Der "Herr Bibliothekar" wagt noch einmal das Wort zu ergreifen, möchte sich bei Lea Schneider für die Schützenhilfe bedanken und im selben Atemzug auf die vorzüglichen Übersetzungen zeitgenössischer chinesischer Gedichte, die Frau Schneider auf lyrikline.org veröffentlicht hat, hinweisen: Für mich sind das nur schon deswegen gute Übersetzungen, weil sie für sich allein stehen können und man nach ihrer Lektüre das Gefühl hat, ein Gedicht oder einen literarischen Text gelesen zu haben, ohne dass einen gleich der Verdacht oder der Wunsch beschleicht, es wäre eben doch besser, könnte man das Original lesen.
Es ist also, verehrter Herr Simon, keineswegs so, dass ich mich etwa im Alleinbesitz der einzig selig machenden Übersetzungsmethode wähne, sondern ich bin sehr froh, dass es noch andere gibt, die dieses Geschäft mit Herzblut betreiben, und je mehr es werden, desto besser für die chinesische und die deutsche Literatur. Im Bereich der klassischen Literatur scheint mir das Feld allerdings in letzter Zeit doch etwas ausgedünnt, woran das auch immer liegen mag. Vielleicht daran, dass die Philologie eine Wissenschaft, das Übersetzen hingegen eine Kunst, im mindesten aber ein Kunsthandwerk ist, an den Universitäten aber alles, was nicht unter "Wissenschaft" läuft, als minderwertige Beschäftigung angesehen wird. Die Philologie kann dabei dem Übersetzen hilfreiche Dienste leisten, doch wenn umgekehrt das Übersetzen in den Dienst der Philologie tritt, ist noch selten etwas Kunstvolles dabei herausgekommen, und Lyrik ist nun einmal eine Kunstform.
Auch Ihr Buch, werter Herr Kollege, habe ich mit Vorfreude gekauft, doch wenn ich einen Band der "Reclam Bibliothek" erwerbe, hege ich gewisse Erwartungen, und in diesen sah ich mich, ich kann es nicht anders sagen, herb enttäuscht, ja geradezu ge-täuscht, weil ich rasch den Eindruck bekam, dass Ihre Fassungen, wenn sie für sich allein stünden, recht dürftig oder eben der wohl auch aus diesem Grund beigesellten Originaltexte bedürftig wirken würden. Deshalb fühlte ich mich berechtigt, etwas schärferes Besteck im Geiste Tucholskys (oder meinetwegen Reich-Ranickis) auszupacken und deshalb gilt meine Kritik mindestens so sehr der Unverfrorenheit des Verlags wie den Texten, denn das Recht, Ihre jahrelange Arbeit zu veröffentlichen, kann und will ich Ihnen nicht absprechen - es fragt sich nur, welches der geeignete Rahmen dafür ist. Ebenso wenig möchte ich Ihr damit einher gegangenes Glück "zertrampeln", das ich insofern nachvollziehen kann, als ich mich vor Jahren selbst am Shijing versucht, aber nach zwei Dutzend Liedern aus Zeitmangel und weil ich mit meinen Fassungen nicht zufrieden war, aufgegeben habe. Hätte ich mich ihnen fünf Jahre ungestört und mit freiem Geleit widmen können, wie das der adlige Herr von Strauss wohl noch konnte, wäre vielleicht etwas Annehmbares daraus entstanden.
Und was die Bronzezeit betrifft: Ist es nicht auch verblüffend zu sehen, wie so manches sich gleich geblieben ist, da wir gottlob oder leider Gottes, ob im alten China oder im momentan etwas alt aussehenden Europa, immer noch meistenteils Menschen aus Fleisch und Blut sind, auch wenn wir einander inzwischen nicht mehr nur in der freien Wildbahn sondern auch im Internet an die Gurgel springen können? Den Höhlenbewohner tragen wir immer noch in uns, und die Aufgabe des Übersetzers könnte auch sein, solche Konstanten deutlich zu machen, dann dürfte auch das Fremde und in die Ferne gerückte umso klarer hervor treten.
Mein eigentliches Ziel, dass über die Übersetzung chinesischer Lyrik etwas mehr debattiert wird, habe ich aber wohl erreicht. In diesem Sinne wünsche ich allen weiterhin Glück und Freude beim Übersetzen und ein schönes Wochenende!
