründe auftun, die dann aber – völlig misslungen! – binnen zwei, drei Seiten geklärt sind. Wenn Lieske erklärt, dass eine ganze Mietskaserne den Atem anhält, gafft, die Helden beobachtet… DANN in einer kleinen Wohnung ein Schuss fällt… doch nie jemand nachschaut, nachfragt, die Polizei ruft etc. …bin ich raus.

Schwächen:

  • Freund Charlie hat kaum Persönlichkeit, Tiefe, Kontur.
  • Seine Verwandten/Geschwister bleiben noch blasser: ein Buch ohne nennenswerte Frauenfiguren.
  • Lieske bedankt sich bei einer Kommissarin, die „viel weiß über Bandenkriminilität, Wohnungseinbrüche und Kinder, die in diesem Milieu aufwachsen. Die Wirklichkeit ist um etliches düsterer, als in meinem Roman dargestellt.“ Ich wünschte, der Roman hätte sich näher an dieser Wirklichkeit orientiert, statt…
  • …die Geiselnahme zu beenden, indem Niks‘ reicher Onkel aus Amerika maskiert ins Zimmer stürmt und mit Zirkus-Tricks und Lassos zwei Hehler überrumpelt. Auch, dass Niks‘ nicht wusste, dass sein Vater und Onkel im Zirkus erwachsen wurden, schien mir aufgesetzt/hanebüchen.
  • Lieske bedankt sich bei einer lettischen Autorin, die ihr viel über Lettland erklärte, und den Jugendkrimi „Spelés Meistars“ schrieb. Im Roman ist „Spelés Meistars“ Niks‘ Lieblingsbuch, wird oft erwähnt – doch an keiner Stelle erfahren wir, worum es geht oder, was das Buch besonders, wichtig macht für Niks. Das wirkt für mich wie… albernes Product-Placement. Oder: eine schlecht durchdachte Gefälligkeit unter Kolleginnen.
  • Nachdem wir über 150 Seiten sahen, dass Mahris ein liebevoller, doch finanziell / lebenspraktisch oft inkompetenter Vater ist, sich kaum über Wasser halten kann… eröffnet er einen Zauber- und Artistik-Shop in Riga und wird damit mühelos erfolgreich? Ein Ende, das allem, was zuvor gezeigt wurde über Nöte, Pragmatismus, schmutzige Kompromisse… ins Gesicht spuckt.

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Blogs, Bücher, Plattformen in Deutschland: Wem folgen? [Vortrag am LCB Berlin]

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Am 13. März spreche ich am LCB Berlin: ein 90-Minuten-Vortrag über das Entdecken von Büchern, online.

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  • Welche Plattformen stellen Neuerscheinungen vor?
  • Wo finden sich Geheimtipps, Entdeckungen?
  • Welche Blogs, Multiplikator*innen, Twitter-, Instagram-, Facebook-Accounts vernetzen und informieren?
  • Wie behalte ich, durch Listen und Tools wie Goodreads, den Überblick?

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Noch zwei Tage lang, bis Dienstag, bleibt dieser Blog-Eintrag Work-in-Progress:

Habt ihr Ideen, Anregungen, Adressen? Für alle, die sich für deutschsprachige Gegenwartsliteratur interessieren? 

Vor allem aber: Für Übersetzer*innen aus dem Ausland, die online über die deutschsprachige Literaturszene informiert bleiben wollen?

Kommentiert – oder mailt mir eure Tipps! das.ensemble@gmail.com & drüben bei Facebook: facebook.com/smesch

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Am internationalen Übersetzertreffen des Literarischen Colloquiums Berlin nehmen in diesem Jahr 34 Übersetzerinnen und Übersetzer aus 29 Ländern teil, die die deutschsprachige Literatur in 27 verschiedene Sprachen übertragen. Nach einem mehrtägigen Seminarprogramm im LCB besuchen wir die Leipziger Buchmesse, wo am Donnerstag, 15. März um 11 Uhr im Übersetzerzentrum (Halle 4, Stand C500) eine Podiumsdiskussion mit ausgewählten Teilnehmern stattfindet.

Mit dabei sein werden Zofia Sucharska (Polen), Anna Kukes (Russland), Nelia Vakhovska (Ukraine), Chrytsyna Nazarkevich (Ukraine), Katalin Rácz (Ungarn), Jaugen Bialasin (Belarus), Katarina Széherova (Slowakei), Marie Voslářová (Tschechien), Zdravka Evstatieva (Bulgarien), Radu Alexe (Rumänien), Meral Tarar Tutus (Serbien), Vanda Kušpilić (Kroatien), Marina Aganthangelidou (Griechenland), Natia Datuashvili (Georgien), Anne Folkertsma (Niederlande), Giulia Disanto (Italien), Margherita Carbonaro (Italien), Alexia  Valembois (Frankreich), Rebecca DeWald (Großbritannien), Mandy Wight (Großbritannien), Paula Kuffer (Spanien), Ramon Farres (Spanien), Kathleen Thorpe (Südafrika), Daniel Bowles (USA), Mariana de Ribeiro de Souza (Brasilien), Martina Fernandez Polcuch (Argentinien), Amira Amin (Ägypten), Donya Moghaddamrad (Iran), Raikhan Shalginbayeva (Kasachstan), Ma Jian (China), Subroto Saha (Indien), Jiwon Oh (Südkorea), Nihat Ülner (Türkei), Gülperi Zeytinoglu (Türkei) und Katalin Rácz (Ungarn).

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Übersetzer*innen, die auf Facebook & Twitter networken: 

Katy Derbyshire | Shelley Frisch | Rachel Hildebrandt | Charlotte Collins | Rebecca DeWaldWilliam Gregory | Meytal Radzinski | Ruth Martin | Jamie Searle Romanelli | Lyn Marven | Jenny Watson | Ruth Ahmedzai Kemp | Jen Calleja | Susan Bernofsky | Daniel Hahn | Lucina Schell | Paula Kirby (GDR expert) | Anne Marie Jackson | Stefan Tobler | Mandy Wight | Sarah Pybus | Jessica West | Karen Leeder | Sally-Ann Spencer | Meike Ziervogel | Charlotte Ryland | Emma Rault | Jackie Smith | Amanda Price | Vivid Meaning | Elka Sloan | Louise Lalaurie | CMC Translations | Tony Malone | Julia SanchesKatharina Bielenberg | Deborah Smith | Ruth Clarke | Melanie J. Florence | Sophie Hughes | Marta Dzuirosz | Laura Watkinson | Lillie Langtry | Steph Morris | Petra Hardt (Suhrkamp) | Emma Ramadan | Theodora Danek | Tim Gutteridge | Geraldine Brodie | Lawrence Schimel | Susan Reed | Walter Schlect | Anna Holmwood | Lissie Jacquette | Saskia Vogel | Lucy Moffatt | Alyson Coombes | Tim Mohr | Christine Moser | Nick Rosenthal | Maria Snyder | Mandy Wight

…und Bradley Schmidts Blog „Leipzig is lit“

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Twitter-Seiten:

New Books in German | Translated World | ALTA | ata | BCLT | Words Without Borders | World Literature Today | Open Letter Books | Deep Vellum | CATranslation | LitAcrossFrontiers | European Literature Network | European Prize for Literature | TranslationMonth | Women in Translation | Festival Neue Literatur | FBF New York | Transfiction | Tilted Axis | World Editions | Oneworld Publications | Darf Publishers

…und der Hashtag #translationsthurs

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Facebook-Gruppen:

Buchhandelstreff: Buchhändler*innen tauschen sich über Kunden, Alltag und die Branche aus. Wer einen Buchtipp sucht, bekommt in der Gruppe oft fachkundige oder originelle Antworten.

Empowerment durch Medien: Medienberichte, Links, Inspiration und viele Links zu Spielzeug, Serien, Büchern und Filmen von oder mit Menschen of Color. Eine rassismuskritische Gruppe, besonders fachkundig bei Kinder- und Jugendliteratur.

Comicforschung: deutschsprachige Journalist*innen und Akademiker*innen sprechen über Comics / Graphic Novels. Viele Expert*innen für den deutschsprachigen Markt.

Das blaue Sofa: aktuelle Zeitungsartikel, Links, Videos – meist zu den größten Namen der deutschsprachigen Literaturszene.

