Interview

Gespräch: Timo Brandt redet mit Saskia Warzecha

Bevor du dich dem Schreiben gewidmet hast, hast du Computerlinguistik studiert und arbeitest jetzt in diesem Bereich. Was darf man sich darunter vorstellen?

Computerlinguistik ist die Schnittstelle von Sprachwissenschaft und Informatik. In der Anwendung betrifft das Bereiche wie Spracherkennung, automatische Übersetzung oder Textgenerierung, Spamfilter oder Suchmaschinen und sehr, sehr vieles mehr. Das ist ein unfassbar interessantes Feld, auch in der Theorie. Es bedeutet, die Logik hinter den kleinsten Bereichen in der Sprache zu erforschen. Wenn du „einer Maschine das Sprechen beibringen“ willst, musst du mit großer Präzision abbilden, was erklärbar ist an dem, was wir da – ganz automatisch – täglich tun und auch ganz von vorne anfangen bei der Frage, was das Sprechen und das Sprachverstehen überhaupt ist.

Du hast an zwei Literaturinstituten studiert: an der Sprachkunst in Wien und am Deutschen Literaturinstitut Leipzig. Was hat dir die Zeit an den Literaturinstituten bedeutet?

Ja, beide Institute haben einen ziemlich wichtigen Platz in meiner Biographie. In Wien habe ich mich zum ersten Mal wirklich damit auseinandersetzen müssen, mich als schreibende Person zu sehen. Das war am Anfang gar nicht so leicht für mich: Ich hatte vorher kaum je jemandem gezeigt, was ich da so gemacht habe, und plötzlich fand ich mich in einem extrem kleinen Kreis wieder – wir waren nur 13 Leute in der Klasse – in dem von morgens bis abends, oder bis tief in die Nacht hinein, Standpunkte abgeklopft und heftige Debatten über Literatur geführt wurden: Weil ja alle irgendwie mehr oder weniger in der gleichen Situation waren, dass diese Sache jetzt mit einer ziemlichen Wucht „losging“ für uns – und das zum großen Teil mit Anfang zwanzig. Damals hat die Hälfte unserer Klasse in zwei WGs gewohnt und es gab, und das traf mich ganz unerwartet, fast kein Leben außerhalb dessen mehr für mich.
Es wird oft gesagt, die Schreibschulen seien ein geschützter Rahmen, in dem man sich ausprobieren könne, ohne die Öffentlichkeit hereinzulassen, und deswegen sei es leicht, weil es diese Art „Welpenschutz“ gäbe. Aber ich glaube, manchmal ist genau das Gegenteil der Fall: Dadurch, dass alle so sehr um ihren Standpunkt kämpfen und ihre erste Rolle in dieser (wenn auch: einer kleinen und zunächst nach außen abgeschotteten) Literaturwelt verteidigen müssen, hat es sich manchmal auch angefühlt, als wäre es gerade das Schwimmen lernen Müssen im Haifischbecken. Ich habe manchmal geglaubt, eine vernichtende Kritik „da draußen“ wäre viel leichter wegzustecken als Diskussion und Kritik von genau den Menschen, mit denen du morgens frühstückst und abends Bier trinkst und die vor allem ziemlich genau wissen, was du mit all dem eigentlich willst. Weil du ihnen alles, was du zu diesem Zeitpunkt darüber wusstest, gesagt hast. Wir haben uns mit einem riesigen Energieaufwand aneinander gerieben.
Gleichzeitig hat es mich, glaube ich, literarisch wirklich weitergebracht. Ich würde keines dieser Gespräche missen wollen, und ich habe es als ziemliches Privileg wahrgenommen, mich – an beiden Instituten – mit Menschen auseinandersetzen zu können, für die (zumindest in diesem Rahmen) es einfach nichts anderes gab als Literatur. Das war auch ein ziemliches Paradies. Ein schwieriges, irgendwie abwegiges und sehr viel abverlangendes Paradies, aber ein Paradies.

Letztes Jahr warst du Finalistin beim 24. open mike in Berlin. Magst du deine Eindrücke schildern?   

