Stories_Kaizers Orchestra

Ausweitung des Kaizerreiches

Oftmals verschlucken sich Bands an ihren formulierten Wunschvorstellungen. Nicht hier. Diese Norweger erklärten sich nicht nur zur besten Liveband ihrer Heimat. Sie sind es auch.    26.09.2005

Trommelwirbel, bitte! Kaizers Orchestra laden zum Tanz und lösen das auf dem ersten Album gegebene Versprechen ein, sich den Kontinent Untertan zu machen. Mit neuem Album - gestatten, "Maestro" - im Gepäck begeben sie sich auf eine Tournee, die sie durch Norwegen und unsere Breiten führen wird. Spätestens seitdem sie sich auf dem Donauinselfest auch hierzulande vom Status des Geheimtips freispielten, sind sie Stars in einer Nische, in der außer ihnen ohnhin niemand mehr Platz finden wird. Dem Vergleich mit der kaizerlichen Kapelle aus dem nordischen Königreich ist nämlich nur schwer standzuhalten. Heftig geht es bisweilen zu, aber nicht ziellos an der Melodie vorbei. Mit gewitzten Texten, deren Pointen keiner verständlichen Worte bedürfen. In einer Singsprache, die ungewöhnlich ist, jedoch durch ihre dialektale Färbung und die gesetzten Akzente Inhalt und Atmosphäre der Stücke untermalt und dabei auf den ironischen Anstrich nicht vergißt. In einer Stilrichtung, die mehrere Haken zwischen osteuropäischen Einflüssen und kerzengeradem Rockgebaren schlägt. Mit einem Frontmann, der das Publikum nach seinem Willen zu dirigieren versteht und einer Band, die trotz der vergebenen Hauptrolle nicht zur Begleitung degradiert wird. Und mit Gegenständen, die im Eisenwarenhandel erstanden wurden, Erdöl im Inneren lagern oder durch Kurbeln Alarm schlagen und nicht als exotische Beifügung, sondern als Instrument behandelt werden.

 

So was passiert nicht über Nacht oder kann im Laufe einer Talentshow gecastet werden. So etwas muß wachsen, um die von der Bühne strahlende Souveränität ebenso perfekt sitzen zu lassen wie die getragenen Anzüge. Kaizers Orchestra hatten dazu vielleicht sogar mehr Zeit als ihnen lieb war. "Ompa Til Du Dør" verzeichnet in ihrer Heimat mittlerweile um die 100.000 verkaufte Exemplare - ein sensationelles Ergebnis für ein Debütalbum; noch ungewöhnlicher, weil es von einem kleinen, kurz vor der Aufgabe stehenden Label veröffentlicht wurde. Die Werbetrommel rührten die Musiker selbst landauf, landab mit bis zu 150 Auftritten pro Jahr. Kaum war die Betourung des ersten Albums zu Ende, schickte man sich mit dem Nachfolger "Evig Pint" auf Reisen und begann, mit Bühnen jenseits der Landesgrenzen zu liebäugeln. Der Heimat gönnte man - im Vergleich zum vorher abgeleisteten Konzertmarathon - eine Erholungsphase, die sich über Soloprojekte (Janove Ottesen) und Zweitbandkarrerieren (Skambankt, Cloroform) bis zum nun vorliegenden "Maestro" streckte.

Dank des Verkaufserfolgs von "Ompa Til Du Dør" konnte man sich diese Freiheiten leisten. Tatsächlich hat man darin auch eine sichere Basis zur Auslotung des eigenen Sounds gefunden, ist frei von aufgedrängten Kompromissen - Kaizers Orchestra sind sich jederzeit ihrer Musik bewußt. Sie wissen, was sie vermitteln wollen und wie sie sich als Band prägnante Form geben können - sei es in Videos, in Pressemitteilungen oder ihrer Internetpräsenz. Man spürt, daß Janove Ottesen & Co. genaue Vorstellungen davon haben, was sie möchten und daß Versuche, ihnen dreinzureden gar nicht fruchten können. Und so kann man es auch verkraften, daß "Maestro" via dem Majorlabel Universal erscheint, und das europaweit. Die Kontrolle über die Musik wird freilich weiterhin in den Händen der Kaizerkapelle bleiben.

 

Das Erfolgsgeheimnis ist ein ganz simples: die Band kann live einfach überzeugen. Der Chef der Rock-Abteilung der deutschen Universal-Filiale, Daniel Lieberberg, entdeckte Kaizers Orchestra bei einem Berliner Konzert, für das sein Bruder verantwortlich zeichnete. Es war also nur eine Frage der Zeit, bis sich Label und Band finden würden. Druck ist mit dem Wechsel in größere Dimensionen der Band zufolge keiner verbunden. Obwohl Universal sich einiges von ihnen verspricht, liegt es nicht an den Norwegern, für deren täglich Brot zu sorgen - das schafft Schnappi im Alleingang.

Deutschland hat sich schon in der Vergangenheit als wichtiges Sprungbrett für skandinavische Bands erwiesen, der Zeitpunkt für Kaizers Orchestra ist günstig. "Maestro" ist in vielerlei Hinsicht ein bandtypisches Album geworden. Felge und Ölfaß wurden nicht weggeworfen, die osteuropäischen Musikeinflüsse auch nicht ausradiert und die Schicksalsergebenheit nicht gestrichen, jedoch eine leichtere Note hinzugefügt. Darin liegt die Weiterentwicklung, ebenso wie in der Fähigkeit, Stücke nicht bloß zum wodkatriefenden Tanzexzeß durchzustampfen, sondern sie mit sehr eingängigen Passagen zu versehen, ohne das Spezielle zu verlieren. Melancholie und Depression schwingt nun in feineren Bögen, wie "Dieter Meyers Institusjon" vor seinem aggressionsgeladenen Ende bestens beweist.

Zudem sind Janove Ottesen und Geir Zahl im Songwriting zu größerer Handfertigkeit gereift, präsentieren Wortwitz nicht mehr unverhüllt auf dem Silbertablett, sondern bewahren ihn in den Details. Beide finden es einfacher, aus einer anderen Perspektive als der eigenen zu schreiben und die erzählten Geschehnissen lose an einem roten Faden baumeln zu lassen. Trugen sich "Ompa Til Du Dør" und "Evig Pint" im kriegsversehrten, korrupten Osten Europas zu, versuchen die Opfer auf "Maestro" nun ihre Neurosen auszuheilen. Sie wurden in Dieter Meyers Institution eingewiesen und sind damit in einem Sanatorium gelandet, das lieber Persönlichkeiten bricht anstatt wunde Seelen zu heilen. Die Rolle des Maestro bleibt unklar und entzieht sich genauer Festlegung. Fest steht dagegen, daß trotz eines vor Eigenwilligkeit strotzenden Albums die eigentliche Stärke von Kaizers Orchestra woanders zu finden ist. Bei ihren Auftritten.

 

Kaizers Orchestra live:

27. 9. Rockhouse / Salzburg

28. 9. Szene / Wien

Bernadette Karner

Kaizers Orchestra - Maestro

ØØØØØ


Universal (Norwegen 2005)

 

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Kommentare_

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