Kurswechsel für Europa : Einspruch gegen die Fassadendemokratie
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Das Frankfurter Occupy-Camp im vergangenen Winter Bild: dapd
Ohne einen Strategiewechsel wird die Währungsunion nicht mehr lange überleben. Es bedarf eines neuen Kurses. Er muss die Rolle Europas im Rahmen der Weltpolitik definieren.
Die Euro-Krise spiegelt das Versagen einer perspektivlosen Politik. Der Bundesregierung fehlt der Mut, einen unhaltbar geworden Status quo zu überwinden. Das ist die Ursache dafür, dass sich trotz umfangreicher Rettungsprogramme und kaum noch zu zählender Krisengipfel die Situation des Euroraums in den beiden vergangenen Jahren kontinuierlich verschlechtert hat.
Griechenland droht nach dem wirtschaftlichen Absturz der Austritt aus dem Euro, was mit unkalkulierbaren Kettenreaktionen für die übrigen Mitgliedsländer verbunden wäre. Italien, Spanien und Portugal sind in eine schwere Rezession geraten, die die Arbeitslosigkeit immer weiter steigert.
Die ungünstige konjunkturelle Entwicklung der Problemländer verschärft die ohnehin labile Situation der Banken, und die wachsende Unsicherheit über die Zukunft der Währungsunion führt dazu, dass Anleger immer weniger bereit sind, Anleihen der Problemländer zu erwerben. Steigende Zinsen für Staatsanleihen, aber auch die immer schlechtere wirtschaftliche Lage erschweren wiederum die ohnehin nicht einfachen Konsolidierungsprozesse.
Die EU könnte eine Avantgardefunktion übernehmen
Diese sich selbst verstärkende Destabilisierung ist wesentlich darauf zurückzuführen, dass die Krisenbewältigungsstrategien nicht über die Schwelle einer Vertiefung der Europäischen Institutionen hinausgegangen sind. Die Tatsache, dass sich die Krise in den Jahren kopflos inkrementalistischer Behandlungsversuche nur verschärft hat, macht den Mangel an politischer Gestaltungskraft offensichtlich.
Die Rechtfertigung eines großen Integrationsschrittes ergibt sich jedoch nicht nur aus der aktuellen Krise des Euroraums, sondern gleichermaßen aus der Notwendigkeit, das Unwesen des gespenstischen Paralleluniversums, das die Investmentbanken und Hedgefonds neben der realen, Güter und Dienstleistungen produzierenden Wirtschaft aufgebaut haben, durch eine Selbstermächtigung der Politik wieder einzufangen.
Die erforderlichen Maßnahmen zu einer Re-Regulierung liegen auf der Hand. Aber sie kommen nicht zum Zuge, weil einerseits eine Implementierung dieser Maßnahmen im nationalstaatlichen Rahmen kontraproduktive Folgen hätte und andererseits die 2008 auf dem ersten Londoner G-20 Gipfel beschlossenen Regulierungsabsichten ein weltweit koordiniertes Handeln erfordern würden, das einstweilen an der politischen Fragmentierung der Staatengemeinschaft scheitert.
Eine so große Wirtschaftsmacht wie die EU, mindestens aber die Eurozone, könnte in dieser Hinsicht eine Avantgardefunktion übernehmen. Nur mit einer deutlichen Vertiefung der Integration lässt sich eine gemeinsame Währung aufrechterhalten, ohne dass es einer nicht endenden Kette von Hilfsmaßnahmen bedarf, die die Solidarität der europäischen Staatsvölker im Währungsraum auf beiden Seiten, der Geber- und wie der Nehmerländer, langfristig überfordern würde.
Eine Souveränitätsübertragung auf Europäische Institutionen ist dafür jedoch unvermeidlich, um Fiskaldisziplin wirksam durchzusetzen und zudem ein stabiles Finanzsystem zu garantieren. Zugleich bedarf es einer stärkeren Koordinierung von Finanz-, Wirtschafts- und Sozialpolitiken der Mitgliedländer mit dem Ziel, die strukturellen Ungleichgewichte im gemeinsamen Währungsraum auszugleichen.
Die bisherigen Lösungsansätze waren unzureichend
Die Verschärfung der Krise zeigt, dass die bisher von der Bundesregierung in Europa durchgesetzte Strategie auf einer falschen Diagnose beruht. Die aktuelle Krise ist keine Eurokrise. Der Euro hat sich als stabile Währung erwiesen. Die aktuelle Krise ist auch keine europaspezifische Schuldenkrise.