Der "Herr Bibliothekar" wagt noch einmal das Wort zu ergreifen, möchte sich bei Lea Schneider für die Schützenhilfe bedanken und im selben Atemzug auf die vorzüglichen Übersetzungen zeitgenössischer chinesischer Gedichte, die Frau Schneider auf lyrikline.org veröffentlicht hat, hinweisen: Für mich sind das nur schon deswegen gute Übersetzungen, weil sie für sich allein stehen können und man nach ihrer Lektüre das Gefühl hat, ein Gedicht oder einen literarischen Text gelesen zu haben, ohne dass einen gleich der Verdacht oder der Wunsch beschleicht, es wäre eben doch besser, könnte man das Original lesen.
Es ist also, verehrter Herr Simon, keineswegs so, dass ich mich etwa im Alleinbesitz der einzig selig machenden Übersetzungsmethode wähne, sondern ich bin sehr froh, dass es noch andere gibt, die dieses Geschäft mit Herzblut betreiben, und je mehr es werden, desto besser für die chinesische und die deutsche Literatur. Im Bereich der klassischen Literatur scheint mir das Feld allerdings in letzter Zeit doch etwas ausgedünnt, woran das auch immer liegen mag. Vielleicht daran, dass die Philologie eine Wissenschaft, das Übersetzen hingegen eine Kunst, im mindesten aber ein Kunsthandwerk ist, an den Universitäten aber alles, was nicht unter "Wissenschaft" läuft, als minderwertige Beschäftigung angesehen wird. Die Philologie kann dabei dem Übersetzen hilfreiche Dienste leisten, doch wenn umgekehrt das Übersetzen in den Dienst der Philologie tritt, ist noch selten etwas Kunstvolles dabei herausgekommen, und Lyrik ist nun einmal eine Kunstform.
Auch Ihr Buch, werter Herr Kollege, habe ich mit Vorfreude gekauft, doch wenn ich einen Band der "Reclam Bibliothek" erwerbe, hege ich gewisse Erwartungen, und in diesen sah ich mich, ich kann es nicht anders sagen, herb enttäuscht, ja geradezu ge-täuscht, weil ich rasch den Eindruck bekam, dass Ihre Fassungen, wenn sie für sich allein stünden, recht dürftig oder eben der wohl auch aus diesem Grund beigesellten Originaltexte bedürftig wirken würden. Deshalb fühlte ich mich berechtigt, etwas schärferes Besteck im Geiste Tucholskys (oder meinetwegen Reich-Ranickis) auszupacken und deshalb gilt meine Kritik mindestens so sehr der Unverfrorenheit des Verlags wie den Texten, denn das Recht, Ihre jahrelange Arbeit zu veröffentlichen, kann und will ich Ihnen nicht absprechen - es fragt sich nur, welches der geeignete Rahmen dafür ist. Ebenso wenig möchte ich Ihr damit einher gegangenes Glück "zertrampeln", das ich insofern nachvollziehen kann, als ich mich vor Jahren selbst am Shijing versucht, aber nach zwei Dutzend Liedern aus Zeitmangel und weil ich mit meinen Fassungen nicht zufrieden war, aufgegeben habe. Hätte ich mich ihnen fünf Jahre ungestört und mit freiem Geleit widmen können, wie das der adlige Herr von Strauss wohl noch konnte, wäre vielleicht etwas Annehmbares daraus entstanden.
Und was die Bronzezeit betrifft: Ist es nicht auch verblüffend zu sehen, wie so manches sich gleich geblieben ist, da wir gottlob oder leider Gottes, ob im alten China oder im momentan etwas alt aussehenden Europa, immer noch meistenteils Menschen aus Fleisch und Blut sind, auch wenn wir einander inzwischen nicht mehr nur in der freien Wildbahn sondern auch im Internet an die Gurgel springen können? Den Höhlenbewohner tragen wir immer noch in uns, und die Aufgabe des Übersetzers könnte auch sein, solche Konstanten deutlich zu machen, dann dürfte auch das Fremde und in die Ferne gerückte umso klarer hervor treten.
Mein eigentliches Ziel, dass über die Übersetzung chinesischer Lyrik etwas mehr debattiert wird, habe ich aber wohl erreicht. In diesem Sinne wünsche ich allen weiterhin Glück und Freude beim Übersetzen und ein schönes Wochenende!