
In Europe Central stellt sich William T. Vollmann random-mäßig alle möglichen Fragen über das Erzählen zwischen kabbalistischer Mystik und sozialistischem Realismus. Eine davon liest sich so:
And doesn’t the parable possess greater integrity, greater righteousness we might almost say, than any other literary form? For its many conventions weave a holy covenant between the reader, who gets the mystification he craves in a bonbon-sized dose, and the writer, whose absence renders him divine.
Abgesehen von dem schnöden Bonbon-Bild überrascht an dieser Stelle der pathetische Tonfall: Meint der das wirklich ernst? Und wenn ja, Herr Keuner, schön Sie zu sehen, ach ja, hallo Kafka-Franz, habe die Ehre! Alles in allem recht durchgeknallt-sympathisch. Genaueres zur Tonfall-Frage und zu Europe Central an sich, das ungefähr zehn Jahre lang ins Deutsche übersetzt wurde und jetzt endlich erschienen ist (wenigstens waren die Übersetzer nicht in irgendwelchen Bunkern eingesperrt), hat neben den erwartbaren Lobgesängen im Feuilleton Gregor Keuschnig in einem klugen, kritisch abwiegenden und in seiner Länge auch keine Kompromisse eingehenden Essay bei Glanz & Elend aufgeschrieben: Bilder und Interpretationsstürme, die erstaunen. Er klopft dort unerschrocken die Edda und Quentin Tarantino auf Vergleiche ab und schraubt Vollmanns „hochmoralisches Erzählpathos“ auf Augenhöhe herunter, indem er historische Fakten geraderückt; trotz aller kleinen und großen Verfehlungen, die er dem Roman vorwirft, ist diese Kritik allerdings nie hitzköpfig und höchst angenehm zu lesen, eine Kombination, die so nur selten gelingt. Und wer jetzt neugierig geworden ist, aber gerade ausnahmsweise keine 39,95 € für den Ziegelstein im schwarzen Leinen in der Portokasse hat, kann sich mit der extra günstigen Taschenbuchausgabe von Afghanistan Picture Show trösten – oder Filmchen gucken.