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alles ist sichtbar, für den der sehen will

Statement

Es ist wirklich eine Freude zu beobachten, wie sich eure Interpretation des A.H.A.S.V.E.R so langsam herausschält. Wirklich spannend ist, dass ich die Josef-Figur ganz anders interpretiere, was einen nahezu inversiven Effekt auf den Text hat: der Josef ist für mich eine Täterfigur (also nicht der Bear Jews sondern sein Opfer!), dessen Flucht nicht in erster Linie als Conditio Humana oder als Verweis auf die Prozesshaftigkeit des Textes oder des darin agesprochenen Subjektes gedacht ist (danke für diese spannende Analyse!). Vielmehr geht es in dieser Lesart um eine sehr konkrete Verfolgung/Verfluchung einer Täterfigur durch den Text. In diesem Sinne verhält sich der Text durchaus mimetisch zu der ursprünglichen antisemitischen Legende (vielleicht ein weiterer Diskussionspunkt: was passiert eigentlich bei dieser Übernahme der Haltungen; ist es nur das gleiche mit anderen Vorzeichen, oder spielt es auch eine Rolle, wer den Fluch ausspricht?).

Hier taucht für mich die Figur des Inglourious Poets auf. Letztlich ist es ein bisschen wie mit dem Rape-and-Revenge-Film oder eben Inglourious Basterds. Ein psychischer Innenraum wird als Setting inszeniert, der die Machtverhältnisse umkehrt. Darin liegt an sich schon ein kathartischer/empowernder Moment, denn hier wird etwas wie ein utopischer Raum der Formulierbarkeit sichtbar, aber dieser Raum überschreitet gleichzeitig die Logik des Empowerments (die ja weiterhin politisch ist: hier sind wir, da die anderen und darum fordern wir folgendes!). Diese Überschreitung findet auch an dem Punkt statt, wo ihr in bestimmter Hinsicht das genaue Gegenteil von dem im Text findet, was ich darin sehe. 

"alles ist sichtbar, für den der sehen will" heißt diese Diskussionsreihe und nun habe ich erstmals einen Punkt erreicht, an dem mir dieser Titel verständlich wird. Schon länger frage ich mich, inwiefern die Interpretation eines Textes mir mindestens ebensoviel Auskunft gibt über den/die Interpret*in wie der Text über den/die Autor*in - seine/ihre Erwartungen, Hoffnungen, Intentionen und Ängste. Ich finde das sehr spannend. Die Dialogform von express! ist wahrscheinlich prädestiniert für so eine gegenseitige Sichtbarmachung.