Der Film des Jahres: Metalhead

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Den schwergewichtigen Titel der englischsprachigen Fassung dieses isländischen Films entkräftet schon das Poster, das eben nicht den typischen Heavy-Metal-Hünen zeigt, sondern ein junges Mädchen im Black-Metal-Look.

Überhaupt stellt Ragnar Bragason hier einige Klischees auf den Kopf und schafft es, dem scheinbar auserzählten Thema „harte Musik als Identifikationsmerkmal für Außenseiter“ eine neue Seite abzugewinnen. Wunderbar wird das Touristenidyll Island als die öde Provinz gezeigt, die es für Nicht-Touristen eben auch ist; berührend die Geschichte der Hauptfigur Hera erzählt, die nach dem Tod ihres Bruders dessen Heavy-Metal-Traum weiterlebt, auch wenn sie nur gerade so die E-Gitarre halten kann; urkomisch die Konfrontation der christlichen Gemeinde mit den neuen Klängen, als Hera ihre Band auf ein Kirchenfest mitnimmt. Metalhead schlägt als Island-, Musik- und Coming-of-age-Film drei Fliegen mit einer Klappe – unbedingt sehenswert!

 

Metalhead (OT: Málmhaus), Mystery Island 2014. Regie: Ragnar Bragason, Darsteller: Þorbjörg Helga Dýrfjörð, Ingvar E. Sigurðsson, Halldóra Geirharðsdóttir. Länge: 97 Min.

Das Buch des Jahres: Xaver Bayer

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Auch dieses Jahr wurde viel über die großen Romane geredet, die uns etwas über unsere Gegenwart sagen können.

Da rücken leiser auftretende Erzählprojekte im Schatten ihrer dickleibigen Kollegen schnell in den Hintergrund: In elliptischen Kapiteln verfasste Kurzromane wie Kai von Maruan Paschen (hier besprochen), Magisch-realistische Reisen wie Unterwegs nach Ochotsk von Eleonore Frey – oder aber auch ein Buch wie Geheimnisvolles Knistern aus dem Zauberreich von Xaver Bayer, der es wie kaum ein anderer versteht, seinen ganz eigenen erzählerischen Weg einzuschlagen, ohne dabei unter Verdacht der Kauzigkeit zu geraten. So bestand sein letztes bei Jung und Jung erschienenes Buch Wenn die Kinder Steine ins Wasser werfen aus nur einem Satz, den Bayer freilich mit einer olympischen Ausdauer über 119 Seiten ausstreckte. Kritiker seiner Werke bezeichneten Bayer als „Anti-Pop-Autor“ (Die Alaskastraße) und bescheinigten ihm eine „existienzielle Ernsthaftigkeit“ (Die durchsichtigen Hände).

Das trifft sicherlich auch auf seinen neuesten, ebenfalls sehr schön betitelten Band zu. Kein Roman, keine Erzählungen, eher autobiographische Skizzen, Miniaturen aus dem Alltagsleben kann man hier lesen, die auf intensive Weise Augenblicke festhalten, höchst detailliert, aber dabei nie den Leser überfordernd. „Ich bin stehen geblieben und habe – etwas länger als ein Zwinkern dauert – meine Augen geschlossen“, heißt es an einer Stelle, bevor sich die Sinnesorgane schärfen:

Ein Hauch des Geruchs nach frisch ausgeweißten Räumen, nach Räumen, die an den Tagen, da eine erste Ahnung von Frühling in der Luft liegt, offenstehen, und der Wind fährt inspizierend durch die Zimmer und nimmt die feinen Vorhänge sacht und etwas wollüstig mit sich, wenn er die Wohnung durch ein Fenster wieder verlässt. Und unten auf der Straße blickt einer in diesem Moment hoch zu dem Fensterviereck, aus dem ein weißer, dünner Vorhang weht, so wie ein in Seenot Geratener in einem Rettungsboot sein Hemd über dem Kopf schwenkt, als er ein Schiff am Horizont erblickt.

So geht dieser Abschnitt etwa zwanzig Zeilen weiter, dann ist Schluss. Die kurzen Kapitel des Bandes fangen Sinneseindrücke ein, Momente, denen man sonst so schnell keine Bedeutung schenken würde, und verwahren sie, ohne sie in einen größeren Zusammenhang zu stellen. Aber gerade damit landet Xaver Bayer seinen Coup: Kunstvolle Prosa, in ihrer ganzen Bescheidenheit kühn, bedacht auf die verborgenen Winkel, und was es dort zu finden gibt.

Xaver Bayern: Geheimnisvolles Knistern aus dem Zauberreich. Jung und Jung Verlag, Salzburg, 208 Seiten, gebunden 19,90 €, als E-Book 12,99 €

Das Album des Jahres: Twin Peaks

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Das gefühlte Durchschnittsalter der Bandmitglieder liegt bei 14, trotzdem steckt ihr Album Wild Onion voller Anspielungen auf Beach Boys, Rolling Stones, The Clash.

