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ostra-gehege Zeitschrift für Literatur und Kunst
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ostra-gehege Zeitschrift für Literatur und Kunst
Kritik

Nur keine Angst vor Minnesang

Hamburg

Der schiere Umfang, die dicken Goldlettern UNMÖGLICHE LIEBE auf dem Einband und die Tatsache, dass wir hier einen zweisprachigen Band der Kunst des Minnesangs in neuen Übertragungen in Händen halten, mag einschüchternd wirken, aber keine Sorge, Tristan Marquardt und Jan Wagner meinen es gut mit uns und legen sich sehr ins Zeug, uns den mittelhochdeutschen Minnesang näher zu bringen und mögliche Vorurteile und Hemmschwellen abzubauen und zu überspringen. So dick es ist, so unterhaltsam und vielfältig ist es auch, dieses Buch. Und schon alleine die Vielzahl der Dichter und Dichterinnen – über sechzig sollen es sein – von denen die Übertragungen stammen sorgt dafür, dass für beinahe jeden Geschmack etwas dabei ist.

Der Band ist durch und durch aufwändig, sowohl was die Gestaltung mit Lesebändchen und dickem, geprägtem goldenen Titel anbelangt, als auch die Genauigkeit der Arbeit die hinter allem steckt. Die Übertragungen stammen von einer ungeheuren Menge an zeitgenössischen Dichtern und Dichterinnen. Aus der Danksagung geht hervor, dass es den Dichterinnen und Dichtern im Bedarfsfall ermöglicht wurde, den wissenschaftlichen Rat einer Gruppe von Mediävistinnen und Mediävisten in Anspruch zu nehmen, was für die Sorgfalt, mit der hier gearbeitet wurde, spricht. Jeder Übertragung folgt die mittelhochdeutsche Fassung, was dem Minnesang als Variationskunst gut entspricht. Herausgegeben haben den Band Jan Wagner, der sich selbst im Vorwort als „begeisterter Laie“ in Punkto mittelhochdeutscher Lyrik bezeichnet, während er Tristan Marquardt als akademisch geschulten Experten bezeichnet, „der sich bis hin zu einer Doktorarbeit mit der Materie befasst hat.“ Wie dem auch sei, die Zusammenarbeit der beiden scheint eine durchaus fruchtbare gewesen zu sein und ihr Enthusiasmus für mittelhochdeutsche Lyrik überaus ansteckend. Ein kurzes Vorwort und eine etwas längere „kurze Einführung in den Minnesang“ werden dem Band vorweg gestellt und dann kann es schon losgehen mit dem Singen und Klingen.

Der Titel UNMÖGLICHE LIEBE bezieht sich auf das Minneparadox, welches von Tristan Marquardt in der Einleitung erklärt wird und bei Rudolf von Fenis-Neuenburg sehr bildhaft auf den Punkt gebracht wird:

Fühl mich wie einer, der auf Bäume steigt
und nicht weit kommt, auf halbem Weg verbleibt
und auch nicht mehr herunter kann
und so die Zeit mit Sorgen sich vertreibt.

(Rudolf von Fenis-Neuenburg, Übertragung: Steffen Popp)

Minnekunst als Variationskunst verhandelt eben diese Unmöglichkeit immer wieder aufs Neue. Soweit so klar und eindeutig. Doch da Ausnahmen bekanntlich die Regel bestätigen, gibt es selbstverständlich auch Beispiele möglicher Liebe:

was gibt sie mir zum Lohn?
Dank, ein schönes Wort.

(Kaiser Heinrich, Übertragung: Ilma Rakusa)

Im Lesen der Lieder und Übertragungen erkennt man dann eines sehr schnell: Im Wort „unmöglich“ steckt und versteckt sich das Wort „möglich“ und diesem Umstand sind sich die Minnesänger sehr wohl alle bewusst.

