Buchaffine Blogbetreiber, die sich jeweils in Kurz-Interviews präsentieren, sprechen Blogempfehlungen aus, deren Betreiber wiederum eingeladen werden, sich den Fragen zu stellen. Das ist Ziel der losen Interview-Reihe „Steglitz stellt bibliophile Blogger vor“, deren Intentionen ich anderenorts detaillierter erläutert habe.
Heute präsentiert sich Zeitspiegel. Der Vorschlag kommt von Sandra Matteotti, die hier ihre Blogs Denkzeiten und Bücherwelten bereits vorstellte und sich für ein Gespräch mit dem Betreiber ausgesprochen hatte.
Dein Steckbrief in Stichworten …
Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust. Eine naive Träumerei und die Liebe haben mich beruflich den Weg der Medizin einschlagen lassen. Von Anlage und elterlicher Prägung bin ich Geisteswissenschaftlicher. Die Reflexion des Handelns hat mich seit Jugend fasziniert. Die philosophischen Grundlagen und die Spiegelung in der Literatur haben mich zeitlebens beschäftigt. Die Interaktion mit anderen war und ist mir hierbei besonders wichtig.
Seit wann, warum und wo bloggst du?
Leider erst seit zwei Jahren. Hätte der Boom des Bloggens früher eingesetzt, wäre ich vermutlich schon viel länger dabei. Antrieb ist, alternative Sichten auf das Zeitgeschehen anzubieten, die nicht immer dem main stream entsprechen und nach Möglichkeit in Interaktion zu treten. Debatten sind meist für zwei unterschiedliche Standpunkte konstruktiv. Ich habe WordPress gewählt, da mir das Layout zusagt und Interaktion leicht möglich ist. Schlecht sind meiner Ansicht nach leider – zumindest auf der deutschen Plattform – die Möglichkeiten, Artikel zu bestimmten Themen zu recherchieren oder angesagte oder positiv bewertete Blogs zu aktuellen Themen aufzufinden.
Deine Themenschwerpunkte …
Primär Reflexion des Zeitgeschehens, frei von Machtinteressen und Ideologien. Grundlage ist der Humanismus, sowieso ein fragiles Gut. Ansonsten Literatur, Film sowie Philosophie und Neurobiologie im Diskurs. Und, ich gestehe, ab und zu Ferndiagnosen eines verhinderten Fußballkommentators.
Was treibt dich in der Literaturszene, dem Literaturbetrieb derzeit besonders um?
Der Schwerpunkt meines Blogs ist das Zeitgeschehen, weniger Literatur. Ich bin bei Büchern sehr wählerisch. Sie müssen mir Standpunkte nahebringen und mich möglichst auch stilistisch ansprechen. Der Dualismus Frau/Mann ist für mich zumindest in Romanen fast unverzichtbar. Kundera kann ich in Endlosschleife lesen, Jonathan Franzen verehre ich und Philip Roth habe ich zumindest in jüngeren Jahren verschlungen (die Bücher sind etwas repetitiv). Almudena Grandes wird meiner Meinung nach nicht ausreichend gewürdigt und Frans de Waal ist meine neurobiologische Referenz. Auch zeitgenössischen, stilistisch eher trivialen Werken, wie Charlotte Roches Schoßgebeten, kann ich etwas abgewinnen, wenn sie mit Tabus brechen, oder im speziellen Fall Roche, bewundernswert die Verarbeitung eines schweren Traumas aufzeigen.
Wie machst du dein Blog und deine Beiträge bekannt?
Tja, wer hätte nicht gerne eine große Leserschaft!? Aber das professionell anzugehen: Wer die Geister ruft. Ich pushe meine Artikel über Twitter, im Freundeskreis über Facebook und bei aktuellen Themen gerne auch mal in Leserforen, z.B. Spiegel online, was meist sogar am besten funktioniert.
Was sollte ein Blogger besser sein lassen?