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Facebook-Seiten / Fan-Pages:

Buchbloggerinnen-Netzwerk | Stiftung Lesen | Arbeitskreis für Jugendliteratur | Übersetzercouch | VdÜ

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Facebook-Seiten von Buchblogs:

We read Indie | das Debüt | SchöneSeiten | 54Books | Literaturen | Buzzaldrins Bücher | Klappentexterin | Muromez | Zeilensprünge

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Facebook-Seiten von Verlage und Initiativen:

Indiebookday | Kurt-Wolf-Stiftung | Hotlist | Alliance internationale des éditeurs indépendants

Culturbooks | kookbooks | Mairisch | Verbrecher Verlag | Kremayr & Scheriau | MerveHablizel Verlag | Luftschacht Verlag | Matthes & Seitz | Schöffling | Männerschwarm | Kein & Aber | Verlag Antje Kunstmann | Liebeskind | Frohmann Verlag | Jung und Jung | mikrotext | Salis | Steidl | Frankfurter Verlagsanstalt | WeidleGuggolz | avant [Comics] | Reprodukt [Comics] | Edition Moderne [Comics]

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internationale Facebook-Seiten:

Global Literature in Libraries Initiative | McSweeney’s | The Millions | Book Riot | Literary Hub | Afrolivresque (Franz. & Englisch)

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Websites von Verlagen, die Jugendbücher veröffentlichen:

Arena | Loewe | Carlsen | Magellan | Beltz & Gelberg | Hanser | mixtvision | Ravensburger | dtv Jugendbuch | script5 | Oettinger | Egmont | cbt | Fischer FJB | Thienemann | Gerstenberg | Twitter-Account: buuu.ch

Instagram:

Die meisten Buchblogs sind auch auf Instagram. Explizit sehenswert: Literarischer Nerd | Literakt …und, Videos: Autor*innenlesungen auf Zehnseiten.de

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Rezensionsportale, Online-Magazine:

Literaturkritik.de | Litrix | litaffin | Literatur & Feuilleton | Buecherkinder (Kinderbücher) | Literaturport | Literaturcafé | Fixpoetry | Poetenladen | Lyrikline | Litprom | SWR-Bestenliste

Aggregator Perlentaucher | Perlentaucher-Newsletter „Bücherbrief“ | …und, ähnlich: der „Börsenblatt-Bestseller-Newsletter“

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Print-Magazine:

Buchkultur | BÜCHER Magazin (auch sympathische FB-Seite) | Volltext | Buchreport | Börsenblatt | Buchmarkt

Genre & Krimi:

Krimi-Bestenliste | Phantastik-Bestenliste | „die 7 besten Bücher für junge Leser“ (monatlich) | SERAPH-Preis | Krimi-Couch | Histo-Couch [weitere Sparten-Websites, jeweils couch.de] | TOR Online (Deutsch) | Heyne: die Zukunft | Darkstars Fantasy-News | Markus Mäurer (Twitter) | das Syndikat | FantasyGuide (Twitter) | Herland: Feminismus & Krimis

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Selfpublishing [in Deutschland nennen sich unabhängige Verlage gern „Indie-Verlage“; doch Selfpublishing-Autor*innen ganz ohne Verlag gern „Indie-Autor*innen“: Indie-Autor*innen veröffentlichen selten in Indie-Verlagen.]

Federwelt (auch Verlags-Autor*innen. Oft Fokus auf Handwerk und Selbstorganisation) | Selfpublisher-Bibel | Uschtrin.de | R Benke-Bursian (Twitter) | Matthias Matthing (Twitter)

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Social Reading & Blogs:

50 Buchblogs, die ich empfehle | Krimi-Blogs, die ich empfehle (2014) | Booktube-Videos, die ich empfehle | 1000+ Buchblogs auf Lesestunden.de | tagesaktuelle Blogposts und Feuilleton-Texte, gesammelt bei lit21.de

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Leseportale:

LovelyBooks | MojoReads | NetGalley | VorabLesenLiteraturschock

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Agenturen, mit denen ich gute Erfahrungen machte:

Graf & Graf | Agentur Michael Gaeb | Werner Löcher-Lawrence [auch Übersetzer] | Langenbuch & Weiss sowie Scout Jana-Maria Hartmann (Chicago)

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Goodreads: Books my friends are reading (Liste)

30 Goodreads-User*innen, die deutsche Gegenwartsliteratur mögen und oft bewerten: Agnieszka | Philipp | Yvo | Martin | Thomas | Marie | Patrick | SusanneFabian | Alexandra | Frau Zerstreuung | Wiebke | Booklunatic | Steffi | Kathrin | Antje | Silke | Dazessin | Barbara | Lese lust | Sabine | Clara | Martin | Ira | Dennis | Matthias | Georg | Rabenfrau | Thomas H. | …und ich selbst

Twitter-Accounts, die oft über deutsche Literatur-Debatten und Neuerscheinungen posten:

Karla Paul | SalonLit_ | Österreichische Gesellschaft für Literatur | Jan Drees | Patrick HutschDirk Pilz | WhoisKafka | Fabian ThomasCarsten Otte | Ruth liest | CrowandKrakenNadine Epilogues | XMarieReads | Buchwurm_Blog | Bookster HRO | IR_head | RedustrialBlog | Matthias Huber | Stefanie Laube | Claudia Dürr | Marcus Kufner | meineliteraturwelt | Peter Peters | Florian Eckardt | SkylineofBooks | Verena Schmetz | Literatur in Berlin | Maren Appeldorn | Misshappyreading | Sameena Jehanzeb | HerrBooknerd | Was mit Büchern | letusreadsomebooks | Die Buchbloggerin | dasfoejetong | Frau Hemingway | Sharon Baker | Wolfgang Ferchl | Wunderliteratur | Frank Beck | Tilman Winterling | Eszter Bolla | Re-book | Literatur_Papst | Mario Max | Papiergeflüster | Klaus N. Frick | Wolfgang Tischer

Neuerscheinungen finden?

Blogger Ilja Regier [Muromez] verlinkt alle 6 Monate ca. 40 Verlagskataloge im Blog. Eintrag zu Frühling 2018 | ähnlicher Eintrag von mir

Literaturkritik.de listet öffentlich alle Titel auf, die als Rezensionsexemplar eingereicht wurden: Link

präzise Amazon-Suchen, z.B. deutschspr. Gegenwartsliteratur, nach Erscheinungstermin (absteigend)

Buchhandel.de / Verzeichnis lieferbarer Bücher (noch präzisere Suchparameter, customizable)

Neuerscheinungs-Listen bei LovelyBooks

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„Wo findest du neue Bücher? Wie stößt du auf interessante Titel?“

Frage ich das Kritiker*innen, Blogger*innen, Autor*innen, Veranstalter*innen… höre ich zu oft:

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a) „Ich lese halt durch alle Verlagsvorschauen, zweimal pro Jahr“ oder, knapper „Ich lese durch die Vorschauen meiner acht bis zwölf Lieblingsverlage. Die anderen enttäuschen mich eh fast immer, lehrte mich die Erfahrung.“

oder:

b) „Ich suche, stöbere selbst kaum noch. Ich habe Freund*innen, die meinen Geschmack gut genug kennen, dass ich weiß: Wenn X mir ein Buch empfiehlt, sollte ich es lesen!“

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Vielleicht reicht das.

Er reicht für fast alle im Literaturbetrieb (…außer Buchhändler*innen):

  • Favoriten und recht enge Parameter bestimmen.
  • vertrauenswürdige Empfehler*innen suchen.
  • sagen: „Was mich auf DIESEN Kanälen erreicht, nehme ich besonders ernst. Alles andere muss erst sehr laut, sehr sichtbar, sehr besonders sein, dass ich es irgendwann später, auf Umwegen, wahr nehme.“

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Mir reicht das nicht.

Wenn ich nicht aktiv suche, lese ich vor allem Bücher von Lieblings-Autor*innen: arrivierte Namen, die mir ein Begriff sind. Ich verlasse mich auf Klassiker, Vertrautes. Mache viel zu selten Entdeckungen – denn die Hemmschwelle bei unbekannteren Stimmen ist höher.

Immer, wenn ich 20 Bücher aussuche, sind sechs oder sieben von Frauen. Nie 10. Nie mehr als 10: Männer sind sichtbarer. Sie werden öfter besprochen, empfohlen. Beim Roman eines Manns denke ich: „Das ist ein Buch. Also: relevant für mich!“ Beim Buch einer Frau denke ich: „Ist das überhaupt Literatur? Oder doch nur: Frauen-Unterhaltung?“

Ein Buch bei Suhrkamp, Hanser, Rowohlt, S. Fischer: nehme ich ernst.

Bei Büchern aus Kleinverlagen denke ich: Das Buch wird wenig Publikum erreichen. Der Verlag kann oft kaum Geld auszahlen, nicht viel Energie in PR und Werbung stecken: Hatte der Autor, die Autor*in Geld genug, um sich viel Zeit zu nehmen, beim Schreiben? Ist das ein Buch, das ihm/ihr maximal wichtig ist? Oder doch: ein Schnellschuss, ein Kompromiss, eine Schrulle – für ein Nischen-Publikum? Etwas, hinter dem kein großer Verlag stehen will?

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EIN Buch zu finden, ist frustrierend.

Ich suche ständig, parallel:

  • ein Buch, das ich als nächstes lesen kann.
  • ein aktuelles Buch, über das „alle“ reden – und bei dem ich dabei sein will.
  • ein Buch, das in ca. sechs Wochen erscheint und das ich als Rezensent im Radio vorstellen / empfehlen kann.
  • Bücher für alle, denen ich oft Bücher schenke: Ein existenzielles, packendes Buch für meinen Partner. Ein spannendes, makellos geplottetes Buch für meinen besten Freund. Ein Buch, das meinen neunjährigen Neffen begeistert. Ein Buch, von dem ich online sagen kann „Wenn ihr dieses Jahr EIN Buch lest: Nehmt das hier!“ usw.

Das sind Standard-„Suchanfragen“, die immer gelten.

Oft aber habe ich EINE akute, konkrete Vorgabe, z.B. von meinem Radio-Redakteur. Bis Juni etwa suche ich Bücher, in denen Töchter autobiografisch über den Vater schreiben. Die Bücher müssen, idealerweise:

  • …jünger als zwei Jahre sein.
  • …in deutscher Übersetzung vorliegen.
  • …so klug und literarisch sein, dass ich sie im Radio empfehlen kann.

