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Das Meer und der Norden     Streifzüge von Küste zu Küste     von Charlotte Ueckert
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Das Meer und der Norden     Streifzüge von Küste zu Küste     von Charlotte Ueckert
Kritik

Wir starrten auf ein Jahrhundert, das vergangen war.

Hamburg

Was bleibt, wenn die alten Freunde weg sind? Die alten Feinde?

Man wird zum Aphoristiker, nachdem man die zwei Stunden der Wenzel CD konsumiert hat.  Ich wurde durch die Texte, die Musik in ein Alter zurück katapultiert, als ich die Wahrheiten noch in Gedichtbänden mit Bleistift anstrich, ein Alter, da Namen wie Hegel und Kant  Verheißungen bargen, wohl weil sie als Vorgänger von Marx angesehen wurden, jenem Denker, der die Strukturen romantisierte und das Denken somit jugendgerecht oder meiner Jugend gerecht gestaltete.

„Immanuel Kant disputierte in Königsberg/ Unsere Urteilskraft. Das zwanzigste,/ Das Jahrhundert voll Götzen Geld und Gefangenen,/ Trocknete fürs Herbarium der Moral.“ heißt es im Text „Die letzten Briefe. Und ich nehme dem Dichter die Abgeklärtheit nicht ganz ab, kündigt sich doch in den Texten nichts an, was die Überlieferung ersetzen könnte. Es scheint ein nicht enden wollender Abschied zu sein, der sich schon im Liedtheater vor zwanzig Jahren angekündigt hatte. „Abschied der Matrosen vom Kommunismus“ hieß das Programm von Wenzel und Mensching bereits damals. Sie kommen nicht los voneinander.

Wer träumt nicht irgendwann von der Revolution. Allerdings war es schwierig, in einem Land vom Umsturz zu träumen, wo dem herrschenden Selbstverständnis nach der finale Umsturz schon Geschichte war, weil im Jahre 1917 ein russischer Panzerkreuzer in den Himmel über Petersburg gefeuert hatte. Matrosen der Baltischen Seekriegsflotte hatten ein Mysterienspiel eröffnet, dem sich  bald deutsche Matrosen anschlossen, die im Herbst 1918 bis Berlin zogen. Welch ein lyrischer Auftakt! Die Kriege. Das Meer. Die Dichtung.

Den Matrosen also gehört ein zentraler Platz in der realsozialistischen Mythologie, neben dem Bergmann und dem Partisanen. Und weil diese drei Figuren notwendig unsichtbar blieben, versteckt, auf der See, unter Tage und im Untergrund, zogen sie allerlei Sehnsucht junger Männer auf sich. Auch meine:

Es war ein Alter, in dem ich den Aphoristikern noch das Wissen von den Lippen absammelte. Und Hans-Eckardt Wenzel sang bei mir, in meinem Karl-Marx-Städter Zimmer die Nächte durch und fütterte meine Sehnsucht. „Stirb mit mir ein Stück“ hieß die Platte, die ich nicht müde wurde zu hören und deren Texte ich noch heute auswendig kenne.

Und wir wollen nicht ungerecht sein, half mir der Autor doch, zu einer Zeit, da mein Weltbild erschüttert wurde, ich aber vom Kommunismus nicht lassen wollte. Pubertät in der DDR war eine politische, wie alles in der DDR politisch war.

Nun liegt ein Bändchen vor mir, mit dem vielsagendem Titel „Seit ich am Meer bin.“ Erschienen ist er im MatrosenblauVerlag. Wie es scheint blieb der Autor unerschüttert. Und auch die Texte die ich lese erscheinen mir auf eine gewisse Weise vertraut. Noch einmal wird hier die vergangene Symbolik des sozialistischen Jahrhunderts ausgekostet und die Geliebte als Trösterin und Heizung: „Hab ich dich federnd aufgefangen/ Wie eine Flocke mit dem Mund? Das Licht lag weiß auf deinen Wangen./ So still die Nacht, so weich und rund.“ Das mag gesungen noch angehen.

Dass wir uns nicht falsch verstehen, Wenzel ist bestimmt kein Anhänger einer der Doktrinen des zwanzigsten Jahrhunderts. Seine Formensprache orientiert sich eher an Wilhelm Müllers Winterreise als am Kampflied a la Erich Weinerts Roter Wedding. Bei Müller heißt es: „Fremd bin ich eingezogen, fremd zieh ich wieder aus.“  bei Wenzel: “Ich fühl mich in der Fremde/ als wäre ich zu Haus.“ Und dieser zutiefst romantische Topos („Kein Ort. Nirgends“) wird zugleich im Eingangsgedicht vorgestellt.

Aber um dieses Fremde zu belegen, wird im Bande alles zitiert, was es an Schlechtigkeiten im letzten Jahrhundert so gab: Krieg, Bürgerkrieg, Fernsehen, Konsum.  Pate stehen verwundete und ermordete Dichter wie Lorca.  „Das Gift der Vergangenheit/ unschädlich machen, Frederico, gelingt nicht.“

Und genau hier liegt das Problem, wenn man mal das Pathos der Genitivkonstruktion herausnimmt. Es gelingt Wenzel nicht, die Vergangenheit unschädlich zu machen. Aber wäre nicht genau das eben Befreiung? Sonst nämlich bewegen wir uns in den Netzen der Melancholie, bleiben Gefangene unserer eigenen Geschichte, die wir dann notwendig als Heilsgeschichte (oder Untergangsgeschichte, immer aber mit hegelschem Ende) verklären müssen. Und so bleiben seine Texte seltsam konservativ.

Nach einer Weile CD und Lektüre musste ich Pause machen, so bittersüß die Erinnerungen auch waren, ich war ein wenig genervt, von mir als jungem Mann, von Wenzel, von der Geschichte.

Hans-Eckardt Wenzel
Seit ich am Meer bin
Matrosenblau
2011 · 104 Seiten · 18,00 Euro
ISBN:
978-3-941155183

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