stets den fluchtpunkt poesie im blick
Klage Getöse Flucht lautet der Untertitel des aktuellen Gedichtbandes Traktate des Windes von Dine Petrik. Klage Getöse Flucht sind zugleich aber auch die Überschriften der drei Kapitel, in welche der Band untergliedert ist. Und so können wir uns die Frage stellen, wer im ersten Abschnitt denn klagt? – Niemand geringerer als die Alpen, oder die Erde selbst, da wir in diesem Kapitel Gedichte finden, die aus eben dieser Perspektive geschrieben sind. Denn die Dichterin Dine Petrik hört den Hilfeschrei der Erde ebenso wie das ansonsten unerhörte, also nicht gehörte, Seufzen der Alpen:
Unsere fundamente sind zerstochen und
zerbrochen, voll mit löchern, tunnels, röhren
sechs- achtspurige autobahnen: was
fragen wir, was noch
Der Band beginnt allerdings mit dem Gedicht SOLON GEHT, womit der antike Solon, Dichter und Denker, gemeint ist. Es geht weiter mit den Gedichten NIKE HÖREN und SPHINX. Alleine die Titel verraten uns schon ein großes Interesse an antiker, altertümlicher, ägyptischer Kunst und Kultur. Richtig spannend wird das Ganze dann durch eine Verschränkung mit dem Hier und Jetzt in Form von eingeworfenen Schlagworten und Anglizismen wie „smile“, „social media“, „handy“, „hip hop“, oder „die coolen youngsters“. Dine Petrik gelingt damit in ihren Gedichten ein sehr eleganter Spagat von der Antike bis ins Heute.
In ihren Gedichten unternimmt Dine Petrik Reisen zu den Wiegen abendländischer Kultur in Palmyra, Qumran oder Ephesos. Mit den Gedichten reisen wir um die ganze Welt, sehen den Fudschijama, den Tian Anmen Platz, eine Savanne, die Sahara, oder auch den Yangtse. Fährmittel zu sowohl räumlich entlegenen, wie auch zeitlich Jahrtausende in der Vergangenheit zurückliegenden Orten, ist die Literatur.
Wohin ich gehe
: wohin ich will
von west-südost bis ephesos
Die Gedichte zu Ephesos interessieren mich persönlich ganz besonders, da wir in Wien das unglaubliche Glück haben, im Ephesos-Museum einen Großteil der Ausgrabungsobjekte aus Ephesos bestaunen zu können. Ein kleines aber großartiges Museum, das völlig zu Unrecht immer noch ein Geheimtipp ist. Mein Zugang zu Ephesos ist aber wohl ein anderer als der von Dine Petrik, die sich vermutlich vorwiegend lesend und recherchierend Ephesos genähert hat. Denn Verweise auf das Museum, oder einzelne darin gezeigte Objekte, kann ich, die ich dieses Museum sehr gut kenne, in den Gedichten keine erkennen.
Wir haben es hier mit Gedichten einer Reisenden und Suchenden zu tun, die den Dingen auf den Grund geht und sogar das Sein an sich zu definieren sucht:
Hat das sein eine definition
ist es eine komposition aus
zerrütteten konsonanten nicht mehr
als ein mondlichtartiger faden im stoff
der durch träume weht
Auch wenn in den Gedichten Philosophisches verhandelt wird, geschieht das nicht auf trockene, verkopfte Art und Weise, sondern singend und swingend. Spannung und Rhythmus im Sprachfluss entstehen dabei gerade durch Brüche, Kontrapunkte und Dissonanzen.
das fetzchen ich was will ich will
dass etwas swingt in diesen brüchen
kontrapunkten, dissonanzen
Kontrapunkt als kompositorisches Grundprinzip ist ein Hinweis darauf, dass Musik nicht nur inhaltlich in den Gedichten eine wichtige Rolle spielt, sondern die Gedichte an sich musikalisch gedacht und komponiert sind. Musik entsteht aus der Stille oder führt auf die Stille hin und so gibt es auch stille Momente in den Gedichten: „wenn schnee fällt lässt sich stille sehen“. In den Gedichten findet man sehr viele ebenso schöne, wie unerwartete Metaphern, an einer Stelle blickt uns beispielsweise „ein gestimmter text“ aus dem Spiegel entgegen, „es zeilt sich“ mitunter in den Gedichten, oder wir haben es auch einmal ganz einfach mit einem berauschenden „fall von wortrausch“ zu tun.