Jedes Mal, wenn ich einen so konkreten Suchauftrag habe, finde ich unterwegs interessante Bücher, die nicht richtig passen, zu den genauen Parametern:

  • Vater-Töchter-Bücher, nicht auf Deutsch
  • Jugendbücher, nicht autobiografisch
  • interessante Bücher eine Frau, die vor 20 Jahren über ihren Vater schrieb
  • Familien-Mangas etc.

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Diese Entdeckungen helfen mir akut bei meiner Arbeit nicht.

Doch sie zu speichern, ist wichtig und motivierend – denn oft habe ich fünf Monate später einen Schwerpunkt, einen Auftrag, ein Projekt, bei dem es plötzlich wirklich um gute Jugendbücher geht. Oder Mangas. Oder Vater-Tochter-Klassiker.

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Unter Zeitdruck EIN passendes Buch finden, z.B. für meinen besten Freund?

Stress und Frust.

Befriedigend wird das Scouten, Stöbern, Herumsuchen, sobald ich zwei Zwischenstufen einbaue:

  • Ich markiere die Bücher, die mir gerade nichts bringen – doch die mir interessant scheinen. Damit ich immer, wenn ich Zeit habe, durch Leseproben lesen kann: Meine das-will-ich-anlesen-Liste. Sie enthält 4500 Titel.
  • Später gehe ich durch diese 4.500 Titel der das-will-ich-anlesen-Liste und entscheide nach der Leseprobe, was ich tatsächlich kaufen und weiter lesen würde: Meine angelesen-und-sehr-gemocht-Liste. Sie enthält über 2000 Titel.

Bücher, deren Leseprobe mich überzeugte. Doch die ich gerade in kein Projekt einbinden kann, und deren Lektüre für mich reine Privatsache wäre.

Immer, wenn ich einen Auftrag kriege wie „Empfiehl sechs aktuelle Jugendbücher“, kann ich meine angelesen-und-sehr-gemocht-Liste öffnen und habe endlich Grund / Vorwand, Bücher, auf die ich seit Monaten Lust habe, zu lesen.

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Reicht eine Leseprobe, um zu ein gutes Buch zu erkennen?

Nein. Ich lese oft Bücher an, finde den Stil, Ton, Rhythmus, das Vokabular und die Atmosphäre auf den ersten 5 Seiten großartig. Doch Monate später, wenn ich das Buch komplett lese, merke ich: Es ist gut geschrieben – aber nicht gut erzählt.

Umgekehrt habe ich sicher viele gut erzählte Bücher angelesen und aussortiert: weil die Leseprobe nicht kunstvoll, dringlich, ambitioniert, literarisch genug war.

Für Übersetzer*innen gibt es ein Zusatz-Problem: Wie kunstvoll müssen Bücher, die übersetzt werden, formuliert sein? Reicht mittelguter Stil nicht oft – so lange der Plot stimmt? In der Übersetzung kann man vieles noch einmal aufwerten, literarischer machen, ausbalancieren, retten.

Natürlich sind Leseproben nicht genug, um ein Urteil zu fällen. Aber mich irritiert, wie schnell Leute sagen „Ach: eine Leseprobe? Das ist doch oberflächlich. Was willst du da schon sehen? Raus lesen? Fest machen? Du musst 80 Seiten lesen, mindestens!“

Diesen Menschen antworte ich: Ihr zappt. Schaut Film-Trailer. Entscheidet STÄNDIG auf Basis von 20, 30 Sekunden, ob eine Serie, ein Film, ein Youtube-Video relevant für euch ist. Ich glaube, mit Übung und Sprachgefühl kann ich als Leser aus einer Leseprobe genauso schnell Schlüsse ziehen über die „Production Values“, den Ton und die Zielgruppe eines Buches…. wie ihr als Zapper über Look, Ton, Zielgruppe eines Streams.

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Mein Anspruch: in alles, das empfohlen wird, erfolgreich ist und / oder in Verlagen erscheint, die ich respektiere, kurz rein zu lesen. Auch, weil Cover, Klappentext etc. oft falsche Bilder vermitteln. Zwei Minuten mit der Amazon-Leseprobe verrät mir fast immer mehr als die beste Rezension, der klügste Klappentext.

Das Zeitfenster, in dem ich Bücher an Redaktionen pitchen, mit Büchern Geld verdienen kann, wird schnell enger:

  • Ich habe noch keine Redaktion, die mich große Titel wie „Lincoln at the Bardo“ oder „Die Ermordung des Commendatore“ lesen lässt: Solche Bücher werden von Journalist*innen besprochen, 15 Jahre älter als ich. Bei Deutschlandfunk Kultur durfte ich Elena Ferrantes Neapel-Romane besprechen – weil ich 6 Monate vor der deutschen Veröffentlichung immer wieder sagte „Das war hyper-erfolgreich in den USA und Italien. Trust me on this: Lasst uns schon jetzt darüber berichten.“
  • Wenn Bücher von zu vielen anderen Blogger*innen und Kolleg*innen besprochen und empfohlen werden, verliere ich oft die Lust, sie selbst zu lesen. Oft sind das Zeitfenster von ca. drei Wochen, von „Online hörte ich noch kein Wort über das Buch, in meiner Blase“ zu „25 Konkurrent*innen posteten das auf Instagram.“
  • Aktuell sind TV-Serien mein größtes Problem. 2013 las ich die „Jessica Jones“-Comics. Doch kein Redakteur hätte mir eine Plattform gegeben für 10+ Jahre alte Comics, in Deutschland nie erschienen. Am 18. November 2015 schien die Figur zu interessieren. Am 20. November 2015 hatte mein halber Freundeskreis eine Meinung zu allen 13 Episoden von Staffel 1. Der Anime „Your Name“? Die Comic-Verfilmung „Lazarus“? Die Netflix-Serie „The Chilling Adventures of Sabrina“? Das Zeitfenster von „interessiert keinen“ zu „kennt eh schon jeder“ wird frustrierend klein.

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Mein Fazit?

Mir tut sehr gut, so viel wie möglich anzulesen. Listen anzulegen.

Ich werde unruhig, wenn ich in einer Buchhandlung stehe und von zu vielen aktuellen Büchern, die dort ausliegen, noch nie gehört habe.

Ich habe diese Bücher dann nicht EIN MAL verpasst, sondern wiederholt.

  • Vorschau-Listen wie „The Millions‘ Most Anticipated“ und die User-Rankings im Goodreads-Bereich „Listopia“ zeigen mir englischsprachige Neuerscheinungen, Monate vor Veröffentlichung
  • Ich markiere mir interessante US-Bücher auf Goodreads und lese in die Leseprobe, sobald sie online ist (meist: wenige Tage vor dem US-Release)
  • Am Ende jedes Jahres schaue ich noch einmal durch US-Bestenlisten und -Blogs.
  • ca. Juli und ca. Dezember durchsuche ich deutschsprachige Verlags-Vorschauen
  • Alle ca. 2 Monate schaue ich bei Amazon, welche Bücher bald erscheinen, und mache Vorschläge an meine Auftraggeber*innen.
  • …dann kommen die deutschsprachigen Bestenlisten, Preise / Longlists / Hotlists und Jahres-End-Rankings.

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Es gibt Bücher, die ich seit Jahren lesen will – und bei denen ich auf einen aktuellen Anlass warte: eine Verfilmung, eine Serie, ein neues Buch des Autors. Sobald das erste Jugendbuch von z.B. Adam Silvera in Deutschland erscheint, kann ich das Gesamtwerk vorstellen, in deutschen Medien.

Und es gibt viele Bücher, die ich gern lesen würde, die mir wiederholt empfohlen wurden, bei denen mich die Leseprobe überzeugte, z.B. Mark-Uwe Klings „Qualityland“. Ein Buch, über das so viel geschrieben wurde, dass leider einfach egal ist, was Stefan Mesch noch zu sagen hat – vier Monate nach Erscheinen.

Und ganz zuletzt gibt es überraschend viele Titel, die ich beim Lesen der Leseprobe aussortierte – doch von denen Freund*innen immer wieder sagen: „Das war toll! Schau noch mal rein!“ Jakob Nolte, Ben Lerner, Alice Munro…

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Claudia Rankine: „Citizen“ [Lyrik / Essay, Empfehlung bei Deutschlandfunk Kultur]

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Nach einem kurzen Telefonat versprichst du dem Geschäftsführer am Apparat, vorbeizukommen und das Formular auszufüllen. Als du das Büro betrittst und dich vorstellst, platzt er heraus:

Aber Sie sind ja schwarz! Das wollte ich so nicht sagen, sagt er dann.

Laut, sagst du.

Bitte?, meint er.

Das wollten Sie nicht laut sagen.

Danach sind die Formalitäten schnell erledigt.

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Claudia Rankine findet auf 180 Seiten eine kluge, flexible Form, um sichtbar zu machen, wie Rassismus vergiftet und belastet, und sich immer weiter fort setzt.

Vieles an diesem Buch / Format ist überraschend, unkonventionell. Doch ich glaube, wir brauchen mehr von genau SOLCHEN Büchern:

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  • In „Citizen“ wird viel angeschnitten, aufgegriffen, zitiert – auch durch Bilder, Literaturzitate, Namedropping.
  • Ich sehe das Buch als Einladung, Google zu benutzen, sich tiefer zu informieren.
  • Solche Einladungen sind heute, in Zeiten von Google, Wikipedia etc., legitim.
  • Ich kann jeden verstehen, der ruft „Das ist doch vor allem Stückwerk“ oder „Warum erklärt Rankine nicht alles, von Anfang an?“…
  • …doch da drehen wir uns im Kreis:
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    Es hätte Möglichkeiten gegeben, dieses Buch noch viel kompakter, lyrischer, kürzer zu machen. Oder eben: 600 Seiten dick, fußnotengesättigt. Ob „Citizen“ „zu viel“ ist, „genug“ oder „nur die Spitze eines Eisbergs“ – das wird jeder Leser anders sehen. Ich selbst begreife die Fülle an Namen, Verweisen etc. als Einladung, mich danach eigenständig weiter zu informieren.

