Noch mehr Antworten auf die Frage: Sind bibliophile Blogger Nostalgiker?

Am 24./25. Mai findet LiteraturFutur in Hildesheim statt – und auch ich bin dabei. Konzipiert wurde das Format von Studenten der dortigen Universität, die sich mit Kreativem Schreiben, Kulturjournalismus und Kulturwissenschaften beschäftigen. Diskutiert wird über die Zukunft der Literatur und neue Formen der Literaturvermittlung unter digitalen Bedingungen. Gemeinsam mit eingeladenen Autorinnen und Autoren, Literaturvermittlern, Experten aus Verlagen und Agenturen wollen sie während der Veranstaltung versuchen, einige vorläufige Antworten zu finden.

© Litfutur Hildesheim 24./25 Mai 2013

© Litfutur Hildesheim 24./25 Mai 2013

Im Vorfeld der Hildesheimer Zusammenkunft führte Lew Weisz ein Interview mit mir – ein Schnipsel aus meiner langen Rede findet sich hier.

Unter anderem wollte die sympathische Studentin von mir wissen, ob bibliophile Blogger Nostalgiker sind. Da ich das selber gerne wissen möchte, habe ich nicht lange gefackelt und jene um ein Statement dazu gebeten, die bei der losen Interview-Reihe „Steglitz stellt bibliophile Blogger vor“ dabei sind.

Seitdem ich die Frage, deren Sinnhaftigkeit sich nicht unbedingt auf Anhieb erschließt, an Bloggerinnen und Blogger weitergereicht habe, zieht sie im Netz Kreise. So machte sich hier Jost Renner darüber so seine  speziellen Gedanken, Stefan Mesch steuerte SteglitzMind einen Essay bei und den Krimi-Depeschen war die Frage sogar eine Extra-Nostalgie-Ausgabe wert.

Heute folgen weitere Stellungnahmen von elf Bloggerinnen und Bloggern, für die ich Euch herzlich danke sage!

Wenn ich durch ein Antiquariat laufe, spüre ich die Nostalgie an meinem Mantel zupfen. Dort stehen die Bücher oft bis hoch an die Decke und verströmen ihren eigenen Geruch, an dem ich mich nicht satt schnuppern kann. Die Ausgaben sind meist älter als ich und zeigen mir mit ihren Seiten wie viele Jahre sie schon auf dem Buckel haben. Sie nehmen mich mit in ihre eigene Welt, eine Zeit, die vor mir da war und die ich gern betreten würde, damals, als es beispielsweise literarische Kreise wie die Gruppe 47 gab.

Bücher sind nicht nur Boten der Phantasie und Gedanken, sie reflektieren auch die Gegenwart, in der sie geschrieben werden. Genau betrachtet ist es nicht nur die Nostalgie, die alte Ausgaben in mir hervorrufen, sondern auch reine Neugier. Die ist es, die uns bibliophile Blogger zu den Büchern führt. Warum schlagen wir sonst Bücher auf? Die Nostalgie mag uns hier und da streifen, den einen berührt sie mehr, den anderen weniger, aber sie ist es nicht allein, die uns täglich über Bücher schreiben lässt. Simone Finkenwirth aka Klappentexterin

Ich kann mit solchen blinden Verallgemeinerungen nichts anfangen. Warum sollten bibliophile Blogger Nostalgiker sein? Klar, könnten sie sein. Genau wie Schrebergärtner oder Autobahndrängler. Ich sehe da schlicht keinen Zusammenhang, dafür aber ein sonderbares Klischee, das versucht, zwei Dinge gewaltsam zusammenzubringen. Stephan Waldscheidt mit Schriftzeit

Wikipedia sagt zu Nostalgie unter anderem: „Nostalgikern wird oft Gegenwartsflucht vorgeworfen.“

So gesehen muss ich die Frage mit ja beantworten, denn mit dem Lesen von Büchern flüchte ich in eine andere Welt. Ansonsten sehe ich bibliophile Blogger nicht als Nostalgiker. Wenn viele auch zum altbewährten Notizbuch und zum Kugelschreiber greifen, um sich Notizen für einen Post zu machen, ist es danach das Internet, in dem die bibliophile Begeisterung verbreitet wird. Und da kann man wohl kaum von Nostalgikern reden. Buechermaniac von der lesewelle

