Von Wandern und Winden

Statement

express! ist seine Prozessualität dermaßen tief eingeschrieben, dass uns erst jetzt die komplette Veröffentlichung vorliegt. Neben dem Gedichtzyklus und dem dazugehörigen Essay beinhaltet diese noch ein Gespräch zwischen Max, seinem Verleger Jo Frank und Micha Brumlik aus dem Jahr 2015 anlässlich der Veröffentlichung von Maxens zweitem Band Jubeljahre.

»Ich denke, es herrscht ein großes Schweigen über die Nazizeit in der deutschsprachigen Gegenwartslyrik. Und ich denke, dieses Schweigen ist Ausdruck einer Unlust von Autor_innen, die ja auch eine Angst sein kann, sich damit weiter zu befassen«, sagt Max dort und ich kann das zumindest für mich so unterschreiben. Dass Max seine Version als »durchaus mimetisch zu der ursprünglichen antisemitischen Legende« bezeichnet, wollte mir anfangs nämlich nicht einleuchten. Weil ich als Angehöriger des Tätervolks wohl schlicht keinem jüdischen Autor ohne Weiteres vorwerfen wollen würde, antisemitische Klischees zu reproduzieren; beziehungsweise zuerst davon ausgehe, dass empowerment an dieser Stelle ungleich Affirmation ist. Die aber nennt Max neben der Idee der Desintegration als maßgeblich für Jubeljahre und ich beginne langsam zu verstehen, wie sich dies in A.H.A.S.V.E.R. wortwörtlich fortschreibt. Ein antisemitisches Narrativ in der Tätersprache zu verfolgen, schließt sich jedoch mit meiner Interpretation nicht aus, meine zumindest ich.

Sowieso denke ich nicht unbedingt, dass wir einander so stark widersprechen. Denn auch Martins - einleuchtender, wie ich finde, - Verweis auf Shoshana macht eine ähnliche Struktur zur Analogie, wie sie nach Maxens eigener Aussage in A.H.A.S.V.E.R. von ihm angelegt ist. 

Die Frage für mich lautet nun, wie ich diese mittlerweile gewonnene Deutung wieder auf den Text überführe, um daraus ein kritisches Urteil abzuleiten. Aus so einer kartoffeligen Gutbürgerlichkeit ließe sich sagen: Rache, das würde doch nur mehr Probleme schaffen. Andererseits fühle ich selbst, wenn ich im Jahr 2016 vor einer Berliner Synagoge mit Maschinengewehren bewaffnete Polizeikräfte sehe, eine wahnsinnige Verzweiflung und einen so abgründigen Hass auf mein eigenes Volk (denn ich finde es simpel zu sagen: dieses Volk ist nicht meins, oder die, die »Wir sind das Volk« schreien, seien es nicht), dass ich selbst nichts dagegen hätte, wenn der bear jew einmal über alle Antisemit_innen dieses Volks hinwegziehen würde. Allerdings implizierte meine Sympathie mit diesem Standpunkt, die Behauptung einer Allianz, die so nicht existiert. 

Das erschwert mir die Kritik auf einer ideologischen Ebene. Würde ich Max für A.H.A.S.V.E.R. mit Lob überschütten, wie weit wäre das von dem »Versuch einer deutschen Gemeinschaft, sich von ihrer eigenen Täter*innengeschichte abzugrenzen« entfernt, wie es Max im angesprochenen Gespräch hinsichtlich der Guido Knoppschen Zeitzeugenpornografie konstatiert? Würde ich ihn dafür hingegen kritisieren, weil ich Gewalt - egal, ob der Text sie eher als symptomatisch spiegelt als er dazu aufruft - ablehne, wäre das nicht wiederum selbst ein gewalttätiger (Sprach-)Akt, der wiederum die Form eines strukturellen Antisemitismus zumindest implizit in sich trägt?

So viel zumindest kann ich sagen: Dass A.H.A.S.V.E.R. und insbesondere dieses Gespräch mich zu einer Positionierung zwingt, zu einer »gegenseitige[n] Sichtbarmachung«, wie Max das oben schrieb, ist daran sehr beeindruckend. Dass ich die Figur Josef dabei dennoch nicht festschreiben kann und möchte, umso mehr. Der nämlich wandert, derweil ich mich winde.

Vielleicht kann ich so zu einer vorläufigen Kritik kommen, die sich gleichzeitig an mich selbst richtet. In dem Gespräch zitierst du meine Kritik zu deinem Debütband und welcher ich nicht nur schreibe, dass sich Druckkammern »an ein Publikum [richtet], für die die Hölle die anderen sind und die genau dies auch zu lesen bekommen«, sondern deinen Gedichten auch attestiere, eine Stimme zu suchen. Methodisch vermeidest du mittlerweile diese Stimmsuche mit dem größtmöglichen Effekt:, denn deutlicher hättest du mir meine eigene Hölle nämlich nicht aufzeigen können: die Angst, mich zu äußern. Jetzt aber muss ich reden, und sei es nur mit mir selbst und über meine eigene Position nicht zum, sondern im antisemitischen Diskurs. Das ist, kurz gesagt, genau das, was ich von politischer Kunst erwarte.