Mondkrank im Exil
Krankheit, Exil, Ichsuche, Verortung des Begriffs Heimat – so könnte man die Kernthemen der Lyrik von Gezim Hajdari zusammen fassen wenn man an der Oberfläche kratzt. Hajdari wurde 1957 in Albanien geboren, wo er vor allem politisch aktiv war. Er stellte sich der Diktatur entgegen, nicht nur als Schriftsteller, sondern auch als Mitbegründer der republikanischen Partei, er wollte etwas bewegen, er prangerte Korruption und organisierte Kriminalität an, und geriet dadurch immer wieder ins Visier der Staatsmacht, bis er 1992 schließlich ins Exil gehen musste, nach Italien, wo er bis heute in der Nähe von Rom lebt.
Es kommt selten vor, dass Exildichter sich größere Bekanntheit erarbeiten. Die meisten werden in ihren Heimatländern rasch vergessen und in ihren Zufluchtsländern gar nicht erst wahrgenommen, was in der Regel ein großer Verlust ist, sowohl für die Leser als auch für die jeweilige Literatur- und Kulturszene. Hajdari hingegen, der sowohl in seiner Muttersprache als auch auf Italienisch schreibt, wird wahrgenommen, in Italien von der (Lyrik)Lesern ebenso wie von Kritikern. Er wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, während man in seiner Heimat längst nichts mehr von ihm wissen will, weil er stets geweigert hat, die herrschenden Verhältnisse zu akzeptieren.
Bereits 2008 erschien im Pop Verlag sein Band „Mondkrank“ auf Deutsch, übertragen und mit einem Nachwort versehen von Stefanie Golisch. Die Gedichte sind bei aller Melancholie ein Lobgesang auf das Leben. Hajdaris auf den ersten Blick klare und einfache Sprache bietet eine Überfülle an originellen und eindringlichen Bildern wie diesem:
aus jeder Ecke des Zimmers
umarmt mich deine Abwesenheit
Die Einsamkeit ist ein Motiv, das immer wieder auftaucht, ebenso wie die Frage, was Heimat ist. Albanien? Italien? Dieses Zimmer? Ein geliebter Mensch? Oder doch bloß der eigene Körper, der sich dieser Rolle, von Krankheit und Entbehrung gezeichnet, längst nicht immer fügen möchte? Das Glück findet sich stets im ganz Kleinen: einem Glas Wein; einem Brief einer Studentin, die erzählt, dass sie Hajdaris Gedichte mag; oder bloß in der Erleichterung, alle offenen Rechnungen bezahlt zu haben und gerade mal nicht um die Existenz bangen zu müssen.
Wenn ich in tiefer Nacht auch diese Verse
von meiner schmerzenden Haut
abgestreift haben werde,
in einer kalten und finsteren Ecke
von Zeit und Raum,
werde ich diese ungastlichen Orte
des Nichts und der Vergessenheit
hinter mir gelassen haben.
Keine schlimmere Zuflucht, um mein Exil zu erleiden.
Wenn dieses Buch
der Freude und des Wahnsinns erschienen sein wird,
werden sie mich nicht wieder erkennen auf den Plätzen,
in der Trunkenheit des Exils.
Jedes Gedicht, jeder Vers, jedes Wort ist untrennbar verknüpft mit der Biografie des Autors. Gezim Hajdari erfindet nichts, er verwandelt Leben ganz unmittelbar zu Literatur: sein Leben.
Fixpoetry 2014
Alle Rechte vorbehalten
Vervielfältigung nur mit Genehmigung von Fixpoetry.com und der Urheber
Dieser Artikel ist ausschließlich für den privaten Gebrauch bestimmt. Sie dürfen den Artikel jedoch gerne verlinken. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder.
Neuen Kommentar schreiben