Monotonie ist Luxus

Garnette Cadogan über Dimensionen des Spazierengehens in Kingston, New Orleans und New York.

Es sind nur drei kurze Sprünge, die vom Aufwachsen in der Hauptstadt Jamaikas über das Ankommen in New Orleans bis nach New York führen. Doch Ganette Cadogan beschreibt in seinem Essay „Ein Schwarzer geht durch die Stadt“, auf Englisch erstmals im Freeman’s Magazine erschienen und in der deutschen Übersetzung ein Auszug aus dem von Anneke Lubkowitz herausgegebenen Sammelband Psychogeografie, sehr genau, wie sich an diesen Orten der so alltägliche Vorgang des Spazierengehens grundlegend für ihn verändert hat: In Kingston ist es die Flucht vor dem gewalttätigen Stiefvater, die ihn bis spätnachts die Straßen seiner Heimatstadt erkunden lässt; auch wenn er dabei in gefährlichen Vierteln verkehrt, vor denen ihn seine Freunde warnen, lässt er sich nicht beirren. Als er dann, inzwischen Student, in New Orleans seine nächtlichen Streifzüge fortsetzen will, stellt er fest, dass nun er selbst, ein Schwarzer, als potenzielle Bedrohung wahrgenommen wird. Diese Erfahrung kulminiert in New York, wo er aus einem nichtigen Grund von einer Polizeistreife brutal festgenommen wird; eine Szene, die sofort Bilder der rassistischen Polizeiwillkür, die gerade wieder durch die Medien gehen, ins Gedächtnis ruft.

Was Ganette Cadogans Essay bemerkenswert macht, ist die Schilderung der Anpassungsmechanismen, die er abhängig von seiner Umgebung entwickelt: In Kingston sind diese noch eher spielerischer Natur („Manchmal tat ich sogar, als wäre ich verrückt, und redete an besonders gefährlichen Stellen wirres Zeug vor mich hin, etwa an einem Regenkanal, an dem sich Diebe versteckt hielten. Der dumm daher brabbelnde Junge in Schuluniform wurde von den Beutegreifern einfach ignoriert oder ausgelacht“); in den USA, wo Cadogan als Schwarzer plötzlich in einer exponierten Rolle ist, nimmt der Anpassungsdruck repressive Ausmaße an – er wird zur Überlebensstrategie, die den gesamten Tagesablauf bestimmt: „Wenn ich aus der Dusche kam, galt mein erster Gedanke den Cops und der Frage, mit welchem Outfit ich am ehesten Ruhe vor ihnen hätte. Bewährt hatten sich: Helles Oxford-Hemd. Sweater mit V-Ausschnitt. Khakihose. Chukka-Stiefel. Pullover oder T-Shirt mit dem Emblem der Uni. Wenn ich durch die Stadt ging, wurde oft meine Identität hinterfragt, und ich hatte klare Antworten darauf gefunden.“

Es ist eben ein großer Unterschied, und das so arbeitet Cadogan beeindruckend heraus, ob man sich eine Identität selbst gibt – wie er es in Kingston tun konnte – oder als Schwarzer von vornherein eine Rolle zugewiesen bekommt, mit der man sich arrangieren muss, und so auch letztlich die Selbstvergessenheit des sorglosen Spaziergängers verliert. „Monotonie ist Luxus“, heißt es dazu an einer Stelle: Wo das Spazierengehen für Weiße Erholung, Freizeit oder schlicht Alltagsnormalität bedeutet, ist es bei Cadogan mit konkreten Gefahren verbunden. Woran sich auch in den zehn Jahren, die er zum Zeitpunkt, als der Essay erscheint, schon in New York lebt, nichts geändert hat.

Garnette Cadogan: Ein Schwarzer geht durch die Stadt. Matthes & Seitz eBook, ca. 20 Seiten, 1,99 €

Über der Stadt flog lustlos ein Helikopter

Ein Liebesroman mit Aliens: Marius Goldhorn entwirft ein beunruhigend zeitgenössisches Szenario zwischen Berlin, Paris und Athen.