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Ich habe eine Handvoll Lieblings-Lyriker*innen: Andre Rudolph, Uljana Wolf, Daniel Falb.

Im Studium war ich Mitherausgeber von „BELLA triste“: einer Literaturzeitschrift, die junge Lyrik verlegte, und, immer wieder: ESSAYS über Lyrik, die ich sehr schätzte. Weil Gedichte so kurz sind und die Lyrikszene in Deutschland recht klein, kennen die meisten Lyriker*innen die meisten Arbeiten fast aller Kolleg*innen.

Deshalb können sich Lyriker*innen meist VIEL klüger verständigen, abgrenzen, positionieren, gegenseitig rezensieren etc. als deutschsprachige Prosa-Autor*innen… die oft zu wenig Zeit haben, um viele ihrer Rivalen, Kollegen, Contemporaries zu lesen.

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US-Lyrik steht für mich woanders. Weil sie meist viel narrativer ist. Oft wird auch wesentlich persönlicher erzählt. Klang/Rhythmus/Sprachkunst/ein präzises Versmaß… alles, wofür ich deutschsprachige Lyrik bewundere… ist selten die oberste Priorität. Im besten Fall heißt das: US-Lyrik ist lesbarer, zugänglicher, nah und dringlich, un-verkopft, politischer. Im schlimmsten Fall wirkt US-Lyrik „runtergeschrieben“, „distanz- und kunstlos“, „anfängerig“ etc.

Claudia Rankine, geboren 1963 auf Jamaika, kam 1970 nach New York.

Ihr erster Gedichtband erschien 1994. „Citizen“ (2014) ist ihr fünfter großer Band – und der erste auf Deutsch.

2016 erhielt Rankine die Yale-Poetikprofessur. Im selben Jahr erhielt sie ein McArthur-Stipendium über 625.000 Dollar – und spendete das Geld einem Critical-Whiteness-Forschungsprojekt (Link, Guardian).

Hörenswert? Rankines einstündige Keynote auf der AWP Conference 2016. (Link zum Kontext | Link zum Transcript)

Rankine war eine der wichtigsten, lautesten Kritikerinnen, als die US-Autorin Lionel Shriver 2016 eine (polemische, viel zu kurz gedachte, tumbe) Rede darüber hielt, dass sie, als weiße Autorin, ja heutzutage am besten nur noch über weiße Figuren schreiben sollte – weil ihr sonst kulturelle Aneignung vorgeworfen wird.

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„Rankine won’t initially talk about Shriver […] She is, however, interested in the views of “somebody like Jonathan Franzen,” as she acknowledges the seriousness of his writing. “He said something like ‘I can’t write about people I don’t know.’ That, to me, is more complex. So, why don’t you know these people? What choices have you made in your life to keep yourself segregated? How is it one is able to move through life with a level of sameness? Is that conscious? Is segregation forever really at the bottom of everything? When he says something like that, I find that really interesting as an admittance to white privilege: that he can get through his life without any meaningful interaction with people of color.” [Link]

Rankines „Citizen“ erschien 2014 im linken Indie-Verlag Graywolf Press. Es gewann den National Book Critics Circle Award in der Sparte „Poetry“ – doch war auch in der Sparte „Criticism“ nominiert. Das zeigt gut, was „Citizen“ besonders macht. Aus Rankines AWP-Keynote:

„By way of illustration, Rankine read out loud an email sent to her by an (anonymous) African-American student who was thinking of leaving his or her program because they were told that “certain life experiences are said to belong to sociology and not to poetry, and that to write beyond the imagination’s notion of normality is to write political poetry, sociology, identity politics poetry, protest poetry — many labels but none of them poetry. For in order for poetry to be poetry,” Rankine continued, “white readers must find it relatable, and only then can it transcend its unrelatable colored writer.”

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Auch bei „Citizen“ greift dieser Reflex: Ist das „vor allem“ Lyrik? Oder so sehr Essay, dass man kritisieren kann, es sei nicht „genug“ Lyrik? Keine sehr kunstvolle Lyrik etc.?

Der Untertitel der US-Ausgabe ist „An American Lyric“ (die deutsche Übersetzung von Uda Strätling hat keinen Untertitel).

Das verweist auf die Sparte „Lyric Essay“, „a contemporary creative nonfiction form which combines qualities of poetry, essay, memoir, and research writing“ (Wikipedia)

Ähnliche Mischformen benutzen u.a. Maggie Nelson, Joan Didion, Teju Cole; ich musste bei „Citizen“ auch an James Baldwins persönlichere Essays denken

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„Citizen“ hat knapp 180 Seiten und besteht aus einzelnen, oft ein bis vier Seiten langen Vignetten/Episoden – oft sehr straight/narrativ/in erzählender Prosa formuliert.

Gut ein Drittel des Buches sind Anekdoten, in denen ein schwarzes „Du“ im Alltag Rassismus Erfährt. Oft sind das ganz kleine, alltägliche Momente, in denen Freunde, Kollegen, Dienstleister, Menschen in der U-Bahn etc. plötzlich stolpern, stocken, zu erkennen geben: „Du und ich – wir zwei sind eben deutlich verschieden: Schließlich bist DU schwarz.“

Die Soziologie spricht von „Microaggressions“: kleine Szenen, Gesten, Abwertungen, in denen eine Mehrheit den Angehörigen einer Minderheit ihren Platz weisen will.

Indem „Citizen“ diese (oft tatsächlich: gar nicht „kleinen“!) Momente, Irritationen, Angriffe und Ausgrenzungen aneinander reiht, zeigt es eindringlich, wie belastend es ist, als Fremder, als „Other“ verstanden zu werden und dabei funktionieren zu müssen: freundlich zu bleiben, Würde zu bewahren, Systemen wie der Polizei ausgeliefert zu sein.

Beim Lesen dieser vielen Anekdoten / Entgleisungen / Ausgrenzungen zeigt sich gut, wie schwer es ist, solche Angriffe überhaupt zu fassen und zu verarbeiten: „WAS genau war jetzt schlimm? Wirklich SO schlimm? Ist das jetzt schon, beweisbar und objektiv, Rassismus? Was soll man in der Situation antworten? Wie soll man danach über die Situation sprechen?“ etc.

Ein narrativeres Buch, ein Ratgeber, eine politische Rede, ein Blogpost, würde meist versuchen, auf diese Fragen sehr konkrete Antworten oder Handlungsempfehlungen zu geben. Es bräuchte dezidiertere Positionierungen und Erklärungen („X ist passiert. X ist schrecklich, weil… Y. Ich fordere Umdenken, ich fordere Policy Changes!“)

Trotzdem habe ich an keinem Punkt den Eindruck, dass es sich „Citizen“ zu leicht macht, Dinge nur anschneidet. Ich finde die Form, die Kürze hier gelungen, weil ich sehe: Hätte man all diese Fragen und Aspekte über Abwertungen, Status, Rassismus in einem Blog aufgegriffen… alles wäre 600 Seiten lang und recht akademisch geworden. „Citizen“ bleibt viel zugänglicher.

Die Anekdoten werden ergänzt, kontrastiert von: u.a. einem längeren Text darüber, wie Tennisspielerin Serena Williams durch Schiedsentscheidungen 2004, 2009 und 2011 immer wieder mit dem Rücken zur Wand gedrängt wurde während entscheidender Spiele. Und wie oft sie sich anhören musste, ihre Wut sei „unwürdig“. Respectability Politics. Tone Policing.

Rassistische Linienrichterinnen maßen mit zweierlei Maß – doch trotzdem fragen bei Williams Medien vor allem: „Wirft sie ein schlechtes Licht auf unseren Sport? Ist ihr Verhalten ungebührlich?“ und „Wirft sie ein schlechtes Bild auf Schwarze – sobald sie Wut zeigt, aufbegehrt, ‚zickig‘ reagiert?“ Je weißer, homogener der Hintergrund, erklärt Rankine, desto sichtbarer, dominanter wird das eigene Schwarzsein. [Zora Neale Hurston: “I do not always feel colored”; “I feel most colored when I am thrown against a sharp white background.”]

In kurzen Textmontagen zeigt Rankine, welche Rolle Rassismus bei u.a. der Evakuierung nach Hurricane Katrina spielte, bei US-Polizeikontrollen im Verkehr, bei Zinedine Zidanes Kopfstoß bei der WM 2006, bei den London Riots 2011 (auch im Vergleich zu den Rodney-King-Unruhen in LA 1991).

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Erzähl mir eine Geschichte, sagt er und nimmt mich in die Arme.

Gestern, beginne ich, habe ich im Wagen gewartet, weil ich etwas früh dran war. Eine Frau bog ein und wollte frontal gegenüber parken. Unsere Blicke trafen sich, und was vorging, ging so schnell wie ein Wegsehen. Sie setzte zurück und parkte am anderen Ende des Platzes. Ich hätte ihr mit der Frage, die mich beschäftigte, nachgehen können, aber ich musste los, ich wurde zum Spiel erwartet, ich packte den Schläger.

