Der Plan vom rechten Leben
Obwohl statistisch beinahe jede zweite Ehe in Deutschland scheitert, ist der Trend zum Heiraten ungebrochen. Drei Viertel der jungen Menschen gehen den „Bund fürs Leben“ ein und selbst 80 Prozent der geschiedenen Männer sowie 72 Prozent der geschiedenen Frauen entschließen sich zu einer zweiten, dritten oder sogar vierten Ehe. Ein wesentlicher Grund für die hohe Fluktuation ist für Hannelore Schlaffer dem Umstand geschuldet, dass sich heute ein junges Paar bei der Eheschließung seine Liebe mit hoher Wahrscheinlichkeit auf immerhin 40 bis 50 Jahre verspricht. Hinzu komme, dass sich die individuellen Lebensumstände, etwa die berufliche Situation oder auch schlicht Vorliebe und Geschmack, schneller verändern, als dies in früheren Zeiten der Fall war, sodass ein Paar zwar zu Beginn seiner Ehe zusammenpasst, sich jedoch im Laufe der Zeit voneinander entfernt. Dies, so Schlaffers nüchternes Urteil, führe zwangsläufig dazu, dass immer mehr Ehen zum Scheitern verurteilt sind; und nicht zuletzt verdeutliche es den wahren Charakter der modernen Ehe: „Sie ist wesentlich ein Experiment, und Experimente sind abschließbar und wiederholbar.“ Zumal moralische Sanktionen von Seiten der Gesellschaft, die noch bis vor gar nicht langer Zeit auch in unseren Kulturkreisen mit einer Scheidung verbunden waren, weitgehend verschwunden seien.
Doch ist der Versuch, mit alternativen Partnerschaftskonzepten die vermeintlichen Zwängen der Ehe zu umgehen, durchaus keine Erfindung unserer Tage, wie Schlaffer in ihrem neuen Essay „Die intellektuelle Ehe. Der Plan vom Leben als Paar“, der soeben beim Hanser Verlag erschienen ist, eindrucksvoll zeigt. Sowohl in der Geschichte als auch in der Literaturgeschichte findensich dafür zahlreiche Beispiele – von Friedrich Schlegel im ausgehenden 18. Jahrhundert über Lew und Sofja Tolstoi bis zu Max und Marianne Weber sowie Jean-Paul Satre und Simone de Beauvoir in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Sie alle experimentierten nicht nur in ihren Werken, sondern auch in ihren jeweiligen Beziehungen mit neuen Formen des Zusammenlebens
und setzten sich damit bewusst über die Moralvorstellungen ihrer Zeit hinweg.
Zum Problem, so Schlaffer, wurde die Frage nach dem rechten Zusammenleben ohnehin erst an der Schwelle vom 18. zum 19. Jahrhundert. Damals löste die Einschätzung des Partners als Liebesobjekt den bis dato bewährten Pragmatismus bei der Eheschließung ab. Statt wie bisher die Familie, nahm nun das Individuum bei der Partnerwahl sein Glück zunehmend selbst in die Hand. Doch beinhaltet die Freiheit, seinen Partner frei zu wählen, eben auch dieMöglichkeit, ihn wieder abzuwählen. Die Liebesehe wird damit zur Voraussetzung für die Krise der Ehe. In der Literatur des 19. Jahrhunderts findet sich dieses Dilemma in unzähligenWerken, prominent u.a. bei Gustave Flaubert oder Theodor Fontane; und auch bei Jane Austen, die den „Ehestiftungsroman“ praktisch begründete, wird den neuen Herausforderung bei der Partnerwahl eine zentrale Bedeutung beigemessen.
Wie kein zweites Paar stehen Jean-Paul Sarte und Simone de Beauvoir für die Erprobung neuer Formen des Zusammenlebens als Paar. In Schlaffer Buch wird ihnen daher zurecht der meiste Platz eingeräumt. Ihre extrovertiert gelebte und vor allem von de Beauvoir immer wieder literarisch verarbeitete Beziehung gilt als der Prototyp der intellektuellen Ehe im 20. Jahrhundert, wenngleich die beiden nie verheiratet waren. Doch wird rasch deutlich, dass selbst in einer auf größtmögliche Offenheit, Gleichberechtigung und Toleranz angelegten Beziehung Vernunft und Emotionen kollidieren können. Als etwa Jacques Laurent Bost, ein Schüler von Sartre und Geliebter von de Beauvoir, einen Brief an seine Freundin Olga Kosakiewicz mit der Anrede „Mon cher amour“ beginnt, regt sich in de Beauvoir die Eifersucht. Sofort unternimmt de Beauvoir daraufhin den Versuch, den Vorfall vernunftgemäß zu verorten. In ihrem „Kriegstagebuch“ heißt es dazu: „[die] Anrede versetzt mir einen kleinen Schock; das ist nicht vernünftig, er liebt mich auch, und ich müsstemich damit zufriedengeben, ich gebe ihm auch nicht alles.“ Offenbar war de Beauvoir mit der Situation doch nicht ganz so glücklich, wie sich es sich in ihrem Tagebuch einzureden versuchte. Zumal es dort nur wenige Tage später, erneut mit Blick auf ihre Beziehung zu Bost, heißt: „Traurigkeit, Trübsinn ist gelinde im Vergleich zu dieser Spannung, dieser Weigerung, dieser Hartnäckigkeit der Eifersucht.“ Hinzu kommt, dass de Beauvoir zeitlebens an einem Gefühl der Minderwertgkeit litt, was der gewaltigen Produktivität des schon früh berühmtem Sartre geschuldet war. Bei Schlaffer heißt es dazu: „Nicht die Seitensprünge Sartres also führen in die schwerste Krise, sondern seine intellektuelle Überlegenheit.“ Ob Sartre und de Beauvoir tatsächlich das „perfekte Paar“ waren, deren Beziehung der Utopie einer intellektuellen Ehe am nächsten kam, wie Schlaffer meint, sei daher einmal dahingestellt. Mehr als zwanzig Jahre benötigte de Beauvoir, um sich aus dem Schatten Sartres zu schreiben, was ihr erst 1949 mit der Veröffentlichung von „Le Deuxième Sexe“ („Das zweite Geschlecht“) gelang. Fakt ist, dass die Beziehung der beiden keineswegs frei von Eifersucht und gegenseitiger Erniedrigung war, unter denen beide Seiten gelitten haben dürften, wenngleich uns dergleichen lediglich von
de Beauvoir überliefert ist.
Ein Patentrezept für die „intellektuelle Ehe“ gibt es nicht. Denn schließlich handelt es sich dabei nicht um ein statisches Konstrukt, sondern um die Absicht zweier Menschen, ein gemeinsames Leben zu führen und dieses mit den individuellen Lebensumständen – inklusive aller sich daraus ergebenderWidrigkeiten – in Einklang zu bringen. Dass die Voraussetzungen hierfür sich mit der Zeit gewandelt haben und sich auch weiterhin verändern, versteht sich von selbst. „Den Ehering, in der modernen Ehe ohnehin ein Atavismus, ersetzt das Handy: Es lässt seinen Besitzer nie vergessen, dass er verheiratet ist“, heißt es dazu bei Schlaffer. Klar sei jedoch, so Schlaffer weiter:„Eheliches Glück ist rar und teuer.“ Das zumindest dürfte in allen Zeiten gelten.
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