Protect me, oh, from what I want

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Judith Zander ist eine Meisterin der Form mit einem Auge fürs sprachliche Detail. Ihr neuer Gedichtband manual numerale verbindet auf spielerische Weise Anspruch mit Leichtigkeit, geht der Melodie der Worte auf den Grund und erschließt sich einen ganz neuen lyrischen Wortschatz.

Manual numerale knüpft an das 2011 bereits ebenfalls schon bei dtv erschienene Debüt oder tau an. Dazwischen fielen einige Übersetzungsarbeiten, darunter für den Wiesbadener Luxbooks Verlag, der sich an eine Neuausgabe von Sylvia Plaths Ariel gemacht hat.

Das schmale lyrische Werk von Judith Zander steht auf den ersten Blick in einem starken Kontrast zu ihrem wortreichen Roman Dinge die wir heute sagten. Auf den zweiten Blick aber auch wieder nicht: Die spröden Figuren aus der Gegend um Anklam, deren plattdeutscher Gesprächsfluss durch die Seiten des Romans strömt, umkreisen gewissermaßen die Leerstellen, die dann in den Gedichten besetzt werden: So spielte oder tau oft in den nebligen Gebieten der Region, weit draußen im Wald, wo nur noch selten Menschen anzutreffen sind.

Kühl, elegant und mit sprachlicher Brillanz ragte dieser Gedichtband aus den Neuerscheinungen des Jahres 2009 heraus; mit manual numerale, im Umfang ungefähr gleich, steht dem Vorgängerband nun ein experimentelles poetisches Projekt gegenüber. Im Musikjournalismus würde man von einem Konzeptalbum sprechen, hat doch Judith Zander ähnlich wie bei einem Tagebuch sämtliche Gedichte in manual numerale mit einem Datum versehen, von Januar bis Dezember, mal einige pro Monat, mal nur eines.

Blick ins Buch:

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Autorenporträt: © dtv/Heike Bogenberger

Erich Mühsam (1878-1934): Ein Überblick für Einsteiger

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„Ob sich in 80 oder 100 Jahren mal jemand findet, der meine Tagebücher der öffentlichen Mitteilung für wert halten und herausgeben wird, kann ich nicht wissen.“
 
Auf den Tag genau vor achtzig Jahren ist der Dichter, Dramatiker, Herausgeber und emsig Tagebuch schreibende Anarchist Erich Mühsam gestorben, von der Wachmannschaft im KZ Oranienburg erschlagen.

Seine Schriften sind lebendig wie nie. Der Verbrecher Verlag, der vor zwei Jahren mit der Herausgabe von Mühsams umfangreichen Tagebüchern begann, erfreut sich anhaltend guter Presse, die jeden der bis jetzt herausgekommenen Bände mit Begeisterung aufgenommen hat. Und das hat viele Gründe: Erich Mühsam war nie nur politischer Denker und Agitator, sondern immer auch im Literatur- und Bohemebetrieb seiner Zeit engagiert und bekannt als lebenslustiger Mensch, wie in den frühen Tagebuchaufzeichnungen deutlich erkennbar ist.

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Eintrag vom 3. Oktober 2011 (Quelle: muehsam-tagebuch.de)

Zum Mühsam-Jahr gibt es nun auch ein im Softcover produziertes Mühsam-Lesebuch, das in einer entlang der Biografie getroffenen Auswahl Lieder und Texte außerhalb des Tagebuch-Korpos umfasst. Außerdem entstand aus dem Umkreis der Herausgeber des Lesebuchs, in der Formation Der singende Tresen, die schöne Idee, eine CD mit Mühsams Liedern zu produzieren. Diese wurde erfolgreich ins Crowdfunding gegeben und erscheint diese Woche unter dem Titel Mühsam Blues.

Der Verlag zieht nach mit einer Einzelheft-Edition als E-Book, die die ohnehin schon vorbildlich edierte kritische Ausgabe aus muehsam-tagebuch.de glänzend ergänzt. Zum Abschluss ein kurzer Auszug aus dem Lesebuch „Das seid ihr Hunde wert“, der Erich Mühsams Einstellung zu seinem eigenen Schaffen sehr treffend charakterisiert und gerade vor dem Hintergrund seiner brutalen Ermordung durch die Nationalsozialisten einen herben Beigeschmack bekommt – aus dem autobiographischen Text „Auf zwei Gäulen“ von 1924:

Die Arena des politischen Kampfes, des Meinungskampfes, hat mich bisher nicht freigegeben, wird mich auch nie freigeben, solange nicht Ziele erreicht sind, die nicht die Ziele der Leser diese Bekenntnisse sind. Politische Memoiren gedenke ich somit in absehbarer Zeit nicht zu schreiben. Vielleicht werde ich einmal im Rollstühlchen sitzen, müde, runzlig und resigniert – dann mag meinetwegen auch auf dem Gebiet des sozialen Geschehens der erzählende Schriftsteller den Agitator, Propagandisten und auf öffentliches Wirken bedachten Menschen ablösen. Die Frage erhebt sich: Lässt sich Leben und Schicksal eines in verschiedenen Bezirken geistiger Regsamkeit tätigen Individuums im Ausschnitt betrachten? Kann ich den Teil meiner Daseinsbemühungen, der um Wandlung von Welt und Gesellschaft geht, herausnehmen aus meinen Erinnerungen und Rückschau halten nur auf Begebenheiten, die außerhalb des politischen Kampfplatzes geschahen? Ich glaube, das wird möglich sein. Gerade meine Vergangenheit lief viele Jahre auf zwei getrennten Geleisen, und wenn die Schienen auch manchmal einander eng berührten oder selbst schnitten, so war ich doch streng bedacht, die Züge, deren einen ich als Passagier benutzte, deren anderem ich die Weichen zu stellen strebte, nicht aneinanderfahren zu lassen.

