Ich bin weniger ein Programm-Verlag als mehr ein Projekt-Verlag.“ – SteglitzMind stellt Peter R. Hellinger mit „art&words“ vor

Es heißt ja, dass die Kleineren unter den Verlagen zwar oho, aber viel zu wenig bekannt sind. Wer und wo sind sie? Wie behält man die immer größer werdende Kleinverlegerszene im Blick? Was treibt junge Verleger an und um? Welche Strategien verfolgen sie, um auf dem Buchmarkt Fuß zu fassen? Was packen sie anders an als die Etablierten? Wie definieren sie ihre Zielgruppe, wo finden sie ihre Nische? Welche Risiken sehen sie und wo verorten sie ihre Chancen?

Fragen, die in einer losen Gesprächsreihe mit Verlegern und Verlegerinnen aufgegriffen werden. Heute stellt sich ihnen Peter R. Hellinger, der vor sechs Jahren in Nürnberg art&words – verlag für kunst und literatur an den Start brachte. Den Vorschlag machte Michaela Stadelmann, die den Wunderwaldverlag betreibt.

Seit wann gibt es den Verlag?

Den Verlag gibt es seit Herbst 2008, die ersten Bücher wurden 2009 verlegt. Bis 2011 wurde der Verlag nebenher zum Hauptberuf betrieben, seit 2011 bin ich mit dem Verlag selbstständig.

Machst du alles alleine?

Peter R. Hellinger © privat

Peter R. Hellinger © privat

Ich bin gelernter Versorgungsingenieur, ein klassischer Quereinsteiger also. Bis heute bin ich der einzige „Angestellte“, habe aber mehrere freie Mitarbeiter, die mich im Vertrieb und Lektorat unterstützen.

Die Programmschwerpunkte…

Programmschwerpunkt ist zum einen der Bezug zur Region. Ich verlege bevorzugt Autoren aus der Metropolregion Nürnberg (fast ganz Nordbayern, von Thüringen bis zur Donau), wobei die literarische Bandbreite von Lyrik über Kurzgeschichten, Fantasy bis hin zum Regionalkrimi reicht. Fach- und Sachbücher mache ich dagegen nicht, also ein reiner Belletristik-Verlag. Kriterium ist immer die Qualität und Originalität der Texte, auch wenn sie manchmal nicht so ganz in die gängigen Schubladen des Buchhandles passen.

Lieferbare Titel?

Derzeit habe ich 12 lieferbare Titel, davon 9 sowohl als E-Book als auch als Print und eines nur als E-Book. Weitere zwei Titel sind in Vorbereitung und werden dieses Jahr noch erscheinen, darunter ein hochinteressanter Lyrikband eines jungen Autoren, der sicher noch von sich reden machen wird. Und für nächstes Jahr sind auch schon 3 bis 4 Projekte vorgemerkt.

Setzt du auf analog oder digital?

Die Frage „analog oder digital“ stellt sich für mich nicht: Seit 2011 erscheinen alle Titel sowohl als auch, denn der Leser soll sich an den Texten erfreuen und dabei ist es einfach eine Geschmacksfrage, ob man nun Print oder E-Book wählt. Es soll niemand an seinem bevorzugten Zugang gehindert werden.

Deine persönlichen Highlights im Bücherjahr?

© by art&words

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Da stehen natürlich die Verlags-Highlights im Mittelpunkt: Zum einen ein sensationeller Leseabend mit der vom Erlanger Poetenfest bekannten Schreibgruppe Wortwerk Erlangen (unter anderem mit Bestsellerautorin Natasha Dragnic), die ihr fünfjähriges Bestehen feierte und deren Anthologie „Zwischen den Regalen, ein Geheimnis“ bei mir im Verlag erschienen ist. Dazu ein wirklich toller Abend mit den fränkischen Autoren der Märchenanthologie „Wenn das die Grimms wüssten!“, die gerade vor einem Jahr den Deutschen Phantastikpreis als beste Anthologie 2013 gewonnen hat. Und nicht unerwähnt sollte der Überraschungshit „Haus der 13 Mörder“ bleiben, ein Experiment mit mehreren Autoren. Das Besondere dabei: Es gibt eine Rahmenhandlung, jeder der Autoren beschreibt einen der Hausbewohner bis hin zu dem Moment, an dem der Mord passiert und keiner der Autoren – bis auf einen, natürlich – wusste, wer der Mörder tatsächlich war. Dazu eine Auflösung in bester Agatha-Christie-Manier – was will man mehr? Dass die Leser sich auch auf so ein Spiel einlassen, freut den Verleger natürlich besonders.

