Schneckenmühle von Jochen Schmidt

Zugegebenermaßen war mir Jochen Schmidt kein Begriff, aber es gibt Verlage, denen ich vertraue, von denen ich mich belehren lasse und gerne lerne. Der C.H.Beck Verlag feiert dieses Jahr nicht nur 250 Jahre seines Bestehens, sondern ist völlig zu Recht einer der deutschen Vorzeigeverlage und das nicht nur im Belletristik-Betrieb – im Gegenteil sind bei mir bisher vielmehr ihrer Sachbücher durch die Hände gegangen. Nun also das Werk dieses (mir) Unbekannten:

9783406646980_thumb.jpgSchneckenmühle ist ein Ferienlager im Erzgebirge nahe Liebstadt und im Jahre 1989 beliebtes Ausflugsziel der Jugend bis 14 Jahre der DDR. So auch bei Jens, der zum letzten Mal mitfahren darf, wenn er nicht ab 18 als Leiter wiederkehrt. Der Pubertierende hat die üblichen Probleme, Sorgen und Nöte: cool sein, Mädchen, Erwachsen werden und das Leben in der sozialistischen Gesellschaft (heute zum Glück bei uns kein “übliches” Problem mehr). Also gehen wir mit Jens eine Woche auf die Reise und tauchen in seine Gedanken ein. Was der junge Kerl erlebt ist unglaublich trivial – von der Aufteilung der Hochbetten, dem Erlernen neuer Schimpfwörter, kurzen Kontakten mit Mädchen hin zu Nachtwanderungen. Aber Jochen Schmidt, immerhin auch Autor bei FAZ, SZ und taz zeigt wie moderne, unterhaltsame Literatur geht (und zeigt so z.B. Tilman Rammstedt wie es gemacht wird). Diese Alltagsgeschichten eines Heranwachsenden werden nicht einfach beschrieben, sondern Schmidt lässt den Leser seine eigene Kindheit wiedererleben, ob man nun Ähnliches oder genau das Gegenteil erlebt hat. Das mag vielleicht auch daran liegen, dass ich, nicht unbedingt genau rechnerisch, die Generation nach der des Autors bin, aber ich glaube nicht, dass diese Geschichten einen jungen Leser nicht interessieren oder nicht amüsieren könnten. Meine Mutter würde sagen “sehr zeitgeistig” (kann mein Sohn Böll verstehen ohne damals gelebt zu haben?), trotzdem bin ich (nun mal umgekehrt) sicher, dass auch meine Mutter sich köstlich unterhalten fühlen würde.

Vier Jahre an der neuen Schule, und danach kommt die Armee. Und wenn man die überlebt hat, ohne von den anderen mit Zigarettenqualm im Spind erstickt worden zu sein, muß man studieren. Irgendwie wird sich bis dahin herausstellen, wofür ich mich interessiere, bis jetzt ja eigentlich nur für Fernsehen und Geschenke auspacken. Klavierstimmer wäre vielleicht ein guter Beruf, aber dafür muß man blind sein. Wo werde ich später arbeiten?

Und in diesem kurzen Zitat steckt schon fast alles drin: Schmidts Witz, aber gleichzeitig sein Gefühl für seinen Protagonisten und dessen Gefühle, sowie seine Ablehnung der neuen deutschen Rechtschreibung. Denn Jens steht nicht nur an der Schwelle zum Erwachsen werden und sein Land vor der Einführung der DM, sondern er hat auch Bedenken wie alles werden wird, denn so sind empfindsame Teens auch, nicht nur:

Als der Lehrer die USA mit Florida anzeichnet, bekommt Roberto sich nicht mehr ein, weil der Zipfel aussieht, wie ein “Ding”. Da guckt der Lehrer genervt, das habe er kommen sehen, daß das wieder Gegacker gebe, “von einigen Spezialisten”.

Schmidt gelingt, anders als z.B. besagtem Herrn R., der Spagat zwischen Albernheit und Tiefgang. Ich will dabei sein, wenn die Heranwachsenden, Kindern gleich, “Vanülje”-Eis oder ihre Erdbeerzahnpasta essen, kann aber auch die Angst vor der Scheidung der Eltern verstehen oder die Unsicherheit, ob man das erste Mal verliebt ist oder nicht.

Und schon ist die Woche im Ferienlager vorbei; Jens und ich sind traurig, dass es so schnell geht, wir fühlen uns denen, die nicht dabei waren überlegen, weil nur wir die Geschichten kennen, aber auch die Unsicherheit der Zukunft bleibt. Zumindest Jochen Schmidt ist mir jetzt ein Begriff!

Das Buch wurde mir freundlicherweise vom C.H.Beck-Verlag über Blogg dein Buch zur Verfügung gestellt und kann hier bestellt werden.

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Tilman berät als Rechtsanwalt Verlage, Autoren und andere Kreative im Urheber- und Medienrecht. Als Blogger hat er sich sowohl im Bereich der Literaturkritik als auch -vermittlung in der Branche einen Namen gemacht. Rechtsanwalt Winterling ist zudem als Jurymitglied (u.a. Hamburger Literaturförderpreise) und Moderator von Lesungen tätig, sowie gefragter Interviewpartner (u.a. Deutschlandfunk, Radio Eins), wenn es darum geht verständlich und unterhaltsam über rechtliche Themen und solche des Bloggens zu berichten.