Die Zeit der Lockdowns, Kontaktverbote und Quarantäne-Verordnungen, die die COVID19-Pandemie im Frühjahr 2020 mit sich gebracht hat, wird auch als eine Zeit der Fülle digitaler Veranstaltungsformate in Erinnerung bleiben, die aus der Not geschlossener Literaturhäuser und Theater geboren wurden. Und gerade Debütautorinnen und -autoren sind auf Lesungen angewiesen, um überhaupt eine Grundaufmerksamkeit zu bekommen.

Zu Marius Goldhorns Park gibt es aktuell immerhin schon zwei Streams: Eine Lesung für das Literaturforum im Brecht-Haus („Vorstellung meines MacBooks, des Romans Park und anderem“) sowie „Die große Beunruhigung“ bei den Kammerspielen München zusammen mit Enis Maci, Mazlum Nergiz und Tanita Olbrich.

Arnold, ein junger Schriftsteller ist auf dem Weg nach Athen, um Odile wiederzusehen, die dort einen Film dreht. Mit ihr verbindet ihn eine etwa ein halbes Jahr andauernde Liebesbeziehung in Berlin, die abrupt abbrach, als sie, mit dem Ziel, ihrem Master an der Kunsthochschule zu machen, nach London zog. Arnolds Reise nach Athen führt über Paris, weil er von dort aus das günstigste Flugangebot erhalten hat, weswegen der dort noch etwa zwei Tage in einem Hostel verbringt.

Ein sensibler, bis an die Grenze des Hypochondrischen empfindsamer Charakter, macht sich Arnold fast unentwegt Gedanken und beobachtet sich selbst, wobei ihm iPhone und MacBook sowie zuweilen auch sein Chatpartner Veysel zur Seite stehen. Offenbar steckt er seit der Abreise Odiles in einer Lebenskrise, ist passiv, nachdenklich und verliert sich in surrealen Träumereien. Diese gipfeln in einer außerkörperlichen Erfahrung, die Arnold in seinem Hotelbett in Paris macht: Sein Körper erscheint ihm mit vielen dünnen Schläuchen besetzt, er trifft auf Aliens, die ihn (wie er glaubt, zu erkennen) „ihre Sprache lehren“ wollen; vor seinen Augen verästeln sich fraktale Strukturen.

Diese eigentümliche Figur, die Marius Goldhorn auf ihre Reise durch Europa schickt, zeichnet sich durch eine gewisse Abgekapseltheit von der Welt aus. Gleichzeitig ist Arnold aber, mehr unbewusst als bewusst, mittendrin im politischen Zeitgeschehen: Schon während seines Aufenthalts in Paris wird er über das Fernsehen Zeuge eines Attentats; später, angekommen bei Odile in Athen, gerät er mitten in die Unruhen im Autonomen-Viertel Exarchia in Athen, wird sogar von der Polizei aufgegriffen.

Spannend an der Konstruktion von Park ist die Art, wie Goldhorn seinen Protagonisten an der Wirklichkeit teilhaben lässt, dieser sich aber gleichzeitig in seiner eigenen, von YouTube-Videos, Games und Popkultur-Referenzen – bevorzugt japanischer Instrumental-Musik – geprägten artifiziellen Wirklichkeit bewegt. Die klare, einfach gehaltene Sprache, in der er selbst die aberwitzigsten Szenarien beschreibt, resultiert in einer bizarren Schönheit.

Draußen, über der Stadt flog lustlos ein Helikopter. Arnold dachte: Die Luft ist sauer und warm und schwer von Abgasen. Menschen telefonierten oder verkauften irgendwelche Plastiksachen am Straßenrand. Häuser lagen unter halbtransparenten Gerüstplanen. Arnold beobachtete eine Gruppe Männer. Sie standen vor Stapeln Rubellosen auf mobilen Holztischen, die von Fahrradspannern zusammengehalten wurden. Arnold dachte: Seitdem die Welt untergeht, sieht alles besser aus.

Die Verbindung beider Welten – der realen und der artifiziellen – gelingt Arnold am Ende des Romans: Während in Athen ein Stromausfall nach einem Unwetter das öffentliche Leben lahmlegt, erstellt er auf seinem MacBook eine neue Homepage und lädt dort alle Gedichte hoch, die er im Verlauf des Romans geschrieben hat. Sie ist abrufbar unter romcompoems.com.

