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Kritik

nan eno nanadai

Hamburg

Das Androidenballett aus der Feder Kai Pohls ist eine Mischung aus analogen und manipulierten Gedichten. Zu ersteren zählen Erdkaddishs, Hommagen und Goodbyes an Leonard Cohen, Wald, Luft, Mondabschied, zu zweiteren heavy Anagrammjägerbeute, Dadaismen, Telefonbücher aus Papua (s. Titelausschnitt) und grafisch komponierte/ montierte Experimente. Wie üblich bei Pohl, legt sich eine bewölkte politische Komponente über beide Gebiete. Kraftgedichte, Klebverse oder Konzepte, stets zeigt sich ein harter Schwung in der Vorhand.

Wald ist von jeher sinnfreie Wildnis

... und hier, zwischen den 31 Seiten, wird Wirkung untersucht und gepflanzt. Gedichte wie Ich mag die Deutschen, in drei Variationen auf Vorstufen aus Albanien und Hemingway, entfalten sich im gemeinsamen Zusammenspiel:

Ich mag die Deutschen
Sie haben feste Zeiten für den Altglaseinwurf.
[...]
Kritik langweilt sie.
Sie erfinden Wörter,
die sie nicht verstehen.
[...]
Es ist leicht, in Deutschland reich zu werden,
aber es ist schwer, Geld zu verdienen.

Die liebevoll realistischen Umschlagzeichnungen von eifrigen Robotniks auf dem Engstler-typisch produzierten Heft entsprechen den befreiten Sprachprogrammen, von Pohl in einem experimentellen Dingballett inszeniert. Im Hauptakt Der Prenzlauer Berg ist ein reger Urbanpelz geht die anagrammatische Maschine auf halsbrecherischen Höhenkoten spazieren, ein spannendes Unterfangen:

Der Nordkanalmixer reibt seine Gischtnase an Fischrindern und
Barracudakehlen und lotst die Maus an Bord; der Pathosstimmer
kann schon den Dill hören. Der Atombutler kratzt mit seiner Mehl-
pfote (auch irisch Freihand) einen Saalbärkuchen aus der Aral-
bauchsenke und nimmt zum Uransteak Tee.

Ähnlich frei auch Mary Eng mit dem Army-Gen:

Hey, Mary Eng mit dem Army Gen, verriegelte Sigrun,
du brennbarer Trog siehst Webers Hund bergan mit
dem Brot rudern, seine Brut ordern, hörst auf Aborten
die BRD gurren, du C-Dur-Pesete in Stereopech, pseu-
dorechte Po-Dusche, wo nur Teer rauskommt [...]

Das Androidenballett führt zwei Strömungen nach Hause, die das Konstruktivistisch-kritische eint, vielleicht auch eine offene und manchmal geheim gehaltene romantische Ader auf die "Macht" eines Gedichts. Neuer und unverbrauchter sicherlich die experimentellere Sektion, doch auch die braucht einen Abschied aus ihrem Auftritt wie "täuschend einsame Geräusche".

Kai Pohl
ANDRO1DENBALLETT
Verlag Peter Engstler
2018 · 32 Seiten · 12,00 Euro
ISBN:
978-3-946685-13-5

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