Experiment in Freude
Im österreichischen Verlag Edition Art Science ist das Anthologie kommunizierender Poesie untertitelte Freudenalphabet erschienen, herausgegeben von Marion Steinfellner und Herbert Wimmer. Das Kommunizieren im Untertitel ruft Friederike Mayröckers Band von deren Gefäßen auf, meint hier allerdings den Ausgang einer gemeinsam ausgeführten Schreibaufgabe. "Am Anfang standen 26 Mammutbaumwörter", so heißt es, entwickelt für eine Performance. Aus diesem Alphabet lustiger Erreger ist eine, wie eine creative-writing-course anmutende task geworden, der sich insgesamt 34 AutorInnen unterzogen haben. Dabei ist diese Anthologie so vielgestaltig geworden, wie es bei der Vorgabe von 26 Wörtern von A bis Zett hätte werden können: manche erklären, manche weigern, manche brechen auf, manche sind inspiriert, manche kürzen, schwächeln etc. Fast durchgehend witzig ist der Band, unbekümmert. Tatsächlich schwingt Freude, auch wenn die meisten dieser "Mammutbaumwörter" ein nicht unerhebliches Kitschpotential bergen, das zum Glück von vielen Beiträgen erkannt, ironisiert oder ad absurdum geführt wird. "palomapoetikuniversum, kirschblütenkuscheln, glückswortgeborgen usw." machen es nicht leicht, und doch ist erstaunlich Interessantes bei vielen BeiträgerInnen herausgekommen, unter die sich in schöner Bandbreite bekanntere als auch noch nicht so bekannte Namen gemischt haben. Eine kleine lange Auswahl aus den Alphabeten:
Thomas Ballhausen entwickelt einen Abwärtstext aus Miniaturen:
"(e)
In einer Pause den geworfenen Schatten falten, knüllen wie
eine papierne schwarze Hündin, die nach Deckung sucht in
Bildern und Spuren.(h)
Wo aber der Raum greifbar wird, ist der Verlauf ausgehebelt,
wenig mehr als das Knistern eines zerschlissenen Lebens, das
weiterzieht wie ein Gewitter.(m)
Zu leise ausgesprochen überlebt das notwendige Wort keine
drei Minuten in dieser Gegend. Nein, niemals Klima, immer
bloß: Wetter.(w)
Zwischen Wut und Ohnmacht schlingerst Du in eine Pause
vor der letzen Runde. Die Aufschrift auf der Tür eines Aborts
warnt: The fortune you seek is in another cookie."
Theo Breuer mit Auswechslungen und Assoziationen:
"chiasmuschimäre
xeroskopiert chronisch sich in hyperpostmodernen zeilen
selbst gelbst chiasmus darf grundhäßlich nur dort eingesetzt
werden wo ein öffentliches interesse für die nutzung besteht
poetry hasn't been totally impervious to this tradition beauty
s truth truth beauty
xylophonxanthippe
charakterisiert x mitgehastet mutabel mit flecken mitwühlend
glutbedeckt blutbesprudelt mit wilden vergehen mit spelz ver-
lieren mit sehr viel sehrgefühl mit tollen lautwerken kind-
heit benagen"
Sigrun Casper mit Listencamouflage:
"Chiasmuschimäre
Ach, Chinasschimmer, Chinischimmel, Chintzschiebereien,
Chichischiet, Chilischerz,
Chipsschinken, Chiffreschimmer, Schlimmchen
Yesyellow
Nonoir"
Christine Huber geht in haiku-artigen Minimalismus:
"glückswortgeborgen
heißt das
ohne luft ist
kühlwasser
anhaltend
hausvogelhorizont
was weiblich ist
helldunkler kreis
linksdrehend
oasenöffnung
vor sich hin
ein rausch in weniger"
Beatrix Kramlovsky entwickelt ein "eigenes Freudenalphabet" stattdessen:
"Überkopfanzeige war ein anderes Rätselwort, als ich klein
war, weil ich es mit Lebewesen von einem anderen Stern
verband; nachts stand ich manchmal am Fenster und wartete
auf etwas, von dem ich nicht wusste, was es sein konnte, auf
Antennenfüßen, mit Tentakelohren und Rauschangriffsklauen."
Margret Kreidl ebenfalls minimalistisch, dafür hochaggressiv:
"HAUSVOGELHORIZONT
Zwitscherbude für Mutter und Sohn.
JASMINJUBILIERNÄCHTE
Ein Schinkenlecker braucht kein Vaselin.
NACHTNÄHE
Warten auf den Schokoladenmann."
Swantje Lichtenstein antwortet als "EXPLANAT":
"SEHNSUCHTSTRUNKENTRANCESTILLE
KOMME WAS WOLLE MIT DER RUHE DER
SPANISCHEN EBENE"
Sylvia Petter schreibt in ihrer Muttersprache Englisch:
"WASSERWÜNSCHE
A universal right, soon to be pocketed by Nestlé."
Judith Nika Pfeifer entwickelt ein quirliges Freudenalphabet "Für Marion von Judith":
"HAUSVOGELHORIZONT
: danke dass du in meine pupillen passt
LICHTERLOHLIEBKOSEND
so etwa: famos verheddert noch
zu lebzeiten in den mutproben"
Wally Rettenbacher auch minimalistisch:
"ENDLOSEINHEIT
omnipotenzbummler
leben
die unvorstellbarkeitsfrage
VOGELBETTVERGNÜGEN
gefiederte freunde
komponieren
eine tannennadel"
Sophie Reyer in den Worten:
"LICHTERLOHLIEBKOSEND
felder aus feuer: regenbögen mit gebrochenen rückgraden
die lichter der stadt bei nacht verschwimmen bis sie
kaleidoskope aus augen sind schauen dich an die straße in
fahrt: flamingos und blut
lichterlohliebkosend geht eine welt zu grunde"
Gerhard Ruiss wie aus dem Geschenkebuch:
"S wie Sehnsuchtstrunkentrancestille
die freude am nichtstun
vor kurzem ließ ich auch die letzte meiner
lieblingsbeschäftigungen
jetzt habe ich nur noch keine anderen"
Robert Schindel knapp:
"FINGERSPITZENFIXSTERN
Auf dem die Paroxysmen geparkt werdenHAUSVOGELHORIZONT
Verhängtes ZeugVOGELBETTVERGNÜGEN
Trocken Brot"
Elisabeth Schöffl-Pöll mit Anagrammen:
"IMMERINTENSIVST
Tsvisnetnireimm
STIMMENTWISTPALOMAPOETIKUNIVERSUM
Musrevinukiteopamolap
KITTENAMORPHEUM"
Schließlich endet der Band mit einigen Leerseiten und folgender Aufforderung: "Hier steht das Freudenalphabet zum Selberschreiben, Have fun!" Den kann man haben. Die Anthologie ist erfrischend, offen und strotzt vor Sprachbegeisterung. Die Beiträge erinnern nicht selten an Herangehensweisen, die man auch von anderen AutorInnen kennt, doch durch das "Kommunizieren" werden sie auf einen Nenner heruntergebrochen, Vergleichbarkeit und Potentiale entstehen/ werden lesbar. Buchgestalterisch ist der Band zwar nicht unbedingt ein Hingucker und auch ein paar zu viele Satz- und Schreibfehler ärgern. Trotzdem funny stuff, Austrisch Delight, mit nicht wenigen Höhepunkten.
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