Buchaffine Blogbetreiber, die sich jeweils in Kurz-Interviews präsentieren, sprechen Blogempfehlungen aus, deren Betreiber wiederum eingeladen werden, sich den Fragen zu stellen. Das ist Ziel der losen Interview-Reihe „Steglitz stellt bibliophile Blogger vor“, deren Intentionen ich anderenorts detaillierter erläutert habe.
Tainted Talents ist ein Blog unter jenen Zehn, die im bisherigen Verlauf der Gesprächsreihe zwar mehrfach Lob auf sich vereinen konnten, aber noch keine Gelegenheit erhalten haben, sich vorzustellen. Anlässlich der 50. Folge von „Steglitz stellt bibliophile Blogger vor“ habe ich diese Bloggerinnen und Blogger eingeladen, hier mitzutun. – Ich freue mich sehr, dass sich Miss TT heute vorstellt und sage für ihren Beitrag nebst Zeichnungen: danke sehr, danke vielmals …
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Miss TT ist konziliant, bequemlichkeitsheischend und offen vergrübelt. Sie zeichnet oft kleine Tiere und Pikantes, meistens in Tusche, und nur, wenn etwas weder Tier noch pikant ist, verwendet sie Buchstaben. Deswegen gibt es Tage, an denen kein Text entsteht, weil, in diese beiden Kategorien lässt sich doch sehr vieles fassen.
Sie lehrt auch. Ihre Schreibworkshops sind berüchtigt, werden aber dennoch (oder gerade deswegen) seit Jahren immer wieder von Sinnstiftungen gebucht, vermutlich, um welchen zu.
Im Übrigen schätzt sie Klammern, den Einzelgang und Tainted Talents, ihr virtuelles Ateliertagebuch. Auftritte nur, wenn sie dafür bezahlt wird. Hat gehörig Respekt vor Verausgabung, meidet Live-Acts mit Kommunikationsjunkies, liebt Botenstofftrips, lebt dünnhäutig, verschwenderisch, stemmt Hanteln, umgibt sich mit Menschen, die gute Geräusche erfinden, schreibt auf Zettel. Am liebsten allein, manchmal mit Spezialisten. Gute Menschenkenntnis, von der niemand etwas hat, weil sie sich am liebsten vergräbt.
Wird nie unterschätzt, außer von sich selbst, von Selbst dafür aber ständig.
Sie „bloggt“ nicht.
Stattdessen führt sie dieses Ateliertagebuch, irgendwer muss es ja tun, denn, man erfährt selten etwas von Künstler:innen, außer dem, was diese für blickdicht und imagefördernd halten. Solcherlei Masquerade läge Miss TT (natürlich) völlig fern, zumal sie fest glaubt, dass Schöpferische der Kür verpflichtet sind, sich mit der Welt zu vermischen. Da sie selbst starke Marktallergien pflegt, liegt es nur nah, diese Vermischung im Netz herbeizuführen: sie ist nicht vor Ort, sondern selbst einer. Auf TT versucht sie sich in durchaus zärtlich bebilderten Ablenkungsmanövern, geschnitzten Deckelchen für die Wucht des Tatsächlichen.
Tatsache ist, eine Weile geht so etwas gut. Doch irgendwann wird diese fehlende Übereinstimmung zwischen Selbstwahrnehmung und Außendarstellung zur Relativierungsfalle. Fällt sie in eine solche, wird sie mitunter, ohne Vorwarnung, verdammt deutlich.
„ – Themen?“
Kunstschaffen, Körper, Tiere. Hürden. Aufladungen. Trainingseinheiten, phy- und psychisch. Schreiben als Sprechersatz. Der weibliche Blick. Initiationsprozesse: ge- und misslingende. Anfänge. Settings. Handlungsanweisungen. Poetisierungen. Selbstbilder und Rollenspiele mit Einladungscharakter. Exzentrik und Akzente. (Wann kam eigentlich das Wort „freischaffend“ aus der Mode?)
Ihre eigenen Romane „Fat Mountain Scenes“ und „Fettberg“ gehören, obwohl ordentlich verlegt, weder Szenen noch Betrieben an. (Stattdessen ist, zum Beispiel, „Fettberg“ seit 2013 Schullektüre an einer hessischen Oberstufe. Ha! Ansonsten sind ihr Szenen schnuppe.)
Miss TT bevorzugt szeneunabhängige Minds und findet diese mehr auf benachbarten Netzrepräsentanzen als auf der Straße. Ist troy, lässt sich aber häufig verführen, vorzugsweise von Hochbegabten, Spinnern und Exzentrikern beiderlei Geschlechts. Um bei den weiblichen zu bleiben: Sie mag die spleenige >>> Sabine Scho, die merkwürdig assoziierende >>> Aimee Bender und den wütend präzisen Blick der >>> Melusine B. Sie mag n i c h t: Lagerbildung. Den Disput um die vermeintliche Nichtqualität von Netzliteratur, der meistens nur davon zeugt, wie stark die Kamele inzwischen überhand genommen haben, die durch kein Öhr mehr wollen.
