Auf den Stapel gebracht. Oder: „Ich hasse kostenlos!“ (Sibylle Lewitscharoff)

Stapelware. Kein schönes Wort. Für mich jedenfalls nicht. Ich assoziiere damit Billigware: Ausverkauf, Ramsch. Für den raschen Verbrauch produziert. Nix Nachhaltiges und Wertiges. Und: Kultur verbinde ich mit Marketingstrategien à la „Alles muss raus!“ ganz und gar nicht.

Der Buchmarkt freilich will mir anderes weismachen: Dass Quantität Qualität ist. So ich nicht die kleine, wohl sortierte Buchhandlung aufsuche, zählt hier offenbar nur noch das, was sich möglichst hoch stapeln lässt. Masse statt Klasse. Auf Tischen und Paletten getürmte Gebrauchsgegenstände, die man (nach der Lektüre) zum Altpapier geben kann. Und die Programmverantwortlichen in den Verlagshäusern geben bisweilen sogar öffentlich zu, dass sich nur das rechnet, was sich stapelweise in den Handel „reinstellen“ lässt. Dass sich Gewinne nur mit Quantität, statt mit Qualität machen lassen.

Mit Wehmut denke ich an meine Kindheit und Jugendjahre zurück. Da war das Buch noch keine Stapel-, sprich: austauschbare Massenware. Und die Verlage auch nicht auf dem Weg zu einer Monokultur, die auf Umsatzbringer aus ist. Damals drehte sich im Buchmarkt noch nicht Alles um die sogenannten Schnelldreher, jene Titel nämlich, von denen angenommen wird, dass sie weggehen wie „geschnitten Brot“.

Bücherstapel stießen mir damals höchstens beim Aufräumen meines Zimmers unangenehm auf. Buchhandlungen präsentierten Bücher mehrheitlich wertig. Und der Ausdruck Stapelware wurde dort lediglich im Zusammenhang mit Mängelexemplaren gebraucht, die von der Buchpreisbindung ausgenommen waren. Gebrauchte Bücher und Auflagen, die länger auf dem Markt waren, wurden als sogenannte Stapelware auf ausgewiesenen Tischen zu Sonderpreisen verkauft. Das ist vorbei. Heute wird gestapelt, was das Zeug bzw. Tisch und Palette halten. Doch, sage ich mir zu meiner Beruhigung, wie sagt der Volksmund so schön: Wer hoch fliegt, der fällt auch tief!

Bestseller Sarrazin bei Hugendubel in der Steglitzer Schloßstraße. (c) Gesine von Prittwitz

Wie konnte es denn zum permanenten Ausverkauf kommen, den uns die Buchbranche seit Jahren signalisiert? Ein Grundstein wurde wohl vor 30 Jahren gelegt, als sich die ersten Filialisten anschickten, an der Auslage des Buches zu feilen. Mit den Best-Sellern, den Schnelldrehern, die die großen Ketten und Kultur-Kaufhäuser auf immer höher wachsenden Stapeln darboten, setzte ein Prozess ein, der die „geheiligte Ware Buch“ (B. Brecht) heute ziemlich gerupft aussehen lässt. Und die Verlage, die der Einkaufspolitik der großen Filialisten entsprachen? Auch sie haben ihren Anteil daran, dass der Ruf des Buches Schaden nahm.

„Nur dann, wenn ich Geld bezahle, weiß ich, dass ich ein Buch will. Ich hasse kostenlos!“, soll Sibylle Lewitscharoff laut einem Tweet am 21. Juni auf den Buchtagen Berlin 2012 verlautbart haben. Das kann man so stehen lassen. Wäre da nicht eine Frage offen: Leistet derjenige, der Bücher jahrzehntelang weit unter Wert handelt und präsentiert, nicht genau jener Kostenlosmentalität Vorschub, die die Protagonisten der Buchbranche derzeit fürchten wie der Teufel das Weihwasser?

Das ramponierte Image, das die Branche zu weiten Teilen selbst verschuldet hat, vermag das geltende Urheberrecht sicherlich nicht aufzuhübschen. Ob eine PR-gestützte (Marketing-) Kampagne, die der Börsenverein auf den Buchtagen plante, das Ansehen des Buches und der Branche wieder aufzurichten vermag, mag man ebenfalls anzweifeln. Eine Kehrtwende zeichnet sich allenfalls deshalb ab, weil Filialisten zunehmend einräumen müssen, dass Bücher keine Schnelldreher sind, die stapelweise weggehen wie „warme Semmeln“.

