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Dr. Rainald Simon,

Verunglimpfungen begannen nicht bei mir , man hat in der ersten "Kritik"versucht, meine gesamte bisherige, in Zusammenarbeit mit dem hervorragenden Lektor Dieter Meier des Reclam-Verlages in Jahren entwickelten Übersetzungen (ich wiederhole mich) mit einem infamen, vernichtenden Seitenhieb in den Staub zu treten. Wenn eine angebliche Diskussion über Übersetzungsmethodik usw.,so begonnen wird, ist leider damit eine fatale Ebene gesetzt. Dennoch sage ich hier netzöffentlich, dass ich niemanden verunglimpfen möchte und wenn Äußerungen so aufgenommen wurden, bitte ich aufrichtig um Entschuldigung. Manche vielleicht allzu scharfe Bemerkung oder Formulierung ist unter das Rubrum "Resonanz" zu subsumieren.
Zu Jürgen Theobaldy,
"Ungelenk" eine neutrale Beschreibung? Ich jedenfalls emfinde die Konnotationen des Adjektivs anders, ebenso die der weiteren, da hilft auch der "Punkt." nichts, aber es ist ein müßiges Geschäft, sich über diese Dinge weiter aufzuregen. Viel wichtiger ist Folgendes: Nehmen wir ein ganz einfaches über 3600 Jahre altes chinesisches Schriftzeichen: 日 rì "Sonne" (später auch "Tag"). Das Zeichen wird länger benutzt als es eine entfaltete Zivilsation in unseren Breiten gibt (ganz zu schweigen von Lyrik) . Wir treffen also auf ein winziges Mosaiksteinchen einer der alten menschlichen Hochkulturen: Das fordert Respekt ab. Wenn nun aus dem Wort Sonne = Strahlen der Sonne (oder Glanz der S. oder Schein d. S. ...) wird, um damit die Liedhaftigkeit, den Klang, den Reim, den Melos, den Schmelz der Sprache usf. auszudrücken, so ist es prinzipiell meine Art nicht. Es fehlt die Achtung vor dem Zeichen (sinologisch & semiotisch). Dann muss in des Übersetzungsgottes Namen eben jemand zum ersten Mal "ungelenk" formulieren. Dieses einfache Beispiel erweiternd: Ein gereimter, nach bestimmten Formmustern gebauter lyrischer Text sollte eben mitnichten in einen Text der Zielsprache übersetzt werden, der vergleichbare Muster und Eigenarten aufweist. Warum nicht? Da dieser Anspruch nicht einlösbar ist, ohne den Text zu verzerren, zu dehnen, aufzufüllen und was mehr der greulichen Sprachzwänge sind. Damit wird ein die Romantik (das Kunst-Volkslied) nachahmendes Sprechen erzeugt, das bis heute eine Art Main-Stream in Übersetzungen aus dem Chinesischen darstellt. Es gibt darunter wunderbar gelungene Lösungen: Die chinesischen Gedichte des Sinologen (!) Günther Eich. Aber wohlgemerkt, Eich fand einzigartige Lösungen für die kürzeste aller Formen, für das nur 20 Zeichen/Wörter umfassende Vier-Verse Gedicht der Táng-Dynastie (618-907): Einige davon sind große Kunst, aber die Methode Eichs scheint mir eben nur bei dieser Kurzform ohne jene Sprachzwänge auszukommen.
Und nun zum "poetischen Gespür". Ich lasse mir solches von niemandem absprechen. Dazu kann man nur auf Leser und Hörer setzen, auf die Rezeption also. Wenn Sie schon, Jürgen Theobaldy, meine Affinität für die klassische Moderne ansprachen, dann wissen Sie ganz sicher auch, dass Paul Celan bei seiner ersten und einzigen Lesung vor der Gruppe 47 ausgelacht wurde. Ich möchte mich (ich wiederhole mich) nicht mit einem der Großen des vergangenen Jahrhunderts auch nur im Entferntesten vergleichen, aber die Nachricht zeigt doch, das Urteile derart apodiktischen Charakters auf töneren Füßen stehen. Oder entscheiden das neuerdings Lyriker in ihrer Branche, wer es hat und wer nicht, das Gespür? Ich konzidiere, dass das radikale Verknappen manchmal mit dem Melos kollidiert, aber das ist in Kauf zu nehmen, wenn anders die Stauchungen, Verzerrungen und das "Heimholen ins Reich angeblich deutscher Volksliederseligkeit" (Victor von Strauß und anderer) vermieden wird. Es gibt nichts zu vertuschen, jedenfalls nicht die Spuren, Narben und schlimmstenfalls Wunden der Translation. Mit ungenauem Lesen meine ich dann schon, dass ich über mein Vorgehen im Nachwort Rechenschaft ablege, da steht, wenn man lesen möchte, auf S. 822: "schartenfreier Wohlklang (...) waren kein Ziel...". Dann lesen Sie bitte einmal Nr. 5 "Grillen", S. 19 oder Nr. 9 "Pflück, pflück Wegerich". Unrythmisch? Kein "poetisches Gespür"? Und die Neologismen "einhemden" und "einblusen" scheinen mir bei Jürgen Theobaldy in ein gewisses Zwielicht getaucht (aber vielleicht täusche ich mich), aber das nehme ich mir heraus: Die deutsche Sprache ein ganz klein wenig zu sinisieren (Nomen verbal verwenden) , aus dem Nähkästchen, JürgenTehobaldy: Das macht einfach Spaß!