Kritik

Ist Slam-Poetry auch Lyrik?

Hamburg

Immer wieder kommt die Frage auf, ob Slam-Poetry denn nun Lyrik ist oder nicht. Ob man sie dieser hochangesehenen aber höchst selten gelesenen literarischen Gattung zuordnen oder eher unter Comedy / Kabarett einordnen sollte, ob sie nun U oder E ist. Und zugleich, ob man diese Frage überhaupt stellen muss, ob man nicht einfach akzeptieren kann, dass Slam rein formal weitestgehend dem Gedicht zuzuordnen ist, sich aber weniger an den einsamen Leser in seinem Ohrensessel als vielmehr an die jubelnden, oft jungen Horden der Eventkultur wendet und generell eher gehört als gelesen werden sollte.

Der 1974 in Bremen geborene und heute wie jeder hippe Dichter in Berlin lebende Bas Böttcher legt nun bei Voland & Quist seine umfangreiche Textsammlung „Vorübergehende Schönheit“ vor. Inkl. Spoken-Word-CD und dem Hinweis, dass es sich „bei den hier vorliegenden Gedichten (…) um Bühnentexte“ handelt, die für den Vortrag verfasst wurden. Böttcher gilt als der erste deutsche Slampoet überhaupt, schon in den frühen Neunzigern begann er, seine Werke live zu präsentieren. Geändert hat sich daran bis heute nichts, nur die Aufmerksamkeit ist höher.

Hört und liest man Böttchers Poetry, so ergibt sich erstmal der Eindruck von Rap ohne instrumentale Begleitung, inhaltlich vor allem am Alltag orientiert, auch Liebe und Sozialkritik kommen vor, das Übliche eben. Allerdings im Gegensatz zum HipHop ohne das deftige Auf-die-Pauke-hauen, ohne die kalkulierten Skandälchen der Massenkultur, ohne Kaskaden an Kraftausdrücken, sehr wohl aber mit Anklängen an die der Form unvermeidlich anhaftende Gossengrammatik (hier macht man nicht, sondern ist am machen, spricht nicht, sondern ist am sprechen…). Das ist durchaus rhythmisch, spielt mit Klang und Musikalität, arbeitet mit Refrains und Breaks und kalauert sich durch zahllose mal mehr mal weniger alberne Wortspiele. Beispiel gefällig? Bittesehr:

Aus falsch mach ich Flash
Aus Fehler mach ich Flair
Aus schlecht wird Geschlecht
Aus verkehrt wird Verkehr
Aus Elenden die Edelen
Aus Lebenden die Liebenden
Aus Leid mach ich ein Lied
Und aus bad mach ich ein‘ Beat

Und so weiter. Lacher und Schenkelklopfer garantiert. Das ist definitiv MTV-tauglich und vermutlich wäre auch das Wetten-dass-Publikum angetan, hier und da ist es mal originell, mal reichlich platt, auf Dauer aber ziemlich ermüdend, zumindest wenn man zu derlei Vortrag oder Form keine besondere Affinität hat. Das Hintergründige, das sich gar nicht selten findet, wird leider vom kalkulierten Wortwitz plattgewalzt, nur selten finden sich hervorragende Passagen wie diese: „Mit Auflage und Headline / Aufhänger und Deadline“ – wohlgemerkt, der Rest des Gedichts „Vermischtes“ kommt eher plakativ daher, das kann man rhythmisch abnicken, aber mehr auch nicht. Wer auf Hiphop steht, der muss sich um die Boombox selber kümmern, wer Events mag bekommt hier passend Buch und Begleit-CD. Slam-Fans ist Böttchers Buch wärmstens zu empfehlen, alle anderen dürften sich eher wenig erwärmen können. Reinlesen ist auch nicht zu empfehlen, eher noch Reinhören, denn ohne die Performance funktionieren die Texte überhaupt nicht.

Bas Böttcher
Vorübergehende Schönheit
Voland & Quist
2012 · 128 Seiten · 16,90 Euro
ISBN:
978-3-863910174

Fixpoetry 2012
Alle Rechte vorbehalten
Vervielfältigung nur mit Genehmigung von Fixpoetry.com und der Urheber
Dieser Artikel ist ausschließlich für den privaten Gebrauch bestimmt. Sie dürfen den Artikel jedoch gerne verlinken. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder.

Letzte Feuilleton-Beiträge