Marius Goldhorn: Park. Edition Suhrkamp, 140 Seiten, 14 €

Noch ein Hinweis: Dieser Titel erscheint aufgrund der Coronakrise zunächst nur digital. Das gedruckte Buch ist ab dem 15. Juni regulär im Buchhandel erhältlich – dann am besten lokal kaufen über buchhandlung-finden.de!

Support STILL!

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Das STILL Magazin hat große Pläne: Zusätzlich zur Print-Ausgabe des Foto- und Literaturmagazins soll als nächstes eine digitale Plattform entstehen, die den Magazingedanken ins Netz trägt. Marc Holzenbecher, einer der Herausgeber von STILL, erzählt, was genau der Plan ist.

Was wird bei einem digitalen STILL Magazin anders werden? Wird es z.B. Beiträge geben, die nur digital denkbar sind?

Ja, natürlich eröffnet uns das die Möglichkeit, andere Beiträge zu publizieren als in Print. Audioformate, digitale Literatur, Bewegtbilder in der Fotografie. Aber vielmehr wird es das Magazin selbst werden, das digital gedacht wird. „We are constantly evolving our format. In the future we want to open up the structure even more, future issues—same as some works in it—may not be completed or ‚closed‘ at the time of publication. What we are looking for is a format that enables us to rearrange and continue completing issues after their release.“ Statt einer Kopie der Printausgabe in Form eines E-Books oder einer statischen PDF wird das digitale STILL ein flexibles Archiv und Labor zugleich, ein Format, das den Arbeiten vergangener Ausgaben ein Weiterleben und eine Weiterentwicklung erlaubt. Ein lebendiges, anpassungsfähiges Magazin, das—weniger endgültig als in Tinte auf Papier—auch work in progress abbilden kann.

Es ist eine STILL-Drama-Ausgabe in Planung. Soll es, wenn es nach euch geht, weitere Bücher geben?

Die Resonanz auf unser erstes Buch, an dem wir gerade arbeiten, ist herausragend. STILL Drama ist als Beginn einer Serie gedacht und sofern es uns (finanziell) möglich ist, wird es weitere Ausgaben geben!

Was habt ihr in den letzten drei Jahren über das Magazin-Machen gelernt?

Zuzuhören, wach zu sein. Gutes braucht Zeit und Geduld.

Um die Pläne für ein digitales STILL-Magazin in die Wirklichkeit umzusetzen, haben die Herausgeber eine Kickstarter-Kampagne ins Leben gerufen, die gerade auf den letzten Metern ist. Hier kann noch gespendet werden.

Hallo, weißes Blatt

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Alan Mills ist ein guatemaltekischer Schriftsteller, der nach eigener Aussage das Gedichteschreiben eingestellt hat, nachdem er Twitter entdeckte.

Bei mikrotext sind jetzt, als seine erste deutsche Veröffentlichung überhaupt, gesammelte Tweets von Alan Mills unter dem Titel Die Subkultur der Träume erschienen – ein minimalistisches Mammutwerk von über 700 Seiten. Alan Mills‘ Tweets sind komisch, seltsam und von einer geheimnisvollen Schönheit. Zum Jahreswechsel hier eine Auswahl.

Ich möchte auf eine Party gehen, wo mich niemand kennt. Etwas Spaß haben. Gehen, ohne dass jemand weiß, ob er mich gesehen oder nur geträumt hat.

Vielleicht wollte Kafka nur „La Cucaracha“ tanzen.

Wir sind alle das Monster unter dem Bett von jemand anderem.

Hallo weißes Blatt, ich glaube, ich habe hier etwas für dich.

Es reicht aus, einen Leser zu haben. Erfinde ihn.

Meine Schiffe verbrennen nicht, weil sie aus Feuer sind.

Die weiße Seite ist rassistisch.

Ein Gedicht muss so künstlich wirken wie eine Rose aus Kristall. Aber es muss sich so lebendig anfühlen wie ein warmes Schweineherz.

Wenn ihr genau darauf achtet, seid ihr gerade inmitten des Buches.

Träumen die Schafe von elektrischen Schriftstellern?

Seien wir Hyperrealisten, versuchen wir das Unsichtbare.

Mein Plan B ist genauso wie Plan A, bloß mit gerösteten Maiskolben.

Dies sind meine Hirngespinste. Wenn sie euch nicht gefallen, habe ich andere.