Warum musste es in diesen Zeiten unbedingt ein Verlag sein?

Ich habe früher schon Artikel für Fachzeitschriften geschrieben und beruflich 20 Jahre lang sehr trockene Betriebshandbücher für Großkraftwerke verfasst. Irgendwann entdeckte ich die Lyrik für mich und begann – zugegeben schlechte – Gedichte zu schreiben. Dann besuchte ich Schreibwerkstätten für Kreatives Schreiben und lernte viele Menschen kennen, die tolle Geschichten erzählen konnten, die man aber nirgends in einem Buch kaufen konnte. Da reifte dann so langsam der Wunsch, etwas mit diesen Menschen und ihren Geschichten zu machen und irgendwann war dann klar, dass es ein Verlag sein musste.

Woher beziehst du trotz sattsam bekannter Schwierigkeiten dein Engagement?

Schwierigkeiten bin ich aus über 30 Jahren Tätigkeit in der Bauplanung und Bauleitung von Großprojekten gewohnt. Schwierigkeiten sind Herausforderungen und Chancen. Und es gibt wahrlich wenige Momente, die schöner sind, als das Leuchten in den Augen eines Autors, wenn er zum ersten Mal sein eigenes Buch in der Hand hat. Ich habe immer Lust auf gute Texte, auf Experimente, auf Neues, auf Gewagtes, auf Überraschendes.

Hättest du dir auch ohne die Innovationen infolge der Digitalisierung eine Verlagsgründung zugetraut?

Computer waren schon seit Anfang der achtziger Jahre meine hauptsächlichen Werkzeuge, sowohl beruflich als auch privat. Insofern ist die Digitalisierung nichts Überraschendes für mich, sondern eine konsequente Fortentwicklung und hat eigentlich bei der Frage „Verlag: Ja oder Nein?“ nie eine Rolle gespielt.

Was machst du anders als die anderen? – Wie positionierst du dich sich gegenüber der Konkurrenz?

Zunächst einmal konzentriere ich mich ganz auf die Region. Hier habe ich meine Kontakte zur lokalen Literaturszene und zum regionalen Buchhandel, hier kann ich etwas bewegen und habe mir im Laufe der Jahre einen Namen gemacht, der durchaus die eine oder andere Tür öffnen kann. Dann bin ich weniger ein Programm-Verlag als mehr ein Projekt-Verlag. Ich fühle mich nicht an ein bestimmtes Genre oder eine Buchsparte gebunden, ich suche eher die interessanten und ungewöhnlichen Projekte, Dinge, die die Literatur auch voranbringen. Bei allem Respekt vor dem Erfolg der Kollegen: Aber der drölfzehnte Regionalkrimi mit dem immer gleichen Personal und Handlungsrahmen lockt mich nicht – weder als Leser noch als Verleger. Ein spannendes Projekt, eine literarische Herausforderung, etwas frisches, durchaus auch abseits des Mainstreams, damit kann man mich reizen – auch in dem Bewusstsein, dass sich manches davon im Buchhandel schwer tun wird.

So du deinen Verlag neu aufstellen könntest, was würdest du heute anders angehen als in der Startphase?

© by art&words

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Viel früher ein zweites Standbein aufbauen. Neben der eigentlichen Verlagstätigkeit biete ich Verlagsdienstleistungen wie Design für Web, E-Book und Print, Korrektorat und Lektorat für Selfpublisher und andere Verlage an. Das hat sich zu einer der tragenden Stützen des gesamten Geschäfts entwickelt. Ich bin davon überzeugt, dass gerade in einer Zeit, in der sich Autoren zunehmend emanzipieren und professionalisieren, der Verlag vom Rundum-Sorglos-Paket bis zur spezialisierten Dienstleistung ein Angebot machen muss, wenn er im Markt bestehen will.

Wie gewinnst du Autoren?

Ganz einfach: Mit Ehrlichkeit, Aufgeschlossenheit und fairen Konditionen. So bezahle ich auch höhere Honorare als der Durchschnitt, weil ich der Meinung bin, dass das Veredeln eines Textes durch Satz, Layout und Lektorat nicht mehr Gewinn abwerfen sollte, als das Schreiben des Textes. Und natürlich habe ich mir inzwischen auch einen gewissen Ruf in der Region erarbeitet, so dass ich eher Probleme habe, alle interessanten Projekte annehmen zu können – letztlich ist das – neben der zeitlichen Begrenzung, die man als Einzelkämpfer nun mal hat – auch eine finanzielle Frage, denn so eine Druckauflage muss ja irgendwie vorfinanziert werden. Sicher könnte man mit offensiverer Investitionspolitik den Output an Titeln steigern. Bisher schaffe ich jedoch alles ohne bei der Bank groß Schulden anzuhäufen, das bewahrt auch mir wieder das Stückchen Freiheit, einen Titel zu produzieren, von dem sich vielleicht nur 100 Exemplare verkaufen, den ich aber wichtig und gut finde.