Ich verbinde mit diesem Wochenende eigentlich nur Positives. Bei meiner Lesung überkam mich eine so große, ruhige Freude darüber, das, womit ich mich in der letzten Zeit beschäftigt hatte, jetzt in diesen Saal hinein lesen zu dürfen. Das war schon eine ziemlich gute Erfahrung. Die Stimmung zwischen den Lesenden war auch sehr wohlwollend, glaube ich, und die Gespräche über die eigenen Texte am damit verbundenen Workshop-Wochenende waren zum großen Teil sehr genau und haben vieles in mir angestoßen.

Ich möchte aber auch sagen, dass die Prosa dort vielleicht im Vordergrund steht. Zum Beispiel habe ich eine Visitenkarte von einer Agentur in die Hand gedrückt bekommen mit den Worten „Wenn du mal ein Prosamanuskript hast.“
Mir ist schon klar, dass Agenturzeug bei Prosa anders funktioniert: Dass sich da Leute überhaupt etwas „abknapsen“ können vom Geld, das du bekommen würdest. Diese Person hat dann noch hinzugefügt „Für LyrikerInnen kann man da ja nicht so viel machen“, was mal dahingestellt sei. Vermutlich müsste es heißen „nicht so viel, dass es sich wirtschaftlich für uns lohnen würde.“
Natürlich hatte auch das mit Wertschätzung zu tun, worüber ich mich auch gefreut habe, aber ein wenig absurd war es in dem Moment auch.

Eine Aussage, die man als Lyriker*in oft zu hören bekommt: man kann davon ja nicht leben. Hast du den Ehrgeiz eines Tages vom Schreiben leben zu können? Oder wird Schreiben immer etwas sein, das nebenher läuft?

Für mich persönlich muss ich sagen: Ich traue mir eigentlich – zumindest bis jetzt – nicht zu, dem Druck, der damit einhergehen würde, nur damit Geld zu verdienen, standzuhalten. Alles Schreiben ist für mich mit so vielen Zweifeln verbunden (schlimmen, guten Zweifeln, echt machenden, süchtig machenden Zweifeln, aber vor allem auch wirklich einfach schlimmen Zweifeln), dass ich auch glücklich darüber bin, dass es nicht das einzige ist, auf dem ich meinen Lebensunterhalt aufbaue.
Außerdem ist das natürlich eine Variante des Wunsches, sich eine künstlerische Freiheit zu bewahren, die nicht davon korrumpiert werden darf, dass man sich dem Markt einfach hingibt. Es ist schwierig, sich da immer wieder dran zu erinnern, finde ich, zwischen all diesen Wettbewerben, Preisen oder Stipendien, aber: Wenn ich für „Erfolg“ schreibe, für „Anerkennung“, des Geldes wegen, dann wäre ich besser damit beraten, die Zeit und Mühe in irgendeine Standardkarriere zu stecken. Das wäre wahrscheinlich einfacher, aber darum darf es ja nicht gehen. Denn genau das ist ja dieses Großartige, Unheimliche an der Kunst: Ihre Abseitsstellung. Diese Ecke, in der irgendwie etwas gänzlich anderes möglich ist – in der Produktion, in der Rezeption – als überall sonst. In dem Moment, in dem ich das verliere, möchte ich es bitte sein lassen.
Aber ein sehr wichtiges Aber: Es sollte nicht der Fall sein, dass es keine Wahl gibt. So, wie es ist, passt es ja nur zufällig zu meiner Idee vom beruflichen/schriftstellerischen Leben. Ich sehe in meinem Umfeld bei einigen LyrikerInnen Arbeits- oder finanzielle Situationen, die einfach scheiße sind und so nicht sein sollten. Auch in dieser Hinsicht läuft vieles falsch, was sich dringend ändern muss.

Was würdest du antworten, wenn man dir vorwerfen würde, nicht politisch genug in deiner Kunst zu sein?

Es würde mich nicht so kratzen. Ich bin im meinem Leben, dass hinter dem Papier stattfindet, ziemlich engagiert, und ich habe das Gefühl, dort mehr ausrichten zu können als im Text. Auch habe ich das Gefühl, in der Lyrik nicht explizit politisch sein zu müssen: Ich glaube, jegliches Versuchen, Welterfahrung zu fassen, Ordnungsprinzipien anzulegen (und sie scheitern zu lassen) ist es implizit.

