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Bertram Reinecke,

Ich hatte nicht erwartet, dass Sie zurückschreiben, denn Sie haben recht: Schlagabtausch, der auf Resentiments beruht, frißt Zeit. Es rührt mich aber irgendwie, dass Sie es tun, zeigt, dass die Leichtigkeit, Kritik auf sich sitzen zu lassen, Ihnen schwer fällt. Rührend lustig, dass Sie meiner Aufforderung, mit dem Finger auf mich zu zeigen, tatsächlich folgen.
Es hat natürlich Witz, hier meinen fehlenden Humor zu bemängeln. Sie waren es doch, die mich zu größerem Ernst rief? Man kann es Ihnen offenbar gar nicht recht machen, es sei denn, man stimmt Ihrer Meinung schweigend zu. Schwebt Ihnen das vor, wenn Sie von mangelnder Selbstkritik der Autoren fabulieren? Sie sind ja selbst Autorin, ich wusste es bereits, ebenso wie von Ihrem Studium. Ich danke dennoch für den Hinweis auf Ihre Vita. Sie ahnen also, dass dieses Studium Ihrem Text nicht ohne weiteres anzusehen war. (Doch, das ist ganz schön cool!)
Während der Vorwurf der Humorlosigkeit sich speziell an mich richtet, geht mich Ihr Gerede über Leichtigkeit und Selbstkritik wenig an. Es handelt von “vermeintlichen Opfern” des Betriebs, wärend ich ja tatsächliches Ziel ihrer Polemik war. (Sie werden nicht erwarten, dass ich Ihnen nun die linke Backe hinhalte.) Sie halten Ihr Narrativ, ebenso wie das von der mangelnden Popularität schon für sehr leistungsfähig! (Mit Verlaub, ich könnt auch glatt glauben, es sei ein Vorurteil.) Da Sie eventuell Mara Genschel in die “vermeintlichen Opfer” einbeziehen, rücke ich hier nochmal den Beitrag für das Sibirische Waldradio (SWR) ein, um zu zeigen, dass sie durchaus generös und leichtfüßig ist: http://www.swr.de/swr2/musik/neue-musik-und-sentimentalitaet-ueber-koeni... Machen Sie sich weiter keine Sorgen um sie und ihre Mitstreiter.
Das Narrativ von der Lyrik, die irgendwie relevanter oder populärer sein sollte, funktioniert immer, selbst noch gegen Jan Wagner, ist probat gegen jedes missliebige Gedicht. Es sollte deshalb klar werden, warum Sie ausgerechnet von Mara Genschel Breitentauglichkeit einfordern.
Ich muss Ihnen die Beschreibung Ihrer Vorgehensweise beim Verfassen der “Rezension” einfach glauben. Sie glauben mir hingegen nicht mal, dass ich meine was ich sage, sondern unterstellen fortwährend, ich meinte etwas anderes, weil Sie im Vorhinein von mir so vieles zu wissen vorgeben. (Sie können leicht prüfen, dass ich mich zu Verrissen in der Regel nicht wortreich melde. Vielleicht geht es tatsächlich mehr um Ihren Text als um meine Eitelkeit.)
Sie behaupten zwar, sie hätten weder die Referenzflächen noch die Lyrik von Mara Genschel besprochen. Ihr Text “Raus” handelt dennoch zu 44,5% von Mara Genschel und den Referenzflächen und nur zu knapp 15% von dem Band. Auf Ihre langwierige Einleitung (vermischte Bemerkungen z.B. über Truffaut und den Literaturbetrieb) entfallen knapp 41%.
Ihre Erwartungen an das Buch sind nicht nachvollziebar. Sie erwarten vom Buch päzise Deskription und Analyse? Sie hatten sich doch noch ostentaiv gelangweilt, wo Michael Gratz dies tut? Deskription und Analyse sind über weite Strecken (auch bei Reul und Cotten und im Gespräch) Thema des Buches. Das können Sie einfach nicht übersehen haben. (Sie lavieren ganz schön, nicht?) Falls diese hier und da möglicherweise nicht präzis genug wären, hätte eine Kritik, die den Namen verdient, dies nachzuweisen. Warum gehören Textbelege nicht zu Ihren Beschreibungen? Ist es unwahr, wenn Sie behaupten, sie hätten “versucht präzise zu beschreiben” oder sind Sie tatsächlich dermaßen gescheitert? Sie verschanzen sich hinter der Autorität der lesenden Kritkerin, der glauben muss, wer die Texte nicht kennt. Es ist schwer zu glauben, dass Sie, die Sie von der “Hölle der Sekundärliteratur” “für ein Leben genug” haben und schon von der Literaturliste keinen Gebrauch machen mögen, sich ausgerechnet auf dies Buch mit Analysen freuten. Unglaubwürdig ist es, dass Sie nun auch noch die Tertiärliteratur der Rezeptionsgeschichte erwartet haben wollen. Die wenigen rezeptionsgeschichtlichen Winke feinden Sie ja an. Wie verträgt sich die Forderung nach Rezeptionsgeschichte (sind ja tatsächlich oft uninteressante Betriebsinterna) mit Ihrem Anspruch, wir sollten nicht nur für Insider schreiben?
Die naheliegende Idee, die von Ihnen im Werkstattgespräch bemängelten Sätze zu streichen, erwogen wir auch. Als Signaturen des konkret situativen Gestus der Rede blieben sie im Band. (Die Entscheidung muss man nicht billigen.) Ich verweile hier, weil es der einzige Texbeleg am Buch von Ihnen ist, der den Namen verdient.
Zum Ende muss ich dann auch mal meine Generosität aufgeben und ad hominem reden. Sie waren “nicht gnädig” und werden kaum verlangen, dass ich generöser bin. (Zu wem ich nobel sein möchte, entscheide ich immer noch selbst.) Irgend etwas am Buch hat Sie verärgert. Es könnte tatsächlich mit der fröhlichen Abwesenheit der üblichen diskusiven Reflexe zu tun haben. Sie wollen Ihr Problem aber nicht direkt zum Thema machen und nutzen das Glaubwürdigkeitsversprechen der Kritikerrolle, den Band mit pejorativen Behauptungen ohne Beweis zu umstellen. Dass Sie inkonsistent dabei werden, versuchen Sie mittels drastischster Narrative zu vertuschen. Deswegen ufern Ihre Vorspanne im Vergleich zum Wenigen, was Sie greifbar sagen, so aus. Sie wollen eine Rede die Ihnen widersagt, durch laute lange eigene Rede unhörbar machen. (Mutmaßlich Ihr Verständnis von “Verführungskraft” und “Eleganz”.) Falsche Behauptungen werden durch Wiederholen nicht wahrer. Übrigens: Nein, ich erwarte keine Antwort von Ihnen. Alle Fragen hier sind Fragen an den Text und dessen fiktive Autorin, nicht an Sie.