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Dieter Wallentin,

Am Hang

Wir fädelten Träume
auf Bergketten
und sahen sie in der Sonne glitzern.

Doch als wir starr
in ihre Richtung blickten,
fanden wir uns nicht mehr
in den Biegungen
unseres Weges.

Ein prägnantes, fast schon lakonisches Beziehungsgedicht. Im Expose der zweites Strophe wirkt seine Sprache ohne weiteres schmückendes Beiwerk. Dass es (in meinen Augen) so gut funktioniert, ist für mich ein Hinweis, wie kraftvoll und poetisch die einzige im Text vorhandene Metapher funktioniert: "Eingefädelte Träume".

Hier wird in aktiven präsentischen Verbformen formuliert. Wir fädelten Träume auf Bergketten und sahen sie in der Sonne glitzern. Ein eigentlich ganz einfacher Satz entfaltet wundervolle poetische Wirkung. "Bergketten" ist keine Metapher, sondern ein Substantivkompositum, das häufig im Bereich des Gebirges belegbar ist. Man könnte annehmen, es hätte die Autorin inspiriert, erst Träume auf Bergketten einfädeln zu lassen. Damit dürfte es den Kern des Gedichtes darstellen.

"Am Hang" heißt: Die Beziehung ist weder ganz unten oder am Beginn, noch am Gipfel angelangt. Sie befinden sich irgendwo in der Mitte. Ihre Ziele bezeichnet das Gedicht als Träume. Hoffnungen, Wünsche. Wie Tau, der in der Sonne verdunstet. Solange Tau noch nicht verdunstete, glänzt er. Vielleicht schöner als Brillanten. Beide fädeln ihr Glasperlenspiel.

Die Gefahr, sich vom trügerischen Glanz blenden zu lassen und sich Illusionen hinzugeben, liegt darin, sich selbst und auch den Partner zu verlieren. Erhebliche Gemeinsamkeiten für eine tragfähige Partnerschaft sind unumgänglich. Die Träume im Text scheinen noch nicht den Realitätsabgleich bestanden zu haben.

Vielleicht kommen beide vom rechen Weg ab, verlieren sich in Abbiegungen, sehen den anderen nicht mehr, der vorausgeeilt sein mag. Die starren Blicke wirken auf mich, als wären beide eher ängstlich. Sensible Menschen sind manchmal tragische Naturen.

Ich stimme völlig zu, das Gedicht entfaltet aus einer einzigen Metapher in einem Expose eine Kurzgeschichte.

Dass Sie so locker und glaubwürdig mit Kritik umgehen, finde ich prima! Das hat mich sehr gefreut.