Etwas, über das du lachen kannst und etwas über das du nicht lachen kannst:

Wenn du die Frage danach stellst, worüber ich „nur lachen“ kann, also was mir „nicht egal“ ist: Das allermeiste ist mir nicht egal. Obwohl ich wohl auch ein ziemlicher „Kopfmensch“ bin, verzweifle ich immer wieder genau daran, dass mir alles irgendwie nah ist. Das klingt jetzt sehr seltsam, aber manchmal weiß ich kaum, wie ich damit umgehen soll, dass etwas tatsächlich da ist. Da ist ein Nagel in der Wand, den irgendwann jemand da hineingeschlagen hat. Da ist ein Mann, der mit Helm Fahrrad fährt – weil er nicht sterben möchte. Es gibt die Farbe Orange. Das haut mich manchmal regelrecht um. Und natürlich, wenn ich diese absurden Beispiele nenne: Da ist viel dazwischen. Vom Leid, das man Menschen ansieht, oder sich vorstellen muss, gar nicht erst zu sprechen. Es gibt wirklich wenig, das mich nicht berührt (zum Glück gilt das aber auch für das Schöne). Das ist manchmal ein bisschen schwierig. Für mich, für andere. Dass meine Antennen so ziemlich immer auf Empfang gestellt sind, damit kann nicht jede/r gleich gut umgehen.

Wenn du die Frage eher hinsichtlich des wörtlichen Lachen stellst: Über den meisten Witz in Literatur oder Film zum Beispiel kann ich tatsächlich nicht lachen. Ich kann vielleicht intellektuell anerkennen, dass sich da jemand etwas Witziges ausgedacht hat, aber zum tatsächlichen Lachen, das ja ein spontaner Ausdruck ist, bringt es mich nicht.

Das hat vielleicht damit zu tun, dass sich dieser Humor, durch vermutlich mehrmalige Überprüfung auf seinen, sagen wir, Witz-Gehalt, auf sicherem Terrain bewegt. Er ruft also auch eine abgesicherte Kommunikationssituation hervor – und dann kann er mich eben auch nur so erreichen; da fehlt für mich die Spontaneität, das Wagnis.

Aber es gibt Menschen, die haben so einen irgendwie „uneitlen“ Humor: Sie machen Witze und merken schon davor, währenddessen, oder vielleicht kurz danach: Dieser Witz ist jetzt eigentlich nicht so gut. Aber sie machen ihn trotzdem. Sie hauen einfach was raus und „verschenken“ in diesem Moment etwas von sich. Und das hat für mich auch etwas damit zu tun, etwas von sich preiszugeben: Nicht nur die beste/klügste/witzigste Version von sich zu zeigen. Das finde ich wunderschön. Mit diesen Leuten lache ich am liebsten.

Wenn es eine bekannte Persönlichkeit gäbe (nicht zwingend ein/e Autor/in; nicht zwingend real), mit der du einfach so auf einen Kaffee oder ein Bier gehen könntest – wer wäre das?

Ich finde es schwer, mich aus der Ferne für jemanden zu interessieren. Ich glaube, ich würde die Menschen vorziehen, die mir etwas bedeuten, die, die ich schon ein bisschen kenne.

Wenn du die Hauptthemen, um die dein literarisches Schaffen kreist, benennen müsstest, wie würden sie lauten?

