Auf Immerwiedersehen!

Mit den Figuren von Friends hat unsere Autorin mehr Zeit verbracht als mit so manchen echten Freunden.
Foto: REUTERS/Jon Ragel/NBC Handout Photo
Warum zahle ich eigentlich jeden Monat Geld an Streamingdienste, bei denen ich mir Hunderte Serien und Filme anschauen kann? Denn wenn ich mich nach der Arbeit mit dem Laptop auf mein Sofa setze, läuft es so ab: Ich öffne Netflix. Ich scrolle mich durch die Startseite mit den neuen Filmen und Serien. Ich schaue mir zwei, drei Trailer an. Ich entscheide mich für einen Film, lasse ihn starten … und habe nach fünf Minuten keine Lust mehr. Ich klicke mich zurück zur Startseite – und wähle wieder die Serie Friends, die ich schon fünfzehn oder zwanzig Male gesehen habe. Ja, alle 236 Folgen.
Ich kann bei den meisten Folgen mitsprechen, ich kenne jeden Witz. Klar weiß ich auch, dass Rachel und Ross am Ende zusammenkommen, weil sie wie zwei Hummer für immer zusammengehören – was bei Hummern, anders als bei Rachel und Ross, übrigens gar nicht stimmt –, dass Joey seinen Auftritt als Hinterndouble von Al Pacino vermasseln wird und dass das Baby Emma lacht, wenn man ihm ein pädagogisch fragwürdiges Raplied vorsingt. Trotzdem schaue ich mir die Serie lieber noch ein weiteres
Weil ich ja jeden Monat Geld fürs Streamen zahle, zwinge ich mich manchmal, es auch zu nutzen und dann nicht Friends abzuspielen – und weiche dafür oft auf andere Filme und Serien aus, die ich bereits gesehen habe. New Girl, I Feel Pretty mit Amy Schumer und, eine meiner großen Feierabendschwächen, Tanzfilme wie Save The Last Dance.
Im amerikanischen Raum gibt es endlich einen Namen für den allabendlichen Ablauf auf meinem Sofa: »Comfort Binge«. So bezeichnete
Was ich mir immer wieder ansehe, ist mir ähnlich vertraut wie meine Wohnzimmereinrichtung. Ich weiß, wie sich der Stoff
Wenn ich mir etwas Neues aussuche, fürchte ich, dass ich mir den Abend verderben könnte, weil der Film oder
Diese Entscheidungsunwilligkeit ist ein Phänomen, das der US-Psychologe Barry Schwartz in einem TED-Vortrag als »Paradoxon der Wahlmöglichkeiten« erklärt: Je
Mir fällt es sogar schwer, auf Serientipps aus dem Bekanntenkreis zu vertrauen. Ich glaube, dass man eher Dinge empfiehlt,
Wenn ich dazu Friends einschalte, stimmt der Titel für mich: Es kommt mir fast vor, als verbrächte ich Zeit mit Freunden. Ich glaube, dass die Sogwirkung des Comfort Binge auch zu weiten Teilen mit dem Gefühl zusammenhängt, Menschen wiederzusehen, an denen man hängt. Die US-Soziologen Horton und Strauss beschrieben schon 1957 dieses Verhältnis zwischen Fernsehzuschauer und Darsteller als eine parasoziale Beziehung, die sich mit der Zeit aufbaut und sich »in ihrem Wesen nicht von den Charakteristiken des normalen Soziallebens unterscheidet«. Und Horton und Strauss kannten die liebenswürdigen Charaktere von Friends noch nicht einmal.
Wenn ich eine neue Serie anfange, kann ich gar nicht im gleichen Maße mit den Protagonisten mitfiebern – einfach,
Verlieren mit dem Comfort Binge die Serien und Filme nicht ihren Sinn? Sind Witze nicht darauf ausgelegt, dass mich ihre Pointe überrascht, und lebt Spannung nicht davon, dass ich das Ende der Geschichte nicht kenne? Jein. Der US-Autor Steven Johnson beschreibt im Buch Neue Intelligenz, dass Unterhaltungsserien so kompliziert geworden sind, dass sie einen dafür belohnen, wenn man sie sich mehrmals anschaut, weil man erst dann alle Anspielungen verstehen und die Eleganz der verschiedenen verknüpften Handlungsstränge würdigen kann.
Ich kapiere inzwischen wirklich alle Insiderwitze von Friends – wogegen mich die erzählerische Dichte einer unbekannten Handlung bei meiner Feierabendmüdigkeit überfordern würde. Wenn ich die bestimmt sehr tolle Serie Game of Thrones starten würde, wüsste ich nie, ob gerade jemand geköpft wird, während ich kurz auf mein Handy schaue. Ich werde da entweder bestraft, indem ich das Schicksal einer Figur nicht mitbekomme, oder indem ich eine Figur zu mögen beginne und sie im nächsten Moment stirbt.
Also schaue ich lieber noch mal dabei zu, wie Ross seinen Sohn Ben in einem Gürteltierkostüm überrascht, weil alle