Die weiße Seite ist ein Entwurf für eine Wolke.

Träumen die Haushaltsgeräte von Schriftstellern, die bügeln können?

Könnten alle, die nicht Borges sind, bitte mal die Hand heben?

Das Leben ist das, was passiert, während man nicht den Ulysses liest.

Jeder Tweet ist autobiografisch für den Leser.

Wenn Sie Fragen haben, wenden Sie sich an den Berg.

Als ich einen Zirkus gründete, rasierte sich die Frau mit Bart.

Ich habe ein Leben wie im Film, aber es ist eine Raubkopie.

Ich habe die Negative meines Gehirns entwickelt: Es ist eine weiße Seite geworden.

Was die Wolke dichtet

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„Es wird wehtun“; „es wird nicht ganz zu kontrollieren sein“: Eingangs Warnungen, wie sich selbst zugesprochen, wussten doch weder Andreas Bülhoff, Martina Hefter, Georg Leß, Katharina Schultens noch Charlotte Warsen so ganz genau, worauf sie sich mit diesem Projekt einließen.

Das Ergebnis mehrerer Workshops, auf dem sich Coding, Poesie und Proben für eine Performance miteinander verschränkten, konnte am 22. November im Berliner Theaterdiscounter begutachtet werden: Dichter unter Hypnose, unter einem Moskitonetz aneinandergekuschelt, dazwischen großflächig Projektionen mit Tanzszenen und Rabenflug und wie zufällig herumliegende Auberginen.

Nun steht – unter Einbeziehung der Performance im Theaterdiscounter und Beteiligung des anwesenden Publikums (so konnten etwa Audiosamples live vor Ort eingesprochen und Chats geführt werden) eine erste Version von Cloudpoesie – Dichtung für die vernetzte Gesellschaft als hybrides E-Book bereit, das gemeinsam vom KOOK-Verein und dem Digitalverlag mikrotext herausgegeben wird.

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Animation: Andreas Töpfer

Und das ist eine echte Augen- und Ohrenweide. Wunderbar verspielte Kurzgedichte („protagon, verzeih“), repetitive experimentelle Textmassen wechseln sich ab mit gewitzten GIF-Animationen aus der digitalen Feder Andreas Töpfers; im Zentrum des Ganzen ein Musical mit Ungeheuern, in dem Gartenroboter Gesänge zu der Frage anstimmen, „warum das Ungeheuer sie schlägt“ – ein derart lustvoller kreativer Overkill kann einem schon einmal die Sprache rauben. Und das klingt dann so: „Wentkräff deren und warkellenener Loger und rene Pass oden A.M., nobote nichteräte anch satundere nach zu inforgume Gras weln sch zu hen S. Menachen von bren Icht den 9 unges kom”)“. Wer will, kann mit Audiosamples das Medium wechseln oder sich durch behutsam gesetzte Hyperlinks gleich wieder in das große Referenzsystem des Internets katapultieren lassen, wo etwa Diagramme zur Theorie des Uncanny Valley lauern. Die Textsorten changieren währenddessen fröhlich vom Kinderreim zur Spielanleitung mit Safeword und mittelalterlichen Rezeptanweisungen, die auf Plinius verweisen; eine Form, ein äußeres Raster scheint immer wieder durch (etwa begonnene Aufzählungen), um aber gleich darauf wieder lustvoll verworfen zu werden.

Ein hemmungsloser, anarchischer Spaß ist hier gelungen, der das Zeug hat, das Feld der Gegenwartslyrik um eine ganze Wagenladung neuer Impulse zu bereichern. Übrigens: Das E-Book war in seiner ersten Version, soviel Geheimniskrämerei muss sein, nur am Abend der Performance erhältlich. Eine bearbeitete Version soll aber in Kürze auf einschlägigem Wege erhältlich sein.

Der Clemens-Setz-Referenzencheck

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Und was hat Halldór Laxness mit alldem zu tun?

Aus welchem Buch stammte nochmal der kryptische Begriff FNORD? Gibt es den Autoren Charles Victor Eglantine wirklich? Und was zum Himmel sind BLISS-Symbole?

