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Gefahren der Softwaregläubigkeit : Die Aschewolke aus Antiwissen

  • -Aktualisiert am

Jetzt fliegen sie wieder: Ob am Boden die richtigen Schlußfolgerungen aus der Aschewolke gezogen werden, ist unwahrscheinlich Bild: dpa

Der Software-Staat führt in die intellektuelle Passivität - warum wir den Verstand verlieren, wenn wir uns auf Computersimulationen verlassen.

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          In der F.A.Z. vom 19. April (siehe Triumph der Simulation über die Intuition) hat Frank Schirrmacher die Wolke aus Vulkanasche, die zu einer tagelangen Sperrung des europäischen Luftraums führte, als Metapher und böses Omen interpretiert - meines Erachtens völlig zu Recht. Vor etwas mehr als einer Woche stürzten ausgeklügelte Computermodelle Europas Reiseverkehr ins Chaos. Unser ständig wachsendes Vertrauen auf solche Softwaresimulationen birgt für die Zukunft mindestens zwei Gefahren.

          Erstens, dass wir in eine dauerhafte Aschewolke aus Antiwissen eingehüllt werden, wenn Softwaremodelle falsche Vorhersagen treffen, die durch das ehrwürdige Imprimatur der wissenschaftlichen Priesterschaft abgesegnet, von der Presse wie ein hässliches Gerücht in Umlauf gebracht, von den Vereinten Nationen überhastet gebilligt und von Politikern auf der ganzen Welt zur Grundlage ihres Handelns gemacht werden.

          Softwaregläubigkeit kann zu einer lähmenden Abhängigkeit werden

          Weil viele der Softwaremodelle, auf die wir uns verlassen, zu komplex sind, als dass die Öffentlichkeit sie verstehen könnte - und oft auch zu komplex, als dass irgendjemand sie verstehen könnte -, ähneln die Urteile, die sie uns verkünden, den unerfindlichen bürokratischen Diktaten eines kafkaesken Staats, denen fraglos Folge zu leisten ist, obwohl keiner sie erklären kann.

          Ohne gesunden Zahlenverstand nützt auch der Taschenrechner nichts: unsinnige Antworten kommen auch von Computern
          Ohne gesunden Zahlenverstand nützt auch der Taschenrechner nichts: unsinnige Antworten kommen auch von Computern : Bild: Franz Bischof

          Die zweite, noch größere Gefahr ist: So, wie sich in einem prozessfreudigen, mit Rechtsanwälten vollgepfropften Staat moralische Passivität ausbreitet, weil Recht an die Stelle von Ethik tritt, greift in einem Softwarestaat intellektuelle Passivität um sich. Softwaregläubigkeit kann zu einer lähmenden Abhängigkeit werden. Die Collegestudenten, die ich unterrichte, sind selbstverständlich mit Taschenrechnern aufgewachsen. Folglich geben sie manchmal unsinnige Antworten auf numerische Aufgabenstellungen, weil ihre Taschenrechner oder Computer unsinnige Antworten ausspucken: Die Studenten haben Fehler bei der Dateneingabe gemacht, besitzen aber nicht genügend gesunden Zahlenverstand, um zu merken, dass die Ergebnisse ihrer Berechnungen um Größenordnungen danebenliegen.

          Der These von der Erderwärung mit Skepsis begegnen

          Das blinde Vertrauen auf die Kafka-Computer des wissenschaftlichen Mysterium-Staats hat uns bereits in erhebliche Schwierigkeiten gebracht. Kohlendioxidemissionen könnten die zivilisationsbedingte Erderwärmung verursachen; wir wissen es noch nicht. Die Erderwärmung, die von Kohlendioxidemissionen verursacht werden könnte, könnte gefährlich sein; wir wissen es noch nicht. Was wir wissen, ist, dass die zivilisationsbedingte Erderwärmung vorläufig eine wissenschaftliche Hypothese ist, der man mit Skepsis begegnen sollte - weil man allen derartigen Hypothesen mit Skepsis begegnen sollte und weil das Klima von Natur aus zwischen kälteren und wärmeren Perioden schwankt.

          Wir wissen auch, dass man den Computermodellen, denen wir die Vorhersage der vom Menschen verschuldeten Erderwärmung verdanken, ihrerseits mit Skepsis begegnen muss - weil man jedes komplexe Stück Software mit Skepsis behandeln sollte und weil das Klimageschehen derart komplex ist, dass unsere Softwaremodelle auf diesem Feld besonders grobschlächtig ausfallen; bei einigen einschlägigen Testläufen konnten sie die Vergangenheit nicht vorausberechnen - und die Zukunft erst recht nicht. Es geht darum, auch bei Dingen, die wir moralisch richtig finden, skeptisch und lernfähig zu bleiben, solange wir nicht imstande sind, die Aussagen rational nachzuvollziehen.

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