Mühsam für Einsteiger – Vorsicht Suchtfaktor!

Erich Mühsam: Die Tagebücher (bereits erschienen: Band 1-6)
Online-Variante der Tagebücher mit Fußnoten
Erich Mühsam: Das seid ihr Hunde wert. Ein Lesebuch
Der singende Tresen: Erich Mühsam Blues
Erich Mühsam: Die Tagebücher in Einzelheften (E-Book)

Und ein Tipp für alle Berliner: Am 12. Juli findet am Ostkreuz ein großes Erich-Mühsam-Fest statt, mit Musik, Lesungen und Gesprächen!

Fotonachweis: Bundesarchiv / Wikimedia Commons

Luftballon verloren

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Wilco haben kein neues Album gemacht. Dafür hat Frontmann Jeff Tweedy mit seinem ersten Soloalbum ernst. Das erste Teaser-Video kann allerdings nur als Witz gemeint sein.

In Summer Noon schwebt ein CGI-animierter rosa Luftballon durch eine sterile See- und Küstenlandschaft; auch diese besteht aus großflächigen Polygonen. Das soll vermutlich, so wie das recht eingängige Stück Musik dazu, für Leichtigkeit, Sommerstimmung und allgemeines Entspannen stehen. Leider wirkt es vielmehr wie die Rache eines drittklassigen Computerspiele-Entwicklers.

 

Wie ungleich liebevoller und schöner ist das doch Wilco zuletzt mit dem nostalgischen Zeichentrickfilm zur Single „Dawned On Me“ vom Album The Whole Love gelungen (trotz klar nervtötender Intromusik), die das ganze Popeye-Ensemble am fiktiven Hafensteg versammelte. Better luck next time!

 

Das Soloalbum von Jeff Tweedy heißt Sukirae und erscheint im September, mehr dazu auf wilcoworld.net.

Vampire Teenage Boyfriend

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Mit Stonewashed-Jeans und Batik-T-Shirts evozieren sie die achtziger Jahre in Reinkultur, dabei sind sie selbst gerade mal um die zwanzig: Die Courtneys aus Kanada versprühen wie kaum eine andere Band zur Zeit eine charmante Anziehungskraft, die aber gar nicht so einfach zu erklären ist.

Riot Grrl? Viel zu politisch! Grunge? Viel zu depri! Surfrock? Viel zu altbacken! Alle Versuche der Einordnung sind hier zum Scheitern verurteilt. Besser einfach treiben lassen mit den perfekt sitzenden Gitarrenriffs, eintauchen in die gerade so nicht zu viel und nicht zu wenig verwaschene VHS-Optik der Musikvideos und mitfiebern mit dem opulenten neuen Song „Lost Boys“, der die dürre Produktion der Debüt-EP durch einen satten Klang ersetzt und große Lust auf mehr macht.

Debüt-EP "The Courtneys" (Hockey Dad Records 2013)
Debüt-EP „The Courtneys“ (Hockey Dad Records 2013)

Sympathischerweise ist gerade der bestproduzierte Track in der Single-Variante auf einer billigen Musikkassette erschienen – und da ist er, der irrwitzige Gedanke, dass es vielleicht genau das ist, was die Faszination an einer Band wie den Courtneys ausmacht: Der alte Traum von der authentischen, nicht marketing-dirigierten Rockmusik, ausgelebt von drei Musikerinnen, die Spaß an ihrer Sache haben. C.O.U.R.T.N.E.Y.S.!

Aktuelles Musikvideo: „Lost Boys“:

 

Musikvideos „90210“ und „Social Anxiety“:

 
 

„Lost Boys“ ist erhältlich als MC via burgerrecords.com. Mehr Hörproben bei Bandcamp, Termine auf Facebook.

Mittwacht

Die Wächter passen auf. Mittwochs wird erschossen. Wann ist Mittwoch? Mittwacht, ein grafisches Buchprojekt von Thomas Podhostnik und Lilli Gärtner, findet harte Worte und erschreckend sanfte Bilder für eine Geschichte voller Bosheit, Verachtung und Gefühlskälte.

Die Beklemmung, die sich bei der Lektüre dieses Buches, das in Format, Verarbeitung und Gestaltung auch im ohnehin schon der Illustration nahestehenden Programm des Verlagshaus J. Frank | Berlin eine Ausnahme bildet, einstellt, liegt zunächst einmal in Thomas Podhostniks ganz eigener Art, sich auszudrücken: Man muss viele seiner Sätze oft mehrmals lesen, um die sperrigen, mit Umstellungen und Auslassungen arbeitenden syntaktischen Konstruktionen zu verstehen. Dazu passt auch, dass die Insassen und Wächter des Lagers, in dem die Erzählung spielt, kaum bis gar nicht charakterisiert werden; man kann sie nur durch ihre Namen unterscheiden, „Roht“, „Schrupper“ oder „Ben“, aber auch die scheinen völlig beliebig gewählt. Ein Affront, in dem aber auch eine Kompromisslosigkeit liegt: Wer einfache Erklärungen und pittoreskes Erzählen erwartet, ist hier an der falschen Adresse.

Blick ins Buch (Fotos: Natalie Mayroth)

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