Eine Werkschau
Mit "Bäuchlings legt sich der Himmel" sind nun endlich wieder Gedichte dieses wichtigen Dichters auf dem Markt, nachdem die 1983 vom Bukarester Kriterion-Verlag herausgebrachte Ausgabe der Werke Hoprichs längst vergriffen ist. Und wieder einmal zeigt sich, dass der Verlag Reinecke und Voß ein gutes Gespür hat für Autoren, die der Vergessenheit zu entreißen sich lohnt.
Georg Hoprich wurde 1938 in der Nähe von Hermannstadt geboren, 1961 wurde er wegen "deutschnationaler Umtriebe" zu fünf Jahren Haft verurteilt, nach drei Jahren wieder entlassen. 1969 wählte er den Freitod. Es mag verwundern, dass keine historisch-kritische und kommentierte Gesamtausgabe vorliegt, die einen wissenschaftlichen Zugang zu Person und Werk Georg Hoprichs ermöglichen würde.
Eine solche Ausgabe kann und will die von Bertram Reinecke besorgte Auswahl nicht sein. Eine "Leseausgabe" nennt der Herausgeber sie daher bescheiden in seinem Nachwort, eine nach Themen geordnete Auswahl, die nicht mehr bezweckt, als einen Überblick über Hoprichs Schaffen zu ermöglichen. Und doch ist Bescheidenheit hier fehl am Platze, denn diese Leseausgabe ist mehr als ein Büchlein, es im bequemen Sessel von Zeit zu Zeit zur Hand zu nehmen. Und sie wird sicher auch dann noch ihre Berechtigung behalten, wenn auf dem Schreibtisch eine große und wissenschaftlich untermauerte Hoprich-Ausgabe liegt: zumindest für all jene, die Hoprich als Dichter und nicht als historische Person in den Blick nehmen wollen.
Zudem bietet auch diese Ausgabe mehr als nur klug zusammengestellte Texte, denn neben einer Auflistung von Textvarianten, die aus den Typoskripten gewonnen werden konnten, finden sich auch, wo dies möglich war, Angaben zur Entstehungszeit der einzelnen Gedichte.
Wie nützlich dies für den Leser ist, zeigt sich etwa an "Schweigen" (S. 70) und "Schweige!" (S. 69). "Schweigen", so wissen wir aus dem Nachwort, hatte eine wichtige Rolle als angebliches Belastungsmaterial im Prozess gegen Hoprich gespielt. "Schweige!" entstand im August 1964. Die beiden hier als thematisch verwandt nebeneinandergestellten Gedichte umrahmen also zudem noch Hoprichs Haftzeit.
Viele interessante Zusammenstellungen finden sich in dem Band, denn Hoprich ist ein Dichter, der häufig Themen über lange Zeiträume im Blick behält.
Nachts mit Dir
Es gleitet ruhig unser Kahn,
und kleiner wird die Welt.
Der See hat sich gewellt.
Aus Tiefen ruft ein letzter Hahn.
Es webt der See sich ein die Sterne.
Die grosse Welt – nun ist sie ferne.
Dichtete Hoprich 1957. Und zehn Jahre später dann:
Abend
Nun drängt das Schilf die Dämmerung
Ins Geheimnis des Sommers.
Von Hügel zu Hügel wird Ferne,
Von Stunde zu Stunde Geduld.
Wolken schweben über den Hügeln
Wie Spielzeuge der Vergangenheit.
Wir lösen den Kahn vom Ufer
Und gleiten hinunter.
Es gibt noch mehr solch langlebige Themen in Hoprichs Gedichten, die Nacht etwa, Wünsche und Namen aufs Fensterbrett geschrieben, Wiese und Büsche der Kindheit, selbst einzelne Zeilen werden in verschiedenen Gedichten aufgenommen und neu durchgespielt (etwa "ich weine ungenau" in "Ich bleibe manchmal stehen" und in "Alles ist ungefähr"). Wenn in dieser Ausgabe häufig von solch zusammengehörigen Gedichten das jüngere zuerst gedruckt ist, so mag das den Gepflogenheiten historisch-kritischer Ausgaben widersprechen, für den Leser aber, der ja tatsächlich auf diese Gedichte der 50er und 60er Jahre zurückschaut, ist es die angemessene Blickrichtung.
Und es gibt wirklich viel zu sehen in diesem Band. Die schönste Entdeckung war für mich Hoprichs wundersame Fähigkeit, uns mit Brüchen in seinen Gedichten aus einer gerade eingenommenen bequemen Lesehaltung wieder aufzuschrecken. Immer wieder lockt er mit Geläufigem: "Nimmst du mich, so wie ich bin", ja sogar "Der Mond ist aufgegangen" und "Komm, lieber Mai, und mache"; manche Gedichte (wie "Ende") schlagen einen ganz Eichendorffsch-volksliedhaften Ton an. Aber dann zieht uns der Dichter den Boden unter den Füßen weg. Immer wieder tauchen im vermeintlich Glatten (denn Hoprich beherrscht die Form und belesen ist er auch) verstörende Bilder auf: "Komm, lieber Mai, und mache / Dich aus dem Staub!", "Alles ist müd und fern / Mich unterschlägt mein Stern", "Es wuchern die Läuse / Im Sonnenschein", "Im Garten der Apfelbaum / ... / Verborgen im Wahnsinn des Eden-Ödem", "Stille Nacht, heilige Nacht! / Bangende vor den Innenräumen / ... / Es könnte sein, dass man nicht mehr erwacht". Das liest man nicht bequem in den Sessel gefläzt. Hoprichs Verse liest man mit gespannter Aufmerksamkeit.
Sternennacht
Nun ist die Stunde da,
die du täglich zum Leben brauchst.
Fontänen gewaltigen Goldes
vor der Laube deiner Sinne,
Windstille im Tal der Gestirne,
Bruderherz im Herzen.Die Nacht, die mondgetränkte Kathedrale,
umfasst deine Knie.
Zwischen den Gladiolen des Sommers
wächst du hinauf in die Himmelsgaue
und die Bären der Jungfrau
schützen dein Leben.(1967)
Wir sollten dankbar sein, dass die Stimme dieses Dichters für uns Leser zurückgewonnen worden ist – und das in einer gut ausgewählten und bezahlbaren Sammlung.
Fixpoetry 2012
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