4 Kommentare zu “Auf den Stapel gebracht. Oder: „Ich hasse kostenlos!“ (Sibylle Lewitscharoff)

  1. Höher – schneller – aber in diesem Falle nicht weiter.

    Der geistige Müllberg wächst mit ungeheurem Tempo.
    Man erinnere sich nur an „Nichts als die Wahrheit“
    von Dieter Bohlen, ein Buch welches einst
    auf der Frankfurter Buchmesse und anderswo einen
    maßlosen medialen Hype erfuhr,
    dass andere, weit wertvollere Bücher und Autoren,
    reihenweise absoffen oder im Bohlschen Sumpf
    elendig verendeten.

    Nun also die Sarrazin-Keule, die gepushed wird,
    wo einem im wahrsten Sinne des Wortes
    Hören und Sehen vergeht.
    Angesichts des Angebotes in der ersten Reihe,
    also den Bestsellern,
    verlieren viele Menschen die Lust am Lesen,
    weil die branchentypischen Stars der Schreiberei,
    die oftmals nicht mal ihre Bücher selbst schreiben,
    mehr langweilige Provokateure als geistige Größen sind.

    Das Buch und sein Schöpfer in der Historie betrachtet,
    war aber von jeher eine Tat geistiger
    Schöpferkraft und nicht ein verschriftlichter Toilettengang.

  2. Lewitscharoff vergreift sich bei dem Thema seltsam im Wort. Lustig, wie sie mit dem Wort „hassen“ in den Jargon verfällt, der genau typisch ist für die Netz-Kommentarwut, die sie gar nicht mag. Emotional viel zu stark, so dass sie natürlich gleich mal ordentlich Widerspruch erntet. Und sachlich auch insofern zweifelhaft, wenn man daran denkt, wie viele Bücher verschenkt werden, zu Geburtstagen etc. Der Punkt ist trotzdem nicht ganz verkehrt. Denn: Wenn ein Produkt nichts kostet, verlangt es mir keine positive Entscheidung ab, kein Abwägen. Es tritt dann ein All-you-can-eat-Effekt ein, ganz stark bei Gratis-Musik zu beobachten und man stopft mehr auf seine Festplatte, als man braucht und vieles nur, WEIL es nichts kostet.
    Preis und Wertempfinden sind im übrigen psychisch schon miteinander verknüpft. Sie korrelieren in fast allen Märkten miteinander. Schön zu beobachten bei Schokolade (z.B. „A Box Of The Most Expensive Chocolate Will Leave Brits Poorer By £190“). Dabei spielen auch Präsentationsform und Verpackung eine Rolle, auch die „Marke“ (das kann auch ein Verlag sein, siehe „Suhrkamp-Buch“). Nachdem die Standard-Schokolade fast jahrzehntelang nicht über eine gewisse Preisschwelle hinüberkam (zu DM-Zeiten war das 1 Mark für 100 Gramm – sobald die Hersteller über 1 Mark gingen, büßten sie Umsätze ein), ist man vor einiger Zeit dazu übergegangen, die Schoko zum Delikattessen-Artikel umzudekorieren und so kriegt man wieder auch im Supermarkt angemessene Preise für eine gut produzierte Schoko.
    Auf der anderen Seite gibt es viele Märkte, wo die Hersteller kaum aus der Wertvernichtung wieder herauskommen, nachdem sie die Wertanmutung beschädigt haben, z.B. durch Preiskämpfe und Billigangebote. Im Buchhandel ist es allerdings ein wenig anders, weil zunächst jedes Buch nur für sich selbst steht und weil es wegen der Buchpreisbindung auch überall das Gleiche kostet. „Stapelware“ kriegt da die umgekehrte Bedeutung von „besonders beliebt“, „wichtig“, „Bestseller“. Ich glaube, kaum irgendwo sonst kann sich der innewohnende, echte Wert so wie bei „Kulturwaren“ vom Preis-Wert-Signal lösen. Z.B. habe ich vor vielen Jahren mal in einem Antiquariat den Fund gemacht, Wolfgang Koeppens ersten Roman „Eine unglückliche Liebe“ in der Estausgabe von 1934 für 4 Euro zu finden bzw. damals 8 Mark. Derzeit bei ZVAB für 300 Euro zu haben … Das Buch wäre mir aber so oder so „etwas wert“, und der Wert-Preis ist ziemlich unbezifferbar, nur ein Marktpreis, kein Qualitätssignal.
    Hauptsächlich werden Bücher sowieso nicht mit Geld bezahlt, sondern mit Zeit. Deshalb kann man mit 100.000 Bücher gratis anbieten und ich würde sie nicht haben wollen, weil ich keine Minute darauf verschwenden möchte. Und deshalb hat Katharina Hacker auch ganz richtig gesagt: Ob jemand meine Bücher irgendwo gratis liest, sei ihr eigentlich unwichtig – wichtig sei, dass der „Leseethos“ stimmt, also die Genauigkeit und Hingabe an das Buch. Und da besteht natürlich die Gefahr, dass verschenkte oder sehr billige Bücher dann tatsächlich auch gar nicht mehr gelesen werden, sondern nur noch irgendwo missachtet herumstehen. Insofern kann man Lewitscharoffs Aufwallung dann vielleicht doch verstehen – sie „hasst gratis“, weil es das Lesen der Bücher eben nicht fördert, sondern untergräbt.