Clemens J. Setz‘ neuester Roman Die Stunde zwischen Frau und Gitarre ist nicht nur über 1.000 Seiten dick, sondern steckt darüber hinaus auch noch voller Anspielungen aus den Bereichen Literatur, Musik und obskures Wissen. Unter frau-und-gitarre.de, hoffnungsvoll als „Blog für betreutes Lesen“ untertitelt, kann man deshalb neben vielen anderen Beiträgen in diesen Tagen einen vierteiligen Clemens-Setz-Referenzcheck nachverfolgen und sich damit durch die Untiefen des Romans navigieren. Die einzelnen Beiträge werden nach Erscheinen an dieser Stelle dokumentiert.

Übrigens: Dank einer Kooperation mit Sobooks sind die aufgeführten Zitate im jeweiligen Beitrag klickbar und führen direkt in die Materie, sprich, das zugehörige E-Book!

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Bereits veröffentlicht:

Line By Line: Emily Dickinson In The Box

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Lyrik im E-Book – da trauen sich derzeit noch nicht so viele Verlage heran, zu orchideenhaft-winzig scheint der digitale Markt, um auch noch die Orchideenabteilung der Literatur dort heimisch zu machen.

Auch technisch steht der optimalen Präsentation des Genres, wie die New York Times weiß, noch einiges entgegen – auch wenn sich das langsam ändert: Line by Line, E-Books Turn Poet-Friendly, so hieß ein schöner Artikel im vergangenen Herbst.

Gerade der ehrwürdige Hanser Verlag, eine der letzten unabhängigen Bastionen der guten alten Verlagskultur, hat sich nun herangewagt an ein E-Book mit Gedichten: Die Hanser Box Emily Dickinson und der Wind präsentiert 33 Gedichte, eingeleitet und (schön!) einzeln kommentiert von Gunhild Kübler. Siehe da – geht doch! Und sieht sogar ganz gut aus (was man zu einem Teil aber auch Dickinsons elegantem Zeilenschwung zu verdanken hat).

Das 2,99 € billige Schmankerl fungiert gleichsam als Kostprobe und Appetitanreger für die prächtige Gesamtausgabe sämtlicher Dickinson-Gedichte, die der Verlag dieses Jahr voller stolz in Original und Übersetzung auftischt. Für den wirklichen Fan lohnen sich aber freilich beide Anschaffungen – der kenntnisreiche Küblersche Kommentar findet sich nämlich nur in the box!

Voller Empfang: New German Fiction

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Der Literaturwettbewerb New German Fiction geht ins zweite Jahr – und hat sich noch einmal runderneuert: Die Altersbegrenzung bis 30 fällt weg, außerdem winkt den Gewinnern neben Readux-Abdruck und Edit-Veröffentlichung jetzt auch ein E-Book beim Verlag Matthes & Seitz Berlin.

Richard Stoiber, der die Kooperation von Matthes & Seitz und New German Fiction betreut, sagt dazu: „Wir freuen uns sehr, uns als Partnerverlag an New German Fiction zu beteiligen. Der Wettbewerb und unsere E-Book-Reihe MSeB ergänzen sich wunderbar: Der Wettbewerb bietet Autorinnen und Autoren die Möglichkeit, sich ihre erste Leserschaft zu erschließen. Die Reihe MSeB ist offen für neue, kürzere Texte, lässt Experimente zu, die in anderen Formaten nicht realisierbar wären – die ideale Plattform für Gegenwartsliteratur. In das Projekt eingestiegen sind wir, weil uns die Texte der letztjährigen Preisträgerinnen Inga Machel und Judith Keller sofort überzeugt haben, wir wollten sie unbedingt in unser Programm aufnehmen; beide Texte erscheinen in diesem Monat. Die Jury, die aus Kolleginnen und Kollegen aus der Literaturbranche besteht, hat im letzten Jahr tolle Arbeit geleistet, wir blicken der diesjährigen Auswahl deswegen mit großer Vorfreude entgegen.“

Wie im letzten Jahr werden die Gewinnertexte sowohl auf Deutsch als auch in englischer Übersetzung publiziert. Der eingereichte Text sollte zwischen 25.000 und 50.000 Zeichen lang sein, Einsendeschluss ist der 31. Mai 2015. Teilnahmeberechtigt ist, wer bislang noch keine eigenständige Publikation veröffentlicht hat.

Direkt zum Einsendeformular geht es hier. Viel Glück!