In den letzten Jahren war es vielleicht ungefähr dies: Wie lässt sich mit dieser tiefgreifenden Beunruhigung umgehen, im Grunde abgetrennt zu sein von allem, was uns umgibt – In menschlichen Beziehungen, in Gedanken, die sprachlich zu fassen nur ein Versuch bleibt, in einer dreidimensionalen Welt, die uns nicht braucht.
Vorausgesetzt, wir möchten mit dieser Welt in Kontakt treten, ist es die Frage danach, wie eine Annäherung ihr gegenüber überhaupt möglich ist, wie sich das, was sich uns präsentiert, überhaupt auf eine Wirklichkeit hin abklopfen lässt. Wie lässt sich irgendetwas tatsächlich „vereinen“? Welche Werkzeuge, Maßstäbe oder Ordnungsprinzipien, die uns vermeintlich vielversprechend zur Verfügung stehen, ziehen wir dafür heran und wo und wann und wie erschöpfen sich diese und werden unzulänglich.
Welche Haltung kann ich einnehmen, um möglichst nah an irgendetwas heranzukommen und wie schaffe ich es auch, etwas anderes wirklich an mich heranzulassen. Welche Art der Ruhe verspreche ich mir davon und welche Art der Unruhe bleibt dabei stets präsent. Welche Art von Sorge bedingt dabei welchen Mechanismus, der mich wieder entfernter macht.
In welchen Situationen drängt sich der Wunsch nach Fassen-Können überhaupt auf, und wie lässt sich diese Art der Suche sprachlich abbilden – Wie greift das beides ineinander, hinsichtlich einer Person, einer Weltfahrung eines Gegenstandes: Wie lässt sich das beschreiben und wie kann eine Person sich, im Gedicht oder im Leben, auch sprachlich gegenüber der Welt und anderen öffnen.

Wenn du einen Satz sagen könntest, dessen Aussage alle anderen sofort für wahr halten würden, wie würde er lauten?

Dass dieser Satz vermutlich nur schwierig interessant sein würde.
Ich war mal auf einem Konzert von Massive Attack und eine Person neben mir hat während eines Stückes – und das konnte auf keinen Text bezogen sein, denn es gab keinen – Richtung Bühne geschrien „Ihr habt so Recht!“. Das fand ich ziemlich gut.

Wie wichtig ist dir, dass etwas rezipiert wird, das du geschrieben hast?

Tatsächlich nicht so wichtig. Natürlich freue ich mich über Anerkennungsgesten wie Nominierungen, Preise oder Veröffentlichungen – aber ich misstraue ihnen auch sehr stark. Wenn ich mit dem, was ich da mache, irgendjemanden tatsächlich erreiche, dann ist das etwas so Unfassbares, für mich so Großes, dass ich mir das kaum vorstellen kann. Das bedeutet mir so ungleich viel mehr als einfach ein „großes Publikum“ zu haben.
Ich war auch sehr lange alleine mit meiner Sprache, das war auch nicht wirklich schlechter. Ich habe das zum Teil nicht mal aufgeschrieben damals, sondern nur in meinem Kopf gelassen, und es hat mir trotzdem genügt. Nur komme ich so nicht weiter. Dieser Austausch mit anderen Schreibenden ist so unfassbar wichtig für mich. Ich wünsche mir also, dass meine Texte gelesen werden, damit ich mit anderen, klügeren Menschen, oder solchen mit anderen Herangehensweisen, ins Gespräch kommen kann.
Als mir das zum ersten Mal so bewusst geworden ist, war ich ziemlich erschrocken. Es heißt ja im Grunde ziemlich deutlich: Außer für mich schreibe ich für andere Lyrik-Menschen. Aber ja, vermutlich ist das für den Moment so.

Wovon wünschst du dir mehr/weniger in der Gegenwartsliteratur?

Felix Schiller hat letztens in einem ähnlichen Zusammenhang von „zärtlichen Herangehensweisen“ gesprochen. Das. Und Angreifbares, Forschendes, Wachendes.
Texte, die ihren AutorInnen nicht leicht von der Hand gehen (vielleicht bedeutet das Aufrichtigkeit). Weniger befestigte Wege.

Welche Frage sollte man dir öfter stellen?

„Wie meinst du das genau?“ vielleicht. Oder, das wäre noch besser, aushalten können, wie oft ich diese Frage stelle.

An was schreibst/arbeitest du zurzeit?

An meinem Debütband mit dem Arbeitstitel „Approximanten“, in dem es mir auch oder vor allem um die oben beschriebenen Fragen geht.

Wir danken Saskia & Timo für das Gespräch und drücken Saskia, die für den Münchner Lyrikpreis nominiert ist, am Samstag die Daumen!!!

 

Fixpoetry 2017
Alle Rechte vorbehalten
Vervielfältigung nur mit Genehmigung von Fixpoetry.com und der Urheber
Dieser Artikel ist ausschließlich für den privaten Gebrauch bestimmt. Sie dürfen den Artikel jedoch gerne verlinken. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder.

Letzte Feuilleton-Beiträge