Die Bandbreite, wie an die Übertragung der mittelhochdeutschen Texte heran gegangen wurde, ist enorm. Sehr erheiternd an dem Band finde ich, dass es mir in manchen Fällen leichter fällt, das Mittelhochdeutsche zu lesen und zu verstehen, als die Übertragungen zeitgenössischer Dichterinnen und Dichter. Überhaupt wirkt es so, als wären die Dichter und Dichterinnen mit ungeheuer viel Spaß, Freude und augenzwinkerndem Enthusiasmus an die ganze Sache heran gegangen, was das Buch zu einem sehr vergnüglichen Leseabenteuer werden lässt.

Die hat mir ja so das Herz entkorkt,
daß ich schon an Märchen glaub

(Friedrich von Hausen, Übertragung: Ulrich Koch)

Alleine schon wegen seinem Umfang und seiner Vielfältigkeit ist UNMÖGLICHE LIEBE ein Band für den man viel Zeit braucht. Das nachtblaue Lesebändchen ist daher mehr als angebracht, da es ein Buch ist, das man wohl kaum auf einmal durchlesen kann, sondern bei dem man eher wegen der Unterschiedlichkeit der Stimmen und Stile gerne immer wieder kurze Atempausen zwischen den einzelnen Übertragungen einlegt, um jeder davon seine ganze Aufmerksamkeit schenken zu können.

Die Herangehensweise ans Übertragen ist sehr verschieden. Manche Dichterinnen und Dichter drücken den Minneliedern ihren eigenen Stempel mit großer Vehemenz auf und beanspruchen sie damit gewissermaßen für sich. Andere wiederum nehmen sich selbst ganz zurück und zeigen gerade durch ihre große Zurückhaltung ihren großen Respekt vor dem Original. Es gibt Übertragungsweisen, die dem Mittelhochdeutschen entgegen gehen ebenso wie solche, die das jeweilige Minnelied sehr entschlossen ins Heute holen.

well well du gute frau
well well halligalli forever
well well du kannst das depressive milder
wo immer die liebe ein sehnbärherz hart haut
dein rosa lipglossmund
wenn er mal lächelt
glänzt ganz taublütensoft
und freut mich so
wie das blingbling deiner augen

(Gottfried von Neifen, Übertragung: Swantje Lichtenstein)

Und nochmals spannender wird die Frage der Übertragungsweise dann dadurch, dass einige Dichterinnen und Dichter mehrere Minnelieder unterschiedlicher Sänger übertragen haben und dass sich ihre Übertragungsweise von Fall zu Fall unterscheiden kann.

Zeitgenössischer Minnesang, ja wie klingt denn das? Sehr bunt und unterschiedlich. Bei Andre Rudolph zum Beispiel geht es eher still zu, da er aus dem Minnesänger einen schreibenden Dichter macht. Während das mittelalterliche Ich noch sang, beziehungsweise aus Liebeskummer eben nicht mehr sang, schreibt es bei ihm nicht mehr:

Und dann werd’ ich gefragt, warum ich
nicht mehr schreibe: das war doch immer deins,
vielleicht verstehn sie’s wirklich nicht,
und ich kann’s nicht beschreiben.

(Bernger von Horheim, Übertragung: Andre Rudolph)

Der im Lied inhärente Witz, dass jemand singt, dass er nicht mehr singen würde, bleibt dadurch erhalten, denn nun schreibt jemand, dass er nicht mehr schreibt, was ebenso absurd ist.