Der Sonnenaufgang ist grau und träge, hat Licht im Schlepptau, aber nur so eben.

Hast du gewonnen?, fragt er.

Es war kein Match, sage ich. Es war eine Lektion.

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Mein Fazit?

Wo und wie wollen wir Erfahrungen, Ausgrenzungen, Diskurse sichtbar machen? und wie wollen wir sie literarisieren?

Ich merke, dass mir Rassismuskritik selten in großen Monografien etc. begegnet (James Baldwin, Franz Fanon, aktuell Ta-Nehisi Coates), sondern viel deutlicher und präsenter als Stückwerk, Mosaik:

In rassismuskritischen Tweets und Tumblr-Posts, in Facebook-Diskussionen, in Spoken-Word-Beiträgen oder Facebook-Rants, die viral gehen.

Vieles von dem, was Rankine in „Citizen“ bündelt, kann ich mir (…und das ist keine Kritik und kein Beleg dafür, dass sie „unliterarisch“ arbeitet!) sehr gut in meinen News Feeds online vorstellen.

Technik-Autor Cory Doctorow sagte vor fast 10 Jahren, er erklärt in seinen Romanen/Kurzgeschichten immer weniger Fachbegriffe – weil er weiß, dass heutzutage fast jeder Leser einfach alles, was ihm nichts sagt, aber dringend interessiert, googeln wird.

So ähnlich ist auch „Citizen“ für mich eine Einladung, Namen zu googeln, selbst zu recherchieren.

Im Buch gibt es etwa 20 Abbildungen – dokumentarische Fotos sowie Kunst – bei denen ich allesamt nicht sagen würde „Wow. Das ergänzt / kontrastiert Rankines Prosa/Sprache SO gut: Diese Abbildung MUSS hier sein“ oder „“Das wirkt so konsequent, passend, sinnvoll an dieser Stelle: Ich verstehe, warum hier DIESE Ikonografie zitiert wird, und keine andere.“

Aber: jede dieser Abbildungen hat einen Kontext, eine*n Künstler*in etc., die IRRSINNIG interessant sind:

Ich lese die Bilder als Links/Einladungen, die mir, sobald ich google, Wissen und Kontext vermitteln. Kontext, der „sich lohnt“.

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2016 erschien Beyoncés Musikvideo zu „Formation“. Je mehr man über schwarze Ikonografie, Kunstgeschichte, Rassismus und akademische Stimmen weiß, desto klüger, wichtiger, sehenswerter, spektakulärer scheint dieses Video. Ich selbst bin trotzdem etwas ratlos. Zum einen, weil ignorante Leute bequem sagen können: „Ach, Beyoncé. Überschätzt. Was soll das Gewese?“. Zum anderen, weil ich mir persönlich lieber ein… 600-Seiten-Buch wünsche, das mir solche Diskurse und Zusammenhänge vermittelt. Kein Musikvideo, bei dem klar ist: weiterbilden, informieren, verstehen-lernen, das muss ich alles selbst und eigenständig, non-linear, via Google und Essays, Wikipedia und aktivistischen Websites.

„Citizen“ ist kein Video. Sondern zwei Stunden gut genutzte Lesezeit, am besten mit einem Textmarker. Auch in deutscher Übersetzung ist das Buch sprachlich komplex, raffiniert, „lyrisch“ genug, dass ich es als Lyrik verstehen und empfehlen kann. Persönlich aber wähle ich, wenn ich die Wahl habe, z.B. lieber Rankines Keynote-Rede, oder Interviews und Essays von ihr, statt Verdichtungen wie „Citizen“.

Habe ich die Wahl zwischen kleinen, raffinierten Formen, die viel enthalten und anreißen… und großen, ausufernden, die sich immer weiter verzweigen und Raum nehmen, würde ich fast IMMER sagen: „Warum schreibt Rankine nicht lieber ein sechsbändiges autobiografisches Essay wie Karl-Ove Knausgaard?“

Doch das sind persönliche Präferenzen. Als Literaturkritiker kann ich sagen: Ich verstehe, was „Citizen“ sein will, in seinem Format.

Als das, was es sein will, ist „Citizen“ – in Länge, Tiefgang, Ton und Sprache – unbedingt lesenswert. Und, künstlerisch: gelungen.

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Sara Ahmed, in On Being Included: Racism and Diversity in Institutional Life, notes that “it is important to remember that whiteness is not reducible to white skin or even to something we can have or be, even if we pass through whiteness. When we talk about a ‘sea of whiteness’ or ‘white space,’ we talk about the repetition of passing by some bodies and not others. And yet nonwhite bodies do inhabit white spaces; we know this. Such bodies are made invisible when spaces appear white, at the same time they become hypervisible when they do not pass, which means they ‘stand out’ and ‘stand apart.’ You learn to fade in the background, but sometimes you can’t or you don’t.”

[…] For Robin DiAngelo, internalized dominance is defined in this way: “We know that we learn who we are as social beings largely by learning who we are not. For the dominant group, being socialized to see the minoritized group as inferior necessarily conveys that the dominant group is superior. This sense of superiority is often not explicit but internalized deep beneath the surface. Across their life span and in every aspect of life, dominant group members are affirmed, made visible, and represented in diverse and positive ways. This process causes members of the dominant group to see themselves as normal, real, correct, and more valuable than the minoritized group, and thus more entitled to the resources of society.” 

[…] I am often wondering why race acknowledgement remains absent from the writing of many mainstream white writers. All the people are presumed white in their work because they are simply people. This conscious or unconscious complicity with the idea that white life is a standard for “normal” life and the people in the white peoples’ writings are simply people who are motivated by anything but maintainence of their own whiteness remains a question for me. I often wonder why as a reader I am being made to join in and be complicit with the belief that white people are the people. It is an equation that rules journalistic, nonfiction, and creative writing. […] Even if people of color are present in the lives of whites they are wiped and rendered invisible in imagined works that fail to imagine beyond its segregationist orientation. Somewhere in the writing process it’s believed the imagined “universal” work, the imagined “trancendent” work, the work of prizes and mainstream magazines replicates the valued white spaces in our world. To recognize blacks especially, or other people of color in a work is to politicize the work, (thereby calling white out as an aggressor,) and remove it from its status as universal art.

[Quelle]

 


 

Schwarze Stimmen, entwertet

Essay trifft Lyrik: Claudia Rankines „Citizen“ zeigt die Gräben und Attacken gegen afroamerikanische Selbstbestimmung

Poesie lässt Leerstellen. Sie skizziert Räume, Verknüpfungen. Assoziiert. Essays spielen Gedanken oft viel gründlicher durch: Sie stellen klare Fragen – und klopfen Ideen gegen große und kleine Thesen. Claudia Rankine, geboren 1963 auf Jamaika, meistert beides: In bisher fünf Gedichtbänden schreibt die US-Amerikanerin lyrisch, analytisch, manchmal persönlich über Klassenschranken, Entwertungen, Identität und Würde.

Wo Lyrik sonst offen, vage, vieldeutig bleibt, wird Rankine wunderbar konkret. Doch wo Essays zu Predigt, Angeberei gerinnen, denkt sie offener, gelenkig. Mit „Citizen“ (2014) gewann sie den PEN Open Book Award – und zehn weitere große Preise. Seit 2016 doziert sie an der Yale University. Spector Books, ein anspruchsvoller Kleinverlag aus Leipzig, veröffentlicht „Citizen“ in der nüchtern-ruhigen Übersetzung von Uda Strätling: Ist das ein Gedichtband? Oder ein 180 Seiten langes Essay?

Rankine findet eine eingängige, flexible Form, um sichtbarer zu machen, wie Rassismus vergiftet, belastet, sich fort setzt. In längeren, recht journalistischen Passagen beschreibt sie, wie etwa Tennisspielerin Serena Williams mitten in entscheidenden Turnieren immer wieder von rassistischen Linienrichterinnen gebremst, abgewertet wurde – und, wie ihr Medien bei jeder Gefühlsregung vorwarfen, dem Ruf des Sports zu schaden.

„Citizen“ handelt von der Segregation während Hurricane Katrina in New Orleans, von Polizeigewalt und entwürdigenden Verkehrskontrollen. Von Räumen, die über Jahrhunderte Räume von und für Weiße waren – und den Mechanismen, mit denen Weiße noch immer zeigen: Mit dir haben wir hier nicht gerechnet. Wie kann jemand, der spricht und aussieht wie du, hierher gehören?

Etwa ein Drittel des Texts sind kurze Anekdoten in der „Du“-Form. Online-Aktivismus sammelt Ausgrenzungen, Entwertungen aktuell oft unter dem Label „Mikroaggression“: Wenn Gesten, Blicke weh tun. Im Alltag plötzlich Gräben klaffen. Oder Sprache verletzt. Leider klingt „Mikro-„, als ginge es um Subjektives, Kleinigkeiten. All die Beispiele in „Citizen“ und die Fragen, Thesen, die Rankine aus solchen Szenen zieht, zeigen, dass „Mikroaggressionen“ mehr sind: gezielte Gesten und Sprechakte, um andere Stimmen zu entwerten.

