David und Davida
1502 wurde David geboren, sein Gesicht, seine Augen sind aus dem Marmorblock gearbeitet, der größte Teil seines Körpers ist fertiggestellt. Nun, Michelangelos David entstand nicht an einem Tag oder in einem Jahr, er, der kleine David, der bald den Riesen Goliath mit seiner Steinschleuder besiegen wird. Als Mensch klein wurde David als Skulptur riesig und schwer, über fünf Meter groß und über fünf Tonnen schwer, sicher größer, auf jeden Fall schwerer als der biblische Riese Goliath real hat sein können.
Wir schreiben das Jahr 2015, es ist das Jahr, in dem wir einen Blick auf Davida werfen wollen. Obwohl Davida gleich David nicht in einem Jahr geboren wurde, geschweige denn in einem Tag, schaut es bei ihr vollkommen anders aus, denn Davida ist wandlungsfähig und sie besitzt eine aufregende Vergangenheit. Seit Jahren geistert sie durch die Kunstwelt. Sie unterliegt einer dauernden Metamorphose. Als Stroboskopische Figur wird sie zusammengesetzt und löst sich auch wieder auf, ihre Geburt ist eine endlose Schleife. Davida hat Fähigkeiten, von denen David nur träumen kann. Er ist gemeißelt unbeweglich, aber oft kopiert.
(Um gerecht zu sein, muss man eingestehen, David hatte einen einzigen Meister*, Davida hingegen hat unzählige Meisterinnen**)
Davida liebt es der Figur von Willendorf zu ähneln, dieser kleinen Venusfigurine aus Kalkstein aus dem Jahr 25001 vor Christus, einmal ist sie aus Ton geformt, ein anderes Mal aus Wachs, schließlich aus Papier zusammen geklebt. Aber Davida lässt sich schon gar nicht auf eine weibliche Erscheinungsform festlegen, denn sie schlüpft, so klein wie sie gerade ist, in einen Satyr, dessen Geschlecht größer scheint als das des fünf Meter großen Original Davids. Davida als Satyr hängt fotografiert in einer Stillebeninstallation, sie findet sich gedoppelt und vervielfacht in unterschiedlicher Kulisse mit menschlichen und tierischen Spielpartnerinnen im Vergleich oder im Dialog. Die Verwandlung zur Madonna geschieht in einem rasanten Tempo und noch bevor sie sich versieht, ist Davida als Frosch an ein Kreuz genagelt.
Die Venus als Auftrittsmöglichkeit gefällt ihr, in der Gestalt einer schlankeren, unserer jetzigen Zeit angepassten Göttin der Liebe.
Upps, Venus Davida löst sich auf, sie wird zu einem Fadenobjekt. Schwebend inmitten von Grün, fügt sie sich Grausilber in die Landschaft. Die Fäden formen sich, erstarren zu einem Metallgewand, fragil schwebt sie im Raum, wird zu einem Scheinbild, spielt mit einer imaginierten Perspektive, legt sich schließlich als Holz- und Kohleskulptur in eine Schneelandschaft.
Davida hat die Steine aus ihrer Steinschleuder verschossen, irgendwie ist nur noch ihr Kopf übrig, doch sie lächelt. Klein steht sie auf dem Sims und wird umrahmt von winzigen Knochen. Davida hatte den Kampf schon längst gewonnen. Sie zwinkert uns zu. Ihre Augen sind wie Puppenaugen und starren uns gespenstisch überdimensional aus einem riesigen, in der Luft schwebenden Monitor an. Zwinkern, Stille, Zwinkern, Stille.
Musik kommt noch hinzu, Davida tanzt zu wilden Rhythmen hinter einem Stoff, vor einem Molino, auf einer Gaze. Bahnen schweben durch den Raum, beschrieben, als eigenwillig verformte Figuren überlagert. Mehrfachbelichtet erscheint sie auf Monitoren, sie schreit als projiziertes Gesicht auf einer Stoffpuppe, sie flüstert aus einer Muschel tief in einer dunkelgefütterten geöffneten Damenhandtasche, sie reißt sich die tätowierte Haut aus ihrem Körper und wird zum zwei Meter großen unsichtbaren Hasen Harvey.
Beinahe scheint es, dass Davida alles kann. Sie ruft Emotionen hervor, sie kann den Besucher verzaubern, erschrecken, zum Nachdenken, zum Staunen, zum Lachen oder sogar zum Weinen bringen. Das kann David auch! Auch er wird bewundert, bestaunt, Menschen werden ergriffen, er ruft Gänsehaut hervor. Aber Besucher dermaßen stark irritieren, das kann 2015 Davida bei weitem besser.
Hin und wieder begegnen Davida und David sich, in aller Zärtlichkeit, in Provokation oder auch in Zerstörung. Davida und David waren das Vorzeigeliebespaar, aber die Geliebte hatte bald ihren kolossalen Partner in Florenz zurückgelassen und war weitergezogen.
2105: David wird wieder einmal gereinigt und von Grund auf restauriert, und nicht nur er, auch seine Marmorkopie auf dem Platz vor dem Palazzo Vecchio in Florenz muss rundum erneuert werden.
Davida hat weitere Formen und Dimensionen angenommen, und ist um etliche neue Erfahrungen reicher geworden.
Neugierig blicken wir auf das Jahr 5210, und darauf, was aus Davida und David geworden ist.
*Meister: Michelangelo di Lodovico Buonarroti Simoni
**zitierte Meisterinnen: Stefanie Wuschitz, Rosa Maria Krinner, Alexander Curtis, Robert Svoboda, Augusta Laar, Martin Kippenberger, Helga Cmelka, Eva S. Pusztai, Gerlinde Thuma, Andreas Dvorak, Kurt Hofstetter, Ingrid Gaier, Nam June Paik, Tony Oursler, Pipilotti Rist, Christiane Spatt
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