Doch gesungen wird doch heute auch noch vorwiegend über die Liebe, dachten sich wohl Matthias Kniep und Nadja Küchenmeister und collagierten für ihre Übertragung kurzerhand Liedtitel miteinander:

My heart’s desire 2Pac she wears a crown Run The Jewels she is the
                                                                                                                          queen,
she’s such a scream Tom Waits and such are queens David Bowie not
                                                                                                                   like anyone
I’ve ever met ... well, at least not yet The Wedding Present
rumour has it Adele the one and only beautiful girl in the world Frank
                                                                                                                             Sinatra

I got to tell you Dr. Octagon she’d shine anywhere Ray Charles she
                                                                                     looks a so fine Ramones
know what time it is? Public Enemy oh, honey pie The Beatles ya
                                                                                                                 ought to
thank me Johnny Cash stop making a fool out of me Amy Winehouse

 

(nach Heinrich von Morungen, Übertragung: Matthias Kniep, mit Nadja Küchenmeister)

UNMÖGLICHE LIEBE deckt mit den Übersetzerinnen und Übersetzern eine große Spanne von ganz jungen Dichtern und Dichterinnen bis zu großen etablierten Namen ab. Die Vielfalt und Unterschiedlichkeit der Übertragungsweisen ist damit enorm und das ist die Stärke dieser Anthologie. Daher möchte ich nun einige Beispiele der Vielfältigkeit der Stimmen und Übertragungsweisen bringen, um das nachvollziehbar zu machen.

Elke Erb steht für sich mit ihrer kommentierenden Übertragungsweise, die uns als ihre Leser mitnimmt auf ihre Reise in den Text:

Dem (Ime = ihm) geht es gut, der sagen kann,
daß er sein Lieb in den Sorgen der Sehnsucht ließ (Genetiv-Attribute vermeide ich
sonst, aber hier war kein Ausweg).

(Reinmar der Alte, Übertragung und Kommentar: Elke Erb)

Dass Minnesang nicht reimen muss und durchaus experimentell sein kann, zeigt uns u.a. Norbert Lange:

Meine die was ich sollte meinem dann die da und dann doch ich käm Dummen
sagen ich Winter was wär nur Stimmung sollte mich könnte würde Willen wäre

(Rudolf der Schreiber, Übertragung: Norbert Lange)

Uljana Wolf überträgt Oswald von Wolkensteins Sprachenmischmaschlied in ein entsprechendes Lied zwischen den Sprachen und fügt dem dann noch ein zweites erklärendes Lied bei, das erklärt, was Wolkenstein und Wolf da eben machten:

Oswalds polyglotte wolkenposse
reitet mit ihren sieben sprachen
zweihebig, jambig von dannen.
das material hält dicht, mit reim
verstrickt, schabrackt translingual:
die minne singbar, der schmerz
nicht sans sense. […]

bisses schnurrt. nur so ließ sich
denn auch oswalds soundcloud
übersetzen, with senses, teils nach
ausschauen, teils nach aussprache
assoziiert, lauter schnurre, endlos
viele kombinationen. ein code ins
offene. […]

(Oswald von Wolkenstein, Übertragung: Uljana Wolf)

Oswald Egger wiederum übersetzt den Südtiroler Oswald von Wolkenstein ins Südtirolerische. Und alleine schon für diese Übertragung würde man sich eine CD zum Nachhören wünschen:

A fintschre Forb zem enten
verzahrt mi, eppes fahlt
epper, in dr Nocht, augschreckt holt,
woale, und koan Laintuech.

(Oswald von Wolkenstein, Übertragung: Oswald Egger)

Sehr unterhaltsam ist dann auch das Autorenverzeichnis, das die Minnesänger mit den Übersetzerinnen und Übersetzern vermischt. Im ersten Moment verwirrend ist dabei nur, dass die Übersetzer und Übersetzerinnen nach Nachnamen sortiert sind, die Minnesänger, wenn sie den Namen eines Ortes oder einer Burg als Beinamen führen, was sehr häufig der Fall ist (z.B.: Heinrich von Morungen, Oswald von Wolkenstein, Walter von der Vogelweide), aber nach dem Vornamen alphabetisch angeführt werden.