„Citizen“ ist kurz, offen, bezugsreich. Ein Buch, das man am besten mit Textmarker liest, und viel Zeit für Google, Wikipedia. Eine Einladung, sich über schwarze Diskurse und Geschichte fort zu bilden. Und eine Einladung, wie wir uns, als Kultur, schaden, sobald wir Stimmen von Menschen of Color als Gegenseite entwerten. An den Rand drängen. Als Nischen- und Minderheiten-Thema verstehen.

Die besten Jugendbücher 2018 – Entdeckungen zur Leipziger Buchmesse

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Ich schreibe einen Roman über Sechzehnjährige. Ich lese seit ca. 2009 Young-Adult-Literatur, empfehle Titel bei ZEIT Online und veröffentliche immer wieder auch längere Texte über z.B.“Mockingjay” (Link) oder neue Dystopien (Link). Meine Lieblings-Jugendbuchautorin ist A.S. King (Link).

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Mehrmals jährlich stelle ich hier im Blog unbekannte oder neue Bücher vor.

Heute: aktuelle Jugendbücher und Young-Adult-Literatur, erst neu auf Deutsch, weiter unten: englischsprachig.

Neue Titel oder Neuausgaben – erschienen zwischen Frühling 2017 und Frühling 2018. Angelesen, gemocht und vorgemerkt.

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Anna Woltz: „Für immer Alaska“ [Goodreads]

„Parkers kleiner Bruder ist allergisch gegen Hundehaare. Doch Parker sieht Alaska wieder: als Hilfshund für Sven, den gemeinsten Jungen ihrer neuen Klasse. Parker schmiedet einen Plan, wie sie den wunderbarsten Hund der Welt zurück holt.“ [Klappentext, gekürzt]

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Cath Crowley: „Das tiefe Blau der Worte“ [Goodreads]

„Rachel und Henry waren beste Freunde und verbrachten Tage und Nächte in der Buchhandlung von Henrys Familie. Rachel zog aus der Stadt und hinterließ Henry einen Liebesbrief – während Henry mit Amy unterwegs war. Nun ist Rachel zurück und arbeitet wieder in der Buchhandlung, zusammen mit Henry, den sie am liebsten nie wiedersehen würde.“ [Klappentext, gekürzt]

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Hayley Long: „Der nächstferne Ort“ [Goodreads]

„Ein Autounfall. Der 13-jährige Griff will sich nicht von der Trauer um den Verlust seiner Familie überwältigen lassen. Dylan lässt nichts unversucht, seinen jüngeren Bruder zu schützen. Tatsächlich gelingt es den beiden allmählich, ihren Platz wieder zu finden – jeder für sich und trotzdem gemeinsam.“ [Klappentext, gekürzt]

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Tom Fletcher: „Der Weihnachtosaurus“ [Goodreads]

„Die Weihnachtswichtel am Nordpol entdecken ein Ei, tief im Eis. Der Weihnachtsmann höchstpersönlich brütet es unter seinem dicken Po. Zufällig schickt zur gleichen Zeit ein William einen Wunschzettel ab: Er wünscht sich einen echten Dinosaurier. Als William und der Weihnachtosaurus einander in der Weihnachtsnacht begegnen, erleben die beiden nicht ein fantastisches, zum Brüllen komisches Abenteuer.“ [mit über 100 SW-Illustrationen; Klappentext, gekürzt]

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Ross Welford: „Was du niemals tun solltest, wenn du unsichtbar bist“ [Goodreads]

„Nach der Einnahme eines dubiosen chinesischen Tranks aus dem Internet und einem ausgiebigen Nickerchen auf einer uralten Sonnenbank wird Esther unsichtbar! Für andere ein Herzenswunsch, für sie der Alptraum. Sie will sich endlich gegen die miesen Knight-Zwillinge zur Wehr setzen. Ihrem nerdigen Kumpel Boyd eine echte Freundin sein. Und das größte Geheimnis überhaupt aufdecken: Wer sie in Wirklichkeit ist.“ [Klappentext, gekürzt]

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Morgan Dark: „Secret Zero. Das Spiel beginnt“ [Goodreads]

„Kyle ist beliebt am Internat Drayton. Bis er in spektakuläre Überfälle verwickelt wird. Um seine Unschuld zu beweisen, muss er ZERO finden, den mysteriösen Meisterdieb, der seine Identität hinter einer silbernen Maske verbirgt. Kyle hat das ungute Gefühl, dass ihn etwas mit ZERO verbindet…“ [Klappentext, gekürzt]

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Madeleine L’Engle: „Das Zeiträtsel“ [Goodreads]

„Die dreizehnjährige Meg Mathegenie, doch hört kaum auf die Lehrer. Also hat sie nichts als Ärger. Auch mit ihrem kleinen Bruder Charles, der über merkwürdige Begabungen verfügt und manchmal ihre Gedanken lesen kann. Meg und Charles erfahren, dass ihr Vater, ein berühmter Wissenschaftler, der seit Jahren verschwunden ist, auf dem weit entfernten Planeten Camazotz gefangen gehalten wird. Dort herrscht ES, das Böse schlechthin. Das Abenteuer durch Raum und Zeit kann beginnen …“ [Klappentext, gekürzt] dt. Kinostart der Verfilmung: 5. April 2018

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Robin Roe: „Der Koffer“ [Goodreads]

„Julians Eltern sind tot. Julian lebt bei seinem Onkel, mit Geheimnissen und einem Koffer voller Erinnerungen. Als er seinem Pflegebruder Adam wiederbegegnet, ist er zunächst glücklich: Adam ist nett, tollpatschig und gehört trotzdem zu den Coolen. Doch es ist schwer, Vertrauen zu fassen. Je mehr Vertrauen Julian fasst, desto mehr kommt Adam hinter seine Geheimnisse. Das bringt sie beide in große Gefahr.“ [Klappentext, gekürzt]

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Gill Lewis: „Der Klang der Freiheit“ [Goodreads]

„Eine illustrierte poetische Geschichte. Eine kleine Gruppe von Menschen, die in einem Boot auf offener See treiben, teilen miteinander ihre Lebensgeschichten. Der junge Rami trägt eine Geige bei sich und erzählt eine berührende Geschichte über die Erfindung des Instruments.“ [Klappentext, gekürzt: nur 80 Seiten, illustriert. Ich fand keine Leseprobe. Könnte auch schrecklicher Kitsch sein.]

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drei neue Taschenbuch-Ausgaben bereit erschienener Titel:

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Wesley King: „Daniel is different“ [Goodreads]

„Bloß nicht auffallen! Daniel, 13, hofft, dass niemand seine komischen Angewohnheiten bemerkt – weder die Familie noch sein bester Freund Max, und schon gar nicht seine Traumfrau Raya. Als er plötzlich eine mysteriöse Nachricht erhält, wird aus Daniels Leben ein richtiger Krimi.“ [Klappentext, gekürzt]

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Leila Sales: „This Song will save your Life“ [Goodreads]

„Elise will sich ändern, anpassen, egal was – Hauptsache, sie findet Freunde. Bei einem ihrer Nachtspaziergänge trifft sie auf eine Welt, in der Musik alles ist: den Underground-Club Start. Hier findet sie Freunde, sogar Liebe, und entdeckt ein Talent: Sie ist die geborene DJane! Doch das „richtige“ Leben wartet noch immer vor den Türen des Clubs…“ [Klappentext, gekürzt]

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Becky Albertalli: „Love, Simon“ [alter dt. Titel: „Nur drei Worte“; Goodreads]

„Gewinner des Deutschen Jugendliteraturpreises 2017! (Jugendjury) Was Simon über Blue weiß: Er ist witzig, weise, aber auch etwas schüchtern. Was Simon nicht über Blue weiß: WER er ist. Die beiden gehen auf dieselbe Schule und tauschen seit Monaten E-Mails aus. Simon spürt, dass er sich langsam verliebt, doch Blue ist noch nicht bereit, sich mit ihm zu treffen. Dann fällt eine Mail in falsche Hände – und Simons Leben steht Kopf.“ [Klappentext, gekürzt; kommt am 28. Juni 2018 in deutsche Kinos.]

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[nur auf Englisch] Holly Black: „The cruel Prince“

„Jude was seven years old when her parents were murdered and she and her two sisters were stolen away to live in the treacherous High Court of Faerie. Ten years later, Jude wants nothing more than to belong there, despite her mortality. But many of the fey despise humans. Especially Prince Cardan, the youngest and wickedest son of the High King. To win a place at the Court, she must defy him–and face the consequences. In doing so, she becomes embroiled in palace intrigues and deceptions, discovering her own capacity for bloodshed. But as civil war threatens to drown the Courts of Faerie, Jude will need to risk her life in a dangerous alliance to save her sisters, and Faerie itself.“ [gelungener Klappentext, kaum gekürzt]

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Timothy Zahn: „Thrawn“ [Goodreads; Figur aus DIESER Zahn-Trilogie]

„Thrawn erweist sich als unverzichtbar für das Imperium, und sein Aufstieg scheint unaufhaltsam. Als er zum Großadmiral ernannt wird, werden seine Fähigkeiten jedoch auf eine harte Probe gestellt. Nun muss er beweisen, dass sein tödlicher Scharfsinn im Krieg gegen die Rebellen stark genug ist.“ [nichtssagender Klappentext, gekürzt]

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Claudia Gray: „Leia: Prinzessin von Alderaan“ [Goodreads]

„Die sechzehn Jahre alte Leia muss ihre Eignung als Thronerbin des Planeten Alderaan unter Beweis stellen. Dazu gehören Überlebenstraining, Schulungen in galaxisweiter Diplomatie und brandgefährliche Missionen auf Welten, die unter imperialer Kontrolle stehen. Ihre Eltern scheinen nicht mehr sie selbst zu sein. Als Leia herausfindet, welche Geheimnisse vor ihr verborgen werden, muss Leia sich entscheiden: Wird sie sich künftig nur auf die Belange ihrer Heimat konzentrieren oder stellt sie sich in den Dienst einer ganzen Galaxis, die händeringend nach einer rebellischen Lichtgestalt sucht?“ [Klappentext, gekürzt; ich mochte Claudia Grays Star-Wars-Roman „Lost Stars“ – doch die deutsche Übersetzung des Leia-Romans wirkt holprig/flach: lieber das Original!]

