Musik_Ane Brun - A Temporary Dive

Abgetaucht

In Skandinavien avanciert Ane Brun derzeit zum Liebling des Feuilletons. Zu Recht, denn ihr zweites Album steckt voller Songs von aparter Schönheit.    22.04.2005

Wunderkind ist sie keines, denn sie hat sich gehörig Zeit gelassen, um selbst zur Gitarre zu greifen. Aufgewachsen mit einer jazzbegeisterten Musiklehrerin als Mutter wurde sie zwar musikalisch erstversorgt, doch übte sie sich statt an Instrumenten zunächst lieber in rhythmischer Sportgymnastik. Von ihrer Heimatstadt Molde zog es Ane Brun nach Spanien und später wieder nach Norwegen zurück. Dann nach Oslo, wo sie in Plattenläden jobbte und Ani Di Francos Album "Dilate" in die Hände bekam. Von da an wußte sie - mit 21 - daß sie selbst Songs schreiben wollte. Nicht, um irgendwas oder irgendjemanden damit zu erreichen, sondern allein der Freude am Schaffen wegen. Unterricht fand sie überflüssig, inspiriert durch Ani Di Franco und Elliot Smith zupfte sie einfach drauf los und erwarb ihre ganz eigene Schwingung, mit der sie teils sehr persönliche Texte der Beziehungsbewältigung öffnete. Der gleiche Grad an Eigenart vibriert in ihren Stimmbändern, macht ihren Gesang kernig. Ane beißt sich an den Silben fest und formt sie aus anstatt sie säuselnd rund zu schleifen, wie es bei selbstreflektierenden Songwriterinnen immer wieder einmal vorkommt. Die Norwegerin wirkt dadurch sehr präsent, selbstbewußt und sicher im Umgang mit der eigenen Komposition. Kernig ist "A Temporary Dive" aus einem weiteren Grund. Jedes der zehn Stücke trägt in seinem Inneren gleich die gegenteilige Stimmung mit. Traurigkeit driftet auf diese Weise nie in hoffnungslose Verzweiflung ab, selbst wenn wie im Refrain von "My Lover Will Go" Gefühlswallungen das Herz aus dem Takt bringen. Freude treibt im Jauchzen zwar himmelwärts, doch kehrt sie noch vor dem Eintauchen in die Wolken um. Für das beste Beispiel der zweiteren Kategorie hat die Wahl-Stockholmerin Ron Sexsmith als Duettpartner gewonnen. Nicht nur der Strophenteilung, sondern auch der sonst auf "A Temporary Dive" limitierten Ausgelassenheit wegen hebt sich "Song No. 6" ab. Tatsächlich tut die Atempause im Problemwälzen gut.

Bernadette Karner

Ane Brun - A Temporary Dive

ØØØ 1/2


V2/edel (Schweden 2004)

 

Links:

Kommentare_

Musik
Saint Thomas - There´s Only One Of Me

Es kann nur einen geben

Thomas Hansen hat den Heiligenschein wieder hervorgeholt und aufpoliert. Der Norweger nimmt sich Zeit zum Erzählen von Geschichten, die der Nachdenklichkeit genug Raum und der Melodie ausreichend Auslauf bieten, um in Schwung zu kommen.  

Musik
Audrey - Visible Forms

Licht am Ende des Tunnels

Seit 2002 geben vier Schwedinnen leise Laute von sich. Schlicht und bescheiden schwelgen sie in wohliger Traurigkeit, um gleich darauf mit einem Hochgefühl aufzuerstehen.  

Musik
Lassos Mariachis - Vamos

Tex-Mex auf österreichisch

Für ihre Ausdauer beschenken sich die Lassos mit eigenen Songs und legen nach elf Jahren Band-Geschichte ihr drittes Album vor. Motto: wie früher, aber anders.  

Musik
Bonnie "Prince" Billy - The Letting Go

Endstation Sehnsucht

Melodienmangel und Ideenlosigkeit sind für ihn ebenso Fremdwörter wie Schreibblockaden. Auf seinem aktuellen Album übt Will Oldham sich in der Kunst des Loslassens.  

Stories
Mando Diao/Interview

Ochrasy United

Die Schweden machten nicht nur durch ihre Musik, sondern auch durch rotzfreche Vergleiche auf sich aufmerksam. Der naive Übermut ist weg - aber goschert sind sie heute noch.  

Musik
Orson - Bright Idea

Alternative: hitzefrei

Es war einmal ein Songwriter, der auf der Suche nach Musikern und einem passenden Namen in Hollywood fündig wurde. Wo ließe sich Erfolg auch besser lernen?