Ironie? Widerhaken? Gibt es hier nicht. Was diese Musik so einnehmend macht, ist das völlige Fehlen einer distanzierenden Ebene. Twin Peaks suchen sich ihre Nische irgendwo zwischen Bubblegum, Jangle-Pop und Shoegaze – heraus kommt dabei Rock & Roll im ursprünglichsten, jugendlich-sorgenfreien und spaßbetonten Sinne, der großmäulig auftritt, dabei aber stets klingt, als würde er aus der kleinsten Garage Chicagos kommen.

Vielleicht ist das die letzte Provokation, die jungen – wohlgemerkt: amerikanischen – Bands derzeit möglich ist: Einfach auf alles zu pfeifen und stattdessen das Leben als eine große Poolparty zu begreifen, alte Comichefte zu lesen und auf irgendeinem Feld Baseball zu spielen. Erfrischend zumindest an diesem Entwurf, den Twin Peaks in ihren Musikvideos demonstrieren, ist der augenscheinliche Verzicht auf tiefere Bedeutung jeglicher Art. Nein, hier geht es um Spaß, „Strawberry Smoothies“ und „Good Lovin'“.

Spaß, der vielleicht zuletzt etwas zu kurz gekommen ist bei der doch etwas zu sehr zur Schau getragenen Nachdenklichkeit des diesjährigen Seventies-Revivals, zu beobachten etwa bei Kurt Vile oder The War On Drugs. Der basale Dreisatz aus Können, Großtun und Drauflosdreschen macht Wild Onion im Vergleich dazu zur ungleich größeren Hoffnung für die eh schon zum tausendsten Mal totgesagte Rockmusik – und passt nebenbei perfekt zu dem Weg, den Bands wie Ty Segall, The Fuzz, White Fence, Thee Oh Sees, Black Lips oder die auch an dieser Stelle sehr geschätzten Courtneys bereits seit einiger Zeit einschlagen.

 
 

Twin Peaks: Wild Onion, Communion Records 2014, ca. 10 €

Wenn es einen Wald gibt, dann auch einen Jäger

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Die dritte Einzelveröffentlichung eines G13-Mitglieds in diesem Herbst kommt nach Lea Schneider und Linus Westheuser von Rike Scheffler, die als Musikerin und Dichterin in zwei künstlerischen Fächern reüssiert. Das merkt man ihrem Band Der Rest ist Resonanz an – der leider dadurch aber auch etwas unentschieden wirkt.

Die bizarre Gestalt auf dem Umschlagposter, zusammengesetzt aus Frosch-Skelett, Hirschgeweih und Schilfrohren, legt die Fährte für die ersten Kapitel, die ganz im Zeichen der Natur stehen, freilich stets nur auf der Möglichkeitsebene. Wie wäre es, wenn man wirklich alles hinter sich lässt? An den See, ins Moos oberhalb der Baumzone zieht („angenommen, man lässt es sich gutgehen“) Man will diesem lyrischen Ich gerne folgen: Die erträumten Szenerien formen Idylle, sind aber auch dunkel-melancholische Abbilder des Wunschdenkens, vielleicht einer großstädtischen Fluchtphantasie. Rike Scheffler verleiht diesen Phantasien durch ihr musikalisches Gespür einen Drive, der eine hypnotische Wirkung entfaltet: „man beginnt sich zu zwingen, auch im innern zu klingen“; gegen Ende schleicht sich sogar klassische Metrik ein: „nie war die neigung des erdballs so herrlich, niemals die zinkweißen nächte so weiß.“

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Rike Scheffler, begleitet von Simon Bauer am Kontrabass, beim Fest zum 10. Geburtstag von Kookbooks am 14. Mai 2013 im Theaterdiscounter Berlin

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Der Tod kam vorbei

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Das beste Argument für E-Books ist ja, dass sie Projekte möglich machen, die anders nur schwer realisierbar wären.

Ein solches Projekt ist das E-Book Tausend Tode schreiben aus dem Frohmann Verlag, mit dem Herausgeberin Christiane Frohmann die Rede vom „tausend Tode sterben“ wörtlich nimmt und tausend Autoren um Texte über den Tod gebeten hat. Teil eins der für März 2015 anvisierten Komplettedition ist gestern erschienen und versammelt biographische, essayistische, literarische und poetische Texte, Erinnerungen, Tagebucheinträge, Briefe zum Stichwortthema. Sie führen in Bestattungsinstitute, die sich an neuen Werbekampagnen probieren („Bei uns liegen Sie richtig“), Sterbehospize („Holzengel an der Tür bedeutet: tot“), zum Ground Zero, zum Permadeath in Videospielen, natürlich auf echte Friedhöfe und zu der Frage nach dem digitalen Nachlass, in die Kindheit zurück oder zu einem gerade erlebten Tod. Genau die richtige Lektüre für die dunkle Jahreszeit – und eine lebensrettende Maßnahme für viele tausend Bäume, die nicht für den Druck gefällt werden mussten!

Der Tod kam vorbei
wir haben uns unterhalten
bis er wieder ging

David Wagner

Christiane Frohmann (Hg.): Tausend Tode schreiben. Version 1/4, Frohmann Verlag 2014, 4,99 €

Und hier noch ein Hinweis in eigener Sache: Der Herausgeber wird in der nächsten Ausgabe von Tausend Tode schreiben mit einem Beitrag zum Thema „Musik, Tod Alltag“ vertreten sein.