Ob „bibliophile Blogger“ Nostalgiker sind, weiß ich nicht. Zum einen halte ich den Begriff für sehr heterogen (vor allem, wenn ich die Liste der von Dir vorgestellten Blogger sehe). Zum anderen weiß ich nicht, ab wann man ein Nostalgiker ist. Zu viele Etiketten – sorry. Gregor Keuschnig mit Begleitschreiben

Ich habe bei deiner Frage einfach definitorische Probleme. Was ist bibliophil und was ist nostalgisch? Letzteres bedeutet ja, grob gesprochen, vergangene Zeiten hochzuhalten und ihnen zu huldigen, indem man ihnen auch ein wenig nachtrauert. Und bibliophil kann eine eher kunstgewerbliche Annäherung an Literatur bedeuten (bibliophile Ausgaben…) oder generell eine Liebe zum Geschriebenen. Wenn ich für mich gelten lasse, Literatur zu lieben und durchaus auch solche vergangener Zeiten, bin ich ein „bibliophiler Nostalgiker“. Aber doch nur, um die Gegenwart besser verstehen und analysieren zu können. Ich bin Traditionalist, weil ich glaube, dass man Traditionen nur fortsetzen und manchmal auch überwinden kann, wenn man sie überhaupt kennt. Etwas, das z.B. den deutschen Krimi betreffend, völlig im Argen liegt. Mit Nostalgie hat das sehr wenig bis gar nichts zu tun. Mit Bibliophilie als kunstgewerblicher Impuls ebenso nicht. Aber wer nicht zurückschaut, schaut auch nicht nach vorne. Oder schaut nach vorne, aber ins Dunkel… Dieter Paul Rudolph mit Krimikultur: Archiv

Bibliophile Blogger Nostalgiker? Nein. Wir bloggen über EINE Form des Geschichtenerzählens, das selbst seit x000 Jahren existiert 😉 Bettina Schnerr-Laube mit Bleisatz

Du hast mich / uns gefragt – und ich versuche mal kurz zu antworten. Bzw. hm, wie soll ich es ausdrücken: so richtig verstehe ich die Frage ja nicht. Wieso sollten denn bibliophile Blogger überhaupt Nostalgiker sein? Sind Blogger nicht Menschen, die sich im Netz bewegen, eine bestimmte Affinität zum digitalen Medium haben, was ja eher auf eine Neigung zur Modernität, zur Zukunft und nicht zur Vergangenheit und Nostalgie hindeutet?

Meint Nostalgie dann eher die Tatsache, dass sie vermutlich noch gedruckte Bücher bevorzugen, obwohl sie sich im Netz bewegen? Oder eher das ihr Content, das sie bevorzugen, Langtexte sind? Und eben nicht kurze Gebrauchstexte aus dem Internet? So wie für viele Menschen heutzutage?

Oder zielt die Nostalgie darauf ab, dass man etwas mag, was immer weniger Leute mögen / tun? Hm, dann muss ich sagen, dass ich einer bin 😉 Aber tatsächlich nur in dem Sinne, dass mich tatsächlich fiktionaler Content sehr viel mehr reizt, sehr viel mehr gibt. Sachtexte sind zwar interessant, aber immer auch Arbeit. Wenn ich aus dem Alltag flüchten oder Spaß haben will, dann möchte ich Fiktion lesen. Nostalgisch in dem Sinne, dass ich es schön fand, in die Bücherei zu gehen. Und schön finde, mich mit Leuten darüber auszutauschen, was ich lese. Und das tun bibliophile Blogger nun im Internet. Aber ist das dann noch nostalgisch? Ist das nicht das Gegenteil davon?

Nostalgie leitet sich ab von den griechischen Wörtern νόστος, nóstos (Rückkehr, Heimkehr) und άλγος, álgos (Schmerz).

