Mutter, wie sie Vögel in einem Wasserbecken versenkte
EIN HILFLOSES MONSTER
Werter Schlaf,
ich befinde mich auf den Fluren eines Gebäudes und habe ein kleines Monster auf den Armen, ich suche Professor Richard Tut. Da begegne ich meinem Freund Sasha Vlad, der mir sagt, wo ich den Professor finden kann. Ich gelange in ein Behandlungszimmer, DAS MONSTER IN MEINEN ARMEN BENÖTIGT ÄRZTLICHEN BEISTAND, der Professor empfiehlt, es zu internieren. Es folgt ein französischer Film.Buchstäblich sorglos,
Palev Jonas
Das ist aus Iulian Tanases unlängst erschienenem Band Abgrunde. Ein völlig surreales Ding, komisch, bunt, an den besten Stellen hilariös. Im letzten Drittel geht ihm ein wenig die Luft aus, dafür ist alles davor von einer kaum je dagewesenen Daseinsform. Ein Briefgedichtband vielleicht, mit aberwitzigen Protagonisten in einer Genesis-Rekonstruktion aus der Perspektive von Oneironauten mit Namen wie obiger Palev, Abgrunde, Anderjulius, Schneck Capone, Die genaue Schwester, Gellu Naum, Die halluzinogene Katze oder Otra Bruja. In die abgedrehten Texte, Briefe und Bemerkungen mischen sich erzspezialisierte Betrachtungen zu seltenen Sprachen, deren Bewunderung in dem Band selbst Nekrophilologie geheißen wird, Liebesgedichte an Abgrunde und Übersetzungen aus der Sprache Gut. Das Buch fächert sich aus und erfindet bis zum Schluss immer neue Themen, das dichte Maul hört nicht auf, Krilldetails zu beschreiben und abzulegen, vielleicht ist es an sich ein Traum, traumatisch. Jedenfalls regelmäßig grandios sind die brieflichen Grüße von Palev und Abgrunde:
Entgegenkommend mit der Möbius Schleife
Mit entstellter Stimme
Mit einem Schritt Grün und einem Schritt Karo
Mit spitzenbesetztem Blutdruck
Mit entspanntem Blick auf die literarischen Enklaven und Feingebäcke
Die Adern voller Blut
Mit krimineller Schläfrigkeit
Kaltblütig
Mit dem Vergessen zugeneigten Gedächtnis
In den grünen Zustand versunken
und so fort. In seinem Aufbau, dem freien Mäandern und Wiederholen von installierten Komplexen ähnelt Abgrunde den ebenfalls in der Brueterich Press erschienenen Pseudo von Martín Gambarotta oder Frank Witzels Grund unter Grund. Das Buch hat etwas nimmersattes, schäumendes, das gerne als Kamm auf demder vorgel too-much zu reiten scheint. In den Schneck Capone Episoden geht es um Schneckopotamien, ein Land, das die Währung Lahme führt, wie nicht anders zu erwarten, "alles nur für drei Lahme!". Der außerhalb Rumäniens noch nicht sehr bekannte Tanase ist von Ernest Wichner hervorragend übersetzt. Der Nuancenreichtum der Sprache, die Anspielungen und Namensspielereien sind hyperpräsent, es fehlt allerdings der Blick auf das rumänische Original zum Vergleich, jenes erschienen 2007 unter dem sprechenden Titel Abisa. Lange Stellen sind wie andere kontrastreich komponierte Arbeiten dieser Art von immanenter Melancholie durchzogen, sie schwingt mit. Abgrunde ist eine Innenschau.
[...] man konnte überhaupt nicht sehen, dass irgendwo an dir Blut austrat, und Tatsache ist, dass Abgrunde das nicht sehen konnte, obwohl ich blutete und alles um uns herum knallrot wurde. ES WAR, ALS WÄRE DAS OZEANWASSER IN BRAND GERATEN, UND DIE FISCHE BRANNTEN MIT EINER FEUCHTEN FLAMME. [...] warum lässt du mich sterben ICH WAR EIN MANN, DER AUF DEM GRUND DES OZEANS WEINTE.
Nach dem Balkanischen Alphabet bei Das Wunderhorn, in deren Rumänien-Ausgabe Gedichte von Tanase zu lesen waren, ist mit Abgrunde sein erste eigener Band auf Deutsch erhältlich. Es werden mit Sicherheit mehr folgen, Tanase ist interessant und verrückt.
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