Sie lässt regelmäßig von sich hören und sehen, würdigt Kommentare, spricht darüber, gerne auch mit ihren Seminarteilnehmer:innen, um diese locker zu machen. Ansonsten läuft es ähnlich wie im Offline: regelmäßig kommentierende Stammgäste (die mit der Zeit nicht selten zu Komplizen werden), dazu die Mehrheit schweigender Mitleser:innen, die nur das Wort ergreifen, wenn sie sich thematisch angesprochen fühlen. Blogroll? Keine. Miss TT stellt sich immer vor, wie enttäuschend es für diejenigen sein muss, die ihren Blog dort nicht wiederfinden. Tainted Talents hat sich über gezielte Erwähnungen von Mitblogger:innen verbreitet; einen höheren Bekanntheitsgrad würden weder Miss TT noch ihre übrigen Persönlichkeitsfacetten sonderlich gut aushalten.
„- Tabus?“
Nichts sollte er sein lassen, der Blogger, und die Bloggerin schon gar nicht! Wer, wenn nicht unsereins, ist denn noch einigermaßen unchained? Miss TT plädiert für Aufladungen. (Ohne das selbst konstant gewährleisten zu können.)

„solange sich das Ei nicht vom Arschloch löst, hilft alles Brüten nicht“ © Tainted Talents / Phyllis Kiehl
Es gibt keine Hürden beim Bloggen, die nicht alle anderen Selbstdenker:innen auch nehmen müssten: eigenwillige Formen finden, Kontinuität, individuelles Stehvermögen entwickeln, nichts allzu persönlich nehmen, was an Reaktionen zurückkommt. Vieles ist Projektion; auch die ausgewiesen authentischen Blogs werden von Gästen immer (und mit Recht!) zugunsten eigener Prozesse, Sehnsüchte und Befindlichkeiten instrumentalisiert – mitsamt der Person, die dahinter steht. Wer das weiß und gerade um seiner seltsamen, oft sehr positiven Energieübertragungen willen schätzt, kann sich der Öffentlichkeit getrost stellen. Nebenwirkungen, wie überall, nicht ausgeschlossen.
Das Schönste sind die schnellen Reaktionen der Anderen. Gleich gültig, ob positiv oder ablehnend: die Unmittelbarkeit. Ihre großartige Unvollständigkeit, das Fiebrige daran. Mit so vielen Variablen immer wieder neue Situationen zu bauen, Initiatorin zu sein.
Rezensionsexemplare bietet bislang niemand an, weil ich nicht rezensiere, das können andere besser. (Glaubt Miss TT. Ich selbst würde mir das durchaus zutrauen, habe aber, anders als sie, ein Unschärfeproblem. Das gilt ebenso für Titel, die mir von Self-Publishern angeboten würden.)
Meine Mutter liebt E-Books, weil ihr Haus von Papierbüchern bereits überquillt und sie auf ihrem Reader die Schrift groß stellen kann; das reicht mir zunächst als E-xistenzberechtigung. Schade nur, dass das voyeuristische Element dabei verloren geht: Miss TT und ich gucken immer zuerst ins Bücherregal, wenn wir eine fremde Wohnung betreten.
Einige Empfehlungen zum Schluss: Viele unserer Inspirationsblogs haben wir bereits bei SteglitzMind erwähnt gefunden. Der Neugier, die bibliophile Grenzen überschreitet, seien folgende weitere ans Herz gelegt: Norbert W. Schlinkert mit seinen Nachrichten aus den Prenzlauer Bergen. (Der meines Erachtens auch als weiterer Gesprächspartner geeignet wäre, weil er so gut schwadronieren kann.) Außerdem: Die zarte Iris mit ihren Blütenblättern, der Dichter Helmut Schulze mit Parallalie, die unverwechselbare Sophia Mandelbaum mit Ze Zurrealism itzelf und der Insulaner Rittiner Gomez mit seinem Logbuch Isla Volante.
So. Habe fertig.
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Zuletzt stellte sich Bianka Boyke mit jungesbuch vor. Ihre Wunsch-Interviewpartnerinnen waren Evelyn mit Dreaming till Midnight und Filo mit Filos Bücheruniversum. – Eine Übersicht, wer bereits alles Rede und Antwort stand und welche Blogs in den jeweiligen Gesprächen empfohlen wurden, findet sich hier
Merci.
Habe mich übrigens gefreut, Ihre Eindrücke der beunruhigten Welt von Navid Kermani zu lesen, den Sie drüben besprechen. Ich verwende oft Passagen aus seinen Büchern in meinen Schreibworkshops. Seine Texte sind wie Filme für mich, in deren Unmittelbarkeit ich Eindrücke gewinnen kann, ohne mir wie ein lausig uninformiertes Wohlstandswürstchen vorzukommen.
Schöner Artikel!
(Und die Empfehlung freut mich. 🙂 Zumal sie von einer (Nicht)Bloggerin(sondern Ateliertagebuchschreiberin) kommt, die mir ebenfalls Inspirationsquelle ist und Mutmacherin.)
Liebe Iris,
ich erhebe mein Glas auf unsere sämtlichen Inspirationsquellen! : )
😉
Ich werde immer mehr Fan dieser Reihe. Habe sie jetzt auch abonniert. Schon wieder eine ziemlich cooler Stöbertipp. Und was ich unbedingt teile, ist die Bewunderung für Ze Zurrealizm itzelf.
Tschüß
Frau Mandelbaum ist so ziemlich die Einzige, bei der ich vollkommen verstehe, dass sie keine Kommentarfunktion hat – ihr Zurrealizm überzeugt auch ohne Stimmenraum.
Eine langjährige und sehr geschätzte Blogfreundin. Danke. 🙂
Danke ebenfalls : )
Herrlich und zutiefst sympathisch!