Im Gegensatz zu Rainald Simon halte ich Lea Schneiders kühnen Versuch, das Ziel des Übersetzens in einem Wort wiederzugeben, für bedenkenswert und ihre "Wirkungsäquivalenz" nicht für einen "Begriff bar jeden Inhalts", auch nicht im Hinblick auf chinesische Liedertexte aus vorchristlichen Jahrhunderten. Lea Schneiders "Wirkungsäquivalenz" fußt zudem nicht auf der Anmaßung eines "gesicherten" Wissens über "Menschen im China der Bronzezeit", sondern benennt in kürzester Form, wie die Texte dieser so fernen wie fremden Lieder im Deutschen auf uns Lesende wirken könnten oder sollten. Dass das im Jahr 2016 nicht mehr im "einlullenden Eiapopeia" von Victor von Strauss möglich ist, liegt auf der Hand. Und dass man heute nicht im Stil der deutschen Spätromantik an das Shijing herangehen sollte, ist mir auch klar, wenngleich ich Günter Debons anrührendes übersetzerisches Werk nicht als spätromantisch abtun würde und seine Auswahl aus dem Shijing eher den Volksliedton aus des „Knaben Wunderhorn“ trifft.
Eine andere Frage ist, ob man nach Ingeborg Bachmann, Paul Celan, Peter Huchel und Ernst Meister diese Lieder heute so übersetzen sollte, dass sie sich teilweise lesen, als seien sie von einem Nachfahren ihrer Lyrik verfasst. Offenkundig hat sich Rainald Simon bei seiner Arbeit jener klassischen Moderne trotz ihrer ganz anders gearteten Ästhetik verpflichtet gefühlt. Seinem anerkennenswert großen Aufwand zum Trotz scheint mir das eine fragwürdige Entscheidung (für Debon gar „ein abwegiger Gedanke“). Zwar malt Simon damit nicht weiter am „Chinabild der Porzellanpadogen“, aber er gerät in die Nähe derer, die mit rätselhaften Übertragungen am ewigen Rätsel China fort weben und wirken. Und man versenkt sich stirnrunzelnd in ein doppelt gewundenes Gebilde wie das, mit dem der Reclam-Verlag seine Werbung bestückt: »Sich wölbendes Gezweig am Südhang, / von Wein umwunden. / Freudevoller Herr, / Glück naht, vollendet dich.« Oder man fragt sich angesichts dieser unbeholfenen Strophe, wer da von wem oder was singt: "Kalesche, rappelt, klappert, / sie im feinen Kleid, schilfsprossengrün. / Wie nicht an dich denken? / Ich fürchte, du wagst es nicht."
Sicher wurden diese 305 frühesten Lieder von den wenigen bisherigen Übersetzern je nach Entwicklungsstand deutscher Poesie wirkungsäquivalent geglättet oder angereichert und manche Verse arg verbogen, um ihnen einen Reim aufzuzwingen. Aber offenkundig darf, ja muss man wie Raffael Keller im Deutschen hin und wieder ausschreiben, was in einem chinesischen Zeichen sonst nur mitschwingt. Die Güte einer Übersetzung bemisst sich demnach nicht zuletzt daran, ob und wie weit sie ausdeutet oder ergänzt (nach meinem Empfinden übrigens weniger weit, als es ihr Lea Schneider zugesteht). Umgekehrt bietet der Vorsatz, nah am Wort und der Struktur der fremden Verse zu bleiben, keine Gewähr für eine poetisch geglückte Übertragung. Hätten die durchgeformten und gereimten Lieder im Chinesischen so ungelenk geklungen wie es die Übersetzung von Rainald Simon nahelegt, wer weiß, ob sie je gesammelt und uns überliefert worden wären. Von den formalen Eigenheiten oder Auffälligkeiten haben es Simon ausgerechnet die Reduplikationen angetan, die im Deutschen häufig läppisch wirken. Dennoch hat die von ihm vorgelegte Ausgabe des Shijing ihre Verdienste. Sie ist vollständig, sie kommt mit einer Fülle von Anmerkungen, Überlegungen und Angaben im Schlepptau gar zweisprachig plus phonetischer Umschrift daher und nicht zuletzt bewegt sie sich dabei nahe an Interlinearversionen. Das macht sie nach 1880 zu einem weiteren Meilenstein - für alle, die im Auge behalten, wozu ein solcher dient. Ich meine, damit lässt sich doch weiter arbeiten.