Das, was allgemein für Schreibende bzw. Publizierende gilt. Nicht polemisieren, nicht beleidigen. Immer auch den Standpunkt anderer respektieren oder zumindest tolerieren. Bei aggressiven Verschwörungstheoretikern, leider recht zahlreich im Netz, stehen mir immer die Haare zu Berge. Wo ist da Interaktion möglich? Das ist für mich wie Hirschröhren im Wald. Andererseits lassen einen natürlich auch vollkommen kritikfreie Lobeshymnen auf Bücher, Filme o.a. kalt. „Do something new, individual or different“ sollte das Credo sein.
Welche Hürden muss ein Blogger nehmen?
Zwar schreibe ich nicht mit absoluter Notwendigkeit für andere, aber man möchte doch gerne gelesen werden. Hier in der Vielzahl von Angeboten/Blogs wahrgenommen zu werden oder selbst filtern zu können, ist schwierig. Und mit sogenanntem „shitstorm“, grenzwertigen oder destruktiven Kommentaren umzugehen, ist nicht einfach.
Dein schönstes Erlebnis als Blogger …
Im Alltäglichen die Interaktion, im Besonderen die Interaktion mit denjenigen, mit denen man fast alltäglich interagiert. Ein schönes Erlebnis war auch, als eine Guttenberg-Satire über 1000 Leser hatte. Tja, die Humor-Rubrik liegt ja öfters vorne im Vergleich zu den gesellschaftspolitischen Themen, die einem eigentlich am Herzen liegen.
Wie gehst du damit um, wenn dir Verlage, Agenturen oder Autoren Rezensionsexemplare anbieten?
Wunschdenken …
Wie hältst du es mit E-Book?
Da mein Blog ja eher journalistisch ausgerichtet ist, für mich noch kein wesentliches Thema. Objektiv eine nette praktische Option, aber mehr auch nicht. Die absehbare Flut an Veröffentlichungen bringt für den Einzelnen keinen großen Vorteil. Qualität ist das Kriterium und der Zufall, was hochgespült wird.
Welche anderen Blogs empfiehlst du (max. 5). Und welcher bibliophile Blogger sollte in dieser Gesprächs-Reihe möglichst auch zu Wort kommen?
Es gibt erstaunlich viel Lesenswertes, insbesondere stilistisch im Netz bzw. in Blogs. Oft aber auch gerade von jungen Menschen, auf der Suche nach der eigenen Identität, die man nicht allgemeingültig empfehlen kann. Auch eine mehr oder weniger persönliche Empfehlung, aber vorbehaltlos, ist der Blog Denkzeiten „Life of philosophy – philosophy of life“ von Sandra Matteotti, die sich hier ja bereits vorgestellt hat. Wer sich für die Grundfragen der Philosophie „Was ist der Mensch?“, „Wer bin ich?“, „Wer soll, wer möchte ich sein?“ interessiert und in Interaktion treten will, sollte hier mal hineinlesen.
Und empfehlen möchte ich noch text krieg, das Blog von Ada Blitzkrieg aka @bangpowwww on Twitter. Klingt martialisch, ist aber das, was man sich idealerweise unter einem jungen Menschen vorstellt, der auszog, die Welt zu entdecken und zu verändern. Nicht immer ausgereift, aber stets in Bewegung, kreativ, neugierig, unvoreingenommen, schlagfertig. Ein Interview mit ihr hat meist smartere Antworten als Fragen zur Folge. Try it!
Schau’n mer mal zu … Und danke sehr, Zeitspiegel, für das interessante Porträt!
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In der losen Gesprächsreihe stellte sich zuletzt Klausbernd Vollmar vor, der kbvollmarblog meist von Norfolk aus betreibt. Auf Wunsch von Mila von den Seitenspinnerinnen empfahl er auch englischsprachige Blogs. Als Gesprächspartner für SteglitzMind schlug er den Betreiber von Jargs Blog und Dieter Wunderlich vor, der über Buch und Film bloggt.
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