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Stefanie Höfler: „Tanz der Tiefseequalle“ [Goodreads]

bereits gelesen: Empfehlung! Höflers Jugendbuch „Mein Sommer mit Mucks“ ist noch etwas besser. „Niko ist ziemlich dick und träumt sich oft in Parallelwelten. Dann rettet er die schöne Sera vor einer Grapschattacke, und Sera fordert ihn zum Tanzen auf, was verrückt ist und so aufregend anders, wie alles, was in den nächsten Tagen passiert. Vielleicht ist es der Beginn einer Freundschaft von zweien, die gegensätzlicher nicht sein könnten – doch im entscheidenden Moment mutig über ihren Schatten springen.“ [Klappentext, gekürzt]

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Anke Stelling: „Erna und die drei Wahrheiten“ [Goodreads]

„Warum steckt in „Gemeinschaft“ auch „gemein“? Erna ist 11, besucht eine Gemeinschaftsschule und lebt, wie ihre Freundinnen Liv und Rosalie, im gemeinschaftlichen Wohnprojekt. Dass das ganze Gemeinschaftsgetue ungerecht und sogar verlogen sein kann, erleben Erna und ihre Freundinnen, als nach dem Schulfasching jemand mutwillig die Klos ruiniert hat: Weil der Täter sich nicht meldet, sollen jetzt alle dafür büßen. Erna ermittelt. Sie findet heraus, was passiert ist. Doch soll sie es auch verraten? Schließlich gibt es laut einem Sprichwort drei Wahrheiten – deine, meine und die Wahrheit. Und wer kann die schon ertragen?“ [Klappentext, gekürzt]

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Michelle Cuevas: „Kasimir Karton. Mein Leben als unsichtbarer Freund“ [Goodreads]

„Manchmal wundert Kasimir sich schon, warum ihn niemand beachtet. Im Sportunterricht wird er nicht als Letzter ins Team gewählt, sondern gar nicht, und seine Eltern vergessen, ihm bei Mahlzeiten einen Teller hinzustellen. Nur seine Zwillingsschwester Fleur hält zu ihm. Doch eines Tages macht Kasimir eine schockierende Entdeckung: Fleur hat sich ihn ausgedacht! Mit dem Wunsch, ein echter Junge zu werden, begibt sich Kasimir auf eine lange Reise.“ [Klappentext, gekürzt]

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ab hier: Bücher ohne Übersetzung ins Deutsche

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Amy Rose Capetta: „Echo“

„New York: Zara is unprepared—for Eli, the girl who makes the world glow and for Leopold, the director who wants perfection. Zara wants to play her dream role in Echo and Ariston, the Greek tragedy that taught her everything she knows about love. When the director asks Zara to promise that she will have no outside commitments and distractions, it’s easy to say yes. But it’s hard not to be distracted when there’s a death at the theater—and then another—especially when Zara doesn’t know if they’re accidents, or murder, or a curse that always comes in threes. Assistant lighting director Eli Vasquez, a girl made of tattoos and abrupt laughs and every form of light, looks at Zara. It’s hard not to fall in love. Two girls, finding each other on a stage set for tragedy.“ [Klappentext, gekürzt]

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Adam Silvera: „They both die at the End“

„On September 5, Death-Cast calls Mateo Torrez and Rufus Emeterio: They’re going to die today. Mateo and Rufus are total strangers, but, for different reasons, they’re both looking to make a new friend on their End Day. The good news: There’s an app for that. It’s called the Last Friend, and through it, Rufus and Mateo are about to meet up for one last great adventure—to live a lifetime in a single day.“ [Klappentext, gekürzt; queerer Autor, dessen Bücher/Leseproben mir bisher ALLE zusagten.]

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Mackenzie Lee: „Cavaliersreise. Bekenntnisse eines Gentlemans“ [Goodreads]

„Nach Montys Cavaliersreise wird der englische Adel seine Sprösslinge bestimmt nie wieder auf den Kontinent schicken! Irgendwie ist Monty immer in eine Tändelei verwickelt oder betrunken oder zur falschen Zeit am falschen Ort nackt (in Versailles! Am Hof des Königs!). Zwischen Paris und Marseille kämpfen Monty, Percy und Felicity gegen Wegelagerer und Piraten, gegeneinander (Monty und Felicity) oder gegen ihre Gefühle füreinander (Monty und Percy). Doch am Ende finden die drei nicht nur zueinander, sondern auch zu sich selbst.“ [Klappentext, gekürzt]

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Barry Lyga: „Bang“

„At the age of four, Sebastian accidentally shot and killed his infant sister with his father’s gun. Ten years later, he has lived with the guilt and horror for his entire life. With his best friend away for the summer, Sebastian has only a new friend—Aneesa—to distract him from his darkest thoughts. But even this relationship cannot blunt the pain of his past. Because Sebastian knows exactly how to rectify his childhood crime and sanctify his past. It took a gun to get him into this. Now he needs a gun to get out.“ [Klappentext, kaum gekürzt; ich las 2010 Barry Lygas „Boy Toy“, und empfehle es sehr.]

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Shaun David Hutchinson: „At the Edge of the Universe“

Tommy and Ozzie have been best friends since second grade, and boyfriends since eighth. They spent countless days dreaming of escaping their small town—and then Tommy vanished. More accurately, he ceased to exist, erased from the minds and memories of everyone who knew him. Everyone except Ozzie. Ozzie doesn’t know how to navigate life without Tommy, and soon suspects that something else is going on: that the universe is shrinking. When Ozzie is paired up with new student Calvin on a physics project, he begins to wonder if Calvin could somehow be involved. But the more time they spend together, the harder it is for him to deny the feelings developing between them, even if he still loves Tommy.“ [Klappentext, gekürzt]

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John Young: „Farewell Tour of a Permanent Optimist“

„Quick-witted, sharp-tongued Connor Lambert has been dying from cancer for years, but he’s not dead yet. Forming an unlikely friendship with fellow juvenile delinquent Skeates, the pair stage a break out and set off on a crazy tour across Scotland to find Connor’s dad, an inmate at Shotts prison. But Connor’s left two things behind — the medication he needs to keep him alive, and the girl who makes living bearable.“ [Klappentext, gekürzt]

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Akemi Dawn Bowman: „Starfish“

„Kiko Himura has always had a hard time saying exactly what she’s thinking. With a mother who makes her feel unremarkable and a half-Japanese heritage she doesn’t quite understand, Kiko prefers to keep her head down, certain that once she makes it into her dream art school, Prism, her real life will begin. But then Kiko doesn’t get into Prism, at the same time her abusive uncle moves back in with her family. So when she receives an invitation from her childhood friend to leave her small town and tour art schools on the west coast, Kiko jumps at the opportunity in spite of the anxieties and fears that attempt to hold her back. And now that she is finally free to be her own person outside the constricting walls of her home life, Kiko learns life-changing truths about herself, her past, and how to be brave.“ [Klappentext, kaum gekürzt]

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NoNieqa Ramos: „The Disturbed Girl’s Dictionary“

„Macy’s school officially classifies her as „disturbed,“ but Macy isn’t interested in how others define her. Her mom can’t move off the couch, her dad’s in prison, her brother’s been kidnapped by Child Protective Services, and now her best friend isn’t speaking to her. Writing in a dictionary format, Macy explains the world in her own terms.“ [Klappentext, gekürzt]

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Amy Reed: „The Nowhere Girls“

„Three misfits come together to avenge the rape of a fellow classmate. Grace Salter is the new girl in town, whose family was run out of their former community after her southern Baptist preacher mom turned into a radical liberal after falling off a horse and bumping her head. Rosina Suarez is the queer punk girl in a conservative Mexican immigrant family. Erin Delillo is obsessed with two things: marine biology and Star Trek: The Next Generation, but they aren’t enough to distract her from her suspicion that she may in fact be an android. When Grace learns that Lucy Moynihan, the former occupant of her new home, was run out of town for having accused the popular guys at school of gang rape, she’s incensed that Lucy never had justice. They form an anonymous group of girls at Prescott High to resist the sexist culture at their school. Told in alternating perspectives, this groundbreaking novel is an indictment of rape culture and explores with bold honesty the deepest questions about teen girls and sexuality.“ [Klappentext, gekürzt]

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Sarah Moon: „Sparrow“

„Sparrow has always had a difficult time making friends. When the one teacher who really understood her — Mrs. Wexler, the school librarian, a woman who let her eat her lunch in the library office — is killed in a freak car accident, Sparrow’s world unravels and she’s found on the roof of her school in an apparent suicide attempt. With the help of an insightful therapist, Sparrow finally reveals the truth of her inner life. And it’s here that she discovers an outlet in Rock & Roll music.“ [Klappentext, gekürzt]

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Anna Priemaza: „Kat and Meg conquer the World“