Wie organisierst du deinen Vertrieb?

Man findet meine Produktionen natürlich im VLB, und bei den einschlägigen Barsortimenten. Insofern ist damit jedes Buch auch in jeder Buchhandlung bestellbar und natürlich auch in den Online-Shops aller wichtigen Händler zu finden. Lager und Versand der Printausgaben übernimmt meine Hausdruckerei, die das zu wirklich günstigen Konditionen hervorragend handhabt. Die E-Books werden über einen Distributor in den Online-Shops platziert, und natürlich gibt es auch eine eigene Website des Verlags.

Was tust du, um im Buchhandel Fuß zu fassen? – Wie sind deine Erfahrungen mit dem Sortiment?

Kurz und schmerzlos: Klinken putzen. Es hilft nur der direkte persönliche Kontakt mit dem Buchhändler – etwas was in dieser Form nur Verlage mit Vertreternetz effektiv nutzen können. Als kleiner Verlag muss man sich da einfach auf die Region beschränken, alles andere ist jenseits der Möglichkeiten. Seit diesem Jahr habe ich allerdings eine freie Mitarbeiterin, die die Buchhandlungen der Region abklappert, die Bücher vorstellt und Bestellungen entgegen nimmt. Erfahrungen? In den Ketten wie Thalia dürfen die Mitarbeiter oft nicht so, wie sie gerne würden, während die kleinen unabhängigen Buchhändler schon auch mal ein Risiko eingehen, wenn die Konditionen stimmen. Und immer gibt es auch den Buchhändlersnob, für den alles Heftromanniveau hat, was nicht mit Hanser oder Suhrkamp auf dem Cover daherkommt.

Wie hältst du es mit Amazon?

Ohne Amazon gäbe es vermutlich keine Selfpublisher-Szene, wie wir sie heute kennen und das E-Book hätte nicht so einen rasanten Aufstieg hingelegt. Etwa die Hälfte meines E-Book-Umsatzes kommt von Amazon, das sagt da schon einiges, auch wenn dieses Jahr die Tolino-Allianz stark aufgeholt hat. Bei Amazon darf man halt eines nicht aus dem Auge verlieren: Niemand macht dort etwas der Literatur wegen, oder um die armen, bisher nicht veröffentlichten Autoren aus ihrem schrecklichem Schicksal zu befreien. Hier geht es um knallhartes Business und das Ausschalten der traditionellen Strukturen. Auf Print-Seite war Amazon noch nie der „Umsatzbringer“ für mich, was vermutlich an der speziellen regionalen Ausrichtung des Verlags liegt. Grundsätzlich kann man natürlich an den knapp 20% des Buchmarktes, den Amazon hierzulande repräsentiert, nicht einfach vorbei gehen.

Was tust du für dein Marketing?

© by art&words

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Natürlich schalte ich Werbeanzeigen in Online- und Printmedien und versorge die regionalen und überregionalen Zeitungen und Multiplikatoren mit Pressemitteilungen und veranstalte auch Lesungen mit den Autoren. Dabei versuche ich auch von der klassischen Wasserglas-Lesung wegzukommen, suche ungewöhnliche Orte für eine Lesung (z. B. ein Waschsalon, eine Galerie und sogar – für unseren bisher einzigen Erotik-Titel – ein Bordell). Gerne peppe ich so eine Lesung auf, das geht von Live-Musik bis zu schauspielerischen Darbietung. So hatte ich bei einer Lesung zu unserem Vampir-Thriller zwei Schauspielerinnen, die als sehr echt aussehende Vampire durchs Publikum schlichen und am Ende tatsächlich einen Besucher (mit dem das natürlich abgesprochen war) das Blut aussaugten. Oder bei der Buchpremiere zum „Haus der 13 Mörder“ mischte sich immer der im Buch Ermordete in Gestalt eine Schauspielers ein, um den ein oder anderen Kommentar abzugeben, was dem Publikum schnell klar machte, warum denn einer der 13 Hausbewohner zum Mörder geworden war. Den lokalen Buchhandel beliefern wir mit Leseexemplaren, stellen unsere Neuerscheinungen vor und versuchen uns auch mit Kooperationen: So sind Bücher aus dem Verlag – wie in den letzten Jahren auch schon – im Weihnachtskatalog der ältesten deutschen Buchhandlung Korn & Berg aus Nürnberg vertreten.

