Alles ist relativ
Nicht erst seit dem außerordentlichen Erfolg ihres Debütromans „Ausser sich“, sondern schon zu ihrer Zeit als Hausautorin des Maxim Gorki Theaters, als sie dort das Studio Я leitete und zur spannendsten Experimentierbühne Deutschlands machte, steht Sasha Marianna Salzmann für suchendes und offenes Denken, das sie Festschreibungen und oberflächlichen Urteilen beharrlich entgegensetzt. Bevor der „Roman sie überfallen“ hat, so Salzmann, habe sie sich durch und durch als Dramatikerin definiert.
Sasha Marianna Salzmann & Maria Kublitz Kramer (c) Elke Engelhardt
Der Lockenkopf, der Anzug, das androgyne Aussehen, alles scheint wie im Roman zu sein. Einem Roman, der mich ambivalent zurückgelassen hat. Ganz anders ist es Maria Kublitz-Kramer mit der Lektüre ergangen. Sie beschließt ihre informative und sensible Vorstellung mit dem Geständnis, nach dem Lesen von „Ausser sich“ seien einige Synapsen ihres Gehirns neu verschaltet gewesen.
Berührt von „der schönsten Einführung, die sie jemals bekommen habe“, stellt Salzmann den Rahmen des Romans vor. So sei bei ihrer Adaption von Shakespeares „Was ihr wollt“ jedes Kapitel aus einer anderen Perspektive geschrieben. Auf diese Weise entfaltet „Ausser sich“, ein sehr treffender, weil doppeldeutiger, ambivalenter, Titel, auf Grundlage einer persönlichen Suche, nach sich selbst und nach dem Zwillingsbruder, rund hundert Jahre Familiengeschichte, jüdische Geschichte und ganz aktuelle Zeitgeschichte.
„Schön, wie Sie reagieren“, freut sich Salzmann über das Lachen des Publikums an einigen Stellen. Will sagen, sie ist nicht nur intelligent und bescheiden, sondern auch charmant.
Naturgemäß ist die Lesung sehr gekonnt, sehr lebendig, sehr gut. Sasha Marianna Salzmann kommt vom Theater und, vielleicht noch ausschlaggebender, sie lebt, glaubt und meint, was sie sagt.
„Auch die Zeit“, sagt Salzmann im folgenden Gespräch mit Kublitz-Kramer, „ist eine Protagonistin in diesem Roman“. Eine Protagonistin, die ebenso wie die unterschiedlichen Perspektiven, die Suchbewegung von Allissa nachvollzieht, die im Laufe des Romans auf der Suche nach sich selbst durch Zeiten und Länder und Geschichten, schließlich Ali wird.
Kublitz-Kramers sensible, kundige Fragen, eröffnen ein Gespräch, das verdeutlicht, wie vielschichtig der Roman, der übrigens derzeit in vierzehn! Sprachen übersetzt wird, ist, wie er immer wieder Begriffe, die wir selbstverständlich gebrauchen, Worte wie Heimat, Liebe und Wahrheit, hinterfragt und unterläuft.
„Wir müssen wissen, woher wir kommen, um zu erfahren, wer wir sind“, ist Salzmann überzeugt, die Identität auch als Ablagerung von Geschichte, von Traditionen und Familiengeschichten sieht. Ebenso wie sie das Ergebnis von gestellten und nicht gestellten Fragen ist. Letztendlich ist Identität, so wie „Ausser sich“, eine Suchbewegung durch Raum und Zeit.
„Außer sich geraten, um irgendwo anzukommen“, das sei die Bewegung, die den ganzen Roman trage, sagt Kublitz-Kramer und Salzmann ergänzt, wenn der Roman ein Thema hat, dann ist es die permanente Suche nach Wahrheit vor dem Wissen, dass es das nicht gibt. So bleibt alles relativ, das heißt in Bewegung und abhängig voneinander.
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