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Komm! Ins Offene haus für poesie
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Komm! Ins Offene haus für poesie
Kritik

Die Tage, die uns nicht gehören

Hamburg

Sieben Jahre sind inzwischen vergangen, seit Amir Shaheens letzter Lyrikband „Keine Wendemöglichkeit“ (Verlag Ralf Liebe, Weilerswist 2005) erschien, und ich muss zugeben, dass ich sieben Jahre mit zunehmender Ungeduld auf eine Neuerscheinung gewartet habe. Shaheens Bücher gehören zu den wenigen, die ich in regelmäßigen Abständen wieder aus dem Regal nehme um zu blättern und zu lesen. Das mag daran liegen, dass wir einen ähnlich gelagerten Musikgeschmack haben und aus seinen Versen seit jeher eine Atmosphäre verrauchter Kneipen oder Clubs strömt, auf dem Tisch das letzte Bier, aus den Boxen Blues oder Rock N‘ Roll, gepaart mit der ganz eigenen Melancholie, die so ein Moment am Ende des Abends verströmt. Am besten nimmt man auch den nun vorliegenden neuen Band „Überall und morgen“ gleich dorthin mit um Verse wie diesen angemessen zelebrieren zu können: „die Nächte sind noch bewohnt / Im Schein letzten Aufbäumens brennen sich / Schwärmer Raubkopien der Liebe“.

Auch wenn hier und dort Sonnenstrahlen hereinscheinen, an der Küste das Meer rauscht und Lichtfunken auf den Wellen glitzern, immer geht es um Verlorenes, Vergehendes, Verpasstes; man muss diese Stimmung mögen, sonst kippt man leicht in eine depressive Episode mit schalen Küssen und der Trauer um all jenes, das hätte gewesen sein können. Düster, direkt und zugleich hochpoetisch schreibt der Kölner Dichter und Herausgeber, verzahnt seine Gedichte ineinander, greift bestimmte Bilder immer wieder auf um sie neu zu beleuchten, es sammeln sich Abzüge und matte Polaroids des Lebens, das überall und morgen stattfindet, nur eben nicht hier und jetzt.

„Das unbestimmte Gefühl / Dass etwas ganz sicher vorbei ist“ und der „Verzicht auf die Zugaben“ sind bezeichnend für das ewige Ende immer neuer Lebensabschnitte, die Erkenntnis, dass „lebenslänglich“ eine verdammt kurze Zeit ist, bestimmt das Sein, das zwischen dem Gestern, das nicht wiederkehrt, und dem Morgen, das vielleicht nie kommt, gefangen ist: „Und die Mädchen von damals / Sind die Frauen von Männern / Denen das Lachen auch noch vergeht“.

„Doch ich bleibe identifizierbar / Als Nichtangekommener“ befürchtet das lyrische Ich in der Wartehalle irgendeines Flughafens vor einem Aufbruch irgendwohin, der auch nichts Neues bringen wird: „Das Gepäck schon eingecheckt / Die Erlebnisse führe ich unbemerkt / Als Erinnerungen mit“. Und irgendwo heult wieder ein Bluessolo auf, in dem die Erinnerungen an das fröhliche kindliche Planschen im Freibad mitschwingen und die Erkenntnis, dass es längst kein Spaß mehr ist, wenn der Kopf unter Wasser gedrückt wird, denn irgendwann geht jedem die Luft aus.

Amir Shaheen beobachtet das Leben, den alltäglichen Trott und seine Verlogenheiten mit nüchterner Resignation, und ich weiß jetzt schon: Auch dieses Buch werde ich wieder und wieder durchblättern, lesen, bei einem Bier, und wenn ich aus dem Fenster blicke fällt der Novemberregen kalt und hart.

Amir Shaheen
Überall und morgen
sujet
2012 · 75 Seiten · 12,80 Euro
ISBN:
978-3-933995933

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