Im Gegensatz zu Rainald Simon halte ich Lea Schneiders kühnen Versuch, das Ziel des Übersetzens in einem Wort wiederzugeben, für bedenkenswert und ihre "Wirkungsäquivalenz" nicht für einen "Begriff bar jeden Inhalts", auch nicht im Hinblick auf chinesische Liedertexte aus vorchristlichen Jahrhunderten. Lea Schneiders "Wirkungsäquivalenz" fußt zudem nicht auf der Anmaßung eines "gesicherten" Wissens über "Menschen im China der Bronzezeit", sondern benennt in kürzester Form, wie die Texte dieser so fernen wie fremden Lieder im Deutschen auf uns Lesende wirken könnten oder sollten. Dass das im Jahr 2016 nicht mehr im "einlullenden Eiapopeia" von Victor von Strauss möglich ist, liegt auf der Hand. Und dass man heute nicht im Stil der deutschen Spätromantik an das Shijing herangehen sollte, ist mir auch klar, wenngleich ich Günter Debons anrührendes übersetzerisches Werk nicht als spätromantisch abtun würde und seine Auswahl aus dem Shijing eher den Volksliedton aus des „Knaben Wunderhorn“ trifft.
Eine andere Frage ist, ob man nach Ingeborg Bachmann, Paul Celan, Peter Huchel und Ernst Meister diese Lieder heute so übersetzen sollte, dass sie sich teilweise lesen, als seien sie von einem Nachfahren ihrer Lyrik verfasst. Offenkundig hat sich Rainald Simon bei seiner Arbeit jener klassischen Moderne trotz ihrer ganz anders gearteten Ästhetik verpflichtet gefühlt. Seinem anerkennenswert großen Aufwand zum Trotz scheint mir das eine fragwürdige Entscheidung (für Debon gar „ein abwegiger Gedanke“). Zwar malt Simon damit nicht weiter am „Chinabild der Porzellanpadogen“, aber er gerät in die Nähe derer, die mit rätselhaften Übertragungen am ewigen Rätsel China fort weben und wirken. Und man versenkt sich stirnrunzelnd in ein doppelt gewundenes Gebilde wie das, mit dem der Reclam-Verlag seine Werbung bestückt: »Sich wölbendes Gezweig am Südhang, / von Wein umwunden. / Freudevoller Herr, / Glück naht, vollendet dich.« Oder man fragt sich angesichts dieser unbeholfenen Strophe, wer da von wem oder was singt: "Kalesche, rappelt, klappert, / sie im feinen Kleid, schilfsprossengrün. / Wie nicht an dich denken? / Ich fürchte, du wagst es nicht."
Sicher wurden diese 305 frühesten Lieder von den wenigen bisherigen Übersetzern je nach Entwicklungsstand deutscher Poesie wirkungsäquivalent geglättet oder angereichert und manche Verse arg verbogen, um ihnen einen Reim aufzuzwingen. Aber offenkundig darf, ja muss man wie Raffael Keller im Deutschen hin und wieder ausschreiben, was in einem chinesischen Zeichen sonst nur mitschwingt. Die Güte einer Übersetzung bemisst sich demnach nicht zuletzt daran, ob und wie weit sie ausdeutet oder ergänzt (nach meinem Empfinden übrigens weniger weit, als es ihr Lea Schneider zugesteht). Umgekehrt bietet der Vorsatz, nah am Wort und der Struktur der fremden Verse zu bleiben, keine Gewähr für eine poetisch geglückte Übertragung. Hätten die durchgeformten und gereimten Lieder im Chinesischen so ungelenk geklungen wie es die Übersetzung von Rainald Simon nahelegt, wer weiß, ob sie je gesammelt und uns überliefert worden wären. Von den formalen Eigenheiten oder Auffälligkeiten haben es Simon ausgerechnet die Reduplikationen angetan, die im Deutschen häufig läppisch wirken. Dennoch hat die von ihm vorgelegte Ausgabe des Shijing ihre Verdienste. Sie ist vollständig, sie kommt mit einer Fülle von Anmerkungen, Überlegungen und Angaben im Schlepptau gar zweisprachig plus phonetischer Umschrift daher und nicht zuletzt bewegt sie sich dabei nahe an Interlinearversionen. Das macht sie nach 1880 zu einem weiteren Meilenstein - für alle, die im Auge behalten, wozu ein solcher dient. Ich meine, damit lässt sich doch weiter arbeiten.