Wie hältst du es mit dem Börsenverein für den deutschen Buchhandel?

Sagen wir es mal so: Ich begleite das wohlwollend. Nein im Ernst, für einen Klein- und Miniverleger wie mich sind die 500 Euro Mindestjahresbeitrag, die das hier in Bayern kostet, ein Haufen Geld: da kann man schon mal 200 Bücher für drucken lassen. So richtig vertreten sehe ich auch andere Kleinverlage nicht im Börsenverein; mal sehen wie das nach den strukturellen Änderungen aussieht, die in den nächsten Jahren anstehen. Und in Anlehnung an eine Schokoladenwerbung der 90er: Da stecken wir lieber jeden Euro in unsere Bücher.

Für wen machst du Bücher?

Die Zielgruppe ist der interessierte und aufgeschlossene Leser, der gerne auch mal abseits von Mainstream und Bestsellerliste Lust auf Literatur hat und sich auch einmal an unbekannte Autoren wagt, die in der Regel nicht weniger gut schreiben, als die Bekannten. Und die Marktnische ist eben der regionale Faktor: Viele Leser sind überrascht, dass es praktisch „um die Ecke“ auch tolle Autoren gibt.

Wo siehst du für deinen Verlag die größten Chancen?

Ganz klar die weitere Digitalisierung der gesamten Herstellprozesse sowohl im Print als auch im E-Book-Bereich. So nutze ich heute schon die Möglichkeiten des Digitaldrucks, um kleinere Startauflagen zu erstellen und so das finanzielle Risiko abzumildern, kann damit aber auch flexibel auf die Nachfrage reagieren, da meine Hausdruckerei schon am 20 Stück Nachdruck mir die gleichen Konditionen wie zur Erstauflage bietet.

Welche besonderen Risiken verortest du?

Besondere Risiken sehe ich eher nicht, mehr die allgemeinen; sich an einem Projekt finanziell zu verheben oder mal einen richtig krachenden Flopp zu produzieren. Bisher habe ich das aber ganz gut im Griff.

Was schätzt du an der Independent-Szene besonders?

Das „independent“ natürlich – was für eine Frage! Klar wäre es schön auf der finanziellen Seite einen starken Partner zu haben und zu wissen, dass mehr als nur die nächsten 6 Monate abgesichert sind. Nur haben starke Partner oft die Angewohnheit, sich auch in die künstlerischen Aspekte einzumischen und da liebe ich einfach meine Freiheit auch mal ein Buch zu produzieren, das provokant ist, das ungewöhnlich und sperrig ist und nicht glattgeschliffen von zu viel Vertretermeinung und Lektoratsduckmäuserei.

Was würdest du jenen raten, die mit dem Gedanken spielen, einen Verlag an den Start zu bringen?

Gut überlegen! Ich bin mehr oder weniger blind mit einer laxen Bemerkung á la „Das kann ich besser!“ da rein gestolpert – eine Bekannte zeigte mir ein Angebot eines Druckkostenzuschussverlags – und bin Verleger geworden. Natürlich habe ich aus früheren Tätigkeiten schon viel Wissen mitgebracht, aber einiges – vor allem die Aspekte Marketing und kaufmännisches Handeln musste ich doch auf die „harte Tour“ lernen.

Welche kleinen, unabhängigen Verlage empfiehlst du? Und wer sollte in dieser Gesprächs-Reihe möglichst auch zu Wort kommen?

Vielleicht die Kollegin Sonja Rüther von Briefgestöber?

Herzlichen Dank, Peter, für diesen Einblick.

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Ich würde mich freuen, wenn Ihr das Vorhaben unterstützt, kleinere Verlage zu entdecken. Etwa indem Ihr Vorschläge macht, wer hier möglichst Rede und Antwort stehen sollte. Und bitte vergesst nicht auf die entsprechenden Verlage zu verlinken. – Danke sehr! Mehr zur Intention der losen Gesprächsreihe mit Verlegerinnen und Verlegern erfahrt Ihr hier. Zu einer Übersicht über die Empfehlungen, die bislang zusammengekommen sind, geht es hier

art&words im Netz:

Im Web:          http://art-and-words.de

Twitter:            https://twitter.com/art_and_words

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