Die Anordnung der Lieder in der Anthologie ist nach Minnesängern chronologisch geordnet. Das ist logisch nachvollziehbar, macht es aber für nicht-Experten mühsam, einzelne Minnesänger wiederzufinden, wenn man irrtümlich vergessen hat, sich die Seitenzahl aufzuschreiben, man sich den Liedanfang nicht gemerkt hat und daher nichts mit dem Verzeichnis der Liedanfänge anfangen kann oder das Lesebändchen anderswo steckt. Ich blättere und blättere also immer wieder hin und her und finde dann auch irgendwann alle, wobei ich mir die ganze Zeit denke, dass das doch nicht sein kann, dass es kein Inhaltsverzeichnis gibt. Und es gibt ja dann doch eines, auch wenn es sich so gut versteckt, dass ich selbst es erst finde, als ich es gar nicht mehr bräuchte, weil ich schon fast fertig bin mit dieser Rezension: Das Inhaltsverzeichnis in dem die Minnesänger kurz und bündig auf einer Seite mit den jeweiligen Seitenzahlen angeführt werden, versteckt sich hinten auf der allerletzten Seite, wo man nach dem fünfseitigen Verzeichnis der Liedanfänge schon gar nichts mehr vermuten würde.

Wenn man der Anthologie etwas vorwerfen kann, dann vielleicht, dass sie, was die Übersetzer und Übersetzerinnen anbelangt, doch sehr „schland“-zentriert, um es mit Ulrike Draesner zu sagen, bzw. deutschlandlastig ist. Es gibt ihn schon, den einen Quotenwiener im Buch und dann gibt es mit Andrea Grill auch noch eine in Wien lebende Dichterin, aber, so viel sei verraten, Franz Josef Czernin und Andrea Grill sind bei weitem nicht die einzigen beiden Dichter Österreichs. Das ist zwar ein Vorwurf, den man den meisten größeren deutschen Anthologien machen kann, schade ist es aber trotzdem. Gerade in diesem Fall wäre es naheliegend gewesen, etwas dezidierter über den eigenen Tellerrand zu blicken, da der mittelhochdeutsche Minnesang nicht vor Landesgrenzen Halt macht, sondern grenzüberschreitend in einem Sprachraum zu verorten ist. Wie uns das Autorenverzeichnis verrät, stammen die mittelhochdeutschen Dichter aus Steinach am Neckar, vom Bodensee, aus Franken, Metzingen, aus dem heutigen Flandern, der Schweiz oder aus der Steiermark. Sie lebten in Zürich, Thüringen, Südtirol, Schwaben, oder Österreich. Einer studierte in Erfurt, ein anderer starb in Mainz und einer in Basel. Einer nennt sich „Der Mönch von Salzburg“, in den Liedern eines weiteren begegnen uns „Zuweisungen nach Bayern und Österreich“ und bei den meisten ist die Herkunft überhaupt ungewiss, was das Konzept von Landesgrenzen ad absurdum führt. Das verbindende Potential, das somit in einer so umfangreichen Anthologie des Minnesangs in neuen Übertragungen liegt, ist in UNMÖGLICHE LIEBE im Kern vorhanden, es gibt einige Vertreter und Vertreterinnen aus der Schweiz, zwei aus Österreich und mit Oswald Egger auch einen geborenen Südtiroler, aber der Hauptfokus liegt schon auf in Deutschland lebenden bzw. geborenen zeitgenössischen Dichterinnen und Dichtern.

Der Gesamteindruck, der nach dem Lesen der Anthologie zurück bleibt, ist der ansteckender Freude und Begeisterung und das zeigt, wie gelungen sie tatsächlich ist. UNMÖGLICHE LIEBE macht neugierig auf mehr und zwar sowohl auf mittelhochdeutschen Minnesang als auch auf zeitgenössische Dichtung.

Tristan Marquardt (Hg.) · Jan Wagner (Hg.)
Unmögliche Liebe
Hanser Verlage
2017 · 304 Seiten · 32,00 Euro
ISBN:
978-3-446-25654-5

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