Das sagt Wikipedia. Als Blogger, der sein Blog „schmerzwach“ nennt, möchte ich kurz „ja“ sagen, ich bin Nostalgiker. Aber dann frage ich mich: was tut mir weh, wenn ich an Bücher oder die gegenwärtige Literatur denke? Nichts. Und wohin möchte ich zurückkehren? Ich finde alles ganz gut, wie es ist. Etwas unübersichtlich vielleicht. Aber war es früher besser? Nein. Ich denke nicht. Ich weiß nicht, ob ich die Frage damit beantwortet habe. Jannis Plastargias mit schmerzwach

Der Sinn der Frage erschließt sich mir aus dem Kontext nicht. Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun. Deshalb meine Antwort: „Wieso?“. Peter Hetzler von Comickunst

Ich kann natürlich schwerlich für alle sprechen, aber ich selbst halte mich für einen Mix aus Nostalgie und neugieriger Aufgeschlossenheit.
Ich schau mir gern Neues an, weiß aber auch alte Dinge oder Ideen zu schätzen, wenn sie gut sind.
Bücher gehören eindeutig dazu.
Schrift ist eben mit der Entdeckung der (Messbarkeit der) Zeit die wichtigste Erfindung, die die Menschheit gemacht hat.
Alles andere ist im Zweifelsfall praktisch verzichtbar, weil die Zivilisation in der Schrift steckt. DocTotte mit Tottes kleines Literaturlexikon

Leider aber kann ich Deine Frage nicht beantworten, weil ich mich, wie ich bereits notierte, nicht als bibliophilen Blogger verstehe. Spannende Dinge ereignen sich in den Räumen des Schreibens, der Zeit, der Papiere, der Methoden, der Verbreitung von Gedanken und ihren Zeichen. Anbei ein kleiner particles-Text, – so wie ich das sehe. andreas louis seyerlein: particles

Was die Frage angeht, so finde ich sie viel zu allgemein. „Inwiefern?“ möchte ich da gern zurückfragen. Nostalgiker sind ja nicht einfach nur Leute, die ein Faible für alte oder altmodische Dinge und Tätigkeiten haben, sondern Menschen, die die Vergangenheit idealisieren und sich in einer „Früher-war-alles-besser-Attitüde“ nach ihr sehnen und am liebsten die Gegenwart fliehen würden. Ein typischer Vertreter wäre die Hauptfigur aus „Midnight in Paris“, doch selbst er entscheidet sich am Ende für die Gegenwart, weil er den ungesunden Aspekt einer übertriebenen Vergangenheitsverliebtheit erkennt.
Inwiefern sollten bibliophile BloggerInnen NostalgikerInnen sein? Weil sie in ihren Blogs versuchen, die Salonkultur mit modernen Mitteln zu beleben? Manche BloggerInnen können mit E-Books und entsprechenden Readern nichts anfangen – andere sind davon begeistert und äußern dies auch in ihren Blogbeiträgen. Einige haben ein Faible für altmodische Dinge wie Notizbücher oder Füller und doch nutzen sie fleißig WordPress, Twitter et al. Mit Sicherheit gibt es etliche, die schöne alte Dinge mögen, aber das macht sie nicht zu NostalgikerInnen oder Gegenwartsflüchtlingen. Auch die Lesevorlieben sind kein Kriterium: Von Besprechungen zeitgenössischer Literatur bis zu tatsächlich bibliophilen Ausgaben findet sich so ziemlich alles. Alle bibliophilen BloggerInnen über den Nostalgiekamm scheren zu wollen, halte ich daher für Unfug. Petra Gust-Kazakos mit Philea’s Blog

Ein Kommentar zu “Noch mehr Antworten auf die Frage: Sind bibliophile Blogger Nostalgiker?

  1. „Nostalgie leitet sich ab von den griechischen Wörtern νόστος, nóstos (Rückkehr, Heimkehr) und άλγος, álgos (Schmerz)., so Jannis Plastargias.

    So passt es dann auch gut, dass ich gerade Rückkehr nach Tipasa,
    von Albert Camus lese.
    Dort setzt Camus einen Brückenschlag zwischen den alten Griechen und
    den „heutigen“ Europäern.

    Sofern Nostalgie nicht ein Verharren in der Vergangenheit ist,
    kann sie sehr wohl produktiv und erhellend sein.
    Erst der Kontrast, ermöglicht eine genauere Lokalisierung des Jetzt.

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