In den Fakten planschen

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Jakob Nolte erzählt in seinem Roman Alff mit archivarischem Furor und irritierender Genauigkeit – eine Zumutung im besten Sinne.

Wer ist dieser Jakob Nolte? Selbst der Name seiner Heimatstadt, Barsinghausen am Deister, klingt wie ausgedacht. Wer ist dieser Jakob Nolte, der eine Hälfte des Autorenduos Nolte/Decar bildet, die auf dem PROSANOVA-Festival in Hildesheim 2014 ein Talkshow-Format präsentierten, das mit der eigenen Langeweile kokettierte, und Stücke schreiben, in denen allein die Variationen des Titels vier Seiten in Anspruch nehmen (Helmut Kohl läuft durch Bonn, UA 2014 ebendort)?

Zu Beginn sei vorgewarnt, dass auch dieser Artikel wenig Licht in das Mysterium der Autorenfigur Jakob Nolte bringen wird, der seinen Texten gerne Motti von Alternative-Bands wie den Silver Jews voranstellt, sich einen ganzen Aufsatz lang der Neil-Young-Ballade „Cortez The Killer“ widmet (in: Neue Rundschau 125/1) oder auf die wichtige Unterscheidung zwischen Skateboarding und der Skateboarding-Szene hinweist („Sanft wie die untere Haut am Schwanz“, in: BELLA triste 39). Zu den verlässlichen Fakten: Jakob Nolte wurde 1988 in Barsinghausen am Deister geboren, studierte szenisches Schreiben an der Universität der Künste in Berlin, in der Spielzeit 12/13 wurde am Landestheater Salzburg sein Stück Agnes uraufgeführt, im Herbst letzten Jahres feierte eine Bearbeitung der Christoph-Willibald-Gluck-Oper Die Pilger von Mekka am selben Ort Premiere. In diesem wenig bekannten Singspiel, einer Art Urversion von Mozarts Entführung aus dem Serail, begibt sich ein Aristokrat auf die Suche nach seiner Verlobten, die von Piraten entführt wurde. Am Hof des Sultans findet er sie wieder, die Flucht der beiden scheitert, doch der Sultan erkennt schließlich die Unverletzlichkeit der Liebe und lässt sie frei. Die Salzburger Nachrichten schrieben von einer „buffonesken Umtriebigkeit“, mit der sich die Schauspieler in das „ziemlich sinn- und zweckfreie Treiben auf der Bühne“ fügten.

Den kompletten Artikel lesen auf fixpoetry.com ➝

fixpoetry

Der Tod kam vorbei

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Das beste Argument für E-Books ist ja, dass sie Projekte möglich machen, die anders nur schwer realisierbar wären.

Ein solches Projekt ist das E-Book Tausend Tode schreiben aus dem Frohmann Verlag, mit dem Herausgeberin Christiane Frohmann die Rede vom „tausend Tode sterben“ wörtlich nimmt und tausend Autoren um Texte über den Tod gebeten hat. Teil eins der für März 2015 anvisierten Komplettedition ist gestern erschienen und versammelt biographische, essayistische, literarische und poetische Texte, Erinnerungen, Tagebucheinträge, Briefe zum Stichwortthema. Sie führen in Bestattungsinstitute, die sich an neuen Werbekampagnen probieren („Bei uns liegen Sie richtig“), Sterbehospize („Holzengel an der Tür bedeutet: tot“), zum Ground Zero, zum Permadeath in Videospielen, natürlich auf echte Friedhöfe und zu der Frage nach dem digitalen Nachlass, in die Kindheit zurück oder zu einem gerade erlebten Tod. Genau die richtige Lektüre für die dunkle Jahreszeit – und eine lebensrettende Maßnahme für viele tausend Bäume, die nicht für den Druck gefällt werden mussten!

Der Tod kam vorbei
wir haben uns unterhalten
bis er wieder ging

David Wagner

Christiane Frohmann (Hg.): Tausend Tode schreiben. Version 1/4, Frohmann Verlag 2014, 4,99 €

Und hier noch ein Hinweis in eigener Sache: Der Herausgeber wird in der nächsten Ausgabe von Tausend Tode schreiben mit einem Beitrag zum Thema „Musik, Tod Alltag“ vertreten sein.