„Kat and Meg couldn’t be more different. Kat’s anxiety makes it hard for her to talk to people. Meg hates being alone, but her ADHD keeps pushing people away. But when the two girls are thrown together for a year-long science project, they discover they do have one thing in common: They’re both obsessed with the same online gaming star and his videos. It might be the beginning of a beautiful friendship—if they don’t kill each other first.“ [Klappentext, leicht gekürzt]

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Lianne Oelke: „Nice Try, Jane Sinner“

„Jane is 17 and signs up for House of Orange, a student-run reality show that is basically Big Brother. Living away from home, the chance to win a car, and a campus full of people who don’t know what she did in high school… what more could she want? As House of Orange grows from a low-budget web series to a local TV show with fans and shoddy T-shirts, Jane finally has the chance to let her cynical, competitive nature thrive. She’ll use her growing fan base, and whatever Intro to Psychology can teach her, to prove to the world—or at least viewers of substandard TV—that she has what it takes to win.“ [Klappentext, gekürzt]

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Marie Marquardt: „The Radius of us“

„Months after setting off toward the U.S. / Mexico border in search of safety for his brother, Phoenix Flores-Flores finally walked out of detention. When a car sped toward them and Gretchen Asher’s attacker told her to run, she recognized a surprising terror in his eyes. Told in alternating first person points of view, The Radius of Us is a story of love, sacrifice, and the journey from victim to survivor. It offers an intimate glimpse into the causes and devastating impact of Latino gang violence, both in the U.S. and in Central America, and how people struggling to overcome trauma can find healing in love.“ [sehr schlechter / fragwürdiger Klappentext, gekürzt]

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Claire Christian: „Beautiful Mess“

„Ava lost Kelly. She gets thrown out of school. There’s simmering rage and weird, destructive choices. The only thing going right for Ava is her job at Magic Kebab. Which is where she meets Gideon, a poet and collector of vinyl records with an aversion to social media. He lives in his head. She lives in her grief. The only people who can help them move on with their lives are each other.“ [Klappentext, gekürzt]

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Chantele Sedgwick: „Switching Gears“

„Still mourning the loss of Lucas, the boy she loved in secret for years, seventeen-year-old Emmy Martin turns to her passion for mountain biking. But then, she discovers her mom has early-onset Alzheimer’s. When Cole Evans, the rich boy who usually doesn’t care about anything but himself, offers to train her for the biggest mountain biking race of the season, she accepts. The more time she spends with him, the more she realizes he’s different than she’d expected. As she drifts further away from her family and closer to her dream of being sponsored, a terrible accident threatens any semblance of peace and happiness she has left. Instead of closing herself off to the people she loves, Emmy must learn to rely on those she has pushed away.“ [Klappentext, gekürzt]

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Katherine Applegate: „Wishtree“

„Red is an oak tree, and the neighborhood „wishtree“—people write their wishes on pieces of cloth and tie them to Red’s branches. Along with her crow friend Bongo and other animals who seek refuge in Red’s hollows, this „wishtree“ watches over the neighborhood. Until a new family moves in. Not everyone is welcoming, and Red’s experiences as a wishtree are more important than ever.“ [Klappentext, leicht gekürzt]

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J. Anderson Coats: „The Many Reflections of Miss Jane Deming“

„High-spirited Jane is excited to be part of Mr. Mercer’s plan to bring Civil War widows and orphans to Washington Territory—but life out west isn’t at all what she expected. The problem, she fears, is her mind. It might not be suitably broad because she had to leave school to take care of little Jer. Seattle doesn’t turn out to be quite as advertised. In this rough-and-tumble frontier town, Jane is going to need every bit of that broad mind and sturdy constitution—not to mention a good sense of humor and a stubborn streak a mile wide.“ [Klappentext, gekürzt]

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Keely Hutton: „Soldier Boy“

„Here is the true story of Ricky Richard Anywar, abducted in 1989 at age fourteen by Joseph Kony’s rebel army in the Ugandan civil war. Ricky is trained, armed, and sent to battle government troops alongside his brutal kidnappers, but over his two and a half years of enslavement, he never stops dreaming of escape. Here also is the story, set twenty years later, of a fictional character named Samuel, a boy deathly afraid of trusting anyone ever again, and representative of the thousands of child soldiers Ricky has helped rehabilitate as founder of the internationally acclaimed charity Friends of Orphans.“ [Klappentext, leicht gekürzt]

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Kristi Wientge: „Karma Khullar’s Mustache“

„Karma Khullar is about to start middle school, and she is super nervous. Not just because it seems like her best friend has found a newer, blonder best friend. Or that her dad is the new stay-at-home parent. She has realized that she has seventeen hairs that have formed a mustache on her upper lip. Debut author Wientge tackles the uncomfortable—but all too relatable—subject of female body hair and self-esteem with this sweet and charming novel in the tradition of Judy Blume.“ [Klappentext, gekürzt]

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Mark Maciewjewski: „I am Fartacus“

„Chub is a short, accidentally bald, middle school outcast. With help from his personal band of like-minded misfits (not to mention tactics gleaned from the Colonel, a US military vet with toenail issues), Chub’s determined to bring down his nemesis, class hero and now potential class president, Archer, or the Arch—the very guy who betrayed Chub with the lice-killing potion that left him bald as a billiard ball. But then he discovers that there are some very dangerous skeletons in Archer’s closet, and more at stake than just a few middle school reputations. Chub sets off to bring down an evil empire—and inadvertently become the least likely hero of Alanmoore Middle School.“ [Klappentext, gekürzt]

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Dusti Bowling: „Insignificant Events in the Life of a Cactus“

„Aven Green loves to tell people that she lost her arms in an alligator wrestling match, or a wildfire in Tanzania, but the truth is she was born without them. When her parents take a job running Stagecoach Pass, a rundown western theme park in Arizona, Aven moves with them across the country. She bonds with Connor, a classmate who also feels isolated because of his own disability, and they discover a room at Stagecoach Pass that holds secrets.“ [Klappentext, gekürzt]

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Graphic Novels ab ca. 11:

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Keezy Young: „Taproot“

„Blue is having a hard time moving on. He’s in love with his best friend. He’s also dead. Luckily, Hamal can see ghosts, leaving Blue free to haunt him to his heart’s content. But something eerie is happening in town, leaving the local afterlife unsettled. Blue has to find a way to protect Hamal, even if it means… leaving him.“ [Klappentext, leicht gekürzt]

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Cecil Castellucci: „Soupy Leaves Home“

„Pearl Plankette ran away from her abusive father and stumbles upon a disguise that gives her the key to a new identity. Reborn as a boy named Soupy, she meets Remy -Ramshackle- Smith, a hobo who takes her under his wing. But Ramshackle has his own demons to wrestle with, and he’ll need Soupy just as much as she needs him. Set in 1932, this is the story of two misfits with no place to call home, who build a relationship during a train hopping journey toward the sunny promise of California.“ [Klappentext, gekürzt; die Kritiken sind mittelmäßig, weil die Wirtschaftskrise hier sehr romantisiert wird; doch ich habe großen Respekt vor Autorin Cecil Castellucci seit der DC-Serie „Shade, the Changing Girl“]

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Shannon Hale: „Real Friends“

„When best friends are not forever: Shannon and Adrienne were close since they were little. But one day, Adrienne starts hanging out with Jen, the most popular girl and leader of a circle of friends called The Group. Everyone in The Group wants to be Jen’s #1, and some girls would do anything to stay on top, even if it means bullying others. Newbery Honor author Shannon Hale and New York Times bestselling illustrator LeUyen Pham join forces in this graphic memoir about how hard it is to find your real friends.“ [Klappentext, gekürzt]

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zuletzt: drei feministische Nonfiction-Titel. Nicht explizit für Jugendliche – doch es ist sicher ein Gewinn, das möglichst früh zu lesen:

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404 Ink: Laura Jones, Heather McDaid [Herausgeberinnen]: „Nasty Women“

„With intolerance and inequality increasingly normalised by the day, it’s more important than ever for women to share their experiences. A collection of essays, interviews and accounts on what it is to be a woman in the 21st century. People, politics, pressure, punk – From working class experience to racial divides in Trump’s America, being a child of immigrants, to sexual assault, Brexit, pregnancy, contraception, identity, family, finding a voice online, role models and more. Keep telling your stories, and tell them loud.“ [Klappentext, gekürzt]

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Morgan Jerkins: „This will be my Undoing. Living at the Intersection of Black, Female and Feminist in (white) America“

„From one of the fiercest critics writing today, Morgan Jerkins’ highly-anticipated collection of linked essays interweaves her incisive commentary on pop culture, feminism, black history, misogyny, and racism with her own experiences to confront the very real challenges of being a black woman today. Jerkins is only in her twenties, but she has already established herself as an insightful, brutally honest writer. Doubly disenfranchised by race and gender, often deprived of a place within the mostly white mainstream feminist movement, black women are objectified, silenced, and marginalized with devastating consequences, in ways both obvious and subtle, that are rarely acknowledged in our country’s larger discussion about inequality.“ [Klappentext, gekürzt]

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Kelly Jensen (Herausgeberin): „Here we are: Feminism for the Real World“

„Forty-four writers, dancers, actors, and artists contribute essays, lists, poems, comics, and illustrations about everything from body positivity to romance to gender identity to intersectionality to the greatest girl friendships in fiction. Be inspired to find your own path to feminism.“ [Klappentext, gekürzt]

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