Das zweite Kapitel Getöse beginnt dann mit einem ganz eindeutig im Wien der Gegenwart verorteten Gedicht mit dem Titel U-BAHN-GESANG, in dem es unter anderem um das relativ neue Kebab-ess-Verbot der Wiener Linien geht und einen mittlerweile beendeten Pilotversuch, Wiener U-Bahn-Wagone mit eigenem Raumduft zu besprühen, „parfumes, versprüht von ein paar / wiener lilien“. Einmal aufmerksam geworden, findet man zahlreiche Hinweise auf Wien in den Gedichten, sei das nun die „blutrünstige lady macbeth“, die „vom burgtheater bis zum / rathausmann hinauf und wieder / nieder“ weht, „Aug-artenfiguren“, „die donau“, die „byzanz / schräge ebenen“ spiegelt, „der große wagen“, der „über den kahlenberg flieht“, oder man findet sich abends „immer auf dem sprung ins lugeck“.
Eine Verbindung vom ersten zum zweiten Kapitel stellt beispielsweise die sehr einprägsame Formulierung „mich anhimmelnde sterne“ dar, die uns schon in Klage am Ende eines Gedichtes folgendermaßen begegneten:
: unbestimmbar alles, wie die
massen mich anhimmelnder sterne
Und in Getöse erneut in anderem Umfeld aufgegriffen wird, nun allerdings am Beginn eines Gedichtes:
Kein wolkenzug wirft schatten
auf mich anhimmelnde sterne
Dine Petrik strebt mit ihren Gedichten nicht mehr und nicht weniger an, als das mit Worten Unsagbare im Klang des Ganzen hörbar werden zu lassen:
: das nicht sagbare mit worten, ob
es hörbar wird im klang des ganzen?
Musik wird im Laufe des Bandes immer wichtiger, zum einen inhaltlich:
im seichten takt die bratsche wird weil
sie nicht weinen darf, gezupft, ex oriente
Zum anderen auch formal, beispielsweise durch Binnenreime:
Schön, wie jetzt die duren spuren
die verruchten noten vielmehr zoten
drei vier lieder hin und wieder
Das letzte und kürzeste Kapitel Flucht beginnt dann mit einer Gedichthommage an Ingeborg Bachmann. Das erste der beiden Bachmann-Gedichte beginnt mit den folgenden Worten:
Vielleicht dieses jahr
das dreißigste im ungarland
im blick den großen bären
Aufgerufen werden hier Bachmann-Titel wie Das dreißigste Jahr oder die Anrufung des Großen Bären. Und das „ungarland“ lässt natürlich sofort an das „Ungargassenland“ und damit an ihren Roman Malina denken. Im weiteren Verlauf tauchen dann biografische Details aus Bachmanns Leben auf, ein namentlich nicht genannter „er“, der durch das Anführen der Todesfuge klar als Paul Celan zu erkennen ist, schreibt ihr keine Briefe mehr und Zigaretten dürfen natürlich auch nicht fehlen, bei einer Autorin die bekannter Weise mit einer brennenden Zigarette eingeschlafen war:
Zeit der stille, zeit der sucht
der griff nach den gauloises
das innere voll asche und tabletten
hinter rauchsäulen und wolken
zählt der große bär die stunden aus
bis er mich schlafen legt?
So entsteht ein einfühlsames und sehr persönliches Portrait Ingeborg Bachmanns. Der Gedichtband schließt mit Nachrufen und Trauergedichten mit Titeln wie BRUDERS TOD, NACHRUF, CHRYSANTHEMEN. Die letzten beiden Gedichte des Bandes enden beide mit demselben Wort, und zwar mit „grab“, wo jede Flucht früher oder später endet. Am eindringlichsten aus diesem Kapitel ist aber gerade das Gedicht, das ein Nachruf auf eine Kuh ist. Denn es ist absolut aufrichtig und eine Spur trotzig, erzählt von der Freundschaft eines Schulkindes mit einer Kuh, der es täglich das Schulbrot und den Apfel gegeben hatte, und über die nicht eingestandene Trauer und die Schuldgefühle, nachdem die Kuh geschlachtet worden war.
Von meinen tränen um dich
will ich mit niemandem sprechen
will mich nicht lächerlich machen
man weint nicht um eine kuhDoch das wissen um deine angst
die du hattest, bis sie der
gewaltsame tod in dir
ausgelöscht hat
quält mich noch heute
Für einen etwas versöhnlicheren Ausklang schlage ich das Buch neuerlich auf und beginne es von vorne zu lesen. Von ganz vorne, also noch vor dem ersten Kapitel, wo dem ganzen Band ein Zitat von Daniil Iwanowitsch Charms vorangestellt ist:
Gedichte schreiben muß man so,
daß, wenn man das Gedicht ans Fenster wirft,
das Glas zu Bruch geht.
Dieses Zitat seinem Gedichtband als Motto voranzustellen, zeugt von einem gesunden Selbstvertrauen, das man gerade als Dichterin haben soll und muss, möchte man gehört und ernst genommen werden. Traktate des Windes ist ein Gedichtband, den man gerne und mit Freude liest. Gedichte mit Pfiff und Pfeffer.
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