  3. Die Aussage „Ich hasse kostenlos“ und die damit verknüpfte Assoziation von Geld und Wert kann ich so nicht stehen lassen. Ist alles nur wertvoll, das Geld kostet oder einbringt? Ist es nicht gerade diese Mentalität, welche vielen Menschen zu schaffen macht bei ihrem Selbstwert sowie bei ihrem Status in der Gesellschaft? Ist ein Verwaltungsrat oder CEO eines Grosskonzerns mit Jahresgehalt von Millionen dementsprechend mehr wert als die Putzfrau des Spitals? Die Krankenschwester leistet weniger für die Gesellschaft, die Menschen an sich als der Bankdirektor?

    Und um den Bogen zu schlagen: Ist Kunst, die kostet wertvoller (nicht nur als Geldanlage) als Kunst, die nicht kostet, die im Hinterhof entsteht? Hat nur der Künstler, der profitabel künstlert Kunststatus, der andere ist Hobbyist? Was ist Kunst? Vermarktbare und verwertbare Produktion?

    Ich denke, die heutige Gesellschaft driftet sehr in diese Richtung. Sag mir was du verdienst und ich sage dir, was du wert bist – ob du überhaupt wert bist, dass ich mit dir spreche. Fehlt das Geld, fehlt oft das Umfeld bald damit. Billig wird mit Ramsch gleichgesetzt, einfach auch, weil das natürlich von grossen Ladenketten so vorgemacht und in den Köpfen festgesetzt wird. Alles, was nichts taugt (vor allem für den Profit des Unternehmens, weil es zu viel teuren Lagerplatz füllt ohne in warmer Semmel-Manier wegzugehen) wird verramscht. Bücher dabei oft mit Stempel drauf: Mängelexemplar. Abgestempelt. Als Müll gebrandmarkt. Was mal mit Eifer geschrieben wurde, dümpelt auf dem Ramschtisch.

    Wie kam man dazu, nun plötzlich die Renner so anzubieten, wie man früher den Ramsch verhökerte? Das hat wohl viele Gründe: Massenproduktion ist günstiger als Einzelanfertigung. Je grösser die Auflage, desto geringer die Kosten pro Exemplar. Des Weiteren gaukelt eine grosse Masse eines Buches mit knalligem Plakat drüber vor, das Buch sei ein Renner, drum hätte man so viele davon, dass es auch ja reiche. Und keiner will der sein, der gerade das Buch nicht gelesen hätte, wenn es denn dann in aller Munde wäre. Spiegelbestseller. Buch des Jahres. Neuerscheinung des Millionenverkäufers. Das muss man gelesen haben. Noch hat es Stapel. Also auf sie mit Gebrüll. Mit Wert hat das wohl wenig zu tun. Aber auch nicht mit Unwert. Es ist eine Zeiterscheinung. Und nicht die positivste in meinen Augen.

    Was ist Wert? Was verdient das Prädikat wertvoll? Wem geben wir wieviel Wert und nach welchen Kriterien? Keine einfache Frage. Vor allem nicht allgemein beantwortet. Grundsätzlich würde ich mal auf die Schnelle sagen: Wert für hat ein Mensch oder eine Sache dann, wenn sie mir gut tut. Das ist nicht im Sinne von „Ich kann davon profitieren“ gemeint, sondern eher im Sinne von „ein gutes Gefühl vermitteln“. Genauso möchte ich mir selber Wert sein, mich mit solchen Dingen zu umgeben. Und vor allem auch, mich anderen gegenüber so zu verhalten, dass sie eben auch ein gutes Gefühl haben. SO würde wohl vieles in dieser Welt an Wert gewinnen. Und dann könnte sogar ein Buch, das irgendwo gratis abgegeben wird, sehr wertvoll sein, während auch die Platinvergoldete Ausgabe eines für mich unlesbaren Buches noch keinen Wert (für mich) hätte.

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